JudikaturJustiz10Os174/86

10Os174/86 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 1986

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Dezember 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Sulzbacher als Schriftführer in der Strafsache gegen Rudolf M*** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 2, 129 Z 1 und 2, 130 erster Fall und 15 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen, AZ 36 Vr 1359/84 des Landesgerichtes Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes Innsbruck vom 26.Juni 1986, ON 143, und des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 29.Juli 1986, AZ 4 Bs 414/86, ON 147, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Rudolf M*** und seines Verteidigers, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Im Verfahren zum AZ 36 Vr 3981/82 (später überdies: Hv 249/83) des Landesgerichtes Innsbruck wurde über Rudolf M*** wegen des Verdachts, er habe "eine Reihe von Einbruchsdiebstählen sowie eine gefährliche Drohung" begangen, mit Beschluß vom 11.April 1983 aus den Gründen des § 180 Abs. 2 Z 1 und 3 StPO die Untersuchungshaft verhängt (ON 68), aus der er drei Tage später mit Zustimmung des Staatsanwalts (S 3 h/I) gegen Erlag einer Sicherheitsleistung (ON 75) in der von der Ratskammer bestimmten Höhe von 30.000 S (ON 70) und gegen Gelöbnis im Sinn des § 180 Abs. 5 Z 1 StPO (S 161 a/I) entlassen wurde (ON 76).

In Ansehung eines Teiles jener Fakten, auf die sich die Verhängung der Untersuchungshaft und deren Aufhebung gegen Kaution bezogen hatten (Anklage-Punkte A. I. 1. a, c, d, e, g, 2. a, b, c, II. 2., C. 1.), wurde das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 57 StPO ausgeschieden (S 64/III); ansonsten wurde der genannte Angeklagte insoweit mit Urteil vom 9.April 1984 zum Teil (Anklage-Fakten A. I. 1. b, h, 6., II. 1. b; D.) schuldig erkannt und zum Teil (Anklage-Fakten A. I. 1. f, 4., II. 1. a, H.) freigesprochen (ON 147); seine Rechtsmittel gegen den Schuldspruch blieben erfolglos (ON 161). Aus dem Vollzug der über ihn verhängten Freiheitsstrafe wurde der Verurteilte am 21.Mai 1986 bedingt entlassen (ON 215).

Für das ausgeschiedene Verfahren gegen Rudolf M*** wurde unter dem AZ 36 Vr 1359/84-Hv 116/84 ein neuer Akt angelegt (ON 148); jenes Verfahren ist seit dem 11.Mai 1984 gemäß § 412 StPO abgebrochen (S 292/III).

Am 18.Juni 1986 beantragte der Verurteilte zum AZ 36 Hv 249/83 mit der Begründung, daß das Verfahren gegen ihn bereits rechtskräftig abgeschlossen sei, (neuerlich) die Freigabe der Kaution (ON 140). Dieser Antrag wurde vom Landesgericht Innsbruck zum neu gebildeten Akt (36 Hv 116/84) genommen und dort mit Beschluß vom 26.Juni 1986 abgewiesen, weil die Sicherheitsleistung nach § 192 Abs. 2 StPO auch für jene Fakten hafte, in Ansehung deren noch kein Endurteil ergangen, sondern das ausgeschiedene Verfahren nach wie vor offen sei (ON 143).

In seiner dagegen erhobenen Beschwerde bestritt der (in jenem Verfahren erst:) Angeklagte eine derartige Weiterhaftung der Kaution mit dem Einwand, daß für sie als gelinderes Mittel (§ 180 Abs. 5 Z 7 StPO) nichts anderes gelten könne als für die Untersuchungshaft, zu deren Abwendung sie diene, und daß letztere im Fall einer Verfahrensausscheidung nicht "automatisch" (auch) für das ausgeschiedene Verfahren gelte, sondern dort eines neuerlichen Haftbeschlusses bedürfe; außerdem seien die seinerzeit angenommenen Haftgründe nicht mehr aktuell (ON 144). Diesem Rechtsmittel gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit dem Beschluß vom 29.Juli 1986, 4 Bs 414/86, in dem es (inhaltsgleich mit einer früheren Entscheidung) lediglich darauf hinwies, daß die Kaution erst frei werde, sobald das Verfahren (auch) bezüglich der "ausgeschiedenen Fakten" durch Einstellung oder Endurteil rechtskräftig beendet sei, nicht Folge (ON 147).

Beide Beschlüsse stehen nach Ansicht der Generalprokuratur, die deswegen die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ergriffen hat, infolge der ihnen zugrunde gelegten "Annahme 'automatischer' Verfügbarkeit (Weiterhaftung) der Kaution auch für das neue Verfahren" mit § 192 Abs. 2 StPO nicht im Einklang, weil mit der Ausscheidung eines Teiles des (ansonsten durch Urteil abgeschlossenen) Verfahrens gemäß § 57 StPO (unbeschadet der notwendigen materiellrechtlichen Berücksichtigung des betreffenden Erkenntnisses gemäß §§ 31, 40 StGB mit allen daraus abzuleitenden Folgerungen) ein "neues Strafverfahren anhängig geworden" sei, so daß es "von vornherein an einer Grundlage für die ... angenommene Weiterhaftung der Kaution bis zum Abschluß auch dieses (neuen) Strafverfahrens" fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof vermag sich indessen der Beschwerdeauffassung nicht anzuschließen.

Durch eine - aus bestimmten Gründen ausnahmsweise zulässige (vgl EvBl 1981/45) - Verfahrens-"Ausscheidung" nach § 57 StPO, die nicht einmal unbedingt zu einer Aktenneubildung führen muß (vgl § 498 Abs. 2 Geo), wird nämlich durchaus nicht ein völlig "neues" Verfahren eingeleitet, sondern lediglich angeordnet, daß über einzelne strafbare Handlungen oder gegen einzelne Beschuldigte "das" (bereits laufende) "Strafverfahren abgesondert zu führen und abzuschließen sei", ohne daß hiedurch die Wirksamkeit der bis dahin schon in Gang gesetzten prozessualen Maßnahmen berührt würde, wie etwa der Einleitung der Voruntersuchung, der Erlassung eines (noch nicht vollzogenen) Haft- oder Hausdurchsuchungs-Befehls, des (noch unerledigten) Auftrags zur Erstattung eines Sachverständigengutachtens, der Anordnung einer Überwachung des Fernmeldeverkehrs u.Ä.

Nicht anders aber verhält es sich - entgegen der seinerzeitigen Beschwerdeansicht des Angeklagten, der sich dabei zu Unrecht auf die (einen insoweit anders gelagerten Fall betreffende) Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien zum AZ 27 Bs 391/82 berief - auch mit einer wegen des dringenden Tatverdachts zu konkret bestimmten Fakten, die in der Folge im abgesondert geführten Verfahren untersucht werden, noch vor der Verfahrenstrennung verhängten Untersuchungshaft und mit einer schon vor jenem Zeitpunkt angeordneten Anwendung gelinderer Mittel zur Erreichung der Haftzwecke, wie vor allem der Erteilung von Weisungen, der Abnahme von Papieren oder der Leistung einer Sicherheit. In allen diesen Fällen bleiben daher die betreffenden gerichtlichen Verfügungen, sofern sie sich zur Zeit der "Ausscheidung" (auch) auf den Gegenstand der ihr zufolge abgesondert zu führenden Untersuchung erstrecken, mit sämtlichen daraus resultierenden Konsequenzen (auch) im "ausgeschiedenen" Verfahren solang wirksam, bis sie (auch) dort aufgehoben werden. Das mit der Wahrungsbeschwerde ins Treffen geführte (exemplifizierende) Gegenargument, daß "nach Verbüßung der im ersten Verfahren verhängten Strafe auch eine etwa bis zur Rechtskraft des dortigen Urteils bestandene Untersuchungshaft keineswegs 'automatisch' im neuen Verfahren 'wieder aufleben' würde", geht fehl, weil der damit relevierte Effekt nicht etwa auf einem vorausgegangenen Erlöschen der Untersuchungshaft nur im "ausgeschiedenen" Verfahren schon infolge der Verfahrenstrennung beruht, sondern vielmehr, ebenso wie im fortgesetzten Verfahren, erst auf der (insoweit darüber hinaus wirkenden) Anordnung des Strafvollzuges (§ 180 Abs. 4 StPO).

Aus dem Gesagten folgt, daß die Innsbrucker Gerichte bei ihrer Annahme, das Strafverfahren wegen jener Fakten, in Ansehung deren die Untersuchungshaft verhängt und in der Folge gegen Kaution wieder aufgehoben wurde, sei im Hinblick auf den Stand des (unter dem AZ 36 Vr 1359/84-Hv 116/84) abgesondert geführten Verfahrens noch nicht rechtskräftig beendet und demgemäß sei die Sicherheitsleistung noch nicht frei geworden, mit Bezug auf § 192 Abs. 2 StPO keinem Rechtsirrtum unterlegen sind; die ausschließlich auf die Feststellung einer dahingehenden Gesetzesverletzung abzielende Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher zu verwerfen.

Beizupflichten ist der Generalprokuratur allerdings in der (sinngemäß zum Ausdruck gebrachten) weiteren Ansicht, daß die Gerichte im vorliegenden Verfahren anläßlich der Antragstellung des Angeklagten auf Freigabe der Kaution verpflichtet gewesen wären, im abgesondert geführten Verfahren auch die (in seiner Beschwerde an das Oberlandesgericht sogar ausdrücklich angeschnittene) Frage zu prüfen, ob nicht allenfalls der für die Anwendung des gelinderen Mittels nach § 180 Abs. 5 Z 7 StPO maßgebend gewesene Haftgrund einer Fluchtgefahr oder die Dringlichkeit des der Anordnung jenes Mittels zugrunde gelegenen Tatverdachts in der Zwischenzeitigen Unmöglichkeit, den Mitangeklagten Johann W*** stellig zu machen, beruhende) "Abbrechung" des abgesondert geführten Verfahrens auch gegen Rudolf M*** mit der ihr zugrunde gelegten Bestimmung des § 412 StPO - deren Anwendbarkeit die Unbekanntheit oder Unergreifbarkeit des betreffenden Täters selbst voraussetzen würde - ebensowenig im Einklang steht wie mit Art 6 Abs. 1 MRK, wonach jedermann einen Anspruch auf Erledigung eines gegen ihn anhängigen Strafverfahrens binnen angemessener Frist hat, sodaß dieses wegen der Unerreichbarkeit eines (hier den Angeklagten belastenden) Beweismittels nicht auf unabsehbare Zeit in Schwebe gelassen werden darf; auch in diese Richtung hin ist indessen die Feststellung der Gesetzesverletzung nicht beantragt worden. Nichtsdestoweniger wird das Landesgericht Innsbruck (und allenfalls auch das Oberlandesgericht Innsbruck im Weg des § 15 StPO) von Amts wegen für eine Behebung der zuletzt aufgezeigten Mängel Sorge zu tragen haben

Rechtssätze
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