JudikaturJustiz11Os105/06k

11Os105/06k – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Dezember 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hinterleitner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Paul Wilhelm F***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB, über den Antrag des Generalprokurators auf Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 1 U 65/05s des Bezirksgerichtes Freistadt (§ 362 StPO) nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Bezirksgerichtes Freistadt vom 27. Juli 2005, GZ 1 U 65/05s-10, in dem den Tatzeitraum 28. Juli 2003 bis 26. Juli 2005 betreffenden Teil des Schuldspruchs und im Strafausspruch sowie die auf diesem Urteil beruhenden Verfügungen werden aufgehoben und es wird die Wiederaufnahme des Verfahrens im Umfang der Aufhebung verfügt.

Text

Gründe:

Paul Wilhelm F***** wurde mit rechtskräftigem, in seiner Abwesenheit (§ 459 StPO) gefällten Urteil des Bezirksgerichtes Freistadt vom 27. Juli 2005, GZ 1 U 65/05s-10, des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Demnach hat er „seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber dem am 3. August 2000 geborenen (Sohn) Raphael Philipp E***** mit monatlich Euro 181,68 gröblich verletzt, indem er im Zeitraum vom 1. Oktober 2002 bis zum 26. Juli 2005 keinerlei bzw nur unzureichende Unterhaltszahlungen geleistet und dadurch bewirkt hat, dass der Unterhalt oder die Erziehung des Unterhaltsberechtigten gefährdet wird oder ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet wäre". Im Bestrafungsantrag vom 19. Mai 2005 (ON 5) wurde als Tatzeitraum „1. 10. 2002 bis zum Bestrafungsantragsdatum" angeführt. In der Hauptverhandlung vom 27. Juli 2005, die gemäß § 459 StPO in Abwesenheit des Beschuldigten erfolgte, dehnte der Bezirksanwalt den Bestrafungsantrag „bis zum 26. 7. 2005" (S 40) aus. Nach den vorliegend wesentlichen Urteilsfeststellungen (US 3) wurden „in der Zeit der Haft (des Beschuldigten) vom 1. 9. 2003 bis 31. 7. 2004" und auch sonst „seit Jahren" Unterhaltsvorschüsse gewährt. Er habe „nach der Haft im Juli 2004" einen Monat und nach seiner Arbeitslosigkeit bis 21. März 2005 wieder gearbeitet, diese Anstellung aber verloren, „als er sich nach 10 Tagen zu einer Operation abmeldete". Er habe deutlich gezeigt, dass ihm der Unterhalt seiner Kinder „völlig egal" sei und darauf vertraut, dass durch Unterhaltsvorschüsse der Unterhalt eines Kindes erbracht werde. Wenn er einmal selbst eine Tätigkeit wie beim Unternehmen S***** antrete, halte er nicht einmal einen Monat durch und riskiere durch eine Operation, „die wohl nicht mit der Tätigkeit im Steinbruch unmittelbar zusammen hing", dass er diese wieder verliere. „Ein 24-jähriger Bursche" sei „aus gesundheitlichen Gründen in der Lage, jede Tätigkeit, die körperlichen Einsatz erfordert, zu erbringen" (US 4).

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zu Grunde gelegten entscheidenden Tatsachenannahmen, dass der Verurteilte vom 28. Juli 2003 bis zum Urteilszeitpunkt (26. Juli 2005) durchgehend erwerbsfähig gewesen ist und Unterhaltszahlungen hätte erbringen können, bestehen, wie der Generalprokurator in seinem gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO gestellten Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens zutreffend aufzeigt, erhebliche Bedenken. Während der Zeit, in der sich der Unterhaltspflichtige in polizeilicher oder gerichtlicher Haft oder im Krankenhaus befindet, ist es ihm nicht möglich, eine Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das Unterlassen von Unterhaltszahlungen, welche, wie hier nach der Aktenlage indiziert, nur durch Arbeitseinkommen finanziert werden können, begründet daher in diesen Zeiträumen in der Regel keine gröblichen Pflichtverletzungen, sodass es diesbezüglich bereits am objektiven Tatbestand des § 198 Abs 1 StGB mangelt. Darüberhinaus ist dem Unterhaltspflichtigen nach der Entlassung aus der Haft und Spitalspflege sowie nach dem Ende einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein angemessener Zeitraum zur Arbeitsbeschaffung zuzubilligen, innerhalb dessen eine Zahlungssäumnis des Unterhaltsschuldners gleichfalls (grundsätzlich) als nicht tatbildlich anzusehen ist (vgl Markel in WK2 Rz 51, 54 f, Fabrizy StGB9 Rz 5, jeweils zu § 198; 15 Os 64/00). Auch steht bei der aus dem Anspannungsgrundsatz sich ergebenden Unterhaltspflicht des Arbeitslosen nicht das Verschulden am Verlust der Erwerbsquelle im Vordergrund, sondern ist entscheidend, ob er alle von ihm nach den Umständen zu verlangenden und sinnvollen Anstrengungen (gemessen am rechtsgetreuen Durchschnittsmenschen in seiner Lage) zur Erlangung einer Beschäftigung unternimmt, die ihm die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht ermöglichen würde (vgl WK² § 198 Rz 52). Nach dem Akteninhalt befand sich der Verurteilte während des ihm angelasteten Deliktszeitraums vom 28. Juli 2003 bis 28. Juli 2004 in Haft (siehe S 21, Pkt 8; 25) sowie vom 19. April bis 23. April 2005 in Spitalspflege (S 25) und war laut einer Krankenstandsbescheinigung der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (S 29) vom 19. April 2005 bis 8. Juni 2005 arbeitsunfähig. Diese für die Schuldfrage wesentlichen Verfahrensergebnisse über Haft und Krankenhausaufenthalt sowie die nachfolgende Arbeitsunfähigkeit einschließlich jeweils einer angemessenen Zeit zur Arbeitsbeschaffung blieben ungeprüft und in den Entscheidungsgründen - sieht man von einer ansatzweisen Erwähnung ab - unberücksichtigt. Die Annahmen, er sei aus „gesundheitlichen Gründen in der Lage (gewesen), jede Tätigkeit, die körperlichen Einsatz erfordert, zu erbringen" (US 4, zweiter Absatz), und habe durch „eine Operation" (welche laut Angabe des Beschuldigten wegen eines Leisten- und Hodenbruchs erfolgte, S 25), die „wohl nicht" mit der Tätigkeit im Steinbruch „unmittelbar zusammen hing" (US 4, erster Absatz), den Verlust des Arbeitsplatzes „riskiert", findet hinsichtlich der bezeichneten Tatzeiträume in der Aktenlage keinerlei Deckung. Auf Basis der Beweislage ist der Annahme, der Verurteilte sei aus gesundheitlichen Gründen zur Erbringung jedweder körperlichen Einsatz fordernder Tätigkeit in der Lage gewesen, rein spekulativer Charakter beizumessen.

Es bestehen daher erhebliche Bedenken an der konstatierten Leistungsfähigkeit des Beschuldigten für die Zeit der Haft sowie jene der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, aber auch für die daran anschließenden Zeiträume, ist doch dem Unterhaltspflichtigen nach der Haftentlassung und nach Krankheit sowie Rekonvalenszenz jedenfalls eine angemessene Zeit zur Beschaffung eines Erwerbs zuzubilligen. Ob dieser Zeitraum nach der Haftentlassung Ende Juli 2004 bis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit am 21. März 2005 anzunehmen ist, kann mangels jeglicher unbedenklicher Erwägungen zu Vermögensverhältnissen und Verdienstmöglichkeiten nicht festgelegt werden. Aufgrund der aufgezeigten erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der bezeichneten Urteilsannahmen war daher im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zugunsten des Verurteilten anzuordnen und die auf anderem Weg nicht mehr behebbare (Ratz in WK-StPO § 362 Rz 12 f, insbes 17) Benachteiligung durch Aufhebung der Entscheidung in jenem Umfang, damit auch im Strafausspruch zu beseitigen.

Zufolge dieser Teilkassation kann die dem Erstgericht unterlaufene, durch die in Abwesenheit des Beschuldigten erfolgte Ausdehnung des Bestrafungsantrages und das darüber ergangene Urteil bewirkte Verletzung des in §§ 451 Abs 1 letzter Satzteil, 454 und 459 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatzes des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK (Fabrizy StPO9 Rz 1; Ratz in WK-StPO Rz 15, jeweils zu § 459; EvBl 1999/153) auf sich beruhen.

Es war daher dem Antrag des Generalprokurators stattzugeben, das Urteil des Bezirksgerichtes Freistadt vom 27. Juli 2005 im außerordentlichen Weg gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO in Ansehung des Tatzeitraums ab dem 28. Juli 2003 für aufgehoben zu erklären und die Strafsache zur weiteren Amtshandlung gemäß § 359 (§ 362 Abs 4) StPO an das bezeichnete Gericht zu verweisen.

Rechtssätze
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