JudikaturJustiz10ObS151/16b

10ObS151/16b – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. November 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Thomas Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Herbert Felsberger und Dr. Sabine Gauper Müller, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Widerruf und Rückersatz von Kinderbetreuungsgeld, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 15. Oktober 2015, GZ 6 Rs 45/15g 13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits und Sozialgericht vom 29. April 2015, GZ 30 Cgs 1/15m, 30 Cgs 17/15i 9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

1. Das am 13. April 2016 gemäß § 62 Abs 3 VfGG ausgesetzte Revisionsverfahren wird von Amts wegen wiederaufgenommen.

2. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Nach der Geburt ihres Sohnes M***** am 22. 11. 2013 beantragte die Klägerin am 6. 3. 2014 einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld, das von der Beklagten mit formlosem Schreiben vom 12. 3. 2014 für den Zeitraum 15. 2. 2014 bis 21. 11. 2014 gewährt und mit 66 EUR täglich bemessen wurde. Sie lebte nach der Geburt mit ihrem Sohn, ihrer Tochter und ihrem Ehemann in H***** 27, G*****. Alle Familienmitglieder waren mit Hauptwohnsitz an dieser Adresse gemeldet.

Mitte Juni 2014 zog die Klägerin mit ihren Kindern und ihrem Ehemann in eine Eigentumswohnung in S*****. Seit 18. 6. 2014 leben sie, ihr Ehemann und ihre Kinder in dieser Wohnung im gemeinsamen Haushalt.

Mit 18. 6. 2014 meldeten die Klägerin und ihr Ehemann den Hauptwohnsitz von G***** auf S***** um. Die Tochter war schon zuvor auf diese Anschrift umgemeldet worden.

2014 war über das Unternehmen, in dem der Ehemann der Klägerin in leitender Position tätig war, ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das brachte große finanzielle Sorgen für die Familie. Aufgrund dieser Situation vergaß die Klägerin, auch ihren Sohn mit Hauptwohnsitz in S***** anzumelden. Erst über Anregung der Gebietskrankenkasse meldete die Klägerin am 20. 11. 2014 ihren Sohn mit Hauptwohnsitz in S***** an. Sie bezog im Zeitraum vom 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 durchgehend für ihren Sohn die Familienbeihilfe.

Mit Bescheid vom 28. 11. 2014 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin vom März 2014 auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 ab.

Mit Bescheid vom 30. 1. 2015 verpflichtete die Beklagte die Klägerin zum Ersatz des vom 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von 10.296 EUR.

Die Klägerin bekämpfte beide Bescheide mit gesondert eingebrachten Klagen.

Das Erstgericht sprach mit Urteil aus, dass der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld für ihren Sohn vom 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 zu Recht bestehe und die Klägerin nicht zum Rückersatz des Betrags von 10.296 EUR verpflichtet sei.

Das Berufungsgericht wies in Abänderung des Urteils des Erstgerichts das Klagebegehren, es werde dem Antrag der Klägerin vom 6. 3. 2014 auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 stattgegeben und der Bescheid der beklagten Partei vom 30. 1. 2015, mit welchem die Klägerin zum Ersatz des für den Zeitraum 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von insgesamt 10.296 EUR verpflichtet worden ist, werde ersatzlos behoben, ab, sprach aus, dass das mit Schreiben der Beklagten vom 12. 3. 2014 der Klägerin zuerkannte Kinderbetreuungsgeld von täglich 66 EUR für den Zeitraum 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 widerrufen wird, und erkannte die Klägerin schuldig, der beklagten Partei 10.296 EUR binnen vier Wochen zu zahlen. Da die Klägerin und ihr Sohn vom 18. 6. 2014 bis 20. 11. 2014 nicht an der Adresse des gemeinsamen Haushalts hauptwohnsitzlich gemeldet gewesen seien, sei die Voraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 2 iVm § 2 Abs 6 erster Satz KBGG für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in diesem Zeitraum nicht erfüllt gewesen. Nach § 27 Abs 3 Z 3, § 30 Abs 2 und § 31 Abs 2 KBGG sei daher die bereits ausgezahlte Leistung für diesen Zeitraum von der Beklagten zu widerrufen und die ausgezahlte Leistung rückzufordern gewesen. Eine Verschuldensprüfung sei bei den Rückforderungstatbeständen des § 31 Abs 2 KBGG nicht vorzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene, von der beklagten Partei beantwortete außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1.1. Eine Voraussetzung des Anspruchs eines Elternteils auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind ist, dass der Elternteil mit diesem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt (§ 2 Abs 1 Z 2 KBGG idF BGBl I 2005/100). Diese Anspruchsvoraussetzung muss auch für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens erfüllt sein (§ 24 Abs 1 Z 1 KBGG).

1.2. Während eine idente Hauptwohnsitzmeldung von demjenigen Elternteil, der die Leistung beantragt und bezieht, und dem Kind vor der KBGG Novelle BGBl I 2009/116 lediglich ein Indiz für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts bildete, muss nach der geltenden Rechtslage kumulativ zum gemeinsamen Haushalt eine „hauptwohnsitzliche Meldung“ am Ort des gemeinsamen Haushalts vorliegen, damit die Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts von Elternteil und Kind erfüllt ist.

2.1. Nach § 31 Abs 2 erster Fall KBGG besteht die Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung auch dann, wenn rückwirkend eine Tatsache festgestellt wurde, bei deren Vorliegen kein Anspruch besteht. Als rückwirkend festgestellte Tatsachen im Sinn dieser Bestimmung gelten alle für die Zuerkennung des Anspruchs maßgeblichen Umstände, die mit Rückwirkung erst zu einem nach der Zuerkennung liegenden Zeitpunkt, zB durch Gerichtsurteil oder Entscheidung einer Behörde, festgestellt wurden. Dieser Rückforderungstatbestand normiert nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs eine objektive Rückzahlungsverpflichtung, die nur davon abhängig ist, dass sich nachträglich eine (ursprünglich nicht bekannte) Tatsache herausstellte, bei deren Vorliegen kein Anspruch auf die Leistung besteht (10 ObS 106/13f, SSV NF 27/63).

2.2. Dementsprechend ordnet § 30 Abs 2 KBGG an, dass die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung einer Leistung nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt (10 ObS 91/11x, SSV NF 25/102).

2.3. Der Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 erster Fall KBGG bezieht sich nicht nur auf Umstände, die bei Gewährung des Anspruchs schon verwirklicht, jedoch nicht bekannt waren und daher nicht berücksichtigt werden konnten, sondern auch auf solche, die erst nach der Gewährung des Anspruchs entstehen und den Sozialversicherungsträger zu einem Widerruf oder einer rückwirkenden Berichtigung der Bemessung berechtigen (10 ObS 157/14g; RIS Justiz RS0126122 [T4]).

3.1. Da der Oberste Gerichtshof Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs 6 erster Satz KBGG idF BGBl I 2009/116 hatte, stellte er mit Beschluss vom 13. 4. 2016, 10 ObS 144/15s, einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof und verfügte, mit dem Revisionsverfahren innezuhalten.

3.2. Mit Erkenntnis vom 14. 10. 2016, G 121/2016-9, wies der Verfassungsgerichtshof den Gesetzesprüfungsantrag ab. Der Gesetzgeber dürfe auf den Regelfall abstellen, dass grundsätzlich leistungsbeziehende Eltern gesetzeskonform den Hauptwohnsitz an jener Adresse melden, an der sich der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen befindet, und dass diese Meldung – sofern sie mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt leben – mit der Adresse der hauptwohnsitzlichen Meldung des Kindes zusammenfällt. Die Anknüpfung an die gemeinsame Hauptwohnsitzmeldung, die diesen Umstand dokumentiere, diene der leichteren Administrierbarkeit bei der Beurteilung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen. Dem Gesetzgeber sei daher nicht entgegenzutreten, wenn er für die Gewährung einer Leistung, die zudem nur für einen begrenzten Zeitraum gebührt, ein leicht zu erfüllendes Anspruchskriterium festlege. Die Ermittlung der Haushaltszugehörigkeit vom Elternteil könne hingegen einen erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich bringen. Dass der Gesetzgeber keine Ausnahmen vom Erfordernis der hauptwohnsitzlichen Meldung vorgesehen habe, um unvermeidbare Härtefälle abzufedern, und keine Möglichkeit eröffne, das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts auf andere Weise nachzuweisen, mache die Regelung nicht unsachlich. Hinzu komme, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Rückforderung gewisse Möglichkeiten der Abfederung von Härtefällen vorsehe.

4. Nach der geltenden Rechtslage ist die Klägerin gemäß § 31 Abs 2 erster Fall KBGG verpflichtet, das von ihr während des Zeitraums, in dem sie mit ihrem Sohn zwar tatsächlich im gemeinsamen Haushalt lebte, aber an dessen Adresse nur sie, nicht jedoch das Kind hauptwohnsitzlich gemeldet waren, bezogene Kinderbetreuungsgeld zurückzuzahlen, weil sie in diesem Zeitraum die Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs 1 Z 2 und Abs 6 KBGG nicht erfüllte. Ob sie die Ummeldung ihres Sohnes schuldhaft unterlassen hat, ist für den (verschuldensunabhängigen) Rückforderungsanspruch der beklagten Partei nicht erheblich.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.