JudikaturJustiz10Os26/78

10Os26/78 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. März 1978

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.März 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Neutzler, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Faseth, Dr. Friedrich und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Waldstätten als Schriftführer in der Strafsache gegen Franz A wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20.Dezember 1977, GZ 5 a Vr 5382/77-30, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Janovsky und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Nurscher, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Punkt 2. des Schuldspruches sowie demgemäß auch im Ausspruch über die Strafe aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z. 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Franz A ist schuldig, am 10.Dezember 1977 in Wien dadurch, daß er den fünfjährigen Harald B zu sich zog, ihm den Mund zuhielt und seiner Mutter Elfriede B zurief, daß ihm etwas passieren würde, wenn sie ihm kein Bargeld gebe, der Elfriede B mit Gewalt und gefährlicher Drohung fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht zu haben, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei der Raub ohne erhebliche Gewalt an einer Sache geringen Wertes versucht wurde und die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat.

Er hat hiedurch das Verbrechen des versuchten Raubes nach den §§ 15, 142 Abs 2 StGB begangen und wird hiefür, sowie für das ihm nach dem unberührt bleibenden Pkt. 1 des erstgerichtlichen Schuldspruches zur Last fallende Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 StGB

unter Bedachtnahme auf den § 28 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 (achtzehn) Monaten verurteilt. Gemäß § 21 Abs 2 StGB wird die Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet. Der Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft gemäß § 38 Abs 1 StGB wird aus dem Ersturteil übernommen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 4.August 1957 geborene Dachdecker Franz A der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 StGB

(Punkt 1 des Urteilsspruches) und - insoweit abweichend von der in der mündlichen Hauptverhandlung vom 13.Dezember 1977 auf das Verbrechen des versuchten minderschweren Raubes nach den §§ 15, 142 Abs 2 StGB ausgedehnten Anklage (S. 134 d.A.) - des Verbrechens des versuchten Raubes nach den §§ 15, 142 Abs 1 StGB (Punkt 2. des Urteilsspruches) schuldig erkannt. Nach dem Inhalt des mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde allein angefochtenen Punktes 2. des Urteilsspruches hat er am 10.Dezember 1977 in Wien dadurch, daß er den fünfjährigen Harald B zu sich zog, ihm den Mund zuhielt und seiner Mutter Elfriede B zurief, daß etwas passieren würde, wenn sie ihm kein Bargeld gäbe, mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben der Elfriede B fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld, mit dem Vorsatz, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, abzunötigen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde beruft sich auf die Nichtigkeitsgründe nach dem § 281 Abs 1 Z. 5 sowie Z. 9 lit a und b StPO.

Zum erstangeführten Nichtigkeitsgrund bringt der Beschwerdeführer vor, das Erstgericht habe für die Annahme, er sei willens gewesen, erhebliche Gewalt anzuwenden oder habe solche angedroht, jedwede Feststellung unterlassen. Im Beweisverfahren sei lediglich festgestellt worden, daß er dem Kind Harald B den Mund zugehalten habe.

Weder Elfriede B noch ihr Sohn hätten Angaben darüber gemacht, was sie bei der Drohung, es werde etwas passieren, empfunden hätten. Die Mängelrüge schlägt nicht durch.

Das Erstgericht hat, im Akteninhalt gedeckt (S. 116, 119 und 180) und somit unbedenklich festgestellt, daß der Beschwerdeführer auf den fünfjährigen Harald B zugesprungen, ihn an sich gerissen und ihm den Mund zugehalten hat, wobei er die Mutter des Kindes zur Herausgabe von Geld aufforderte, weil sonst 'etwas passieren' werde (S. 191).

Diese Feststellungen lassen die Art und den Umfang der angewendeten Gewalt und der - sehr unbestimmt gehaltenen -

Drohung eindeutig erkennen. Daß das Verhalten des Angeklagten nach den Umständen des Falles durchaus geeignet war, erhebliche Besorgnisse bei der Mutter - und dem Kind -

auszulösen, ergibt sich auch aus der vom Erstgericht festgestellten Tatsache, daß Elfriede B zur Herausgabe von Geld bereit gewesen wäre und davon nur deshalb Abstand nahm, weil sich ein Passant näherte, vor dem der Beschwerdeführer flüchtete (S. 191).

Das Urteil weist sohin weder Feststellungs- noch Begründungsmängel auf; der Nichtigkeitsgrund nach dem § 281 Abs 1 Z. 5 StPO ist deshalb nicht gegeben.

Unter Berufung auf den § 281 Abs 1 Z. 9 lit a und b StPO , der Sache nach damit aber den Nichtigkeitsgrund nach dem § 281 Abs 1 Z. 10 StPO ausführend, wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beurteilung seines Verhaltens als Verbrechen des versuchten Raubes nach den §§ 15, 142 Abs 1 StGB und meint, seine Tat sei - wie auch in der Anklage geschehen - nur als versuchter minderschwerer Raub (§§ 15, 142 Abs 2 StGB ) zu beurteilen, weil keine erhebliche Gewalt angewendet worden und sein Vorsatz nur auf die Wegnahme einer Sache geringen Wertes, nämlich von Bargeld für die Heimfahrt in der Höhe von 10,-- S, gerichtet gewesen sei.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht. Das Erstgericht hat die Ansicht vertreten, daß der Angeklagte zwar erklärt habe, er habe nur Geld für die Heimfahrt rauben wollen, doch habe er einräumen müssen, daß er auch einen größeren Geldbetrag genommen hätte; somit sei der gesamte Geldbetrag, den Elfriede B damals bei sich getragen hat und den sie in der Hauptverhandlung mit 'einigen Hundert Schilling' umschrieb (S. 180), als Raubbeute vom zumindest bedingten bösen Vorsatz des Angeklagten umfaßt gewesen. Im übrigen aber müsse das Verhalten des Beschwerdeführers gegen ein fünfjähriges Kind mit einem strengeren Maßstab gemessen werden, als wenn es sich gegen einen Erwachsenen gerichtet hätte. Lege man diesen subjektiv strengeren Maßstab an, so zeige sich, daß - weil gegen ein Kind gerichtet - die vom Beschwerdeführer ausgeübte Gewalt nicht mehr als unerheblich bezeichnet werden könne. Dieser Rechtsansicht des Erstgerichtes kann jedoch nicht gefolgt werden.

Zuzugeben ist dem Schöffengericht, daß die Frage, ob eine Gewalt als erheblich zu bezeichnen ist, nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beantworten sein wird. Bei Kindern und hilflosen Personen wird auch je nach Lagerung des Falles ein Maß an Gewalt genügen, um diese als erheblich bezeichnen zu können, das bei Personen, die im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte sind, noch als unerheblich gewertet werden müßte. Vorliegend aber hat der Beschwerdeführer das Kind lediglich zu sich gezogen und ihm den Mund zugehalten (S. 189). Dazu kommt, daß die für die Beurteilung eines Raubes als minderschwer auch gar nicht ausschlaggebende (Leukauf-Steininger, S. 721; Dokumentation zum StGB , S. 167) vom Erstgericht festgestellte Drohung, es werde 'etwas passieren', außerordentlich unbestimmt ist. Wollte man schon diese nur mit einer unbestimmten Drohung verknüpfte Gewaltanwendung, bloß deshalb, weil sie gegenüber einem Kind erfolgte, als erheblich bezeichnen, bliebe für die Beurteilung eines an mehr oder weniger hilflosen Personen begangenen Raubes als minderschwer nach § 142 Abs 2 StGB überhaupt kein Raum.

Da somit die Gewaltausübung nicht erheblich war, mußte noch geprüft werden, ob es sich bei der (erwarteten) Raubbeute um eine Sache geringen Wertes handelte. Auch in dieser Frage kann entgegen der Ansicht des Schöffengerichtes nicht mit der für das Strafverfahren nötigen Sicherheit davon ausgegangen werden, daß die vom Beschwerdeführer zumindest mit bedingtem Vorsatz erhoffte Beute nicht von geringem Wert war.

Der Begriff der Sache geringen Wertes ist objektiv auszulegen; die Rechtsprechung hat hiefür die Grenze von 500,-- S für maßgebend erachtet (EvBl 1976/28). Das Erstgericht hat nun nicht festgestellt - und konnte dies nach Lage des Falles auch gar nicht tun - , daß Elfriede B im Moment des überfalles auf ihr Kind einen 500,-- S übersteigenden Geldbetrag bei sich trug; denn die Zeugin spricht nur von einigen hundert Schilling (S. 180), worunter füglich auch ein Betrag bis zu 500,-- S oder weniger verstanden werden kann. Zum übrigen ist auch nicht festgestellt, daß ein derartiger Betrag als Raubbeute vom Täter ernstlich in Betracht gezogen wurde, denn dieser hat nur erklärt, er hätte auch mehr als das Geld zur Heimfahrt genommen, wenn es ihm die Frau gegeben hätte (S. 179). Daraus läßt sich aber keineswegs der auch nur einigermaßen sichere Schluß ziehen, daß der Beschwerdeführer einen 500,-- S übersteigenden Betrag als Beute des Raubes in seine Vorstellungswelt einbezogen, diese Höhe des Geldbetrages ernstlich erwogen und in Kauf genommen hat, zumal nach Ort, Zeit und ausgewähltem Opfer nichts auf eine zu erwartende derart hohe Beute hindeutete.

Da die Tat auch keine Folgen nach sich zog und es sich auch nicht um einen schweren Raub handelte, unterlag das Erstgericht bei der Beurteilung dieser Tat des Angeklagten als versuchter Raub nach den §§ 15, 142 Abs 1

StGB einem Rechtsirrtum, der in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde vom Obersten Gerichtshof sofort wie im Spruch geschehen zu beheben war.

Die Aufhebung eines Teiles des Schuldspruches hatte auch die Aufhebung des gesamten Ausspruches über die Strafe - somit gemäß § 435 Abs 2 StPO auch die angeordnete Maßnahme nach dem § 21 Abs 2 StGB - einschließlich des damit untrennbar verbundenen Ausspruches über die Vorhaftanrechnung zur Folge.

Bei der Neubemessung der Strafe war die Begehung von zwei strafbaren Handlungen erschwerend, mildernd hingegen das Geständnis des Angeklagten, der Umstand, daß er seine Handlungen vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen hatte, daß es beim minderschweren Raub nur beim Versuch geblieben ist und schließlich der Anlaß zu einer Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB gebende Geisteszustand des Angeklagten, nämlich eine schon vom Erstgericht festgestellte geistig-seelische Abartigkeit höheren Grades. Auch das Vorleben des Angeklagten ist durch eine nunmehr mehr als fünf Jahre zurückliegende Verurteilung wegen der übertretung des Betruges nach dem § 461/197 StG. - dem damals noch jugendlichen Angeklagten wurde eine Ermahnung erteilt - nur unwesentlich getrübt.

Unter Berücksichtigung dieser Strafzumessungsgründe entspricht eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von achtzehn Monaten dem Unrechtsgehalt der Straftaten und wird auch der Täterpersönlichkeit des Angeklagten gerecht.

Eine bedingte Strafnachsicht gemäß § 43 Abs 2 StGB kam nicht in Betracht, weil im Hinblick auf die vorliegende ungünstige Zukunftsprognose (die eine der Voraussetzungen für die Anordnung der Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB

ist) keine Gewähr für künftiges Wohlverhalten des Beschwerdeführers gegeben ist.

Das Erstgericht hatte weiters die Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 2 StGB angeordnet. Diese Maßnahme war neuerlich anzuordnen. Die materiellrechtlichen Voraussetzungen nach dieser Gesetzesstelle sind gegeben. Der Angeklagte leidet nach dem gerichtspsychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr. C (ON. 26), auf das sich schon das Erstgericht bezogen hat, an einer geistig-seelischen Abartigkeit höheren Grades, die sich immer wieder in Aggressionshandlungen äußert. Auch die Zukunftsprognose ist ungünstig, weil zu befürchten ist, daß der Angeklagte ohne entsprechende Behandlung auch in Zukunft mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen begehen werde (Seite 169). Ebenso sind aber auch entgegen den Ausführungen im Ersturteil (Seite 195) die prozessualen Bedingungen des § 436 StPO für die Anordnung einer derartigen Maßnahme erfüllt; denn es wurde eine Voruntersuchung durchgeführt (S. 2 und 48), in deren Verlauf der Angeklagte durch einen Verteidiger vertreten war (ON. 9) und es wurden schließlich zwei gerichtspsychiatrische Gutachten (ON. 12 und 26) eingeholt.

Der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung war aus dem Ersturteil zu übernehmen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.