JudikaturJustiz10ObS28/06z

10ObS28/06z – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Oktober 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Wolf und Dr. Jörg Krainhöfner (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hon. Prof. Dr. Georg W*****, Notar i. R., *****, vertreten durch Rohregger Wess Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt des österreichischen Notariates, 1082 Wien, Florianigasse 2, vertreten durch Dr. Leopold Riess, Rechtsanwalt in Wien, wegen Alterspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Oktober 2005, GZ 7 Rs 96/05x-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 29. März 2005, GZ 1 Cgs 1/05a-9, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Antrag des Klägers, eine mündliche Revisionsverhandlung anzuberaumen, wird abgewiesen.

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird teilweise bestätigt, sodass es als

Teilurteil zu lauten hat:

„1.) Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger vom 1. 2. 2004 bis einschließlich 31. 12. 2006 eine Alterspension in Höhe von monatlich EUR 7.492,28 brutto samt allfälliger gesetzlicher Anpassungen zu bezahlen.

2.) Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 1. 2. 2004 bis 31. 12. 2006 eine höhere Alterspension zu bezahlen, wird abgewiesen.

3.) Die Kostenentscheidung bleibt insoweit der Endentscheidung vorbehalten."

Hinsichtlich des Begehrens des Klägers auf Gewährung der Alterspension ab 1. 1. 2007 werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Sache wird in diesem Umfang zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Klägers im Revisionsverfahren sind insoweit weitere Verfahrenskosten.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war öffentlicher Notar mit Amtssitz in Wien-Innere-Stadt. Infolge seiner Enthebung vom Amt als öffentlicher Notar mit Ablauf des 31. 1. 2004 auf Grund des Erreichens der Altersgrenze beantragte er mit Schreiben vom 9. 12. 2003 bei der beklagten Partei die Zuerkennung einer Alterspension.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 7. 1. 2004 wurde der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Alterspension in der Höhe von EUR 7.491,08 brutto monatlich ab 1. 2. 2004 anerkannt. Bei der Pensionsbemessung wendete die beklagte Partei unter anderem die Bestimmung des § 48 Abs 2 NVG in der Fassung der 9. Novelle, BGBl I 2000/139, an.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. 6. 2004, G 60/03 (= VfSlg 17.254), wurden verschiedene Bestimmungen des NVG 1972 in der Fassung der 9. Novelle zum NVG (BGBl I 2000/139) - darunter auch die Bestimmung des § 48 Abs 2 - als verfassungswidrig aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof sprach weiters aus, dass § 48 Abs 2 NVG 1972 in der Fassung der 5. Novelle zum NVG (BGBl 1986/116) wieder in Kraft trete. Dieses Erkenntnis wurde vom Bundeskanzler am 4. 8. 2004 im Bundesgesetzblatt kundgemacht (BGBl I 2004/101).

Infolge einer beim Kläger durchgeführten abgabenbehördlichen Betriebsprüfung kam es in der Folge zu einer bescheidmäßigen Neufestsetzung der Einkommenssteuer unter anderem für die Kalenderjahre 2000 bis 2002. Gestützt auf diese neuen Einkommenssteuerbescheide beantragte der Kläger mit Schreiben vom 8. 10. 2004 die Wiederaufnahme des Verfahrens und Neufestsetzung der Pensionshöhe.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 13. 10. 2004 wurde das Pensionsfeststellungsverfahren gemäß § 69 Abs 1 Z 3 AVG wieder aufgenommen und die Höhe der Alterspension des Klägers ab 1. 2. 2004 mit EUR 7.492,28 brutto monatlich neu festgesetzt. Bei der Pensionsbemessung wendete die beklagte Partei wiederum unter anderem die Bestimmung des § 48 Abs 2 NVG 1972 in der zum Pensionsstichtag (1. 2. 2004) geltenden Fassung der 9. Novelle, BGBl I 2000/139, an. Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage die Zuerkennung einer höheren Alterspension im gesetzlichen Ausmaß unter Heranziehung der Bestimmung des § 48 Abs 2 NVG idF der 5. NVG-Novelle. Zum Zeitpunkt des Bescheides vom 13. 10. 2004 sei auf Grund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes § 48 Abs 2 NVG idF der 5. NVG-Novelle bereits wieder in Kraft gewesen. Dennoch habe die beklagte Partei ihrem Bescheid vom 13. 10. 2004 die Berechnungsregeln des § 48 Abs 2 NVG idF der 9. NVG-Novelle zugrundegelegt und dies mit § 41 Abs 2 NVG begründet. Diese Bestimmung enthalte lediglich eine Aussage zur Frage, für welchen Zeitpunkt (Stichtag) die Pensionshöhe zu berechnen sei. Nicht angeordnet werde von dieser Bestimmung aber, dass die Berechnung der Pensionshöhe unter Anwendung jener Rechtsvorschriften zu erfolgen hätte, die am Stichtag in Kraft gestanden seien. Es sei offensichtlich, dass - unter Zugrundelegung der vom Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis angestellten Bewertungen - eine Anwendung des § 48 Abs 2 NVG idF der 9. NVG-Novelle im vorliegenden Fall zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führe. Würde - trotz und nach Aufhebung des § 48 Abs 2 NVG idF der 9. NVG-Novelle - nunmehr § 41 Abs 2 NVG diese Pensionsminderung bewirken, so wäre diese Regelung aus denselben Gründen verfassungswidrig, aus denen der Verfassungsgerichtshof § 48 Abs 2 NVG idF der 9. NVG-Novelle aufgehoben habe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Verfassungsgerichtshof habe mit dem genannten Erkenntnis die erwähnten Bestimmungen des NVG nicht rückwirkend, sondern mit dem auf die Kundmachung des Erkenntnisses in der Wiener Zeitung folgenden Tag aufgehoben. Unmittelbarer Anlass für das Erkenntnis seien drei Fälle gewesen. Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre hänge die Beurteilung der Frage, in welcher Fassung ein Sozialversicherungsgesetz auf die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und insbesondere auf die Bemessung der Pensionshöhe anzuwenden sei, vor allem vom Stichtag ab. Dies sei im vorliegenden Fall der 1. 2. 2004. Da zu diesem Zeitpunkt die Bestimmungen der 9. NVG-Novelle in Kraft gewesen seien, sei die Höhe der Pension des Klägers nach diesen Bestimmungen zu bemessen gewesen. Im Übrigen könne nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ein bereits aufgehobenes oder als verfassungswidrig festgestelltes Gesetz nicht neuerlich Gegenstand eines entsprechenden Aufhebungs- oder Feststellungsbegehrens sein. Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger die Alterspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 2. 2004 in Anwendung des § 48 Abs 2 NVG 1972 idF der 5. NVG-Novelle zu gewähren, ab. Es vertrat im Ergebnis die Auffassung, dass auf Grund der Stichtagsregelung des § 41 Abs 2 NVG auf die Pensionsbemessung des Klägers die am 1. 2. 2004 in Kraft gestandenen Bestimmungen der 9. NVG-Novelle anzuwenden seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass es die beklagte Partei in Wiederholung des durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheides zur Zahlung einer Alterspension in Höhe von monatlich EUR 7.492,28 brutto an den Kläger ab 1. 2. 2004 verpflichtete und das darüber hinausgehende Mehrbegehren abwies. Nach Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG sei ein vom Verfassungsgerichtshof wegen Verfassungswidrigkeit aufgehobenes Gesetz auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspreche. Da die vorliegende Sozialrechtssache kein Anlassfall sei und ihr ein Sachverhalt zugrunde liege, der sich vor der Aufhebung der Bestimmung des § 48 Abs 2 NVG idF der 9. NVG-Novelle durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ereignet habe, sei diese Bestimmung im vorliegenden Fall weiterhin anzuwenden. Der maßgebliche Sachverhalt sei die Antragstellung des Klägers auf Alterspension sowie seine Enthebung vom Amt als öffentlicher Notar mit Ablauf des 31. 1. 2004. Auch die späteren Einkommenssteuerbescheide des Klägers bezögen sich auf Einkünfte vor dem Stichtag und damit auch vor der Aufhebung des § 48 Abs 2 NVG idF der 9. NVG-Novelle durch den Verfassungsgerichtshof. Dass die beklagte Partei die Pensionsleistung des Klägers auf Grund der vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bestimmung richtig berechnet habe, werde auch von ihm nicht in Zweifel gezogen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil es bei seiner Entscheidung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gefolgt sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, eine mündliche Revisionsverhandlung anzuberaumen und das angefochtene Urteil im Sinn einer vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zu der erheblichen Rechtsfrage der Auswirkungen der Aufhebung des § 48 Abs 2 NVG idF der 9. NVG-Novelle durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. 6. 2004 insbesondere unter Berücksichtigung der konkreten Fallkonstellation noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt. Sie ist im Ergebnis auch teilweise berechtigt.

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel insbesondere geltend, zum Zeitpunkt der Entscheidung der beklagten Partei mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. 10. 2004 über seinen Pensionsanspruch sei das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes über die Aufhebung des § 48 Abs 2 NVG idF der 9. NVG-Novelle bereits in Kraft getreten gewesen. Erst zu diesem Zeitpunkt habe aber der neue Sachverhalt, nämlich jener mit den neuen Einkommensteuerbeträgen, rechtlich beurteilt werden können. Es liege somit ein Sachverhalt vor, welcher sich in seiner Gesamtheit erst nach der Aufhebung der genannten Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof mit Wirksamkeit vom 4. 8. 2004 voll verwirklicht habe. Der von der beklagten Partei im angefochtenen Bescheid vom 13. 10. 2004 beurteilte Sachverhalt sei daher ein erst nach der Aufhebung verwirklichter Sachverhalt im Sinne des Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG. Richtigerweise hätte somit der Berechnung der Pension des Klägers § 48 Abs 2 NVG 1972 in der durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes wieder in Kraft getretenen Fassung der 5. NVG-Novelle zugrunde gelegt werden müssen. Den gesamten, jahrzehntelangen Zeitraum des Pensionsbezuges rechtlich von einem - aus der Sicht des Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG betrachtet - zufällig vor oder nach einer Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof liegenden Zeitpunkt abhängig zu machen, trage dem Grundgedanken des Art 140 Abs 7 B-VG nicht Rechnung. Diese Bestimmung wolle nämlich nicht Dauersachverhalte, deren ganz überwiegender zeitlicher Teil erst nach der Aufhebung liege und die im Grund nur in die Zukunft bezogen seien, von den Wirkungen einer Aufhebung ausnehmen, bloß weil ein Teil des Sachverhaltes vor der Aufhebung verwirklicht worden sei. Auch dem in § 41 Abs 2 NVG normierten Stichtagsprinzip könne nicht eine die Rechtswirkungen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes ausschließende Bedeutung entnommen werden. Diese Gesetzesbestimmung könne vielmehr problemlos dahingehend interpretiert werden, es sei für die Berechnung einer Alterspension zwar grundsätzlich auf einen bestimmten Sachverhalt abzustellen, die Berücksichtigung von Rechtsänderungen infolge Aufhebung gesetzlicher Bestimmungen durch den Verfassungsgerichtshof aber durchaus zuzulassen. Hätte § 41 Abs 2 NVG den von den Vorinstanzen angenommenen Inhalt, so wäre diese Bestimmung verfassungswidrig.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

Nach § 41 Abs 2 NVG ist Stichtag für die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, der Eintritt des Versicherungsfalles, wenn er auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Eintritt des Versicherungsfalles folgende Monatserste. Ist jedoch im Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles des Alters oder der dauernden Berufsunfähigkeit das Amt des Versicherten noch nicht erloschen, oder der Versicherte aus der Liste der Notariatskandidaten noch nicht gestrichen, so ist der Stichtag für die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Pension gebührt, der Zeitpunkt des Erlöschens oder der Streichung, wenn er auf einen Monatsersten fällt, sonst der diesem Zeitpunkt folgende Monatserste. Nach § 41 Abs 1 Z 1 NVG gilt der Versicherungsfall bei einer Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters als eingetreten. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass der nach § 41 Abs 2 NVG für die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß dem Kläger eine Alterspension gebührt, maßgebende Stichtag der 1. 2. 2004 ist.

Eine mit § 41 Abs 2 NVG inhaltlich vergleichbare Regelung über den Stichtag enthält § 223 Abs 2 ASVG. Danach ist Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, bei Anträgen auf eine Leistung aus den Versicherungsfällen des Alters oder der geminderten Arbeitsfähigkeit der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste. Mit dieser durch die 55. ASVG-Nov (BGBl I 1998/138) neu formulierten Begriffsbestimmung des Stichtages sollte nach dem Willen des Gesetzgebers klar gestellt werden, dass die zum Stichtag geltende Rechtslage der Prüfung aller Pensionsanspruchsvoraussetzungen einschließlich des Eintrittes des Versicherungsfalles zugrunde zu legen ist (vgl Teschner/Widlar, MGA ASVG 82. ErgLfg Anm 7 zu § 223). Dieser Klarstellung ist auch die Judikatur des Obersten Gerichtshofes gefolgt (vgl SSV-NF 15/87 ua; RIS-Justiz RS0115809). Es entspricht daher der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass auch die Ermittlung der Höhe der gebührenden Leistung gemäß § 223 Abs 2 ASVG ausgehend von der Rechtslage am Stichtag vorzunehmen ist (SSV-NF 12/75 ua; RIS-Justiz RS0110084). Auch die Frage, ob und in welcher Fassung ein Abkommen über soziale Sicherheit auf einen konkreten Fall Anwendung zu finden hat, ist ausgehend von der Rechtslage am Stichtag zu prüfen (SSV-NF 15/87 mwN). Diesem Grundsatz, dass sich die Beurteilung, in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, nach der am Stichtag geltenden Rechtslage richtet, kommt insbesondere bei einer Änderung der Rechtslage Bedeutung zu. Wenn der Gesetzgeber die Wirksamkeit des Gesetzes ab einem bestimmten Zeitpunkt, ohne weitere Übergangsregelungen zu treffen, festlegt, so bedeutet dies im Allgemeinen, dass die geänderte gesetzliche Bestimmung nur auf jene Fälle anwendbar ist, die einen Sachverhalt, der sich nach dem Wirksamkeitsbeginn ereignet hat, zum Gegenstand haben. Für den Bereich der Sozialversicherung kommt es, wenn eine entsprechende Übergangsbestimmung fehlt, auf die zeitliche Lagerung des Stichtages an, nach dem sich bestimmt, ob für den zu entscheidenden Fall die geänderte und novellierte Gesetzesbestimmung anzuwenden ist oder nicht (SSV-NF 2/95 ua). In diesem Sinne wird vom Gesetzgeber im Bereich des Sozialversicherungsrechtes bei einer Änderung der Rechtslage in den entsprechenden Übergangsbestimmungen in der Frage des anzuwendenden Rechtes in der Regel auf die zeitliche Lage des Stichtages abgestellt (vgl § 572 Abs 9 ASVG, § 587 Abs 3 bis 5 ASVG, § 588 Abs 8 bis 11 ASVG ua). Auf Grund dieser dargelegten Erwägungen war daher im vorliegenden Fall bei der Pensionsbemessung insbesondere die Bestimmung des § 48 Abs 2 NVG 1972 in der zum Stichtag (1. 2. 2004) geltenden Fassung der 9. NVG-Novelle, BGBl I 2000/139, anzuwenden.

An dieser Beurteilung vermag auch die mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. 6. 2004, G 60/03, erfolgte Aufhebung dieser Bestimmung nichts zu ändern. Diese Aufhebung trat am Tag der Kundmachung im Bundesgesetzblatt, somit am 4. 8. 2004, in Kraft (§ 140 Abs 5 B-VG). An den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes sind zwar alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gemäß Art 140 Abs 7 B-VG gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch nach der selben Bestimmung das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Dies bedeutet, dass, sofern der Verfassungsgerichtshof - wie hier - nicht ausdrücklich etwa anderes anordnet, die Aufhebung eines Gesetzes nur für die Zukunft wirkt. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände ist das Gesetz weiter anzuwenden. Anders wäre die Lage im Anlassfall der Aufhebung, doch liegt ein solcher Anlassfall hier unbestritten nicht vor (SSV-NF 16/16 mwN). Soweit ein vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenes Gesetz weiterhin anzuwenden ist, ist eine neuerliche Überprüfung dieses Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof ausgeschlossen. Der Verfassungsgerichtshof nimmt an, dass Rechtsvorschriften, die von ihm - allenfalls auch unter Fristsetzung - aufgehoben wurden, für die Vergangenheit unangreifbar geworden sind (10 ObS 150/04p; 10 ObS 320/02k mwN). Die Frage, wann ein „verwirklichter Tatbestand" im Sinne des Art 140 Abs 7 B-VG gegeben ist, hängt im Allgemeinen vom materiellen Recht, um dessen Anwendung es geht, ab. In der Judikatur des Obersten Gerichtshofes wurde ausgesprochen, dass die betreffende Norm auf bereits vor der Aufhebung „konkretisierte" Sachverhalte weiter anzuwenden ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nimmt Art 140 Abs 7 B-VG auf die vor der Aufhebung „verwirklichten Tatbestände" und damit auf den dem jeweiligen gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalt als Ausschnitt der Lebenswirklichkeit Bezug. Ein verwirklichter Tatbestand liegt dann vor, wenn der Sachverhalt (die Lebenswirklichkeit) den in einer gesetzlicher Vorschrift abstrakt umschriebenen Lebensverhältnissen (dem Tatbestand) entspricht (SSV-NF 16/16 mwN).

Ausgehend von dem bereits erwähnten Grundsatz, wonach die Frage, wann ein „verwirklichter Tatbestand" im Sinn des Art 140 Abs 7 B-VG gegeben ist, im Allgemeinen vom materiellen Recht, um dessen Anwendung es geht, abhängig ist, ist zu berücksichtigen, dass, wie ebenfalls bereits dargelegt, das materielle Sozialversicherungsrecht vorsieht, dass die zum Stichtag geltende Rechtslage der Prüfung aller Pensionsanspruchsvoraussetzungen einschließlich des Eintrittes des Versicherungsfalles zugrundezulegen ist. Es wurde daher im Schrifttum bereits darauf hingewiesen, dass die durch die mit Wirksamkeit ab 5. 8. 2004 erfolgte Aufhebung der Pensionsbemessung nach der Rechtslage der 9. NVG-Novelle wieder in Kraft gesetzte Pensionsbemessung der 5. NVG-Novelle erstmalig für den Stichtag 1. 9. 2004 (und die darauf folgenden Stichtage) maßgeblich ist, während für Pensionen mit einem Stichtag nach dem 31. 12. 2000 (Inkrafttreten der 9. NVG-Novelle mit 1. 1. 2001) bis vor dem 1. 9. 2004 - abgesehen von den Anlassfällen - die Bemessung dieser Pensionen weiterhin nach der Rechtslage der 9. NVG-Novelle zu erfolgen hat, da Pensionen mit einem Stichtag innerhalb dieser Zeitspanne - abgesehen von den Anlassfällen - von dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht berührt werden (Wagner/Meisel, MGA NVG 6. Erg-Lfg Anm 5 und 5a zu § 48; Meisel, Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes über die Aufhebung der Pensionsreform der 9. Novelle zum Notarversicherungsgesetz 1972, NZ 2005/26, 97 ff [102]). Auf diese Weise seien, wenn man den unterschiedlichen Pensionsstichtag ausklammere, bei einer aus pensionsrechtlicher Sicht im Wesentlichen faktisch gleichen Ausgangslage in dem relativ kurzen Zeitraum seit 1. 1. 2001 zwei Gruppen von Pensionisten entstanden, nämlich solche, deren Pensionen nach der 9. Novelle und solche, deren Pensionen nach der 5. Novelle zu ermitteln seien. Es solle daher durch eine künftige Novelle zum NVG 1972 eine Beseitigung der durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes entstandenen unterschiedlichen pensionsrechtlichen Behandlung jener ca 30 Pensionisten, die aus dem Anlass der 9. Novelle nicht den Weg zum Verfassungsgerichtshof gesucht haben, angestrebt werden (Meisel aaO NZ 2005/26 [102]). Im Sinne dieser Erwägungen hat der Gesetzgeber der 12. Novelle zum NVG 1972, BGBl I 2006/98, in den Materialien darauf hingewiesen, dass die Rechtslage, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. 6. 2004 geschaffen wurde, für jene Notare, die während der Geltungsdauer der mittlerweile weitestgehend aufgehobenen 9. Novelle zum NVG 1972 in den Ruhestand getreten sind, gegenüber allen anderen Pensionisten, seien diese vor Inkrafttreten der 9. Novelle in den Ruhestand getreten oder werden diese noch in den Ruhestand treten, gravierende - insbesondere finanzielle - Nachteile mit sich bringt. Eine Gleichstellung dieser Pensionistengruppe ab 1. 1. 2007 erscheine daher gerechtfertigt. Die Pensionsberechnung erfolge nach den am 31. 12. 2000 geltenden Vorschriften der 5. Novelle zum NVG 1972 (vgl IA 820/A BlgNR XXII GP 15). Es wurde daher in § 112 Abs 2 NVG 1972 idF der 12. Novelle, BGBl I 2006/98, festgelegt, dass die Pensionen mit einem Stichtag nach dem 31. 12. 2000 und vor dem 1. 9.2004 von Amts wegen nach den am 31. 12. 2000 geltenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes neu zu bemessen sind. Die Rechtskraft bereits ergangener Entscheidung steht dem nicht entgegen. Die neu bemessene Pension gebührt ab 1. 1. 2007. Durch diese Neuregelung erweist sich das Argument des Klägers, es wäre völlig unverständlich und gleichheitswidrig, im Falle eines kurz vor der Aufhebung liegenden Pensionsstichtages die Pensionshöhe auf Jahrzehnte hinaus um 30 % niedriger anzusetzen als im Falle eines kurz nach der Aufhebung liegenden Pensionsstichtages, als nicht mehr stichhältig. Der Gesetzgeber hat mit dieser Übergangsbestimmung vielmehr klar zum Ausdruck gebracht, dass für die Frage, welche Rechtslage im Zuge der Pensionsbemessung gemäß § 48 Abs 2 NVG nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. 6. 2004 zur Anwendung gelangen soll, das im Pensionsversicherungsrecht allgemein geltende Stichtagsprinzip maßgebend sein soll. Diese Wertung des Gesetzgebers bestätigt die zutreffende Ansicht der Vorinstanzen, dass § 48 Abs 2 NVG idF der 9. NVG-Novelle im Falle des Klägers weiterhin anzuwenden ist, weil diesem Fall ein Sachverhalt zugrundeliegt, der sich vor der Aufhebung dieser Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof ereignete. Die für den Anspruch des Klägers auf Alterspension maßgebenden Tatbestandsvoraussetzungen (vgl §§ 22, 41 NVG), nämlich die Erreichung des Anfallsalters und das Erlöschen des Amtes als Notar, waren unbestritten bereits zum Zeitpunkt des Stichtages 1. 2. 2004 - also lange vor der am 4. 8. 2004 erfolgten Kundmachung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes - verwirklicht. Auch die vom Kläger der beklagten Partei mit Schreiben vom 8. 10. 2004 vorgelegten geänderten Einkommenssteuerbescheide beziehen sich auf die für die Höhe der Zusatzpension noch maßgebenden (vgl § 48 Abs 2 NVG) Einkünfte des Klägers aus den Jahren 2000 bis 2002 und betreffen somit - entgegen der Ansicht des Revisionswerbers - ebenfalls Sachverhalte, die sich vor dem Stichtag und vor der Kundmachung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes ereignet haben. Es geht daher auch der erkennende Senat davon aus, dass § 48 Abs 2 NVG idF der 9. NVG-Novelle im Falle des Klägers im strittigen Zeitraum ab 1. 2. 2004 grundsätzlich weiterhin anzuwenden ist. Der Oberste Gerichtshof hat ebenfalls bereits wiederholt ausgesprochen, dass gegen das im Pensionsversicherungsrecht allgemein geltende Stichtagsprinzip und die sich daraus ergebenden zeitlichen Differenzierungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (SSV-NF 2/81, 6/58, 7/78 ua). Der erkennende Senat sieht sich daher auch im vorliegenden Fall nicht veranlasst, beim Verfassungsgerichtshof die Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens im Hinblick auf die Stichtagsregelung des § 41 Abs 2 NVG 1972 zu beantragen.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen erweisen sich daher unter Außerachtlassung der mittlerweile durch die 12. Novelle zum NVG 1972 erfolgten Änderung der Rechtslage als zutreffend. Nach ständiger Rechtsprechung hat aber das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine Änderung der Rechtslage Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Es ist daher grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen, ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist (SZ 68/6 uva; RIS-Justiz RS0031419). Änderungen des zwingenden Rechtes sind, sofern nicht Übergangsrecht etwas anderes bestimmt, vom Rechtsmittelgericht ohne weiteres von Amts wegen seiner Entscheidung zugrundezulegen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechtes verwirklicht wurde (RIS-Justiz RS0106868). Im vorliegenden Fall ist auf die durch die 12. Novelle zum NVG, BGBl I 2006/98, eingetretene Rechtsänderung auch im Revisionsverfahren noch Bedacht zu nehmen, da nach der bereits in Geltung stehenden Übergangsbestimmung des § 112 Abs 2 NVG idF BGBl I 2006/98 die Pensionen mit einem Stichtag nach dem 31. 12. 2000 und vor dem 1. 9.2004 - also auch die Pension des Klägers - von Amts wegen nach den am 31. 12. 2000 geltenden Bestimmungen (der 5. Novelle zum NVG 1972) neu zu bemessen sind, wobei die neu bemessene Leistung ab 1. 1. 2007 gebührt.

Die dargelegten Erwägungen führen daher zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung des Berufungsgerichtes für den Zeitraum vom 1. 2. 2004 bis einschließlich 31. 12. 2006 als Teilurteil zu bestätigen ist. Hinsichtlich des Anspruches des Klägers auf Alterspension ab 1. 1. 2007 ist hingegen die bekämpfte Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückzuweisen. Im fortgesetzten Verfahren ist die neue Rechtslage mit den Parteien im Rahmen der materiellen Prozessleitungspflicht (§ 182a ZPO) zu erörtern und den Parteien Gelegenheit zur Erstattung eines allfälligen Sachvorbringens zu geben.

Die Anberaumung einer mündlichen Revisionsverhandlung steht im Ermessen des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 16/23 mwN). Ein Anlass dazu ist jedoch im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Der Vorbehalt hinsichtlich der Kosten des Klägers im Revisionsverfahren beruht auf § 52 ZPO. Die Beklagte hat als Versicherungsträger die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung ohne Rücksicht auf den Verfahrensausgang jedenfalls selbst zu tragen (§ 77 Abs 1 Z 1 ASGG).

Rechtssätze
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