JudikaturJustiz10Ob35/17w

10Ob35/17w – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Februar 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagten Parteien 1. G*****, 2. A*****, beide vertreten durch Dr. Christoph Schneider, Rechtsanwalt in Bludenz, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien 1. Dr. A*****, 2. Dr. G*****, dieser vertreten durch Dr. Robert Mayer, Rechtsanwalt in Götzis, wegen Feststellung, Löschung, Räumung und Entfernung, über die Rekurse der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 24. Februar 2017, GZ 2 R 26/17i 112, mit das Urteil des Bezirksgerichts Montafon vom 30. Dezember 2016, GZ 1 C 491/13h 101, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Rekurs der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

Dem Rekurs der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben.

Der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wird – soweit er die Punkte 2., 3. und 4. des Spruchs des Ersturteils betrifft – aufgehoben. Insoweit wird in der Sache dahin zu Recht erkannt, dass das Ersturteil in dem den Leistungsbegehren stattgebenden Umfang (Punkte 2., 3. und 4. des Spruchs) wiederhergestellt wird.

Im Übrigen wird dem Rekurs der klagenden Partei (hinsichtlich Punkt 1. des Spruchs des Ersturteils) nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Verfahrens erster Instanz und des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Aufgrund einer Makuladegeneration kann die 1921 geborene Klägerin zumindest seit 2011 einzelne Zeichen nicht mehr erkennen. Spätestens ab 2011 nimmt sie mit dem rechten Auge nur Licht und mit dem linken Auge nur Handbewegungen wahr. Im Jahr 2013 war ein brauchbarer Nahvisus nicht mehr vorhanden. Lesen war ihr nicht einmal mehr mit Hilfsmitteln (zB einer Lupe) möglich. Trotz dieser Einschränkungen konnte sie sich in ihrer bekannten Umgebung in ihrem Haus bewegen und orientieren. Sie konnte den Tisch decken und abräumen.

Sie suchte Bewohner für das Erdgeschoss ihres Hauses und lud die Beklagten, die auf Wohnungssuche waren, zu einem Gespräch ein. Bei diesem Gespräch äußerte sie, falls die Beklagten einzögen, sei es ihr besonders wichtig, dass jederzeit jemand in ihrem Haus anwesend und für sie da sei; insbesondere wenn sie Hilfe benötige, sich alleine fühle oder Angst habe. Sie stelle sich dies so vor, dass die Beklagten bei einem Klopfen zu Hilfe kommen. Der Erstbeklagte sagte hingegen, ihm sei vor allem wichtig, dass die Beklagten nach dem Tod der Klägerin im Haus bleiben können. Ob die Streitteile auch ausdrücklich darüber sprachen, dass die Klägerin sich eine Pflege und Unterstützung beim Kochen, Anziehen, Einkaufen, bei der Körperpflege und bei Hausarbeiten wünschte, ist nicht feststellbar. Nach diesem Gespräch waren sich die Streitteile einig, dass die Beklagten ohne Zahlung eines Mietzinses das Erdgeschoss des Hauses der Klägerin nutzen können und das Besprochene zu einem späteren Zeitpunkt von einem Rechtsanwalt festgehalten werden sollte. Kurze Zeit nach dem Gespräch bezogen die Beklagten das Erdgeschoss des Hauses der Klägerin.

Die Beklagten begannen mit Renovierungsarbeiten. Einen Teil dieser Arbeiten hatte die Klägerin selbst in Auftrag gegeben oder mit den Handwerkern besprochen.

Der Erstbeklagte brachte im Stiegenhaus eine Tür bzw Absperrung an, sodass man vom Obergeschoss, das die Klägerin bewohnte, nicht mehr in die Wohnräume der Beklagten gelangen konnte.

Die Zweitbeklagte kümmerte sich um die Klägerin, indem sie diese morgens weckte, für ihr Frühstück sorgte und für sie kochte. Der Erstbeklagte kümmerte sich um das Haus und den Garten. Ob die Klägerin von den Beklagten auch bei der Körperpflege, beim Anziehen oder Baden unterstützt wurde und die Beklagten Hausarbeiten wie Einkaufen und Abwaschen für die Klägerin besorgten, ist nicht feststellbar.

Nach dem Einzug wollte der Erstbeklagte mit der Klägerin besprechen, wie sie sich die Absicherung der Nutzung des Erdgeschosses durch die Beklagten, insbesondere für den Fall ihres Ablebens vorstelle. Die Klägerin schlug dem Erstbeklagten vor, man solle zu einem Anwalt gehen und alles schriftlich festhalten. Sie war damit einverstanden, dass die Beklagten, solange sie lebt, nichts für die Nutzung zahlen müssen und nach ihrem Tod die Hälfte einer angemessenen Miete zahlen. Der Erstbeklagte sollte sich dafür im Gegenzug um alle im Haus und im Garten sowie in den Außenanlagen zu erledigenden Dinge kümmern. Die Beklagten sollten sich um die Klägerin kümmern und auf sie schauen. Es kann nicht festgestellt werden, ob zu diesem Zeitpunkt genauer darüber gesprochen wurde, was unter „kümmern“ zu verstehen ist und ob konkrete Leistungen und Erwartungen besprochen wurden. Die wesentlichen Punkte der Vorstellungen der Klägerin schrieb der Erstbeklagte auf einen Zettel.

Über Vorschlag des Erstbeklagten wandten sich die Streitteile an den Erstnebenintervenienten, einen Rechtsanwalt, dem der Erstbeklagte den mit der Klägerin ausgearbeiteten Zettel übergab. Der Erstnebenintervenient fragte die Klägerin, ob sie körperliche Beschwerden habe. Sie antwortete, sie könne zwar nicht geradeaus, aber nach unten sehen. Ob sie über Frage des Erstnebenintervenienten auch erklärte, dass es zum Lesen ausreiche, ist nicht feststellbar. Der Erstnebenintervenient fragte sie auch, was vereinbart werden solle. Die Klägerin erklärte, was sie zuvor mit dem Erstbeklagten besprochen hatte. Nicht feststellbar ist, ob die Klägerin dabei auch erwähnte, dass die Beklagten sich um sie kümmern und auf sie schauen sollten. Das zuvor von den Streitteilen Besprochene wurde nochmals mit den Streitteilen erörtert. Der Erstnebenintervenient wies darauf hin, dass die Errichtung eines Notariatsakts notwendig sei, wenn die Klägerin nicht lesen könne. Die Errichtung eines Notariatsakts wurde jedoch von allen Beteiligten abgelehnt. Der Erstnebenintervenient empfahl die Verbücherung des Wohnungsrechts.

Der Erstbeklagte begehrte vom Erstnebenintervenienten die Änderung des von diesem erstellten Vertragsentwurfs dahin, dass die Beklagten auch in den ersten 15 Jahren nach dem Tod der Klägerin keine Miete und ab dem 16. Jahr die Hälfte einer angemessenen Miete zu zahlen hätten. Diese Änderung war zwischen den Streitteilen zuvor besprochen worden.

Am 11. 3. 2013 besprachen die Streitteile mit dem Erstnebenintervenienten den letzten Vertragsentwurf, den der Erstnebenintervenient vorlas. Die Klägerin war mit dem Vertragsentwurf einverstanden. Die Streitteile begaben sich daraufhin mit dem Erstnebenintervenienten zur Unterfertigung des Vertrags und notariellen Beglaubigung der Unterschriften zum Zweitnebenintervenienten. Auch dieser hatte Zweifel an der Sehfähigkeit der Klägerin. Er sprach sie darauf an, ob sie blind sei. Sie verneinte. Vom Erstnebenintervenienten wurde ebenso die Ansicht vertreten, dass die Klägerin sehfähig sei. Ungeachtet dessen wies der Zweitnebenintervenient darauf hin, dass die Errichtung eines Notariatsakts der sicherste Weg wäre, was jedoch von den Parteien abgelehnt wurde. Der Zweitnebenintervenient versicherte sich schließlich noch, ob die Parteien mit dem Erstnebenintervenienten den Vertrag besprochen hatten. Die Klägerin erklärte daraufhin, dass die Beklagten auf sie schauen würden. Nachdem der Zweitnebenintervenient die Klägerin darauf hingewiesen hatte, dass diesbezüglich im Vertrag nichts enthalten sei, erklärten die Beklagten, dass sie dies ohnehin tun würden. Der Zweitnebenintervenient nahm dies zum Anlass, der Klägerin den Vertragsentwurf nochmals vorzulesen. Daraufhin unterzeichneten die Streitteile vor dem Zweitnebenintervenienten den vorgelegten Vertragsentwurf. In diesem Vertrag räumte die Klägerin den Beklagten an näher beschriebenen Räumen ihres Hauses „das lebenslange und während 15 Jahren nach ihrem Ableben unentgeltliche Wohnungsgebrauchsrecht gemäß § 521 Abs 1 ABGB ein“. Ab dem 16. Jahr nach dem Tod der Klägerin haben die Beklagten an den Eigentümer des Hauses für das Wohnrecht ein Entgelt in Höhe der Hälfte der ortsüblichen Miete zu zahlen. Der Erstbeklagte verpflichtete sich, bis zum Ableben der Klägerin die Außenanlagen unentgeltlich zu pflegen und im Haus kleine Reparaturen unentgeltlich vorzunehmen, wobei die anfallenden Materialkosten ebenso von der Klägerin zu tragen sind wie die Erhaltungs- und Reparaturkosten der vom Wohnrecht umfassten Räumlichkeiten und alle fixen Betriebskosten.

Das Wohnungsgebrauchsrecht wurde verbüchert.

Die Klägerin ging bei der Unterfertigung des Vertrags davon aus, dass die Beklagten verpflichtet sind, sie zu pflegen, somit ihr beim Anziehen und bei der Körperpflege zu helfen und für sie zu kochen. Sie war und ist nämlich der Meinung, dass sich die Beklagten (als Gegenleistung für die unentgeltliche Nutzung der Räumlichkeiten in und um ihr Haus) um sie zu sorgen und sie zu pflegen haben. Sie war auch der Überzeugung, dass es als Gegenleistung angemessen sei, wenn die Beklagten nach ihrem Tod eine Zeitlang unentgeltlich im Haus wohnen können und später nur eine geringere als die übliche Miete zahlen. Wäre sie sich bewusst gewesen, dass in der schriftlichen Vereinbarung vom 11. 3. 2013 eine solche Verpflichtung nicht enthalten ist und sich die Beklagten auch nie zu einer Pflege der Klägerin verbindlich verpflichten wollten, hätte sie diese Vereinbarung nicht unterzeichnet und die Beklagten nicht bei sich einziehen lassen.

Obwohl sich die Beklagten nie, insbesondere nicht bei der Unterzeichnung der Vereinbarung vom 11. 3. 2013 verbindlich verpflichten wollten, sich um die Klägerin zu sorgen und diese zu unterstützen, kümmerte sich die Zweitbeklagte auch nach Unterzeichnung des Vertrags vom 11. 3. 2013 um die Klägerin, indem sie für sie kochte und regelmäßig bei ihr nachsah, ob alles in Ordnung ist. Ob sie die Klägerin auch bei der Körperpflege, wie beispielsweise beim Anziehen oder Baden unterstützte oder Hausarbeiten und das Einkaufen erledigte, ist nicht feststellbar.

Einige Monate nach dem 11. 3. 2013 verließ die Zweitbeklagte das Haus der Klägerin und kehrte nicht mehr zurück. Deshalb unterstützte sie die Klägerin nicht mehr, was von der Klägerin zunächst mündlich eingefordert wurde. Der Erstbeklagte bot daraufhin der Klägerin an, dass er die von der Zweitbeklagten ausgeübten Tätigkeiten übernehmen könne. Dies lehnte die Klägerin ab. Sie wandte sich an zwei Rechtsanwälte, die die Beklagten mit Schreiben vom 29. 10. 2013 aufforderten, Löschungsquittungen hinsichtlich des Wohnungsgebrauchsrechts zu unterzeichnen und das Haus zu verlassen.

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 6. 12. 2013 eingebrachten Klage,

1. festzustellen, dass die Vereinbarung vom 11. 3. 2013 rechtsunwirksam sei, in eventu

diese Vereinbarung aufzuheben;

2. die Beklagten zur Einwilligung in die Einverleibung der Löschung des Wohnungsgebrauchsrechts zu verpflichten;

den Erstbeklagten

3. zur Räumung und

4. zur Entfernung der im Stiegenhaus eingebauten Absperrung bzw der dort aufgebauten Wand zu verpflichten.

Sie sei bei Abschluss der Vereinbarung vom 11. 3. 2013 blind gewesen und habe weder lesen noch schreiben können. Mangels Einhaltung der Notariatsaktsform sei der Vertrag formungültig und nichtig. Sie sei von den Beklagten in Irrtum geführt worden, weil sie der Meinung gewesen sei, auf Basis der Vereinbarung künftig auch gepflegt zu werden. Da die Zweitbeklagte ausgezogen sei, sei die Geschäftsgrundlage weggefallen. Die Beklagten seien in Leistungsverzug. Es werde der Vertragsrücktritt erklärt und die Aufhebung der Vereinbarung wegen Irrtums und Dissenses geltend gemacht. Sie sei im Zeitpunkt der Vertragsunterfertigung sowie Jahre zuvor geschäftsunfähig gewesen.

Die Beklagten wandten ein, die Klägerin sei nicht blind gewesen. Sei sei mit dem Inhalt der schriftlichen Vereinbarung einverstanden gewesen und habe auf den Schutz durch das Notariatsaktsgesetz verzichtet. Es sei nie vereinbart worden, dass sich die Beklagten verpflichten würden, die Pflege der Klägerin zu übernehmen. Es sei nur die Rede davon gewesen, dass die Klägerin nicht allein im Haus sein habe wollen. Da die Klägerin das Schloss ausgetauscht und Fremde aufgenommen habe, ohne die Beklagten zu informieren, seien sie berechtigt gewesen, eine Tür im Stiegenhaus anzubringen.

Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Teilanerkenntnisurteil vom 7. 3. 2016 verpflichtete das Erstgericht die Zweitbeklagte, in die Einverleibung der Löschung des zu ihren Gunsten eingetragenen Wohnungsgebrauchsrechts gemäß der Vereinbarung vom 11. 3. 2013 einzuwilligen.

Mit (End )Urteil gab das Erstgericht dem Klagehauptbegehren, soweit es nicht durch das Teilanerkenntnisurteil erledigt wurde, statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich führte es aus, zu einer verbindlichen mündlichen Vereinbarung sei es vor dem 11. 3. 2013 nicht gekommen. Die Klägerin sei damals bereits blind gewesen. Mangels Einhaltung der Notariatsaktsform sei die an diesem Tag geschlossene schriftliche Vereinbarung ungültig. Dass die Klägerin erklärt habe, keinen Notariatsakt errichten zu wollen, könne nicht einen ausdrücklichen Verzicht auf diese Form bedeuten. Dazu bedürfe es nämlich der Einsicht, tatsächlich blind im Sinn des Gesetzes zu sein. Durch die Verbücherung des Wohnungsgebrauchsrechts sei die Formungültigkeit nicht geheilt worden. Die Vereinbarung sei daher unwirksam.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Beklagten und des Erstnebenintervenienten Folge. Es hob das Endurteil auf und verwies die Rechtssache an des Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Der Verzicht auf das nur die blinde Person schützende Formgebot eines Notariatsakts nach § 1 Abs 3 Z 2 NotariatsaktsG sei ein einseitiger Rechtsakt, der dem Vertragspartner nur zugehen müsse. Unter der in dieser Gesetzesstelle genannten „ausdrücklichen Erklärung“ könne nur eine bei objektiver Beurteilung unmissverständliche deutliche Äußerung gemeint sein. Da die Klägerin gewusst habe, bei einer so weit gehenden Einschränkung ihres Sehvermögens, dass sie nicht lesen kann, sei die Errichtung eines Notariatsakts notwendig, und ihr Lesen nicht einmal mehr mit Hilfsmitteln möglich gewesen sei, habe sie mit der Ablehnung eines Notariatsakts unmissverständlich und deutlich gegenüber den Beklagten erklärt, den Schutz des § 1 Abs 1 lit e NotariatsaktsG nicht in Anspruch zu nehmen.

Die Rechtssache sei aber nicht entscheidungsreif, weil das Erstgericht keine Feststellungen zur behaupteten Geschäftsunfähigkeit der Klägerin getroffen habe.

Sollte die Klägerin geschäftsfähig gewesen sein, sei eine Vereinbarung der Streitteile über ein obligatorisches Wohnungsgebrauchsrecht der Beklagten vor dem Abschluss der schriftlichen Vereinbarung vom 11. 3. 2013 nicht zustande gekommen. Das Wohnungsgebrauchsrecht hätte nämlich nicht unbefristet und ohne Gegenleistungen eingeräumt werden sollen, sodass zum Zustandekommen einer Wohnungsgebrauchsrechtsvereinbarung die Einigung der Streitteile über dessen Dauer und Absicherung sowie über die von den Beklagten zu erbringenden Gegenleistungen gehörte.

Sollte die schriftliche Vereinbarung wirksam zustande gekommen sein, lägen jedenfalls die Voraussetzungen für eine Irrtumsanfechtung vor. Die Klägerin habe eine klare Vorstellung vom Urkundeninhalt gehabt und sei überzeugt gewesen, dass neben der Verpflichtung des Erstbeklagten, bis zu ihrem Tod die Außenanlagen unentgeltlich zu pflegen und im Haus kleine Reparaturen unentgeltlich vorzunehmen, beide Beklagten auch verpflichtet würden sie zu pflegen, somit ihr beim Anziehen und Körperpflege zu helfen und für sie zu kochen. Damit sei sie bei Abschluss der Vereinbarung vom 11. 3. 2013 einem Erklärungsirrtum unterlegen, der die von den Beklagten zu erbringenden Gegenleistungen betroffen habe. Dieser Irrtum hätte den Beklagten auffallen müssen, sei ihnen doch die Vorstellung der Klägerin bekannt gewesen, dass die Beklagten sich um sie kümmern und auf sie schauen sollen. Die Klägerin habe auf die Frage des Zweitnebenintervenienten, ob die Parteien den Vertrag mit dem Erstnebenintervenienten besprochen haben, geantwortet, dass die Beklagten auf sie schauen würden. Auf den Einwand des Notars, dass diesbezüglich im Vertrag nichts enthalten sei, hätten die Beklagten gesagt, dass sie dies ohnehin tun würden, obwohl sie gewusst hätten, dass in der schriftlichen Vereinbarung vom 11. 3. 2013 dahingehend nichts vereinbart worden sei, und sie sich nicht verbindlich dazu verpflichten wollten, sich um die Klägerin zu sorgen und zu unterstützen. Die Beklagten hätten die Klägerin zwar nicht in Irrtum geführt, zumal nicht feststehe, ob in Anwesenheit des Erstnebenintervenienten über Betreuungsleistungen gesprochen worden sei, und der Klägerin die Vertragsurkunde von beiden Nebenintervenienten vorgelesen worden sei. Sie hätten allerdings aufgrund der Äußerung der Klägerin gegenüber dem Notar zumindest erkennen müssen, dass die Klägerin davon ausgegangen sei, die Beklagten würden in der Vereinbarung vom 11. 3. 2013 zu einer persönlichen Unterstützungsleistung ihr gegenüber, wie sie zwischen ihnen besprochen worden war, verpflichtet werden, auch wenn ihnen – aufgrund der Negativfeststellung betreffend die Besprechung konkreter Leistungen und Erwartungen – der wahre Wille der Klägerin bzw der exakte Umfang der von ihr erwarteten Pflegeleistungen nicht habe bekannt sein müssen. Da die Klägerin die Vereinbarung nicht unterzeichnet hätte, wäre sie sich des Umstands bewusst gewesen, dass darin eine Pflegeverpflichtung der Beklagten nicht enthalten ist und die Beklagten sich auch nie zu einer Pflege verbindlich verpflichten wollten, liege ein beachtlicher und wesentlicher Irrtum vor, der zu der mit dem Eventualbegehren gewünschten Vertragsaufhebung berechtige, wenn sie geschäftsfähig gewesen sei.

Auf die Frage der Geschäftsfähigkeit der Klägerin habe sich das fortzusetzende Verfahren zu beschränken. Da es sich bei der Entscheidung über die Anfechtung wegen Irrtums um ein Rechtsgestaltungsurteil handle, könne das Berufungsgericht dem Klagebegehren auch in den Punkten 2. bis 4. noch nicht stattgeben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung des Höchstgerichts zum Verzicht des blinden Menschen auf die Einhaltung der Formvorschrift des § 1 Abs 1 lit e NotariatsaktsG fehle.

Gegen diesen Beschluss richten sich die Rekurse der Klägerin und der Beklagten. Die Parteien haben das Rechtsmittel der jeweiligen Gegenpartei beantwortet. Der Erstnebenintervernient hat eine Beantwortung des Rekurses der Klägerin erstattet.

Rechtliche Beurteilung

1. Zum Rekurs der Beklagten:

Der Rekurs ist unzulässig, weil er eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht darlegt.

1.1. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Ausführung des Berufungsgerichts, vor dem ersten schriftlichen Vertragsentwurf sei den Beklagten die Vorstellung der Klägerin, dass sie sich um diese kümmern und auf sie schauen sollen, bekannt gewesen, durch den festgestellten Sachverhalt gedeckt (zweiter Satz auf S 9 des Urteils des Erstgerichts). Das Erstgericht hat auch festgestellt, dass sich die Beklagten nicht dazu verpflichten wollten, sich um die Klägerin zu sorgen und diese zu unterstützen (S 12 vierter Absatz des Urteils des Erstgerichts).

1.2. Die Rechtsmittelwerber räumen ein, unter Voraussetzung dieser – zu Unrecht gerügten – Feststellungen sei der (angefochtene) Beschluss „allenfalls vertretbar“.

1.3. Die Zulässigkeit des Rekurses begründen die Rekurswerber damit, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, „ob ein Blinder, dem der Inhalt einer Urkunde vorgelesen worden ist und der diese danach unterschreibt, aber andere Vorstellungen vom Inhalt der Urkunde hat“ (zu ergänzen offenbar: wegen Irrtums anfechten kann).

1.4. Die Frage ist in der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beantwortet. Dass ein Vertragspartner blind ist, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

1.4.1. Wer eine Urkunde unterfertigt, macht den durch seine Unterschrift gedeckten Text zum Inhalt seiner Erklärung, auch wenn er ihm unbekannt ist oder er ihn nicht verstanden hat. Das schließt aber eine Anfechtung wegen Irrtums keineswegs aus. Der Irrende kann die Erklärung vielmehr noch unter den gleichen Voraussetzungen anfechten wie eine ausdrücklich abgegebene oder eine schriftliche Erklärung nach Durchlesen der Urkunde (RIS Justiz RS0014753).

1.4.2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen glaubte die Klägerin, dass in der vorgelesenen und unterschriebenen Urkunde auch die von ihr gewollte und zuvor ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, auf sie zu schauen, der die Beklagten auch zustimmten, steht. Sie hat demnach den Text nicht verstanden.

1.5. Von einem unbeachtlichen Motivirrtum kann entgegen der nicht weiter begründeten Meinung der Rekurswerber keine Rede sein. Ein Motivirrtum ist gegeben, wenn der Erklärende über außerhalb des Geschäftsinhalts im Vorfeld des psychologischen Willensentschlusses liegende Umstände irrt (RIS Justiz RS0014910 [T3]). Die Klägerin irrte aber über den Inhalt des mit den Beklagten geschlossenen Rechtsgeschäfts (RIS Justiz RS0014910; RS0014901).

1.6. Der Rekurs der Beklagten ist daher zurückzuweisen.

2. Zum Rekurs der Klägerin:

Der Rekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.

2.1. Die Rekurswerberin führt aus, der Verzicht eines Blinden auf die Notariatsaktsform, setze voraus, dass sich der Blinde als blind deklariere und die Vertragsparteien in Kenntnis der Blindheit einen Verzicht auf die Anwendung der Notariatsaktsform verzichten.

Hierzu wurde erwogen:

2.2. Nach § 1 Abs 1 lit e NotariatsaktsG ist die Gültigkeit aller von Blinden in eigener Person errichteten Urkunden über Rechtsgeschäfte unter Lebenden durch die Aufnahme eines Notariatsakts bedingt. Die Formpflicht nach dieser Bestimmung besteht nicht 1. für Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens und für bankübliche Verträge über die Eröffnung von Girokonten und 2. für andere Rechtsgeschäfte, ausgenommen Bürgschaftserklärungen, „wenn der blinde Mensch dem Vertragspartner ausdrücklich erklärt, auf die Einhaltung“ dieser Formvorschrift „zu verzichten“ (§ 1 Abs 3 Z 1 und 2 NotariatsaktsG idF BGBl I 2007/111).

2.3. Die Formpflicht bezweckt die Sicherung des Blinden, insbesondere vor Übervorteilung ( Wagner/Knechtl , Notariatsordnung 6 § 1 NotAktsG Rz 16).

2.4. Zur Ausnahme von der Formpflicht nach § 1 Abs 3 Z 2 NotariatsaktsG führen die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 303 BlgNR 23. GP 41) aus:

„Für den blinden Menschen muss damit – ähnlich wie etwa nach §§ 901 und 1353 ABGB oder nach § 31 Abs 1 KSchG – deutlich klar sein, dass er mit seiner Erklärung auf die Einhaltung der Notariatsaktspflicht verzichtet.“

2.5. Zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es nach dem Zweck des Formgebots, das nur den Blinden schützt, weil sich sein Vertragspartner auf die Ungültigkeit nicht berufen kann (§ 1 Abs 4 NotariatsaktsG), und dem Gesetzeswortlaut einer Annahme der Verzichtserklärung durch den Vertragspartner nicht bedarf.

2.6. Es ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts zu billigen, dass „ausdrücklich“ im Sinn von „hinreichend deutlich“ zu verstehen ist (vgl RIS Justiz RS0017408 [T9] zu § 901 ABGB).

2.7. Der Verzicht des blinden Menschen auf die Einhaltung der Form erfordert, dass er sich der Formpflicht des Rechtsgeschäfts infolge der Einschränkung seiner Sehfähigkeit bewusst ist. Zur Beurteilung dieser Frage reichen die Feststellungen des Erstgerichts nicht aus. Aus der Feststellung, der Erstnebenintervenient habe darauf hingewiesen, die Errichtung eines Notariatsakts sei notwendig, wenn sie nicht lesen könne, erhellt nicht zweifelsfrei, dass aufgrund dieser Äußerung der Klägerin klar wurde, der abzuschließende Vertrag bedürfe aufgrund ihres eingeschränkten Sehvermögens eines Notariatsakts.

Wenn im fortgesetzten Verfahren das Klagebegehren auf Feststellung der Unwirksamkeit aufrecht bleiben sollte und die Geschäftsfähigkeit der Klägerin bejaht wird, wäre das Verfahren in dieser Hinsicht zu ergänzen.

2.8. Soweit das Leistungsbegehren betroffen ist, rügt die Klägerin zu Recht, dass das Berufungsgericht auch in diesem Punkt mit Aufhebung vorgegangen ist, obwohl es zutreffend die Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums bejahte.

2.9. Das Berufungsgericht konnte dem Begehren auf Aufhebung des Vertrags wegen Irrtums nicht stattgeben, weil dieses Rechtsgestaltungsbegehren (RIS Justiz RS0014815 [T10]) nur in eventu zu dem noch nicht spruchreifen Hauptbegehren auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des Vertrags (wegen Formnichtigkeit/Geschäftsunfähigkeit der Klägerin) erhoben wurde. Über ein Eventualbegehren darf erst entschieden werden, wenn das Hauptbegehren abgewiesen wird (RIS Justiz RS0110359, RS0074353, RS0037675).

2.10. Das Anfechtungsrecht kann der Irrende auch in der Form geltend machen, dass er unter Behauptung der Ungültigkeit des Geschäfts auf Rückstellung der von ihm bewirkten Leistung klagt oder gegen die Leistungsklage des anderen Teils die Einrede der Ungültigkeit erhebt (RIS Justiz RS0016253).

2.11. Hinsichtlich der Leistungsbegehren hätte das Berufungsgericht daher aufgrund erfolgreicher Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums die Stattgebung durch das Erstgericht bestätigen müssen.

3. Da der Oberste Gerichtshof gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO im Umfang der Aufhebung durch das Berufungsgericht selbst in der Sache erkennen kann (vgl RIS Justiz RS0043853), war dem Rekurs wie aus dem Spruch ersichtlich stattzugeben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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