JudikaturJustiz11Os120/85

11Os120/85 – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. September 1985

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.September 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Dallinger als Schriftführers, in der Strafsache gegen Cvetko A wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3, 128 Abs. 1 Z 4, 130, erster Fall, StGB und eines anderen Delikts über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 2.Mai 1985, GZ. 3 e Vr 340/85-24a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß dem § 290 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil, das im Schuldspruch wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach dem § 223 Abs. 1 StGB als unangefochten unberührt bleibt, im übrigen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 20.März 1948 geborene Kraftfahrer Cvetko A, ein in Österreich lebender

jugoslawischer Staatsbürger, des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3, 128 Abs. 1 Z 4, 130 (erster Fall) StGB und des Vergehens der Urkundenfälschung nach dem § 223 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Nach dem Urteilsspruch liegt ihm zur Last, in Wien 1. vom April bis 18. Oktober 1984 gewerbsmäßig sowie jeweils unter Ausnützung einer Gelegenheit, die durch eine ihm aufgetragene Arbeit als Berufskraftfahrer geschaffen worden war, zum Nachteil des Auftraggebers, der Firma B C Ges.m.b.H., fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 S übersteigenden Wert, nämlich mindestens 100 Stück Paletten im Gesamtwert von 11.200 S mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern; 2. am 15.Oktober 1984 dadurch, daß er auf einer Kassaausgangsbestätigung der Fa. D den Empfang einer Zahlung bestätigte und den Beleg mit dem Namen 'FIALA' unterschrieb, eine falsche Urkunde mit dem Vorsatz hergestellt zu haben, daß sie im Rechtsverkehr zum Beweis der Tatsache, daß nicht er, sondern eine Person namens E den Betrag erhalten habe, gebraucht werde. Nur den Schuldspruch wegen Diebstahls bekämpft der Angeklagte mit einer ausdrücklich auf die Nichtigkeitsgründe nach dem § 281 Abs. 1 Z 5 und 9 lit. b StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Aus Anlaß der Beschwerde konnte sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugen (§ 290 Abs. 1 StPO), daß das Urteil im Schuldspruch wegen des Diebstahls an einer Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO leidet, die vom Angeklagten nicht geltend gemacht wurde, sich aber zu seinem Nachteil auswirkt und deshalb von Amts wegen aufzugreifen ist:

Nach der - ersichtlich nur auf dem Polizeibericht vom 24. Oktober 1984 (S 181) beruhenden - Anklageschrift vom 21. November 1984 (ON 18) wurde dem Angeklagten ausschließlich der zwischen dem 1. und 18.Oktober 1984 begangene Diebstahl von 'mindestens 58 Stück Paletten im Gesamtwert von 6.500 S' vorgeworfen (S 209). Gleichzeitig gab die Staatsanwaltschaft die Erklärung ab, 'daß zu einer weiteren Verfolgung des Cvetko A wegen der §§ 127 ff. StGB (Diebstahl weiterer Paletten, soweit nicht inkriminiert) kein Grund gefunden wird (§ 109 Abs. 1 StPO - Teileinstellung)'. Der Untersuchungsrichter entsprach diesem Einstellungsantrag der Staatsanwaltschaft am 2.Dezember 1984 (vgl. die vom Obersten Gerichtshof beigeschaffte Ablichtung des Antrags- und Verfügungsbogens zu 23 c Vr 11.937/84). Damit steht einem Schuldspruch des Angeklagten wegen Diebstahls von mehr als den in der Anklage angeführten (mindestens) 58 Paletten (i.W. von !mindestens 6.500 S) die materielle Rechtskraft und die 'Sperrwirkung' dieses Einstellungsbeschlusses entgegen (Foregger-Serini, StPO 3 , Erl. I.2. und VI. zu § 352 StPO). Hieran ändert auch die Verwendung des Wortes 'mindestens' in der Anklageschrift nichts, weil jedenfalls jener Teil der Paletten, dessentwegen das Erstgericht den Angeklagten über die Anzahl von 58 Stück und den Tatzeitraum 1. bis 18.Oktober 1984 hinaus des Diebstahls schuldig befand, bereits durch die Einstellungserklärung und den darauf fußenden Einstellungsbeschluß des Untersuchungsrichters erfaßt war und ohne Verletzung des Grundsatzes 'ne bis in idem' (XX. Hauptstück der Strafprozeßordnung) nicht mehr Gegenstand eines gerichtlichen Schuldspruches werden konnte. Eine derartige Verfolgung des Cvetko A wäre nur unter den Bedingungen und unter Einhaltung der Förmlichkeiten der ordentlichen Wiederaufnahme des Strafverfahrens (§ 352 ff. StPO) möglich gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Soweit der erstinstanzliche Schuldspruch wegen Diebstahls die Anzahl von 58 Paletten übersteigt und den Tatzeitraum von April bis 30. September 1984 umfaßt, ist daher das Urteil zum Nachteil des Angeklagten mit dem Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO behaftet, weil die Verfolgung des Cvetko A insoweit aus Gründen des Prozeßrechtes ausgeschlossen ist. Aber auch hinsichtlich der verbleibenden Paletten konnte eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht eintreten; denn das angefochtene Urteil entbehrt jeglicher (Tatsachen ) Feststellungen über die vom Angeklagten während des - bei der gegebenen prozessualen Situation - ausschließlich inkriminierten Zeitraums vom 1. bis 18.Oktober 1984 begangenen Diebstähle (§ 289 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO) und geht nur undifferenziert davon aus, daß Cvetko A vom April bis 18. Oktober 1984 'mindestens zehnmal Paletten zu je mindestens 10 Stück zum Nachteil der Firma B C GesmbH' gestohlen hat. Da sich somit zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war gemäß dem § 285 e StPO - nach Anhörung der Generalprokuratur - bereits bei einer nichtöffentlichen Sitzung wie im Spruch zu erkennen. Mit seiner dadurch gegenstandslos gewordenen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.