JudikaturJustiz10ObS7/00b

10ObS7/00b – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf und die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und DDr. Wolfgang Massl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gertrude J*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr. Josef Sailer, Rechtsanwalt in Bruck a. d. Leitha, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisions- verfahren nicht vertreten, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. November 1999, GZ 8 Rs 297/99a-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Juni 1999, GZ 8 Cgs 60/99f-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Der Anspruch der Klägerin auf Witwenpension wurde zu Recht verneint (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO); ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin Folgendes entgegenzuhalten:

Die Ehe der Klägerin mit dem am 1. 6. 1998 verstorbenen Paul J***** wurde mit Urteil vom 23. 4. 1985 aus dem alleinigen Verschulden des Ehemannes geschieden. Die Klägerin hatte bereits im Jahre 1971 einen Unterhaltstitel gegen ihren Ehegatten erwirkt. Nach der Scheidung erwirkte sie keinen neuen Unterhaltstitel; es erfolgten auch keine Unterhaltszahlungen an die Klägerin.

Die Witwenpension gebührt (nach Maßgabe der Abs 1 und 2 des § 258 ASVG) unter anderem auch der Frau, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden worden ist, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten hatte bzw Unterhalt geleistet hat, und zwar - soweit im vorliegenden Fall relevant - auf Grund eines gerichtlichen Urteiles, sofern und solange die Frau nicht eine neue Ehe geschlossen hat (§ 258 Abs 4 Z 1 lit a ASVG). Nach ständiger Rechtsprechung wirkt ein noch während aufrechter Ehe gefälltes Urteil, mit welchem dem Ehegatten die Leistung des Unterhaltes an seine Ehegattin aufgetragen wird, - ein Fall des § 69 Abs 2 EheG liegt hier nicht vor - nicht über die Scheidung der Ehe hinaus (Schrammel in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 122; Schwimann/Zankl, ABGB2 I, § 66 EheG Rz 5; SZ 24/75; SZ 27/116; JBl 1978, 539; EvBl 1987/18; SSV-NF 3/83 ua; RIS-Justiz RS0047233).

Die Revisionswerberin bestreitet nicht mehr, dass sie nach dem eindeutigen Wortlaut des § 258 Abs 4 ASVG keinen Anspruch auf Witwenpension hat; sie steht jedoch auf dem Standpunkt, diese Regelung sei verfassungswidrig, weil sie dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche. Es sei keinesfalls ihr anzulasten, dass sie nach der Scheidung keinen Unterhaltstitel gegen ihren geschiedenen Ehegatten erwirkt habe. Bei ihren mehrfachen Vorsprachen an Amtstagen bei Gericht sei sie jeweils dahin belehrt worden, dass eine Unterhaltsklage wegen des unbekannten Aufenthaltes ihres geschiedenen Ehegatten keinen Sinn habe. Im Übrigen könne es tatsächlich nicht sinnvoll sein, einen teuren und aufwendigen Prozess gegen einen durch einen Abwesenheitskurator vertretenen Abwesenden zu führen, wenn der ersiegte Anspruch ohnehin nicht durchsetzbar sei. Im Umstand, dass Frauen, die schon zu Lebzeiten ihres Ehegatten die Möglichkeit haben, Unterhalt zu erlangen, während andere Frauen auf Grund der Ortsabwesenheit des Unterhaltspflichtigen diese Möglichkeit nicht haben, liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Bevorzugung, sohin eine Verletzung des Gleichheitsprinzips. Der Gesetzgeber hätte diese Situation bedenken und die Möglichkeit schaffen müssen, dass im Falle des zufolge Ortsabwesenheit nicht durchsetzbaren Unterhaltsanspruches ein fiktiver Unterhaltsbetrag angenommen werde, der die Folgen des § 258 Abs 4 ASVG auslöse.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Das Vorliegen eines maßgeblichen Unterhaltstitels im Zeitpunkt des Todes wurde von den Vorinstanzen zutreffend verneint. Damit wird aber dem Gesetzeszweck des formalen Erfordernisses iS des § 258 Abs 4 ASVG, nämlich dass den Sozialversicherungsträgern die materielle Prüfung des Grundes erspart bleiben und überdies auch Manipulationsmöglichkeiten zu ihren Lasten verhindert werden sollen, nicht entsprochen (Teschner/Widlar, ASVG 1332). Dass diese Ziele nicht immer erreichbar sind, wurde bereits aufgezeigt (SSV-NF 5/127 unter Hinweis auf Kerschner in ZAS 1982, 111 mwN), ist aber für die hier zu beantwortende Rechtsfrage nicht weiter von Bedeutung. Ob im Falle der Klägerin tatsächlich Zweckmäßigkeitserwägungen gegen die Erwirkung eines Unterhaltstitels gegen den unbekannt aufhältigen, geschiedenen Ehegatten gesprochen haben, ist nicht zu untersuchen (vgl SSV-NF 9/25, 10/51; ARD 5066/10/99). Von Bedeutung ist nur, ob der Klägerin auf Grund der im Gesetz angeführten rechtsbegründenden Tatbestände im Zeitpunkt des Todes ein Anspruch auf Unterhalt zustand (SSV-NF 1/63, 2/11 ua); nicht entscheidend ist, aus welchem Grund keiner der im Gesetz angeführten rechtsbegründenden Tatbestände vorliegt (Teschner/Widlar aaO 1336).

Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 258 Abs 4 ASVG bestehen entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht keine Bedenken. Dies hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen (SSV-NF 2/27, 5/98, 5/127; vgl auch SSV-NF 4/126), etwa anlässlich einer Prüfung der Frage, ob das Gleichheitsgebot dadurch verletzt werde, dass die Witwenpension nach der Ehescheidung nur gebühre, wenn der Versicherte zur Zeit des Todes Unterhalt oder einen Unterhaltsbeitrag auf Grund der genannten Titel zu leisten hatte, während für den mit dem Versicherten in aufrechter Ehe lebenden Ehegatten diese Voraussetzungen auch dann nicht erfüllt sein müssten, wenn der gemeinsame Haushalt aufgehoben sei. Schon die Tatsache der Scheidung der Ehe wurde als ausreichende Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung des geschiedenen Ehegatten angenommen; weiters wurde hervorgehoben, dass Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten nicht dieselben seien wie die des (wenn auch getrennt lebenden) Ehegatten. Schließlich wurde auch das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, durch die strittige Regelung eine spekulative Ausnützung der Einrichtung der Witwenpension auszuschließen, als sachlicher Grund für die differenzierte Behandlung der Witwenpension des in aufrechter Ehe lebenden und des geschiedenen Ehegatten angesehen.

Die Revisionswerberin erblickt zu Unrecht eine Verletzung des Gleichheitssatzes darin, dass Zwckmäßigkeitsüberlegungen, die unter Umständen gegen die Erwirkung eines nicht durchsetzbaren Unterhaltstitels sprechen können, in § 258 Abs 4 ASVG keine Berücksichtigung finden. Mit dieser gesetzlichen Regelung wird nicht Gleiches ungleich behandelt. Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass es dem Gesetzgeber darum ging, bestimmte Fälle herauszugreifen, in denen (ausnahmsweise) ein "früherer Ehegatte" der Witwe bzw dem Witwer pensionsrechtlich gleichgestellt werden sollte (Schrammel aaO 121f; SSV-NF 5/127). Die Differenzierungen sind sachlich begründbar, auch wenn Härtefälle nicht ausgeschlossen werden können. Der Fall der Klägerin begründet keinen Härtefall. Die Witwenpension soll die entfallene Alimentation ausgleichen. Da die Klägerin nach der Scheidung nie Unterhaltsleistungen erhielt, hat sich ihre Situation auch nach dem Tod des früheren Ehegatten nicht verändert. Rechtspolitische Erwägungen des Gesetzgebers unterliegen - außer im Fall eines hier nicht ersichtlichen Exzesses - nicht der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes und sind insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgebot ableitbaren Maßstäben zu messen. Innerhalb dieser Grenze ist die Rechtskontrolle nicht zu einem Urteil in Angelegenheiten der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9583 mwN; SSV-NF 2/27, 5/127). Der Oberste Gerichtshof hat daher auch diesmal unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes keine Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit der zitierten Regelung. Dem als Anregung zu wertenden Antrag der Revisionswerberin (RIS-Justiz RS0058452/T8), beim Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, auf Verfassungswidrigkeit der angeführten Bestimmung zu erkennen, kann daher nicht entsprochen werden.

Der unbegründeten Revision der Klägerin war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.