JudikaturJustiz11Os104/07i

11Os104/07i – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Oktober 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Oktober 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wiaderek als Schriftführer, in der Strafsache gegen Jürgen Thomas M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 203 Abs 1 StGB aF, AZ 13 Hv 70/07h des Landesgerichtes Wels, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes Wels vom 19. Dezember 2006, AZ 24 Rk 79/06f (ON 37 des Strafaktes), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, zu Recht erkannt:

Spruch

Der im Verfahren gegen Jürgen Thomas M***** (jetzt D*****), AZ 13 Hv 70/07h des Landesgerichtes Wels, gefasste Beschluss der Ratskammer dieses Gerichtes vom 19. Dezember 2006, AZ 24 Rk 79/06f (ON 37 des Strafaktes), verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 352 Abs 1 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Jürgen Thomas M***** (jetzt: D*****) wurde vom Gendarmerieposten Peuerbach angezeigt, zwischen November 1999 und Juli 2000 in Peuerbach mehrmals seine Gattin Daniela M***** vergewaltigt zu haben (Faktum I der ON 2 im Bezugsakt AZ 13 Hv 70/07h des Landesgerichtes Wels). Im Zuge der gegen ihn geführten Voruntersuchung entschlug sich Daniela M***** bei ihrer Vernehmung durch die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Wels am 10. November 2000 gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO der Aussage und zog den Antrag auf Strafverfolgung gemäß § 203 Abs 1 StGB aF (S 99) zurück (ON 10), woraufhin die Staatsanwaltschaft am 26. Juli 2001 die Erklärung abgab (S 1 b verso) „im Umfang der Vergewaltigung" keinen Grund zur weiteren (zu ergänzen: gerichtlichen) Verfolgung zu finden (§ 109 Abs 1 StPO). Bei einer polizeilichen Vernehmung am 12. September 2006 anlässlich einer von ihr angegebenen Vergewaltigung durch einen Nachbarn erwähnte Daniela M***** auch die Vorfälle mit ihrem (früheren) Ehegatten (S 23 in ON 35). Im Auftrag der Staatsanwaltschaft Wels wurde sie sodann von der Polizei befragt, ob sie nunmehr den Antrag auf Strafverfolgung des (jetzigen) Jürgen Thomas D***** stelle (S 5 in ON 35). Bei ihrer polizeilichen Vernehmung am 29. September 2006 verzichtete sie auf ihr Entschlagungsrecht und stellte den erwähnten Verfolgungsantrag (S 27 ff in ON 35). Sie wurde hierauf am 28. November 2006 von der Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Wels kontradiktorisch vernommen, wobei sie auf ihr Entschlagungsrecht ausdrücklich verzichtete (ON 6 in ON 35).

Mit rechtskräftigem Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes Wels vom 19. Dezember 2006, AZ 24 Rk 79/06f (ON 37), wurde dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens (S 1 b in ON 35) Folge gegeben und „das Strafverfahren gegen Jürgen Thomas D***** wegen des Verdachtes des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 2, 203 StGB aF im Umfang der Strafanzeige (Faktum I) ON 2 wiederaufgenommen (§ 352 StPO)". Die Ratskammer erblickte in den erneuten Aussagen der Zeugin Daniela M***** ein neues, geeignetes Beweismittel (Ratskammerentscheidung S 4 zweiter Absatz). Nach Vernehmung des Beschuldigten (ON 41) erhob die Staatsanwaltschaft Wels am 27. Februar 2007 Anklage gegen Jürgen Thomas D***** wegen § 201 Abs 2 StGB aF (ON 42). Die Hauptverhandlung vom 31. Mai 2007 wurde auf unbestimmte Zeit vertagt (ON 51).

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss der Ratskammer auf Wiederaufnahme des Verfahrens verstößt, wie der Generalprokurator in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, gegen das Gesetz in der Bestimmung des § 352 Abs 1 StPO.

Nach dieser Vorschrift kann nämlich dann, wenn das Strafverfahren wider eine bestimmte Person durch Einstellung, Zurückweisung der Anklage oder Rücktritt von der Anklage vor der Hauptverhandlung beendet worden ist, dem Antrag des Staatsanwaltes oder Privatanklägers auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens nur dann stattgegeben werden, wenn die Strafbarkeit der Tat noch nicht durch Verjährung erloschen ist und wenn neue Beweismittel beigebracht werden, die geeignet erscheinen, die Bestrafung des Beschuldigten zu begründen. Ungeschriebene Voraussetzung für die Wiederaufnahme ist jedoch, dass dem einschreitenden Ankläger überhaupt die Befugnis zur Strafverfolgung zukommt.

Das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB aF konnte zum Tatzeitpunkt gemäß § 203 Abs 1 StGB aF bei Begehung in Ehe oder Lebensgemeinschaft und Fehlen qualifizierender Umstände nur auf Antrag der verletzten Person verfolgt werden. Die letztgenannte Bestimmung wurde durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2004, BGBl I 2004/15, aus dem Rechtsbestand entfernt, sodass zunächst zu prüfen ist, ob für die Verfolgung jener Straftaten, die zum Tatzeitpunkt Antragsdelikte waren, weiterhin die Stellung eines Antrages nach § 2 Abs 4 StPO erforderlich ist.

Dem Wesen der Antragsdelikte entspricht es, dass ein Antragsteller iSv § 2 Abs 4 StPO durch Zurücknahme seines Antrages (§ 2 Abs 4 letzter Satz StPO) dem öffentlichen Ankläger das Substrat für jegliche weitere Ausübung des Verfolgungsrechtes entzieht, weil der Antragsteller als eigentlicher Träger des Verfolgungsrechtes anzusehen ist (11 Os 54, 55/75; SSt 62/47).

Prozessuale Erklärungen als solche sind idR unwiderruflich (Bertel/Venier Strafprozessrecht6 Rz 347), namentlich jene, durch die über den Gegenstand des Strafverfahrens selbst disponiert wird - also etwa der Rücktritt des Anklägers von der Anklage (für das Privatanklageverfahren SSt 43/8 mit dem Hinweis auf den weiterhin geltenden Ausschluss der Wiederaufnahme durch § 352 Abs 3 StPO). Wiewohl eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dazu fehlt, ist aus §§ 2 Abs 4, 352 Abs 3 StPO iSd bisherigen Judikatur abzuleiten, dass ein nach § 2 Abs 4 letzter Satz StPO zurückgenommener Antrag nicht neuerlich gestellt werden kann. Daher war die darauf abzielende Erklärung des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers wirkungslos und fehlte es somit dem öffentlichen Ankläger hier an der Befugnis zu jeglicher Strafverfolgung dieses Falles, damit aber auch - völlig unabhängig von der eigenen Erklärung nach § 109 Abs 1 StPO und vom logisch nachgeordneten Beibringen neuer Beweismittel - zur Stellung eines Wiederaufnahmeantrages.

Die Ratskammer hätte diesen daher zurückweisen müssen - die meritorische Erledigung verletzt § 352 Abs 1 StPO.

Weil sich die Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof neben dieser Feststellung iSd § 292 letzter Satz StPO veranlasst, den angefochtenen Beschluss der Ratskammer aufzuheben und den Antrag des Staatsanwaltes zurückzuweisen.