2023-0.836.312 – Datenschutzbehörde Entscheidung
Text
GZ: 2023-0.836.312 vom 12. Juni 2024 (Verfahrenszahl: DSB-D124.2047/23)
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BESCHEID
SPRUCH
Die Datenschutzbehörde entscheidet über die Datenschutzbeschwerde von Dr. Vanessa A*** (Beschwerdeführerin) vom 7. September 2023 wegen einer behaupteten Verletzung im Recht auf Geheimhaltung 1) gegen das Landesgericht N***stadt durch das Organhandeln von Mag. Leonore M*** in der Strafsache AZ *3 HV 4*2/21f (Erstbeschwerdegegner) und 2) gegen Mag. Leonore M*** (bezeichnete Beschwerdegegnerin, Zweitbeschwerdegegnerin) wie folgt:
1. Die Beschwerde wird, soweit sie sich auf den Erstbeschwerdegegner bezieht, zurückgewiesen .
2. Die Beschwerde wird, soweit sie sich auf die Zweitbeschwerdegegnerin bezieht, abgewiesen .
Rechtsgrundlagen : §§ 1 Abs. 1, 18 Abs. 1, 24 Abs. 1 und Abs. 5, 32 und 36 des Datenschutzgesetzes (DSG), BGBl. I Nr. 165/1999 idgF; Art. 87 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF.
BEGRÜNDUNG
A. Vorbringen der Parteien und Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführerin brachte in ihrer Beschwerde vom 7. September 2023 zusammengefasst vor, dass sie sich durch die Einsichtnahme der Zweitbeschwerdegegnerin – diese wird in der Beschwerde als „Beschwerdegegnerin“ bezeichnet, die Bezeichnung „Zweitbeschwerdegegnerin“ erfolgte durch die Datenschutzbehörde, worauf in Folge noch näher eingegangen wird – in das zentrale Register „Verfahrensautomation Justiz“ (VJ) in ihrem Recht auf Geheimhaltung verletzt erachte. Die Beschwerdeführerin sei am 7. Oktober 2022 vormittags bei einer Strafverhandlung des Landesgerichtes D*** gewesen. Die Sekretärin der Beschwerdeführerin habe im Verlaufe des Vormittags des 7. Oktober 2022 die zuständige Richterin, Mag. M***, in einem Verfahren vor dem Landesgericht N***stadt, informiert, dass die Beschwerdeführerin aus gesundheitlichen Gründen nicht an der anstehenden Verhandlung am selben Tag teilnehmen könne. Die Sekretärin der Beschwerdeführerin habe eine Verlegung der Verhandlung erreicht, obwohl die Beschwerdeführerin darum gar nicht gebeten habe, zumal in dem Strafverfahren vor dem Landesgericht N***stadt ohnehin kein Verteidigerzwang bestanden hätte.
Eine Woche nach dieser Verlegung habe die Zweitbeschwerdegegnerin durch Einsichtnahme in das zentrale Register der Verfahrensautomation Justiz (VJ) den Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin am 7. Oktober 2022 „ausgeforscht“ (Anm: gemeint ist mit „Aufenthaltsort“ offenkundig die vorgängige Verhandlung am Landesgericht D***) und in weiterer Folge unterstellt, einen Krankenstand vorgetäuscht zu haben. Die Beschwerdeführerin unterstreiche, dass die Zweitbeschwerdegegnerin zum Akt des Landesgerichts D*** keinen Bezug hätte.
Das Register der Verfahrensautomation Justiz (VJ) unterliege mit seinen sensiblen personenbezogenen Daten den strengen Richtlinien des Datenschutzgesetzes. Es entspreche der ständigen oberstgerichtlichen Judikatur, dass eine Einsichtnahme in das VJ-Register ohne begründetes dienstliches Interesse - auch durch eine Richterin - eine Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz darstelle. Ein Richter, der ohne dienstliche Erfordernisse Informationen aus einem Verfahren in der VJ abruft, begehe außerdem sogar das Verbrechen des Amtsmissbrauchs nach § 302 StGB.
2. Die Zweitbeschwerdegegnerin brachte in ihrer Stellungnahme - datiert mit 11. Oktober 2023 und an die Präsidentin des Landesgerichtes N***stadt gerichtet - zusammengefasst vor, dass in ihrer Abteilung zu AZ *3 HV 4*2/21f ein Strafverfahren anhängig gewesen sei. Die Verteidigerin in diesem Strafverfahren sei die nunmehrige Beschwerdeführerin gewesen. Mit der Kanzlei der Beschwerdeführerin sei am 16. August 2022 für den 7. Oktober 2022 von 12:15 bis 12:45 die fortgesetzte Hauptverhandlung zur bezugnehmenden AZ vereinbart worden. Die Kanzlei der Beschwerdeführerin habe der Zweitbeschwerdegegnerin am 7. Oktober 2022 telefonisch um 10:49 Uhr mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin kurzfristig einen Kreislaufzusammenbruch bzw. eine Kreislaufschwäche erlitten habe und somit nicht zur Verhandlung erscheinen könne. Es könne auch niemand anderer geschickt werden, da die Konzipientin Prüfungsurlaub habe. Im Zuge des Telefonats sei um eine Verlegung ersucht worden, worauf als neuer Termin für die fortgesetzte Hauptverhandlung der 27. Oktober von 10:00 bis 10:30 Uhr vereinbart worden sei, zumal entgegen der Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin eine notwendige Verteidigung gemäß § 61 Abs. 1 Z 5 StPO vorgelegen habe.
Kurz darauf sei der Zweitbeschwerdegegnerin von dritter Seite zur Kenntnis gebracht worden, dass die Entschuldigung der Beschwerdeführerin nicht stimme, da die Beschwerdeführerin am gleichen Tag eine Verhandlung am Landesgericht D*** gehabt hätte. Zur Überprüfung der tatsächlichen Notwendigkeit der Verlegung habe die Zweitbeschwerdegegnerin Einsicht ins VJ-Register genommen und habe festgestellt, dass am gleichen Tag tatsächlich zwischen 09:00 Uhr und 11:00 Uhr eine Hauptverhandlung am Landesgericht D*** zu AZ *7 HV *54/22b ausgeschrieben worden sei, bei der die Beschwerdeführerin ebenfalls Verteidigerin gewesen sei. Die Zweitbeschwerdegegnerin habe sodann telefonische Rücksprache mit der zuständigen Richterin des Landesgerichtes D*** gehalten, woraufhin sich herausstellte, dass die Hauptverhandlung vor dem Landesgericht D*** überzogen worden sei und bis ca. 11:30 angedauert habe, wobei sich keine Erkrankung der Beschwerdeführerin gezeigt habe. Aus diesem Grund sei in Folge auch eine Sachverhaltsdarstellung an die Rechtsanwaltskammer H*** durch die Zweitbeschwerdegegnerin erfolgt. Die Abfrage im VJ sei zum Zwecke der Überprüfung der Notwendigkeit der Verlegung der Hauptverhandlung, somit im dienstlichen Interesse und im Rahmen der justiziellen Tätigkeit der Zweitbeschwerdegegnerin, erfolgt. Das Schreiben der Zweitbeschwerdegegnerin wurde der Datenschutzbehörde von der Präsidentin des Landesgerichtes N***stadt mit Begleitschreiben am 12. Oktober 2023 zugemittelt, in welchem erwähnt war, dass die Beschwerdeführerin auch Anzeige im Rahmen der Dienstaufsicht gegen die Zweitbeschwerdegegnerin erstattet hätte, wobei diese Anzeige durch das Oberlandesgericht Wien wegen des ausreichend dokumentierten dienstlichen Interesses der Abfrage verworfen worden sei. Ebenso sei die - seitens der Beschwerdeführerin eingebrachte - Anzeige gegen die Zweitbeschwerdegegnerin wegen des Verdachtes des Amtsmissbrauchs eingestellt worden.
3. Im Rahmen des Parteiengehörs brachte die Beschwerdeführerin am 21. November 2023 zusammengefasst vor, dass der neue Termin für die Hauptverhandlung bereits am 7. Oktober 2022 erfolgt sei und somit die weitaus spätere Einsichtnahme in den Akt am 13. Oktober 2022 keinesfalls mehr im dienstlichen Interesse passiert sein könne. Es sei der Zweitbeschwerdegegnerin auch freigestanden, bei Zweifel zur Vorlage einer ärztlichen Bestätigung aufzufordern. Dies sei aber nicht erfolgt. Die Zweitbeschwerdegegnerin habe ohne dienstlichen Interesse in sensible Daten des VJ Registers Einsicht genommen und habe die Beschwerdeführerin bzw. ihren Mandanten durch dieses Vorgehen im Recht auf Datenschutz verletzt. Der Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs waren ein Aktenvermerk der Sekretärin der Beschwerdeführerin über das Telefonat mit der Zweitbeschwerdegegnerin sowie die Ladung der Beschwerdeführerin zur Hauptverhandlung am 27. Oktober 2022, datiert mit 7. Oktober desselben Jahres, beigefügt.
B. Beschwerdegegenstand
Ausgehend vom Beschwerdevorbringen ergibt sich als Beschwerdegegenstand die Frage, ob die Beschwerdeführerin bzw. deren Mandant dadurch im Recht auf Geheimhaltung verletzt hat, indem die Zweitbeschwerdegegnerin am 13. Oktober 2022 Einsicht in die VJ genommen hat, um die Umstände zur tatsächlichen Notwendigkeit der Verlegung der Hauptverhandlung am Landesgericht N***stadt für den 7. Oktober 2022 zu AZ *3 HV 4*2/21f zu überprüfen.
Zunächst ist allerdings zu prüfen, ob die Datenschutzbehörde zur Behandlung der Beschwerde überhaupt zuständig ist.
C. Sachverhaltsfeststellungen
1. Die Zweitbeschwerdegegnerin war jedenfalls im Oktober 2022 Richterin für Strafsachen der Abteilung *3 des Landesgerichts N***stadt.
Beweiswürdigung : Die getroffene Feststellung zu Punkt 1. ergibt sich aus der Stellungnahme der Zweitbeschwerdegegnerin, die vom Präsidium des Landesgerichtes N***stadt am 12. Oktober 2023 an die Datenschutzbehörde übermittelt wurde und unbestritten blieb.
2. Die Beschwerdeführerin ist bei der Rechtsanwaltskammer H*** unter Nummer R*3*8*4 eingetragene Rechtsanwältin, wobei der Kanzleisitz in **** H***, G***straße *7/3, situiert ist. Die Beschwerdeführerin war Strafverteidigerin eines unbenannt gebliebenen Angeklagten zu AZ *3 HV 4*2/21f am Landesgericht N***stadt wegen versuchter schwerer Körperverletzung.
Beweiswürdigung : Die getroffenen Feststellungen zu Punkt 2. ergeben sich aus einer Einsichtnahme in das Anwaltsverzeichnis der Rechtsanwaltskammer H*** unter https://www.rakh***.at/ sowie aus dem unbestritten gebliebenen Parteivorbringen.
3. Am 16. August 2022 wurde mit der Kanzlei der Beschwerdeführerin ein Termin für die (fortgesetzte) Hauptverhandlung zu AZ *3 HV 4*2/21f für den 7. Oktober 2022 um 12:15 Uhr am Landesgericht N***stadt vereinbart.
Beweiswürdigung : Die getroffene Feststellung zu Punkt 3. ergibt sich aus der unbestritten gebliebenen Stellungnahme der Zweitbeschwerdegegnerin vom 11. Oktober 2023.
4. Gleichzeitig vertrat die Beschwerdeführerin als Strafverteidigerin am 7. Oktober 2022 einen anderen Beschuldigten zur AZ *7 HV *54/22b vor dem Landesgericht D***. Die Hauptverhandlung zu AZ *7 HV *54/22b war von 9:00 bis 11:00 Uhr am LG D*** anberaumt.
Beweiswürdigung : Die getroffene Feststellung zu Punkt 4. ergibt sich aus dem unbestritten gebliebenen und im Akt aufliegenden Parteienvorbringen.
5. Die Beschwerdeführerin verständigte die Zweitbeschwerdegegnerin am 7. Oktober 2022 kurzfristig - und zwar um 10:49 Uhr telefonisch - durch ihre Sekretärin, dass die Beschwerdeführerin an der Hauptverhandlung am Landesgericht N***stadt zu AZ *3 HV 4*2/21f krankheitsbedingt nicht teilnehmen kann. Zu diesem Zeitpunkt war die Beschwerdeführerin noch in der anberaumten Verhandlung zu AZ *7 HV *54/22b vor dem Landesgericht D***, die zudem in Folge länger andauerte als ursprünglich anberaumt, nämlich bis ca. 11:30 Uhr. Zwischen der Kanzlei der Beschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdegegnerin wurde daraufhin ein neuer Verhandlungstermin für 27. Oktober 2022 um 10:00 Uhr vereinbart. Die Ladung zu der verlegten Tagsatzung für 27. Oktober 2022 erfolgte mit demselben Tag.
Beweiswürdigung : Die getroffene Feststellung zu Punkt 5. ergibt sich aus dem unbestritten gebliebenen und im Akt aufliegenden Parteienvorbringen, die Feststellung zur Ladung für den 27. Oktober 2022 erfolgte durch den – im Rahmen des Parteiengehörs vorgelegten – Ladungsbeschluss zu AZ *3 HV 4*2/21f.
6. Der Zweitbeschwerdegegnerin wurde kurze Zeit danach von dritter Seite zur Kenntnis gebracht, dass die „Entschuldigung“ der Beschwerdeführerin nicht stimme, da die Beschwerdeführerin am selben Tag an einer Verhandlung am Landesgericht D*** teilgenommen hatte. In Folge überprüfte die Zweitbeschwerdegegnerin in der VJ diese Behauptung und setzte sich mit der zuständigen Richterin zu AZ *7 HV *54/22b am 13. Oktober 2022 ins Einvernehmen, die bestätigte, dass die Verhandlung am Landesgericht D*** überzogen wurde und bis ca. 11:30 Uhr dauerte. Die Zweitbeschwerdegegnerin sandte daraufhin eine Sachverhaltsdarstellung an die Rechtsanwaltskammer H***.
Beweiswürdigung : Die getroffene Feststellung zu Punkt 6. ergeben sich aus dem unbestrittenen Vorbringen der Zweitbeschwerdegegner vom 11. Oktober 2023.
7. Die reine Reisezeit zwischen dem Landesgericht D*** und dem Landesgericht N***stadt gemäß Routenplaner beträgt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ca. 1 Stunde 15 Minuten und mit dem Auto ca. 1 Stunde 12 Minuten.
Beweiswürdigung: Die getroffenen Feststellungen zu Punkt 7. beruhen auf einer Google Maps Routenplanungsabfrage durch die Datenschutzbehörde.
D. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
D.1. Zur Umdeutung bzw. Ergänzung der Beschwerdegegner
Die Beschwerdeführerin bezeichnet in der verfahrenseinleitenden Beschwerde die Zweitbeschwerdegegnerin als einzige Beschwerdegegnerin.
Aus dem Vorbringen in der Beschwerde geht klar hervor, dass die Beschwerdeführerin den behauptetermaßen unrechtmäßigen Zugriff auf ihre personenbezogenen Daten in der VJ rügt und sie sich dagegen zur Wehr setzen möchte.
Da – wie noch darzulegen sein wird – das Verhalten der Zweitbeschwerdegegnerin zur Gänze dem LG N***stadt zuzurechnen ist und für eine Qualifikation der Zweitbeschwerdegegnerin als eigenständige Verantwortliche kein Raum bleibt, erfolgte eine amtswegige Umdeutung bzw. Ergänzung der Beschwerdegegner.
Eine amtswegige Umdeutung erachtet die Datenschutzbehörde schon deshalb als zulässig, weil nach der Rechtsprechung des VwGH dem AVG und auch § 24 DSG jeglicher Formalismus fremd ist (vgl. dazu VwGH 22.11.2022, Ra 2019/04/0003) und Parteienerklärungen – darunter auch die Bezeichnung des Beschwerdegegners – einer Einzelfallauslegung zugänglich sind (siehe VwGH 28.04.2021, Ra 2019/04/0138).
Insofern war diesfalls eine interpretative Ermittlung des Erstbeschwerdegegners (Landesgericht N***stadt) auch in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.Juni 2023 zu W245 2260979-1 möglich und tunlich.
Die Aufteilung der Beschwerdegegnerin in den Erstbeschwerdegegner sowie die Zweitbeschwerdegegnerin bietet der Beschwerdeführerin auch den bestmöglichen Rechtsschutz, da in diesem Fall sowohl das Verhalten der Zweitbeschwerdegegnerin als auch jenes des Erstbeschwerdegegners durch die Datenschutzbehörde geprüft wurde.
Wie sich aus Punkt C.5. - C.7. des Sachverhaltes ergibt, war der Beschwerdeführerin – jedenfalls aufgrund der zeitlich überzogenen Hauptverhandlung zu AZ *7 HV *54/22b am 7. Oktober 2022 bis ca. 11:30 Uhr am Landesgericht D*** – ein pünktliches Erscheinen zur Hauptverhandlung AZ *3 HV 4*2/21f am Landesgericht N***stadt am selben Tag um 12:15 Uhr nicht möglich.
Aufgrund der krankheitsbedingt begründeten Entschuldigung durch die Kanzlei der Beschwerdeführerin etwas mehr als eine Stunde vor Beginn des Hauptverhandlungstermins am Landesgericht N***stadt um 10:49, war die kurzfristige Abberaumung und Neuanberaumung der Hauptverhandlung in der Sache AZ *3 HV 4*2/21f für den 27. Oktober 2022 notwendig geworden.
Die Beschwerdeführerin releviert nun, dass die Zweitbeschwerdegegnerin – nach einem Hinweis von dritter Seite, dass die Angaben zur Erkrankung nicht gestimmt hätten – weitere Nachforschungen in der VJ bzw. bei der zuständigen Richterin zu AZ *7 HV *54/22b angestellt hätte, die letztlich in einer Sachverhaltsdarstellung an die RAK H*** mündeten.
In der verfahrensgegenständlichen Angelegenheit ist zunächst die Zuständigkeit der Datenschutzbehörde zu überprüfen.
D.2. Zur anwendbaren Rechtslage
Die gegenständliche Datenverarbeitung – Einsichtnahme in die VJ – erfolgte im Rahmen eines beim Erstbeschwerdegegner anhängigen Strafverfahrens.
Die Datenverarbeitung erfolgt somit für Zwecke der Strafverfolgung durch eine zuständige Behörde (hier: der Erstbeschwerdegegner und Zweitbeschwerdegegnerin), weshalb das 3. Hauptstück des DSG (§§ 36 ff) einschlägig ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 DSG ist die Datenschutzbehörde nicht zuständig für die Aufsicht über die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen.
D.3. Zur Zuständigkeit der Datenschutzbehörde
Eingangs ist festzuhalten, dass es sich bei Abfrage in der VJ jedenfalls um eine Verarbeitungstätigkeit handelt, da auch das Erheben von Daten definitionsgemäß eine Verarbeitung im Sinne des § 36 Abs. 2 Z 2 DSG darstellt. Unbestritten sind die – in der Verfahrensautomation Justiz enthaltenen – Daten im Rahmen des Verfahrens zu AZ *7 HV *54/22b auch personenbezogene Daten der Beschwerdeführerin und ihres Mandanten.
Gemäß § 31 Abs. 1 DSG sind die Aufsichtsbehörden nicht für die Aufsicht über die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen zuständig , wobei ErwGr. 20 der DSGVO – der sich auf den wortidenten Art. 55 Abs. 3 DSGVO bezieht – hierzu ausführt, dass dies der Unabhängigkeit der Justiz bei der Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben einschließlich ihrer Beschlussfassung dienen soll.
Nach bisheriger ständiger Spruchpraxis der Datenschutzbehörde lag eine Tätigkeit eines Gerichts im Rahmen der justiziellen Tätigkeit dann vor, wenn sich ein Richter in Ausübung des richterlichen Amtes befindet oder ein Richter oder ein Staatsanwalt sonst in Besorgung der übertragenen Amtsgeschäfte weisungsfrei gestellt ist (vgl. dazu die Bescheide vom 16. Oktober 2018, GZ: DSB-D123.461/0004-DSB/2018 sowie vom 22. Jänner 2019, GZ: DSB-D123.848/0001-DSB/2019).
Diese bisherige Spruchpraxis der Datenschutzbehörde erfuhr durch die Entscheidung des EuGH zu C 45/20 vom 24. März 2022 eine nicht unerhebliche Ausdehnung.
Das vorlegende Gericht (Rechtbank Midden-Nederland - Bezirksgericht der zentralen Niederlande) im Verfahren C-245/20 wollte im Wesentlichen wissen, ob Art. 55 Abs. 3 der DSGVO dahin auszulegen ist, dass ein Gericht, das Journalisten Unterlagen aus einem Gerichtsverfahren bereitstellt, die personenbezogene Daten enthalten, eine „justizielle Tätigkeit“ im Sinne dieser Bestimmung ausübt.
Der EuGH hat mit Urteil vom 24. März 2022 zur Auslegung von Art. 55 Abs. 3 DSGVO in Rz 32 festgehalten, dass „ aus dem Wortlaut des 20. Erwägungsgrundes der Verordnung 2016/679 und insbesondere aus der Verwendung des Wortes „einschließlich“, (…) die Tragweite des mit Art. 55 Abs. 3 der Verordnung verfolgten Ziels, die Unabhängigkeit der Justiz bei der Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben zu wahren, nicht allein auf die Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit im Rahmen des Erlasses einer bestimmten gerichtlichen Entscheidung beschränkt werden kann.“
Vielmehr seien – so der EuGH – in Rz 28 des Urteils „ zur Bestimmung der Tragweite des Begriffs der (…) justiziellen Tätigkeit (…) im Sinne von Art. 55 Abs. 3 (…) nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen.“
Abschließend gelangt der EuGH in Rz 34 zum Schluss, dass „ die von Gerichten „im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit“ vorgenommenen Verarbeitungen im Kontext der Verordnung in weiterem Sinn alle Verarbeitungsvorgänge erfasst, die von den Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeiten vorgenommen werden, so dass Verarbeitungsvorgänge von der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde ausgeschlossen sind, deren Kontrolle durch diese Behörde mittelbar oder unmittelbar die Unabhängigkeit der Mitglieder oder der Entscheidungen der Gerichte beeinflussen könnte. “
D.4. In der Sache
In einer rezenten Entscheidung des VwGH vom 1.2.2024 zu Ra 2021/04/0088 erörtert der VwGH das Urteil des EuGH zu Zl. C-245/20 und beschreibt als wesentliches Abgrenzungskriterium für „Verarbeitungsvorgänge im Rahmen der justiziellen Tätigkeiten“ solche, deren Kontrolle durch die datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden mittelbar oder unmittelbar die Unabhängigkeit der Mitglieder oder der Entscheidungen der Gerichte beeinflussen könnten .
Umgelegt auf den gegenständlichen Fall, in welchem die Zweitbeschwerdegegnerin - als Richterin der Gerichtsabteilung *3 des Landesgerichtes N***stadt - mittels Erhebung der Daten der Beschwerdeführerin aus der VJ und dem Gespräch mit der Richterin des Landesgerichtes D*** den tatsächlichen Hintergrund für die Notwendigkeit der Abberaumung der Hauptverhandlung erhob und sodann standesrechtliche Maßnahmen mittels Sachverhaltsfeststellung an die RAK H*** beschloss, steht die vorgenommene Verarbeitung in einem direkten, kausalen Zusammenhang zum Strafverfahren AZ *3 HV 4*2/21f .
Die Entscheidung der Zweitbeschwerdegegnerin nähere Erhebungen zur Notwendigkeit der Neuanberaumung der Hauptverhandlung vorzunehmen, stellt sich als ein direkter Ausfluss der Ausübung des richterlichen Amtes dar . Eine etwaige Kontrolle der Datenschutzbehörde, ob ein bestimmter Verarbeitungsvorgang im Zuge richterlicher Erhebungen im Zusammenhang mit den Standesregeln einer Prozessvertretung rechtmäßig war oder nicht, hat zweifelsohne einen unmittelbaren Einfluss auf die Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidung. Denn wenn ein Richter sich für seine Erhebungen von personenbezogenen Daten im Rahmen der Verfahrensführung durch die Datenschutzbehörde „kontrollieren lassen“ bzw. „rechtfertigen muss“, ist vorher- und absehbar, dass die Entscheidung darüber nicht mehr mit der - in Art. 87 B-VG verfassungsmäßig garantierten - Unabhängigkeit des Richteramts vereinbar ist.
Die Datenschutzbehörde kommt daher zum Schluss, dass die verfahrensgegenständlichen Verarbeitungsvorgänge bzw. Ermittlungen einerseits dem Erstbeschwerdegegner, als Verantwortlichem iS des § 36 Abs. 2 Z 8 iVm Z 7 lit. a DSG zuzurechnen sind und andererseits im Rahmen der justiziellen Tätigkeit erfolgten und sohin in den Anwendungsbereich von § 31 Abs. 1 DSG fallen.
Unter einem ergeht der Hinweis, dass – selbst wenn man den Ausführungen der Datenschutzbehörde zur justiziellen Tätigkeit nicht folgen wollte – der Beschwerde wegen der stRsp zum sogenannten Übermaßverbot jedenfalls ebenfalls kein Erfolg beschert gewesen wäre (vgl. Entscheidung des BVwG zu Zl. W214 2183935-1 vom 11. Juli 2018, wonach „wenn es denkmöglich ist, dass die von einer in der Sache zuständigen Behörde ermittelten Daten nach Art und Inhalt für die Feststellung des relevanten Sachverhaltes geeignet sind, die Zulässigkeit der Ermittlung aus datenschutzrechtlicher Sicht gegeben ist. Die Inanspruchnahme einer tiefergehenden Beurteilung der Eignung der von der sachlich zuständigen Behörde gewählten Ermittlungsschritte würde einen Eingriff in die sachliche Zuständigkeit der ermittelnden Behörde bewirken , der gegen das aus dem Recht auf ein Verfahren vor dem Richter abzuleitenden Prinzip der präzisen Abgrenzung der Behördenzuständigkeit nach objektiven Kriterien (VfSlg 3156,8349), in exakter (VfSlg 9937,10.311) und eindeutiger Weise (VfSlG 11.288, 13.029, 13.816) verstößt.")
Die Beschwerde war jedenfalls mangels Zuständigkeit der Datenschutzbehörde iHa den Erstbeschwerdegegner gemäß Spruchpunkt 1 zurückzuweisen.
Eine eigenständige Verantwortlichkeit für die Abfragen der Zweitbeschwerdegegnerin (Mag. Leonore M***) lag hingegen nicht vor, da die Erhebungen in der Verfahrensautomation Justiz zum Zwecke der Erhebung der tatsächlichen Notwendigkeit der Abberaumung der Hauptverhandlung und anschließender Verständigung der Standesvertretung der Beschwerdeführerin im Rahmen und im Zuge des Strafverfahrens AZ *3 HV 4*2/21f – sohin als richterliches Organ in Ausübung justizieller Tätigkeit für das Landesgericht N***stadt - durchgeführt wurden, weswegen die Beschwerde gegen die ursprünglich bezeichnete Beschwerdegegnerin (Mag. Leonore M***) mangels Verantwortlicheneigenschaft abzuweisen war (Spruchpunkt 2).