JudikaturJustiz10ObS1/16v

10ObS1/16v – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Sabine Duminger und Dr. Johanna Biereder (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch RAe Gruber Partnerschaft KG in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84 86, 1051 Wien, vertreten durch Bachmann Bachmann Rechtsanwälte in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 28. September 2015, GZ 7 Rs 62/15m 17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. März 2015, GZ 27 Cgs 1/15f 13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (darin 62,28 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Anlässlich der Geburt ihres Sohnes am 25. März 2008 wurde der Klägerin, einer selbständig erwerbstätigen Gastwirtin, für den Zeitraum von 1. Jänner 2010 bis 24. September 2010 Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 3.879,51 EUR und der Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 1.618,02 EUR zuerkannt.

Mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 forderte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft die Klägerin auf, eine steuerlich nachvollziehbare Aufteilung der Jahreseinkünfte für den Zeitraum von 1. Jänner 2010 bis 31. August 2010 sowie einen Nachweis der Entstehung des Sanierungsgewinns zu übermitteln. Am 29. Oktober 2014 legte der Steuerberater der Klägerin eine Zwischenabrechnung für den Zeitraum von 1. Jänner 2010 bis 31. August 2010 vor, die einen Gewinn von 97.840,14 EUR ausweist. Darin enthalten sind ein Sanierungszuschuss des Niederösterreichischen Wirtschafts und Tourismusfonds in der Höhe von 55.000 EUR und ein Schuldennachlass einer Bank in der Höhe von 55.321,99 EUR. Der Sanierungszuschuss wurde zweckgebunden an die Bank gezahlt, um durch die Verringerung der Schulden eine zwangsweise Verwertung der Liegenschaft mit dem Gastwirtschaftsbetrieb abzuwenden.

Mit Bescheid vom 25. November 2014 widerrief die beklagte Partei gegenüber der Klägerin die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes sowie des Zuschusses dazu für den Zeitraum von 1. Jänner 2010 bis 24. September 2010 und verpflichtete die Klägerin zum Ersatz der unberechtigt empfangenen Leistung in der Höhe von insgesamt 5.497,53 EUR.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Sowohl der Sanierungszuschuss als auch der Schuldennachlass stellten einen Gewinn im Sinn des § 36 EStG dar. Dieser sei nicht bloß fiktiv; vielmehr habe der Wegfall der Verbindlichkeiten zu einer tatsächlichen Betriebsvermögensvermehrung geführt. Der Umstand, dass mit dem Zufluss dieses Betrags von insgesamt 110.321,99 EUR im relevanten Zeitraum (1. Jänner bis 31. August 2010) nur Schulden beglichen worden seien, sei ohne rechtliche Bedeutung. Die Erhöhung des Betriebsvermögens sei im Zeitpunkt des Wegfalls der Schuld – im genannten Zeitraum – eingetreten. Da der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte im Zeitraum von 1. Jänner bis 31. August 2010 149.247,93 EUR betragen habe, habe die Klägerin den Grenzbetrag hinsichtlich des Kinderbetreuungsgeldes sowie des Zuschusses um 133.047,93 EUR überschritten, weshalb sowohl das Kinderbetreuungsgeld als auch der Zuschuss dazu in der Gesamthöhe von 5.497,93 EUR unberechtigt empfangen worden seien.

Infolge Berufung der Klägerin änderte das Berufungsgericht das Ersturteil im klagestattgebenden Sinn ab und ließ die Revision wegen des Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage zu, ob die – einkommen-steuerrechtlich beachtlichen – Einnahmen aus einem Schuldennachlass (Sanierungsgewinn) und einem Sanierungszuschuss, die zweckgebunden zu verwenden gewesen und der Schuldnerin tatsächlich nicht zugeflossen seien, als Einkünfte im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG anzusehen seien.

Die Rechtsprechung verneine im gegebenen Zusammenhang eine Bindung der Gerichte an einen Einkommensteuerbescheid der Abgabenbehörde. So sei der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit einem Veräußerungsgewinn zum Ergebnis gelangt, dass dieser – weil es sich um einen fiktiven, eine Konstruktion des Steuerrechts darstellenden Gewinn handle – kein im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG relevantes Einkommen darstelle. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs entspreche es der Zielsetzung des KBGG, das Kinderbetreuungsgeld nur jenen Eltern(-teilen) zu gewähren, die bereit seien, die Berufstätigkeit im Hinblick auf die Kinderbetreuung einzuschränken. Die „Zuverdienstgrenze“ sei daher als Maßstab für die Bereitschaft zur Einschränkung der Berufstätigkeit zugunsten der Betreuungsleistung bzw – anders betrachtet – für die Bereitschaft (und Möglichkeit) zur Kinderbetreuung zu sehen. Im Hinblick auf diese Zielsetzung erscheine es sachlich nicht gerechtfertigt, Veräußerungsgewinne (§ 24 EStG) als ein im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG relevantes Einkommen zu behandeln, weil dies im Extremfall dazu führen könnte, dass jemand, der eine selbständige Tätigkeit im Interesse der Betreuungsarbeit aufgebe, deswegen das Kinderbetreuungs-geld verliere, weil der Veräußerungsgewinn die Zuverdienstgrenze übersteige.

Durch den hier zu beurteilenden Schuldennachlass bzw Sanierungsgewinn komme es zwar – trotz Fehlens eines realen Geldzuflusses – zu einer Betriebsvermögensvermehrung und damit zu einer Betriebseinnahme im Zeitpunkt des Wegfalls der Schuld. Diese (steuer )rechtliche Qualifikation bedeute aber nicht zwingend, dass der Sanierungszuschuss und der Schuldennachlass (Sanierungsgewinn) auch bei Beurteilung des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld als maßgeblich zu berücksichtigen seien. So habe der Oberste Gerichtshof zum Ausgleichszulagenrecht und zum Unterhaltsrecht die Ansicht vertreten, dass nicht real zur Verfügung stehendes Einkommen außer Acht zu bleiben habe.

Im vorliegenden Fall sei insoweit eine Zweckbindung erfolgt, als der Sanierungszuschuss an die Bank zu zahlen gewesen sei, worauf Schulden nachgelassen worden seien und eine zwangsweise Verwertung der Liegenschaft mit dem Gaststättenbetrieb unterblieben sei. Auch wenn diese Einkünfte steuer- und bilanzrechtlich relevant seien, könnten sie aus Sicht des Sozialversicherungsrechts nicht als Einnahmen gewertet werden, weil sie von der Klägerin nicht tatsächlich erzielt worden seien bzw weil sie ihr real nicht zur Verfügung gestanden seien. Vielmehr handle es sich dabei um fiktive Einkünfte, über die die Klägerin nicht verfügen habe können.

Mit dieser Beurteilung werde auch nicht der Zielsetzung des KBGG widersprochen, das Kinderbetreuungsgeld nur jenen Eltern( teilen) zu gewähren, die bereit seien, die Berufstätigkeit im Hinblick auf die Kinderbetreuung einzuschränken.

In ihrer Revision stellt die beklagte Partei in den Vordergrund, dass Sanierungsgewinne nicht mit Veräußerungsgewinnen gemäß § 24 EStG vergleichbar seien. Während der Veräußerungsgewinn ein rein „fiktives Einkommen“ darstelle, handle es sich beim Erlass eines aus betrieblichen Gründen aufgenommenen Darlehens um eine Betriebseinnahme, die als Gewinn (siehe § 36 EStG) zu qualifizieren sei. Aus § 31 Abs 2 und aus § 37 Abs 2 KBGG gehe klar hervor, dass der Beurteilung, ob die Zuverdienstgrenze eingehalten worden sei, die in den Einkommensteuerbescheiden ausgewiesenen Einkünfte zugrunde zu legen seien. Der Wegfall der Verbindlichkeiten führe zu einer tatsächlichen Betriebsvermögensvermehrung, auch wenn mit dem Zufluss von insgesamt 110.321,99 EUR im relevanten Zeitraum tatsächlich nur Schulden beglichen worden seien. Auch andere Mütter müssten mit ihren Einkünften Schulden (Tilgung von Mietrückständen etc) begleichen; unabhängig von der Mittelverwendung seien diese Einkünfte auch solche im Sinne des KBGG. Der Standpunkt der Klägerin laufe darauf hinaus, dass Einkünfte, die für die Tilgung betrieblicher Schulden verwendet würden, besser behandelt würden als die Einkünfte anderer Kinderbetreuungsgeldbezieherinnen. Die Einkünfte aus Sanierungsgewinnen in Form eines Schuldennachlasses und eines Sanierungszuschusses würden im Übrigen – anders als typischerweise beim Veräußerungsgewinn – gerade dazu dienen, den Betrieb aufrecht zu erhalten, sodass auf diese Weise das Ziel der Förderung der Kinderbetreuung in den Hintergrund trete.

Rechtliche Beurteilung

Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) aufgezeigt.

1. § 8 Abs 1 Satz 1 KBGG sieht als „maßgebliche Einkünfte“ im Sinne des KBGG die Einkünfte gemäß § 2 Abs 3 Z 1 bis 4 EStG 1988 an, das sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25 EStG) und die betrieblichen Einkünfte nach §§ 21–23 EStG (Einkünfte aus Land und Forstwirtschaft, aus selbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb). Für die Ermittlung des „Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte“ (§ 2 Abs 1 Z 3 KBGG) sieht § 8 Abs 1 KBGG in den Z 1 und 2 besondere Regeln vor.

2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach – auch zum KBGG – betont, dass aufgrund der unterschiedlichen Ziele der Sozial (versicherungs )gesetze und der Steuergesetze zwischen dem Einkommen im Sinn des EStG 1988 und dem Erwerbseinkommen im Sinn der Sozialversicherungsgesetze erhebliche Unterschiede bestehen können, sodass die Versicherungsträger (sowie aufgrund der sukzessiven Kompetenz die Gerichte) bei der Ermittlung des relevanten Einkommens zu durchaus anderen Ergebnissen als die Steuerbehörden im Abgabenverfahren kommen können (RIS Justiz RS0085210, RS0085302; speziell zum KBGG etwa 10 ObS 34/13t, SSV NF 27/50). Nach dieser Rechtsprechung ist – entgegen der Ansicht der auf § 31 Abs 2 und § 37 Abs 2 KBGG verweisenden Revisionswerberin – eine Bindung der Gerichte an einen Einkommensteuerbescheid der Abgabenbehörde in diesem Zusammenhang zu verneinen (RIS Justiz RS0084294 [T2]).

3. Der Oberste Gerichtshof hat in einer die Zuverdienstgrenze nach § 2 Abs 1 Z 3 KBGG betreffenden Entscheidung (10 ObS 51/12s, SSV NF 26/34) ausgesprochen, dass es sich beim Veräußerungsgewinn (§ 24 EStG) – trotz seiner Relevanz im Steuerrecht und im Sozialversicherungsbeitragsrecht – nicht um ein im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG relevantes Einkommen handelt, welches dem für die Rückforderung des Kinderbetreuungsgeldes maßgebenden Zeitraum zugeordnet werden könnte; diese Aussage wurde in der Entscheidung 10 ObS 34/13t, SSV NF 27/50 wiederholt (RIS Justiz RS0127796).

3.1. Wesentlich ist dabei vor allem die Aussage, dass die steuerliche Erfassung des Veräußerungsgewinns eine Art Finalbesteuerung darstellt, durch die alle bis dahin unversteuert gebliebenen Vermögensvermehrungen anlässlich der Veräußerung bzw Aufgabe des Betriebs einer Besteuerung unterzogen werden, und es sich beim Veräußerungsgewinn daher nicht um ein Erwerbseinkommen aus einer gleichzeitig ausgeübten Erwerbstätigkeit handelt.

3.2. Der Oberste Gerichtshof weist in der Entscheidung 10 ObS 51/12s, SSV NF 26/34, unter Berufung auf Mazal (Kinderbetreuungsgeld: Zuverdienstgrenze verfassungskonform? ZAS 2010/3, 9) auch darauf hin, dass die Berücksichtigung von Veräußerungsgewinnen als ein im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG relevantes Einkommen im Extremfall dazu führen könnte, dass jemand, der eine selbstständige Tätigkeit im Interesse der Betreuungsarbeit aufgibt, deswegen das Kinderbetreuungsgeld verliert, weil der Veräußerungsgewinn die Zuverdienstgrenze übersteigt. In diesem Zusammenhang wird eine der Zielsetzungen des KBGG betont: Das Kinderbetreuungsgeld soll nur jenen Eltern(-teilen) zustehen, die bereit sind, die Berufstätigkeit im Hinblick auf die Kinderbetreuung einzuschränken. Diese Aussage wird insbesondere auf VfGH G 128/08 ua, VfSlg 18.705, gestützt.

3.2.1. Der Verfassungsgerichtshof (G 128/08 ua, VfSlg 18.705) sieht den Zweck der Zuverdienstgrenze darin, dass das Kinderbetreuungsgeld nur jenen Eltern( teilen) gewährt werden soll, die bereit sind, die Berufstätigkeit im Hinblick auf die Kinderbetreuung einzuschränken. Der Gesetzgeber nimmt dabei anscheinend in Kauf, dass eine „Zuverdienstgrenze“ über die Einschränkung der Berufstätigkeit bzw – anders betrachtet – die Bereitschaft (und Möglichkeit) zur Kinderbetreuung nur bedingt Auskunft gibt.

3.2.2. Der Oberste Gerichtshof hat diese Ausführungen in mehreren Entscheidungen (zB 10 ObS 173/10d, SSV NF 25/2; 10 ObS 74/11x, SSV NF 25/77; RIS Justiz RS0124063 [T38]) wiederholt. Eine Verpflichtung zur tatsächlichen Einschränkung einer Berufstätigkeit zum Zweck der Kinderbetreuung ist aus diesen Entscheidungen aber gerade nicht abzuleiten (vgl auch ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 55 und 59).

4. In der Literatur wurde die Nichtanrechnung von Veräußerungsgewinnen auch auf Schuldennachlässe und (zweckgewidmete) Sanierungszuschüsse übertragen, wenn die Zuschüsse direkt dem Gläubiger zufließen und dem Anspruchsberechtigten daher „real“ nicht zur Verfügung stehen ( Konezny in Sonntag/Schober/Konezny , KBGG [2016] § 8 Rz 25).

Dieses Ergebnis kann mit einem Größenschluss gerechtfertigt werden: Wenn sogar ein Gewinn aus einer Veräußerung eines Unternehmens (der zu einem realen Geldzufluss beim Veräußerer führt) nach der Rechtsprechung nicht unter die Einkünfte nach § 8 Abs 1 KBGG fällt, muss dies erst recht für Schuldennachlässe der Bank und von dritter Seite gewährte (zweckgewidmete) Sanierungszuschüsse, die direkt der Abtragung von Bankschulden dienen, gelten, und zwar unabhängig davon, ob es um die Abtragung von privaten oder betrieblichen Schulden geht: Die Leistungen kommen von dritter Seite und stehen dem Leistungsempfänger zu keiner Zeit real zur Verfügung. Eine Auswirkung auf dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben sie erst in Zukunft durch eine Verringerung der Tilgungs und Zinsenbelastung. Die Annahme eines Zuflusses ist rein fiktiv.

5. Insofern fügt sich die Entscheidung des Berufungsgerichts in die höchstgerichtliche Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen ein. Auch wenn der Oberste Gerichtshof bisher keine Entscheidung zu einem sachverhaltsmäßig gleichen Fall gefällt hat, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, weshalb die Revision der beklagten Partei zurückzuweisen ist.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS Justiz RS0035979 [T16]).

Rechtssätze
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