JudikaturJustiz10ObS184/13a

10ObS184/13a – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Januar 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Sabine Duminger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Horst Nurschinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei L*****, vertreten durch Dr. Johannes Schuster Mag. Florian Plöckinger Rechtsanwälte GesbR in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist Straße 1, wegen Pflegegeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 24. Oktober 2013, GZ 9 Rs 120/13b 27, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 40, vom 8. 9. 2006 wurde der Klägerin Pflegegeld der Stufe 1 ab 1. 7. 2006 gewährt.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 40 vom 21. 4. 2011 wurde der Anspruch neu bemessen und ab 1. 5. 2011 Pflegegeld der Stufe 2 gewährt. Diesem Gewährungsbescheid lag ein durchschnittlicher monatlicher Pflegebedarf von 97 Stunden zugrunde (Seite 5 des Ersturteils).

Mit Bescheid vom 2. 11. 2012 entzog die beklagte Partei das Pflegegeld per 31. 12. 2012.

Das Erstgericht wies die auf Weitergewährung von Pflegegeld mindestens der Stufe 1 über den 31. 12. 2012 hinaus gerichtete Klage ab.

Es stellte ua fest, dass die Klägerin seit Dezember 2012 wieder in der Lage ist, sich selbständig an- und auszukleiden, die Medikamente selbständig einzunehmen und Mahlzeiten lediglich eingeschränkt um einen Hilfsbedarf von zehn Stunden pro Monat selbst zuzubereiten. Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass der aktuelle Pflegebedarf nur mehr 54 Stunden betrage und damit unter jenem Pflegebedarf liege, der gemäß § 4 BPGG für die Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 erforderlich sei. Da der zur seinerzeitigen Gewährung von Pflegegeld der Stufe 2 bestehende Pflegebedarf 97 Stunden betragen habe, liege eine wesentliche Besserung iSd § 9 Abs 4 BPGG vor. § 48b Abs 2 BPGG komme nicht zur Anwendung, weil die Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 2 ab 1. 5. 2011 bereits auf Basis der ab 1. 1. 2011 geltenden Rechtslage erfolgt sei.

Das Berufungsgericht gab der auf Abänderung des Ersturteils gerichteten Berufung im Sinn eines Zuspruchs des Pflegegeldes zumindest der Stufe 1 nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass § 48 BPGG nur Fälle erfasse, in denen die Änderung der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 4 Abs 2 BPGG idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 BGBl I Nr 2010/111 auf ein vor Inkrafttreten dieser Rechtslage zuerkanntes Pflegegeld träfe. Diese Voraussetzung liege nicht vor, weil die Klägerin Pflegegeld der Stufe 2 seit 1. 5. 2011 und somit bereits auf Basis der ab 1. 1. 2011 in Geltung stehenden Rechtslage bezogen habe. Nur die Rechtskraft dieser Entscheidung bestimme, unter welchen Voraussetzungen eine Neubemessung zulässig sei. Ein Rückgriff auf die „alte“ Rechtslage auch für Personen, deren Anspruch bereits einmal anhand der „neuen“ Rechtslage ermittelt worden sei, wäre nicht sachgerecht. Diese Personen hätten gerade nicht auf eine Weitergeltung der bis 31. 12. 2010 in Wirksamkeit stehenden Einstufungskriterien vertrauen können. Der Grundsatz, auf vorhandene Einstufungen sei Bedacht zu nehmen und eine Kürzung der vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung zuerkannten Pflegegelder sei zu vermeiden, komme auf diesen Personenkreis nicht zur Anwendung.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Mit dem Pflegegeldreformgesetz 2012 BGBl I 2011/58 wurde die Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz für das Pflegegeld mit Wirkung vom 1. 1. 2012 von den Ländern auf den Bund übertragen und damit das Pflegegeld beim Bund konzentriert. Gemäß § 48c Abs 1 BPGG gelten rechtskräftige Entscheidungen, die aufgrund landesgesetzlicher Vorschriften ergangen sind, als Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz. In § 48c Abs 2 BPGG wird nochmals klargestellt, dass ein aufgrund landesgesetzlicher Regelung zum 31. 12. 2011 rechtskräftig zuerkanntes Pflegegeld ab 1. 1. 2012 als nach dem BPGG zuerkannt gilt. § 48 Abs 1 bis 4 BPGG ist sinngemäß anzuwenden.

Der Klägerin, der zum 31. 12. 2011 das Pflegegeld der Stufe 2 nach dem Wiener Landespflegegeldgesetz rechtskräftig zuerkannt worden war, hatte somit ab 1. 1. 2012 einen Pflegegeldanspruch nach den Vorschriften des BPGG in Höhe der bisher nach den landesgesetzlichen Vorschriften gewährten Stufe 2.

2. Tritt eine für die Höhe des Pflegegeldes wesentliche Veränderung ein, so ist das Pflegegeld neu zu bemessen. Nach der Rechtsprechung zu § 9 Abs 4 und 5 BPGG ist eine für die Höhe des Pflegegeldes wesentliche Änderung dann zu bejahen, wenn eine Veränderung des Zustandsbildes des Pflegebedürftigen und in deren Folge eine Änderung im Umfang des Pflegebedarfs gegeben ist, die die Gewährung einer anderen Pflegegeldstufe erforderlich macht (RIS Justiz RS0123144). Davon weicht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht ab, es liege eine wesentliche Besserung iSd § 9 Abs 4 BPGG vor, die zur Entziehung des Pflegegeldes führt, weil davon auszugehen ist, dass der zur Gewährung von Pflegegeld der Stufe 2 führende Pflegebedarf 97 Stunden betragen habe, der aktuelle Pflegebedarf aber nur mehr 54 Stunden umfasse.

3. Auch die Ansicht der Vorinstanzen, die Klägerin könne für sich aus der Übergangsbestimmung des § 48b Abs 2 BPGG keine Vorteile ableiten, stellt keine Fehlbeurteilung dar:

3.1. Durch das Landesgesetzblatt für Wien, LGBl 2011/6, wurde § 4 Abs 2 des Wiener Pflegegeldgesetzes, LGBl 1993/42, zuletzt geändert durch das LGBl 2010/56, dahin abgeändert, dass der für die Pflegegeldstufen 1 und 2 erforderliche Pflegebedarf mit 1. 1. 2011 auf mehr als 60 bzw mehr als 85 Stunden pro Monat angehoben wurde, während zuvor ein solcher von mehr als 50 bzw 75 Stunden ausreichend war.

3.2. Bereits auf Basis dieser, ab 1. 1. 2011 in Geltung stehenden neuen Rechtslage (mehr als 85 Stunden Pflegebedarf pro Monat) war der Klägerin mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 40 vom 21. 4. 2011 Pflegegeld der Stufe 2 ab 1. 5. 2011 zugesprochen worden.

3.3. Gemäß § 48c Abs 2 BPGG gilt als ein aufgrund landesgesetzlicher Regelung zum 31. 12. 2011 rechtskräftig zuerkanntes Pflegegeld ab 1. 1. 2012 als nach dem BPGG zuerkannt (siehe oben Pkt 2.).

4. Nach den Übergangsbestimmungen des § 48b Abs 2 und 4 BPGG idF des BudgetbegleitG 2011 ist eine Minderung oder Entziehung eines rechtskräftig zuerkannten Pflegegeldes wegen der gesetzlichen Änderungen der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 4 Abs 2 des Bundespflegegeldgesetzes idF des Budgetbegleit-gesetzes 2011, BGBl I Nr 111/2010, nur dann zulässig, wenn auch eine wesentliche Veränderung im Ausmaß des Pflegebedarfs eingetreten ist. Die Bestimmungen der Abs 1 bis 3 gelten auch für gerichtliche Verfahren.

4.1. § 48b Abs 2 BPGG ist  vom Grundsatz getragen, dass alleine wegen der Änderungen der Anspruchsvoraussetzungen in § 4 Abs 2 BPGG idF des BudgetbegleitG I 2010/111 eine Minderung oder Entziehung eines rechtskräftig zuerkannten Pflegegeldes nicht zulässig ist. Wie der erkennende Senat erst jüngst ausgesprochen hat, kann in diesem Sinn eine wesentliche Änderung im Ausmaß des Pflegebedarfs, die zur Minderung oder Entziehung berechtigt, nur dann angenommen werden, wenn diese so ein Ausmaß erreicht, dass auch nach der Rechtslage zum 31. 12. 2010 eine Minderung oder Entziehung zulässig gewesen wäre (10 ObS 107/13b; 10 ObS 146/13p).

5. Aus diesen Erwägungen kann die Klägerin für sich aber keine Vorteile ableiten, treffen sie doch wie sich aus den Gesetzesmaterialien eindeutig ergibt (ErläutRV 981 BlgNR 24.GP 173 f), lediglich auf den Kreis jener Pflegebedürftigen zu, denen vor dem 1. 1. 2011 (dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle des BPGG BGBl I 2010/111 bzw hier dem Inkrafttreten der Novelle zum Wiener Pflegegeldgesetz LGBl 2011/6) Pflegegeld zuerkannt worden war. Mit dieser Rechtslage steht die Ansicht der Vorinstanzen im Einklang, § 48b Abs 2 BPGG sei nicht anwendbar, weil der Klägerin zuletzt das Pflegegeld der Stufe 2 erst nach Inkrafttreten der Novelle zuerkannt worden war, somit schon auf Grundlage der seit dem 1. 1. 2011 geltenden Rechtslage (mehr als 85 Stunden Pflegebedarf als Voraussetzung für die Zuerkennung der Stufe 2).

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Rechtssätze
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