JudikaturJustiz11Os120/11y

11Os120/11y – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Oktober 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Milan B***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 27. Mai 2011, GZ 16 Hv 24/11v 32, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil zur Gänze aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Kassation verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Milan B***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 15 StGB (I./) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien und Graz vorschriftswidrig Suchtgift

I./ in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) um das Fünfundzwanzigfache übersteigenden Menge anderen teils überlassen, teils zu überlassen versucht, indem er von Anfang September 2010 bis 12. Dezember 2010 zumindest 15 kg Cannabiskraut an unbekannte Abnehmer und an Walid I*****, der das Suchtgift nach Graz brachte, gewinnbringend verkaufte, wobei es hinsichtlich ca 2,2 kg beim Versuch blieb;

II./ erworben und besessen, indem er von 10. Mai 2006 bis 12. Dezember 2010 unbekannte Mengen an Suchtgift, vorwiegend Cannabisprodukte und Kokain, konsumierte.

Ersichtlich nur gegen den Schuldspruch I./ richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 3, 5, 5a und 11 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Dem Protokoll über die Hauptverhandlung ON 31 S 14 ist (lediglich) zu entnehmen „Vorgetragen wird der gesamte Akteninhalt gemäß § 252 Abs 2 StPO, mit Ausnahme der Angaben von Zeugen und Auskunftspersonen“.

Der ersichtlich gemeinte Abs 2a des § 252 StPO setzt allerdings für den Vortrag des erheblichen Inhalts ansonsten vorzulesender oder vorzuführender Aktenstücke durch den Vorsitzenden die Zustimmung der Beteiligten des Verfahrens voraus.

Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung reicht das widerspruchslose Hinnehmen einer nach § 252 Abs 1 StPO an sich unzulässigen Verlesung und eines Vortrags nach § 252 Abs 2a StPO allein selbst bei einem anwaltlich vertretenen Angeklagten in der Regel nicht aus, ein stillschweigendes Einverständnis zu dieser Prozesshandlung anzunehmen. Eine konkludente Zustimmung ist zwar prinzipiell möglich, doch ist dazu erforderlich, dass über das bloße Unterbleiben eines Widerspuchs hinaus den Akten noch weitere konkrete Anhaltspunkte zu entnehmen sind, die unzweifelhaft auf das vom Gesetz geforderte Einverständnis schließen lassen (RIS Justiz RS0099242; Kirchbacher , WK StPO § 252 Rz 102 f, 134; Fabrizy , StPO 11 § 252 Rz 20).

Davon kann im Gegenstand keine Rede sein, bringt der Beschwerdeführer doch sogar vor, dieser Vortrag iSd § 252 Abs 2a StPO habe gar nicht stattgefunden. Er macht (nominell auch im Rahmen der Z 3) zutreffend geltend, dass mangels Verlesung bzw zulässigen Vortrags des Inhalts der oben angeführten (gemäß § 252 Abs 2 StPO zu verlesenden [ Kirchbacher , WK StPO § 252 Rz 124]) Aktenstücke diese als nicht in der Hauptverhandlung vorgekommen (§ 258 Abs 1 StPO) im Urteil nicht hätten verwertet werden dürfen. Da die tatrichterliche Beweiswürdigung jedoch maßgeblich auf diesen Beweismitteln beruht (US 5 f), ist das Urteil in Punkt I. gemäß § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO nichtig ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 460; Kirchbacher , WK StPO § 252 Rz 128, 131, 134).

Nach den zum Schuldspruch II./ getroffenen tatrichterlichen Annahmen (US 4) hat der Angeklagte Suchtgift zum Eigenkonsum erworben und besessen. Es hätte daher diesbezüglich jedenfalls die privilegierende Bestimmung des § 27 Abs 2 SMG zur Anwendung kommen müssen. Dies war von Amts wegen wahrzunehmen (§§ 289, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 281 Abs 1 Z 10 StPO). Die Aufhebung wäre im Übrigen aber auch mit Blick auf §§ 35, 37 SMG geboten gewesen (RIS Justiz RS0119278).

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur wie aus dem Spruch ersichtlich vorzugehen (§ 285e StPO), ohne dass das übrige Rechtsmittelvorbringen zu erörtern gewesen wäre.

Rechtssätze
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