JudikaturJustiz10ObS93/93

10ObS93/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Mai 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Manhard (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Klaus Hajek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Manfred C*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Heinrich Koth, Rechtsanwalt in Gänserndorf, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Februar 1993, GZ 32 Rs 12/93-47, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 5. Oktober 1992, GZ 17 Cgs 327/90-37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung:

Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.11.1989 gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der am 13.2.1943 geborene Kläger, der als Büroangestellter tätig gewesen sei, noch leichte und halbzeitig mittelschwere Arbeiten zu den üblichen Zeiten mit den üblichen Arbeitspausen ohne Einschränkung der Körperhaltung und ohne Zeitdruck durchführen könne; Band- und Akkordarbeiten seien ausgeschlossen. Der Kläger könne kontinuierlich eine Stunde mittelschwere Tätigkeiten leisten, danach sei eine 10-minütige Ruhepause erforderlich. Auf Grund dieses Leistungskalküls sei der Kläger durchaus in der Lage, seinen Beruf so wie bisher weiter auszuüben. Er sei daher nicht berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen der gerügten Verfahrensmängel und hielt insbesondere das Gutachten eines berufskundlichen Sachverständigen für entbehrlich, weil die Anforderungen bei Bürotätigkeiten gerichtsbekannt seien. Büroarbeiten seien ganz überwiegend als leichte Arbeiten anzusehen. Es sei nicht erforderlich gewesen, im einzelnen die besondere Art der Bürotätigkeit, die Ausbildung des Klägers usw. festzustellen, weil insoweit die Bürotätigkeiten weitgehend übereinstimmten und vergleichbare Anforderungen stellten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Daß das Berufungsgericht die Einholung eines kardiologischen Sachverständigengutachtens für entbehrlich erachtete, stellt allerdings keinen Mangel des Berufungsverfahrens dar. Ob ein Sachverständigengutachten die getroffenen Feststellungen (hier über das medizinische Leistungskalkül) rechtfertigt, gehört ebenso in das Gebiet der irrevisiblen Beweiswürdigung wie die Frage, ob außer dem bereits vorliegenden ein weiteres Gutachten oder noch andere Kontrollbeweise zu demselben Beweisthema aufzunehmen gewesen wären (SSV-NF 6/28 mwN).

Zutreffend macht der Kläger jedoch geltend, daß der Inhalt seiner Berufstätigkeit ungeprüft blieb. Hiezu führt er aus, daß er kaufmännischer Angestellter gewesen sei, jedoch nie eine reine Bürotätigkeit ausgeübt habe. Sein Tätigkeitsbereich habe Verkauf, Be- und Entladen, Lagerhaltung, auch Auslieferung und Zustellung von Maschinen umfaßt, dies alles unter manueller Mithilfe. Er sei daher kein Büroangestellter gewesen, sei für reine Bürotätigkeiten nicht angelernt und auch nicht qualifiziert.

Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt begründet, daß es sich bei der Pensionsversicherung der Angestellten um eine Berufs(Gruppen)Versicherung handelt, deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, das sind alle Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen. Innerhalb seiner Berufsgruppe darf ein Angestellter nicht auf Berufe verwiesen werden, die für ihn einen unzumutbaren sozialen Abstieg bedeuten würden. Bei der Prüfung der Verweisungsmöglichkeiten ist für die Einordnung in eine bestimmte Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppe die Art der ausgeübten Beschäftigung, nicht aber die vom Arbeitgeber vorgenommene Einreihung oder das bezahlte Gehalt entscheidend (SSV-NF 6/53 mwN).

Mangels entsprechender Feststellungen kann im vorliegenden Fall nicht beurteilt werden, welchen Beruf der Kläger zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübt hat. Dem Umstand, daß der Kläger zur Behauptung der Beklagten in ihrer Klagebeantwortung, er sei als "Büroangestellter" berufstätig gewesen, nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, kommt auch unter dem Blickwinkel des § 267 Abs 1 ZPO (§ 87 Abs 3 ASGG) keine entscheidende Bedeutung zu: Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Frage der zuletzt ausgeübten Beschäftigung des Klägers überhaupt nicht erörtert wurde. Soweit das Berufungsgericht darauf verweist, daß der Kläger in seinem Verfahrenshilfeantrag als Beruf "kaufmännischer Angestellter" angegeben habe, beachtet es nicht, daß die Angaben im Vermögensbekenntnis zur Erlangung der Verfahrenshilfe keine Prozeßbehauptungen darstellen. Davon abgesehen sind kaufmännischer Angestellter und Büroangestellter keine deckungsgleichen Begriffe. Auf Grund der Bestimmung des § 87 Abs 1 ASGG ist aber die Frage der vom Kläger ausgeübten Beschäftigung von Amts wegen zu prüfen, weshalb es auch nicht schaden kann, daß der Kläger dazu keine weiteren Behauptungen aufgestellt hat.

Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.