JudikaturJustiz10ObS43/07g

10ObS43/07g – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Mai 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gabriele K*****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Oktober 2006, GZ 8 Rs 148/06b-31, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 15. Dezember 2005, GZ 20 Cgs 246/04v-13, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrte mit ihrer am 11. 11. 2004 beim Erstgericht eingelangten Klage die Zuerkennung einer Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1. 1. 2004. Darin führte sie unter anderem aus: „Ich hoffe auf ihr Verständnis dass ich nicht persönlich vorbeikommen kann werde Ihnen Telefonnummer meiner Nachbarin geben ist meine Kontaktperson weiß Bescheid wo ich wann bin u.s.w. Frau Renate K*****. ... Ich möchte Sie bitten mir zu helfen, da ich mich nicht sehr gut auskenne mit Klagen oder Einsprüchen, falls etwas falsch rufen Sie bitte Frau K***** an denn Sie hilft mir dabei, da ich nicht mehr raus kann. ..."

Zur einzigen Verhandlungstagsatzung im erstinstanzlichen Verfahren am 15. 12. 2005 kam die unvertretene Klägerin nicht. Das Erstgericht schloss in dieser Tagsatzung die mündliche Verhandlung und behielt die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vor. Am 19. 1. 2006 - vor Abgabe der Urschrift des Urteils in der Geschäftsabteilung - langte beim Erstgericht ein Schreiben der Klägerin ein, in dem sie mit näheren Ausführungen gegen das Urteil „Einspruch" erhob. Darin schrieb sie unter anderem: „... Ich möchte Sie nur um etwas Zeit bitten damit ich alles richtig erledigen kann um vorbereitet zu sein und den richtigen Anwalt zu finden um den Einspruch richtig vorzubereiten."

Das klageabweisende Urteil des Erstgerichts wurde am 7. 3. 2006 ausgefertigt und am 21. 3. 2006 der Klägerin zugestellt. Mit Postaufgabe vom 19. 4. 2006 erhob die Klägerin Berufung gegen das klageabweisende Urteil.

Das Erstgericht erteilte mit Beschluss vom 20. 4. 2006 der Klägerin den Auftrag, binnen 14 Tagen die Berufung durch Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt oder einen qualifizierten Vertreter iSd § 40 Abs 1 Z 2 ASGG oder durch Ausfüllen des mitübersandten Formblatts ZPForm 1 zur Erlangung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts. Der Beschluss wurde der Klägerin am 24. 4. 2006 zugestellt. Sie gab am 15. 5. 2006 den Verfahrenshilfeantrag zur Post.

Mit Beschluss vom 31. 5. 2006 bewilligte das Erstgericht der Klägerin Verfahrenshilfe unter Beigebung eines Rechtsanwalts. Dem von der Rechtsanwaltskammer Wien zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt Dr. Walter F***** wurde das Urteil des Erstgerichts am 26. 6. 2006 zugestellt. Mit Bescheid vom 26. 6. 2006 bestellte die Rechtsanwaltskammer Wien Rechtsanwalt Dr. Florian G***** zum Verfahrenshelfer um, dem nach eigenem Bekunden am 29. 6. 2006 eine Ausfertigung des angefochtenen Urteils zugestellt wurde. Auf Antrag des Verfahrenshelfers erklärte das Erstgericht mit Beschluss vom 18. 7. 2006 die Verfahrenshilfe infolge Deckung der Kosten durch eine Rechtsschutzversicherung für erloschen. Am 26. 7. 2006 überreichte der Verfahrenshelfer die Berufungsschrift beim Erstgericht.

Das Berufungsgericht wies die Berufung als verspätet zurück. Das Urteil des Erstgerichts sei der Klägerin am 21. 3. 2006 zugestellt worden. Die Berufungsfrist habe am 18. 4. 2006 geendet. Die von der Klägerin selbst verfasste Berufung sei jedoch erst am 19. 4. 2006 - nach Ablauf der Berufungsfrist - zur Post gegeben worden. In ihrem Einspruch, der am 19. 1. 2006 beim Erstgericht eingelangt sei, habe die Klägerin nicht Verfahrenshilfe oder die Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe beantragt, sondern ausschließlich einen „Einspruch" gegen eine zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegende Entscheidung erhoben. Ein noch nicht gefälltes Urteil könne jedoch nicht mit Berufung bekämpft werden; eine verfrüht eingebrachte Berufung sei unzulässig.

Selbst wenn man jedoch diesen Schriftsatz als einen Verfahrenshilfeantrag ansehen bzw ihm die Wirkung eines Verfahrenshilfeantrags iSd § 464 Abs 3 ZPO zuerkennen würde, wäre für die Klägerin nichts gewonnen. Im Verbesserungsauftrag zu der am 19. 4. 2006 zur Post gegebenen Berufung sei der Klägerin eine Frist von 14 Tagen gesetzt worden. Auch diese Frist habe sie versäumt. Ein Antrag auf Verfahrenshilfe sei jedoch nur dann rechtzeitig iSd § 464 Abs 3 ZPO, wenn er innerhalb der Berufungsfrist oder einer gemäß § 85 Abs 2 ZPO vom Richter gesetzten Frist zur Verbesserung eines rechtzeitig erhobenen Berufungsschriftsatzes gestellt werde. Infolge des ungenützten Ablaufs der Verbesserungsfrist zu der von der Klägerin eingebrachten Berufung und des verspätet gestellten Verfahrenshilfeantrags sei das angefochtene Urteil in Rechtskraft erwachsen. Die vom Erstgericht zu Unrecht bewilligte Verfahrenshilfe vermöge die eingetretene Rechtskraft der Entscheidung nicht zu beseitigen.

Die Klägerin macht in ihrem gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässigen Rekurs gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts geltend:

Sie habe schon in der Klage vorgebracht, sich in rechtlichen Sachen nicht sehr gut auszukennen. Daher habe sie für den Fall, dass ihr beim Verfassen der Klage ein Fehler unterlaufen sein sollte, beantragt, ihre Kontaktperson - Frau Renate K***** - zu verständigen. Sie habe auch vorgebracht, dass sie aufgrund ihrer Krankheiten die Wohnung nicht mehr verlassen könne und in allen Bereichen des täglichen Lebens von ihrer Betreuungsperson - Frau K***** - unterstützt werde. Sie habe auch angemerkt, dass bei Unklarheiten Frau K***** kontaktiert werden solle. Damit habe die Klägerin konkludent Frau K***** zur Zustellbevollmächtigten bestellt. Dieser sei die Urteilsausfertigung zuzustellen gewesen. Ob die Zustellbevollmächtigte das Urteil überhaupt erhalten habe, gehe aus dem Akt nicht hervor. Es sei daher nicht richtig, dass die Berufungsfrist am 21. 3. 2006 zu laufen begonnen habe. Es liege auch eine Verletzung der richterlichen Manuduktionspflicht gemäß § 182 ZPO vor. Die Klägerin habe schon am 18. 1. 2006 (Postaufgabe) einen Einspruch, der als Berufung zu werten gewesen sei, bei Gericht eingebracht. Als das Urteil ausgefertigt gewesen sei, sei es für sie nicht ersichtlich gewesen, dass ihre im Jänner eingebrachte Berufung nicht berücksichtigt werden könne. Das Erstgericht hätte die Klägerin dahingehend belehren müssen, dass innerhalb der Berufungsfrist erneut eine Berufung einzubringen sei. Hätte das Gericht die Klägerin ordnungsgemäß belehrt, hätte sie fristgerecht die Berufung einbringen können. Der Klägerin sei nicht einmal klar gewesen, dass ihre im Jänner 2006 eingebrachte Berufung nicht als solche berücksichtigt werde und sie deswegen neuerlich und innerhalb der Frist Berufung erheben müsse. Da die Fristversäumnis auf eine Verletzung der Manuduktionspflicht zurückzuführen sei, sei dies der Klägerin nicht zuzurechnen. Deshalb sei ihre Berufung als rechtzeitig anzusehen. Hiezu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 9 Abs 1 ZustellG können die Parteien und Beteiligten - soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt ist - andere natürliche oder juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts und eingetragene Erwerbsgesellschaften gegenüber der Behörde ausdrücklich zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellvollmacht).

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aus ihren Ausführungen in der Klage die Erteilung einer Zustellvollmacht nicht schlüssig abgeleitet werden, weil die Klägerin eine Zustelladresse (s § 2 Z 4 bis 6 ZustG) von Frau Renate K***** nicht bekannt gab, sondern nur deren Telefonnummer nannte, woraus sich ergibt, dass eine Empfangnahme von Dokumenten durch Renate K***** von der Klägerin nicht gewollt war. Es kann daher offen bleiben, ob eine Zustellvollmacht überhaupt konkludent eingeräumt werden kann, hat doch nach dem Gesetzeswortlaut die Bevollmächtigung „ausdrücklich" zu geschehen.

2. Abgesehen davon, dass nach dem Inhalt des Zustellnachweises der Klägerin das Urteil mit Rechtsmittelbelehrung zugestellt wurde, könnte nach ständiger Rechtsprechung auch bei einer unvertretenen Partei das behauptete Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung nichts an der Verspätung ihres gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Rechtsmittels ändern (3 Ob 224/04v mwN; RIS-Justiz RS0006992, RS0109747).

3. Im Übrigen kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts, dass die Berufung von der Klägerin am 19. 4. 2006 verspätet erhoben wurde, verwiesen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.