JudikaturVwGH

Ra 2021/04/0088 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
01. Februar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz Sator und die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der Datenschutzbehörde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Jänner 2021, Zl. W245 2232133 1/9E, betreffend eine datenschutzrechtliche Angelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. Bezirksgericht Innsbruck und 2. M W in I; weitere Partei: Bundesministerin für Justiz;), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

1 1. Der Zweitmitbeteiligte erhob mit Schreiben vom 21. November 2019 eine Datenschutzbeschwerde mit dem Vorbringen, er habe am 20. November 2019 festgestellt, dass ein Gerichtsvollzieher seine Wohnung aufgesucht und an der Wohnungstüre seine amtliche Visitenkarte für jedermann sichtbar hinterlassen habe, weshalb jeder, der an der Wohnungstüre vorbeigekommen sei, Kenntnis vom Aufsuchen des Beschwerdeführers durch den Gerichtsvollzieher erlangen habe können. Er sei aufgrund dieses Vorfalls vom Bezirksgericht Innsbruck wegen dieser gegen Art. 5 DSGVO verstoßenden Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten in seinen Rechten verletzt worden.

2 2.1. Mit Bescheid der Revisionswerberin wurde die Beschwerde des Zweitmitbeteiligten abgewiesen. Die Revisionswerberin erachtete sich für den in der Beschwerde vorgebrachten Sachverhalt zwar für zuständig im Sinne des Art. 55 Abs. 3 DSGVO, weil Angelegenheiten im Rahmen der weisungsgebundenden Justizverwaltung nicht unter den Begriff der „justiziellen Tätigkeit“ fallen würden. Inhaltlich begründete diese die Abweisung im Wesentlichen jedoch damit, dass der einschreitende Gerichtsvollzieher die amtliche Visitenkarte in einer solchen Weise an der Türe angebracht habe, dass der Aufdruck nicht sichtbar gewesen sei. Zudem seien durch das den Beschwerdegegenstand bildende Verhalten das Hinterlassen der Visitenkarte lediglich die Daten des Vollzugsorgans übermittelt worden. Es sei somit zu keiner Offenlegung der Daten des Zweitmitbeteiligten gekommen.

3 2.2. Gegen diesen Bescheid richtete sich die Beschwerde des Bezirksgerichtes Innsbruck, mit welcher dieses die Unzuständigkeit der Revisionswerberin für den verfahrensgegenständlichen Antrag vor dem Hintergrund des Art. 55 Abs. 3 DSGVO ins Treffen führte. Bei der Tätigkeit der Gerichtsvollzieher handle es sich um eine Tätigkeit im Auftrag der Gerichte, gegen deren Verhalten Vollzugsbeschwerde erhoben werden könne. Grundsätzlich sehe die Exekutionsordnung aber eine weitgehende Selbständigkeit der Gerichtsvollzieher vor (Verweis auf § 25 Exekutionsordnung EO). Im Ergebnis liege somit eine justizielle Tätigkeit vor, die der Zuständigkeit der Revisionswerberin entzogen sei.

4 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde „in Erledigung der Beschwerde“ des Bezirksgerichtes Innsbruck der Bescheid der Revisionswerberin behoben. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

5 In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht ausgehend von dem unstrittigen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht aus, gemäß Art. 55 Abs. 3 DSGVO seien die in den Mitgliedstaaten einzurichtenden Aufsichtsbehörden nicht zuständig für die Aufsicht über die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen. Gemäß § 24 EO würden als Vollstreckungsorgane im zivilgerichtlichen Bereich Gerichtsvollzieher einschreiten. Diese würden gemäß § 16 Abs. 2 EO im Auftrag und unter Leitung des Gerichts handeln. Die Vollstreckungsorgane hätten sich gemäß § 25 EO bei der Ausübung ihrer Tätigkeit innerhalb des ihnen durch das Gesetz zugewiesenen Wirkungskreises und der erteilten Aufträge zu halten. Die Übergabe des Exekutionsakts an das Vollstreckungsorgan enthalte den Auftrag, Exekutionshandlungen so lange vorzunehmen, bis der Auftrag erfüllt sei oder feststehe, dass er nicht erfüllt werden könne. Wer sich durch einen Vorgang des Exekutionsvollzugs, insbesondere durch eine Amtshandlung des Vollstreckungsorgans für beschwert erachte, könne vom Exekutionsgericht Abhilfe verlangen.

6 Unter Berücksichtigung der von Art. 83 Abs. 2 B VG geforderten eindeutigen Festlegung von Behördenzuständigkeiten komme die Zuständigkeit zur Überprüfung von Datenanwendungen im Fall eines begründeten Verdachts auf Verletzung von Rechten nach dem Datenschutzgesetz grundsätzlich ausschließlich der Datenschutzbehörde zu. Jedoch sei die Tätigkeit von Exekutivorganen im Zuge einer gerichtlichen Vollstreckung nach der Exekutionsordnung eine Tätigkeit im Rahmen der „Gerichtspolizei im engeren Sinne“, die der Gerichtsbarkeit zuzuordnen sei. Die zu setzenden Akte seien als solche richterlicher Hilfsorgane bzw. als abgeleitete richterliche Akte zu qualifizieren. Die Hilfstätigkeiten hätten ihre Rechtsgrundlage im richterlichen Befehl und seien dessen Vollstreckung, ohne dass dabei den Vollzugsorganen eine Konkretisierung zukomme. Vor diesem Hintergrund ergebe sich, dass die verfahrensgegenständliche Verarbeitung nicht in den Zuständigkeitsbereich der Datenschutzbehörde falle. Art. 55 Abs. 3 DSGVO ordne an, dass die Aufsichtsbehörden für die Aufsicht über die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen nicht zuständig seien, wobei in diesem Zusammenhang im Erwägungsgrund 20 der DSGVO auf die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz allgemein und ausdrücklich auf Richter und Staatsanwälte Bezug genommen werde. Aus dem aus den einschlägigen Bestimmungen hervorgehenden Zweck, die Unabhängigkeit der justiziellen Tätigkeit zu wahren, könne zweifellos geschlossen werden, dass nach unionsrechtlicher Rechtslage die Gerichte im Rahmen ihrer unabhängigen justiziellen Tätigkeit von der Zuständigkeit der Datenschutzbehörde als Aufsichtsbehörde ausgenommen seien. Die justizielle Tätigkeit umfasse somit Maßnahmen, die in richterlicher Unabhängigkeit erbracht würden. Gemäß § 83 Abs. 2 GOG umfasse die justizielle Tätigkeit der Gerichte alle Tätigkeiten, die zur Erfüllung der Aufgaben in Angelegenheiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit erforderlich seien. Damit sei deutlich, dass der Anwendungsbereich nicht nur die gerichtliche Entscheidungstätigkeit als Kernbereich der unabhängigen Rechtsprechung erfasse, sondern auch die in Senaten ausgeübte Justizverwaltung, die ebenfalls als Gerichtsbarkeit im formellen Sinne zu betrachten sei. Dass Gerichtsvollzieher ebenfalls von dem Begriff umfasst seien, ergebe sich aus der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die von einem Gerichtsvollzieher gesetzten Akte als solche „richterliche Hilfsorgane“ oder als „abgeleitete richterliche Akte“ zu qualifizieren seien. Im Ergebnis seien die Tätigkeiten eines Gerichtsvollziehers dienende Handlungen, die der Durchführung eines Rechtsspruches dienen würden und damit nicht den Verwaltungstätigkeiten eines Gerichtes zuzurechnen. Die Tätigkeiten von Gerichtsvollziehern würden somit zu jenen Tätigkeiten zählen, die zur Erfüllung der Aufgaben in Angelegenheiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit erforderlich seien; sie seien damit vom Begriff der justiziellen Tätigkeit mitumfasst.

7 Dass das Handeln des Gerichtsvollziehers im vorliegenden Fall den richterlichen Befehl überschritten hätte, sei nicht hervorgekommen. Nach dem Gesagten sei die in Beschwerde gezogene Handlung dem Gericht zuzurechnen, weshalb die Zuständigkeit der Datenschutzbehörde für die vom Zweitmitbeteiligten eingebrachte Datenschutzbeschwerde nicht vorgelegen sei. Der Beschwerde des Bezirksgerichtes Innsbruck sei daher stattzugeben und der Bescheid der belangten Behörde zu beheben.

8 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der Datenschutzbehörde.

9 Im Vorverfahren wurden keine Revisionsbeantwortungen erstattet.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Amtsrevision führt zur Begründung der Zulässigkeit ins Treffen, die fallbezogene Entscheidung erfordere die Auslegung des Begriffs der „justiziellen Tätigkeit“ im Sinne des Art. 55 Abs. 3 DSGVO, wovon die strittige Zuständigkeitsfrage der Datenschutzbehörde für die Beschwerde im gegenständlichen Verfahren abhinge. Zu dieser Frage liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vor.

11 Die Revision ist zur Klarstellung dieser Rechtsfrage zulässig und erweist sich im Ergebnis als berechtigt.

4.1. Die Rechtsgrundlagen:

12 Der 20. Erwägungsgrund der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz Grundverordnung DSGVO) lautet:

„(20) Diese Verordnung gilt zwar unter anderem für die Tätigkeiten der Gerichte und anderer Justizbehörden, doch könnte im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten festgelegt werden, wie die Verarbeitungsvorgänge und Verarbeitungsverfahren bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch Gerichte und andere Justizbehörden im Einzelnen auszusehen haben. Damit die Unabhängigkeit der Justiz bei der Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben einschließlich ihrer Beschlussfassung unangetastet bleibt, sollten die Aufsichtsbehörden nicht für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit zuständig sein. Mit der Aufsicht über diese Datenverarbeitungsvorgänge sollten besondere Stellen im Justizsystem des Mitgliedstaats betraut werden können, die insbesondere die Einhaltung der Vorschriften dieser Verordnung sicherstellen, Richter und Staatsanwälte besser für ihre Pflichten aus dieser Verordnung sensibilisieren und Beschwerden in Bezug auf derartige Datenverarbeitungsvorgänge bearbeiten sollten.“

13 Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz Grundverordnung DSGVO) lauten auszugsweise:

Artikel 51

Aufsichtsbehörde

(1) Jeder Mitgliedstaat sieht vor, dass eine oder mehrere unabhängige Behörden für die Überwachung der Anwendung dieser Verordnung zuständig sind, damit die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen bei der Verarbeitung geschützt werden und der freie Verkehr personenbezogener Daten in der Union erleichtert wird (im Folgenden ‚Aufsichtsbehörde‘).

(...)

Artikel 55

Zuständigkeit

(1) Jede Aufsichtsbehörde ist für die Erfüllung der Aufgaben und die Ausübung der Befugnisse, die ihr mit dieser Verordnung übertragen wurden, im Hoheitsgebiet ihres eigenen Mitgliedstaats zuständig.

(2) Erfolgt die Verarbeitung durch Behörden oder private Stellen auf der Grundlage von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c oder e, so ist die Aufsichtsbehörde des betroffenen Mitgliedstaats zuständig. In diesem Fall findet Artikel 56 keine Anwendung.

(3) Die Aufsichtsbehörden sind nicht zuständig für die Aufsicht über die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen.“

14 Die §§ 16, 25 und 68 der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, idF BGBl. I Nr. 86/2021, bzw. § 24 leg. cit. idF BGBl. Nr. 519/1995 lauten auszugsweise:

Beginn des Exekutionsvollzugs

§ 16. (1) Der Vollzug einer bewilligten Exekution erfolgt, sofern in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, vom amtswegen.

(2) Der Vollzug der Exekution wird entweder unmittelbar durch die Zivilgerichte oder durch Vollstreckungsorgane oder durch einen Verwalter bewirkt; welche dabei im Auftrage und unter Leitung des Gerichtes handeln.

(3) Der Vollzug der Exekution ist als begonnen anzusehen, sobald der Auftrag zur Vornahme der ersten Exekutionshandlung erteilt worden ist; wenn aber der Vollzug der bewilligten Exekution nicht dem Gericht obliegt, das die Exekution bewilligt hat, sobald das Ersuchen um den Exekutionsvollzug beim Vollzugsgericht eingelangt ist.

(...)

Vollstreckungsorgane

§ 24. (1) Als Vollstreckungsorgane schreiten die Gerichtsvollzieher ein. In besonderen Fällen können auch andere dafür geeignete Gerichtsbedienstete herangezogen werden.

(2) Sind bei einem Gericht zumindest zwei Gerichtsvollzieher tätig, so sind die Geschäfte nach Gebieten aufzuteilen. Schlagworte

Tätigkeit der Vollstreckungsorgane

§ 25. (1) Die Vollstreckungsorgane haben sich bei Ausübung ihrer Tätigkeit innerhalb des ihnen durch das Gesetz zugewiesenen Wirkungskreises und der erteilten Aufträge zu halten. Die Vollstreckungsorgane haben die ihnen zugeteilten Aufträge ohne Verzug und unter Bedachtnahme auf eine Minimierung der Wegstrecken möglichst nach der Reihenfolge ihrer Zuteilung zu vollziehen.

(2) Die Übergabe des Exekutionsakts an das Vollstreckungsorgan enthält den Auftrag, Exekutionshandlungen so lange vorzunehmen, bis der Auftrag erfüllt ist oder feststeht, dass er nicht erfüllt werden kann. Hat das Vollstreckungsorgan Vollzugshandlungen erst nach Erlag einer Sicherheit zu setzen, so ist der Vollzugsauftrag erst nach Erlag der Sicherheit zu erteilen. Sonst ist der Vollzugsauftrag sofort zu erteilen, auch bei Bewilligung im vereinfachten Bewilligungsverfahren.

(3) Das Vollstreckungsorgan hat die erste Vollzugshandlung innerhalb von vier Wochen ab Erhalt des Vollzugsauftrags durchzuführen. Die Frist beträgt sechs Wochen, wenn das Vollzugsgebiet zum überwiegenden Teil in einem dünn und verstreut besiedelten ländlichen Gebiet liegt. Das Vollstreckungsorgan darf, soweit nichts anderes im Gesetz vorgesehen ist, den Verpflichteten von einer bevorstehenden Vollzugshandlung nicht benachrichtigen.

(...)

Vollzugsbeschwerde

§ 68. Wer sich durch einen Vorgang des Exekutionsvollzugs, insbesondere durch eine Amtshandlung des Vollstreckungsorgans oder des Verwalters oder durch die Verweigerung einer Exekutionshandlung, für beschwert erachtet, kann vom Exekutionsgericht Abhilfe verlangen. Die Vollzugsbeschwerde ist innerhalb von 14 Tagen nach Kenntnis vom Exekutionsvollzug oder von der Verweigerung der Exekutionshandlung einzubringen.“

15 4.2. Im seinem Urteil vom 24. März 2022, C 245/20, Autoriteit Persoonsgegevens , führte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Frage der Subsumtion eines bestimmten Sachverhalts unter den Begriff der „justiziellen Tätigkeit“ im Sinne des Art. 55 Abs. 3 DSGVO unter anderem Folgendes aus:

„28 Zur Bestimmung der Tragweite des Begriffs der von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen im Sinne von Art. 55 Abs. 3 der Verordnung 2016/679 ist darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung einer Unionsrechtsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 6. Oktober 2020, Jobcenter Krefeld, C 181/19, EU:C:2020:794, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29 Insoweit geht aus Art. 55 der Verordnung 2016/679 hervor, dass mit diesem Artikel die Zuständigkeit für die Aufsicht über die Verarbeitung personenbezogener Daten festgelegt und insbesondere die Zuständigkeit, die der nationalen Aufsichtsbehörde übertragen wird, begrenzt werden soll.

30 Art. 55 Abs. 3 der Verordnung 2016/679 bestimmt daher, dass die nationalen Aufsichtsbehörden für die von Gerichten ‚im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit‘ vorgenommenen Verarbeitungen nicht zuständig sind.

31 Nach dem 20. Erwägungsgrund der Verordnung 2016/679, in dessen Licht Art. 55 Abs. 3 der Verordnung auszulegen ist, sollten mit der Aufsicht über Verarbeitungsvorgänge, die von Gerichten ‚im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit‘ vorgenommen werden, besondere Stellen im Justizsystem des betreffenden Mitgliedstaats betraut werden können, und nicht dessen Aufsichtsbehörde, damit ‚die Unabhängigkeit der Justiz bei der Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben einschließlich ihrer Beschlussfassung unangetastet bleibt‘.

32 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 80 und 81 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des 20. Erwägungsgrundes der Verordnung 2016/679 und insbesondere aus der Verwendung des Wortes ‚einschließlich‘, dass die Tragweite des mit Art. 55 Abs. 3 der Verordnung verfolgten Ziels, die Unabhängigkeit der Justiz bei der Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben zu wahren, nicht allein auf die Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit im Rahmen des Erlasses einer bestimmten gerichtlichen Entscheidung beschränkt werden kann.

33 Die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz setzt nämlich im Allgemeinen voraus, dass die richterlichen Funktionen in völliger Autonomie ausgeübt werden, ohne dass die Gerichte mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet sind und ohne dass sie von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen erhalten, so dass sie auf diese Weise vor Eingriffen oder Druck von außen geschützt sind, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten. Die Wahrung der nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betreffenden Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die betreffenden Interessen auszuräumen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C 64/16, EU:C:2018:117, Rn. 44, vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C 216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 63, vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C 619/18, EU:C:2019:531, Rn. 72, sowie vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C 357/19, C 379/19, C 547/19, C 811/19, C 840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 225).

34 Folglich ist die Bezugnahme in Art. 55 Abs. 3 der Verordnung 2016/679 auf die von Gerichten ‚im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit‘ vorgenommenen Verarbeitungen im Kontext der Verordnung so zu verstehen, dass sie nicht auf die Verarbeitung personenbezogener Daten beschränkt ist, die von den Gerichten im Rahmen konkreter Rechtssachen durchgeführt wird, sondern in weiterem Sinn alle Verarbeitungsvorgänge erfasst, die von den Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeiten vorgenommen werden, so dass Verarbeitungsvorgänge von der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde ausgeschlossen sind, deren Kontrolle durch diese Behörde mittelbar oder unmittelbar die Unabhängigkeit der Mitglieder oder der Entscheidungen der Gerichte beeinflussen könnte.

35 Art und Ziel der Verarbeitung, die durch ein Gericht erfolgt, stehen insoweit zwar in erster Linie mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Verarbeitung in Verbindung, können jedoch Hinweise darauf darstellen, dass die Verarbeitung durch dieses Gericht zu seiner „justiziellen Tätigkeit“ gehört.

36 Dagegen stehen die Fragen, ob die Verarbeitung auf einer ausdrücklichen innerstaatlichen Rechtsgrundlage beruht oder ob die verarbeiteten personenbezogenen Daten rechtmäßig an Dritte weitergegeben werden können, ausschließlich mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung in Verbindung. Denn diese Fragen sind nicht maßgeblich, um zu bestimmen, ob die Aufsichtsbehörde gemäß Art. 55 der Verordnung 2016/679 für die Gewährleistung der Aufsicht über diese Verarbeitung zuständig ist.“

16 4.3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des EuGH erweist sich die ausführliche Begründung des Verwaltungsgerichts zu der Frage der Zugehörigkeit der Tätigkeit des Gerichtsvollziehers im Exekutionsverfahren als zutreffend. Die Revision hält dem auch nichts Stichhaltiges entgegen.

17 4.3.1. Zunächst kann auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs verwiesen werden, wonach die Tätigkeit von Exekutivorganen im Zuge einer gerichtlichen Vollstreckung nach der EO eine Tätigkeit im Rahmen der „Gerichtspolizei im engeren Sinn“ darstellt, die der Gerichtsbarkeit zuzuordnen ist; die zu setzenden Akte sind als solche „richterlicher Hilfsorgane“ oder als „abgeleitete richterliche Akte“ zu qualifizieren. Diese Hilfstätigkeiten haben ihre Rechtsgrundlage im richterlichen Befehl und sind seine Vollstreckung, ohne dass dabei den Sicherheitsorganen ein Konkretisierungsraum zukommt. Diese Zuordnung gilt so lange, als sich diese Handlungen im Ermächtigungsrahmen bewegen, der durch den richterlichen Befehl abgesteckt wird. Dies gilt deshalb, weil in diesen Fällen die Verwaltungsorgane den zu setzenden Akt ohne persönlichen Entscheidungsspielraum durchzuführen haben (vgl. VwGH 24.3.2014, 2012/01/0078, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

18 4.3.2. Der Verweis der Revision auf den Erwägungsgrund 20 der DSGVO und das Urteil des EuGH in der Rechtssache C 245/20 unterstreichen im Gegenteil die Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts. Insbesondere die Ausführungen des EuGH in Rn. 34 des oben auszugsweise wiedergegebenen Urteils sprechen klar für ein weites Verständnis des Ausnahmetatbestandes. So hat der EuGH fallbezogen auch die bloße Weitergabe von Informationen aus Gerichtsakten an Journalisten als justizielle Tätigkeit angesehen (vgl. EuGH C 245/20, Rn. 37 und 38).

19 Insofern die Revision auf die von ihr selbst vertretene Rechtsauffassung verweist, wonach eine Tätigkeit eines Gerichts im Rahmen der justiziellen Tätigkeit nur vorliege, wenn sich ein Richter in Ausübung des richterlichen Amtes befinde oder ein Richter oder ein Staatsanwalt in Besorgung der übertragenen Amtsgeschäfte weisungsfrei gestellt sei, und vorbringt, Erwägungsgrund 20 der DSGVO sei zu entnehmen, dass der Begriff der „justiziellen Tätigkeiten“ einschränkend zu interpretieren sei, steht diese Auffassung wie insbesondere aus der bereits erwähnten Rn. 34 des oben wiedergegebenen Urteils des EuGH hervorgeht nicht in Einklang mit der Ansicht des EuGH zur Auslegung des Begriffs der justiziellen Tätigkeit, der in weiter Auslegung dieses Begriffs alle Verarbeitungsvorgänge erfasst sieht, „die von den Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeiten vorgenommen werden, so dass Verarbeitungsvorgänge von der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde ausgeschlossen sind, deren Kontrolle durch diese Behörde mittelbar oder unmittelbar die Unabhängigkeit der Mitglieder oder der Entscheidungen der Gerichte beeinflussen könnte“. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen des EuGH ist das Argument, Art. 55 Abs. 3 DSGVO sei einschränkend zu interpretieren, von der Hand zu weisen.

20 In diesem Zusammenhang ist auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu verweisen, dass nach den Bestimmungen der Exekutionsordnung insbesondere § 16 EO der Vollzug der Exekution im Auftrag und unter der Leitung des Gerichts durchgeführt wird. Inwiefern damit die Rechtsansicht der Revisionswerberin vereinbar sei, dass der Vollzug der Exekution nicht im Rahmen der Ausübung der richterlichen Tätigkeit erfolge, ist nicht nachvollziehbar und stellt die Revision nicht dar.

21 4.3.3. Die von der Revision ins Treffen geführte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 27. November 2019, 6 Nc 30/19t, trifft keine Aussage zur Frage des Begriffs der justiziellen Tätigkeit selbst, sondern behandelt vielmehr den Rechtsschutz einer von der Datenverarbeitung im Rahmen von justizieller Tätigkeit betroffenen Person.

22 4.3.4. Die Revision verweist ferner darauf, dass es sich bei dem Exekutionsverfahren um ein vom vorgelagerten zivilgerichtlichen Verfahren getrenntes Vollstreckungsverfahren handle, für welches Art. 55 Abs. 3 DSGVO „ipso facto“ nicht zur Anwendung gelange. Es gehe im Exekutionsverfahren nicht um die Klärung eines Rechtsstreits zwischen zwei Personen durch eine unabhängige Stelle, sondern um die Vollstreckung eines Exekutionstitels durch Zwangsmittel.

23 Die Revision verkennt hier bereits den Umstand, dass auch im Exekutionsverfahren zwei Parteien nämlich der Betreiber einer Forderung und der Verpflichtete einander gegenüberstehen, deren widerstreitende Interessen im Exekutionsverfahren der richterlichen Kontrolle unterliegen. Dementsprechend ist auch das Exekutionsverfahren, in dessen Rahmen der Vollzug stattfindet, eine „Tätigkeit“, in deren Zusammenhang die richterliche Unabhängigkeit zu wahren ist. Ferner wird der Vollzug der Exekution gemäß § 16 Abs. 2 EO entweder unmittelbar durch die Zivilgerichte oder durch Vollstreckungsorgane oder durch einen Verwalter bewirkt, welche dabei im Auftrag und unter Leitung des Gerichtes handeln. Schon daraus ergibt sich, dass es sich bei den beauftragten Vollstreckungshandlungen jedenfalls um justizielle Tätigkeit handelt (vgl. auch § 22 GOG für das Vorgehen im Falle der Befangenheit von richterlichen Hilfsorganen).

24 4.3.5. Im Ergebnis ist daher die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers im Rahmen des Vollzugsauftrages sei als justizielle Tätigkeit im Sinne des Art. 55 Abs. 3 DSGVO anzusehen und daher vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommen, nicht zu beanstanden.

25 4.4. Beizupflichten ist der Revision allerdings hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des Spruchs des angefochtenen Erkenntnisses. Diesem ist zu entnehmen, dass das Bundesverwaltungsgericht den bekämpften Bescheid „behoben“ hat.

26 Die ersatzlose Behebung des verwaltungsbehördlichen Bescheids hat zur Folge, dass die Verwaltungsbehörde über den Gegenstand nicht mehr neuerlich entscheiden darf. Liegt dem verwaltungsbehördlichen Bescheid aber wie hier ein Parteiantrag zugrunde, kommt eine bloße Kassation nicht in Betracht; vielmehr muss der betreffende Parteiantrag einer Erledigung zugeführt werden. Vor diesem Hintergrund ist dem Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall eine bloß kassatorische Entscheidung verwehrt (vgl. VwGH 10.1.2023, Ra 2019/04/0123).

27 Die „bloße“ Behebung des bekämpften Bescheids ohne Sachentscheidung erweist sich aus diesem Grund im Ergebnis als unrichtig, weshalb das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 1. Februar 2024

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