W256 2293828-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19. April 2024, Zl. 1335902805-223804900, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 5. Dezember 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) im österreichischen Bundesgebiet. In der Folge wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab zu seinen Fluchtgründen an, er habe Syrien verlassen, weil die kurdische Miliz ihn zwangsrekrutieren habe wollen; er sei dagegen gewesen und deshalb eine Woche eingesperrt worden. Er habe 5.000 US-Dollar für seine Freilassung bezahlen müssen.
Am 28. Februar 2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, die Kurden hätten seine Tochter zwangsrekrutieren wollen und seien zu diesem Zweck zweimal gekommen. Da er seine Tochter versteckt habe, hätten sie ihn mitgenommen und rund 10 Tage lang festgehalten. Dann habe er einen Anruf von seinem Bruder bekommen, dass er in die Türkei ausreisen könne, nachdem ein Lösegeld von 5.000 Dollar für ihn gezahlt worden sei. Er habe auch Angst, von der syrischen Regierung festgenommen zu werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gem. § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für 1 Jahr (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass eine Festnahme des Beschwerdeführers durch das syrische Regime rein spekulativ sei und auch die Ausreisebewilligung vom 7. Februar 2022 dagegenspreche. Außerdem sei die Heimatregion in der Hand kurdischer Kräfte, sodass das Regime dort keine zwangsweisen Rekrutierungen vornehmen könne. Der Beschwerdeführer falle auch nicht in die Jahrgänge der kurdischen Selbstverteidigungspflicht. Was die angebliche Entführung betreffe, habe er vor der belangten Behörde - trotz Bestätigung der Richtigkeit des Protokolls der Erstbefragung - eine andere Version als bei dieser angegeben, nämlich dass nicht er, sondern seine Tochter zwangsrekrutiert hätte werden sollen. Seine Angaben zum zeitlichen Ablauf seien widersprüchlich gewesen. Bei derart einschneidenden Ereignissen wie der Zwangsrekrutierung der eigenen Tochter wäre aber zu erwarten, dass man die Ereignisabfolge genau in Erinnerung behalte. Eine andauernde Maskierung der Soldaten sei ebenfalls nicht plausibel. Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen fänden nur mehr vereinzelt statt und würden durch Splittergruppen, nicht aber die YPG vorgenommen. Mädchen seien überhaupt nur sehr selten betroffen. Darüber hinaus habe der Bruder des Beschwerdeführers keine Probleme bezüglich seiner zwei Söhne. Auch seine Frau und seine anderen Kinder hätten keine Probleme mit den Kurden bekommen. Weitere Widersprüche und Unstimmigkeiten gebe es hinsichtlich seiner Entlassung und der Bezahlung des Lösegeldes. Insgesamt seien die Angaben des Beschwerdeführers sehr detailarm und vage und damit im Ergebnis nicht glaubwürdig gewesen. Eine Rückreise an den Heimatort ohne Kontakt mit dem syrischen Regime sei möglich.
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde. Vorgebracht wurde im Wesentlichen wiederum der Sachverhalt betreffend die versuchte Zwangsrekrutierung der Tochter des Beschwerdeführers und die anschließende Entführung seiner selbst durch die Kurden. Hingewiesen wurde darauf, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner schlechten Arabischkenntnisse den Dolmetscher bei der Erstbefragung nicht gut verstanden habe. Die Rekrutierung Minderjähriger, auch von Mädchen, würde mittlerweile zu einer systematischen Politik der SDF gehören. Der Beschwerdeführer lehne die Rekrutierung von Kindern ab und sei damit oppositionell gegen seine Entführer eingestellt.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden den Verfahrensparteien folgende Länderinformationen zum Parteiengehör übermittelt:
„1.Länderinformationsblatt zu Syrien vom 08.05.2025
2.ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen (z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG); Zwangsrekrutierungen [a-12592-v2]
3.EUAA: Country Focus Syria, März 2025
4.EUAA: Country Focus Syria, Juli 2025
5.EUAA: Country Guidance Syria, Juni 2025
6.UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 03.2021
7.ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Zwangsrekrutierung von Kindern und der Einsatz von Kindersoldat·innen in der Autonomieverwaltung von Nordostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) [a-12243]
8.ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Manbidsch: Zwangsrekrutierungen von unter 14-jährigen Buben durch SDF, YPG, YPJ oder die Revolutionäre Jugend; Anzahl solcher Zwangsrekrutierungen im Jahr 2023; Vorgehen der kurdischen Verwaltung gegen solche Rekrutierungen; zwangsweise Rekrutierungen von unter 14-jährigen Buben durch das syrische Militär [a-12357]
9.Danish Immigration Service: Military recruitment in North and East Syria, Juni 2024
10.ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188-v2]
11.ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Aktualität von Dekret Nr. 3 vom 4. September 2021 bezüglich Selbstverteidigungsdienst in der Autonomen Administration von Nord-und Ostsyrien (AANES); Anwendung des Dekrets in der Stadt Manbidsch; Einberufung älterer Männer zum Selbstverteidigungsdienst; Höchstalter, bis zu dem Wehrdienstverweigerer eingezogen werden können [a-12201-2]“
Am 22. September 2025 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in welcher er im Wesentlichen ausführte, dass er den staatlichen syrischen Wehrdienst weiterhin verweigere, weil er oppositionell gegen die nunmehr von der HTS dominierte syrische Regierung eingestellt sei und es weiterhin aus Gewissensgründen ablehne, sich an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beteiligen. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien würde er außerdem erneut von den kurdischen Milizen inhaftiert und verfolgt werden. Die HTS sei in der Vergangenheit brutal gegen Andersdenkende vorgegangen und für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gewesen. Die neue syrische Regierung könne sich jederzeit auf das weiterhin geltende Recht zum syrischen Wehrdienst berufen und Männer wie den Beschwerdeführer zwangsrekrutieren. Kurden in von der SNA kontrollierten Gebieten wie dem Heimatort des Beschwerdeführers seien weiterhin ethnischer Verfolgung ausgesetzt.
Am 22. September 2025 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seines Rechtsvertreters sowie eines Dolmetschers für die kurdische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, die Kurden hätten seine Tochter rekrutieren wollen, was er abgelehnt habe. Einmal seien sie um zwei oder drei Uhr nachts zu ihm nach Hause gekommen, hätten ihn festgenommen und abtransportiert. Er sei in der Folge einige Tage eingesperrt gewesen, bis sein Bruder 5.000 Dollar bezahlt habe, damit er freikomme. Nach seiner Ausreise aus Syrien seien die Kurden ein- oder zweimal zur Familie gekommen. Bei einer Rückkehr würden die Kurden ihn töten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und sunnitischer Moslem (Niederschrift der Erstbefragung, S. 1 f; Niederschrift des BFA, S. 3; Verhandlungsschrift vom 22. September 2025, S. 4).
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Syrien in der Provinz Al-Hasaka im Dorf XXXX geboren und lebte dort im Wesentlichen (abgesehen von rund vier Jahren in Damaskus) bis zum Oktober/November 2022, als er über die Türkei nach Europa ausreiste. In Syrien besuchte der Beschwerdeführer vier Jahre lang die Schule und arbeitete danach in der Landwirtschaft bzw. als Maurer und Frisör (Niederschrift der Erstbefragung, S. 1, 2, 3, 4, 5; Niederschrift des BFA, S. 3, 4; Verhandlungsschrift vom 22. September 2025, S. 4, 5).
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat sechs Kinder. In Syrien im Heimatdorf leben noch seine Frau und Kinder sowie ein Bruder des Beschwerdeführers, wobei nicht festgestellt werden kann, ob auch die älteste Tochter des Beschwerdeführers ( XXXX , geb. 2009) im Heimatdorf oder aber bei anderen Verwandten lebt. Eine Schwester lebt in Al-Malikiya. Die Eltern und weitere Geschwister wohnen im Irak (Niederschrift der Erstbefragung, S. 1, 3; Niederschrift des BFA, S. 3, 4; Verhandlungsschrift vom 22. September 2025, S. 6).
XXXX (samt näherer Umgebung) steht derzeit unter der Kontrolle der kurdischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien (https://syria.liveuamap.com/).
Zu den Fluchtgründen:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, in XXXX (samt näherer Umgebung) durch das (nicht mehr existierende) Assad-Regime zum Militärdienst rekrutiert bzw. wegen dessen Verweigerung oder aus sonstigen Gründen bestraft zu werden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach XXXX Gefahr liefe, durch kurdische Milizen wegen einer vereitelten Zwangsrekrutierung seiner Tochter Repressalien ausgesetzt zu sein.
Außerdem kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr XXXX von der neuen syrischen Regierung unter dem Präsidenten al-Scharaa zwangsweise rekrutiert werden würde, oder dass ihm in XXXX eine ethnisch motivierte Verfolgung seitens der SNA drohen würde.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 8. Mai 2025, im Folgenden „LIB“:
Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen. Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt. Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte. Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war. Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen. Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt. Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten. Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt. Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich, etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS. Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein. Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (LIB S. 10 f).
Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Der politische Flügel der SDF, der Syrische Demokratische Rat (Syrian Democratic Council - SDC), beglückwünschte das syrische Volk am 8.12.2024 zum Ende des Assad-Regimes und versprach, mit verschiedenen Gruppen im Land zusammenzuarbeiten. In einer Erklärung heißt es: Wir werden mit allen nationalen, kulturellen und gesellschaftlichen Kräften Syriens zusammenarbeiten, indem wir uns am nationalen Dialog beteiligen und unsere Verantwortung wahrnehmen, um ein neues Syrien zu schaffen, das alle seine Bürger einschließt. Nach dem Sturz al-Assads hissten die SDF als Geste gegenüber der neuen Regierung in Damaskus die Revolutions- und Unabhängigkeitsflagge der Rebellengruppen auf ihren Einrichtungen, was von Washington begrüßt wurde. Am 29.12.2024 erklärte ash-Shara' gegenüber dem Fernsehsender Al Arabiya, dass die SDF in die neue nationale Armee integriert werden sollten. Waffen dürfen nur in den Händen des Staates sein. Wer bewaffnet und qualifiziert ist, um dem Verteidigungsministerium beizutreten, ist bei uns willkommen, sagte er. Laut dem Vizepräsidenten des Middle East Media Research Institutes zeigen sich die Kurden pragmatisch und werden versuchen, eine Vereinbarung mit den Machthabern zu treffen, die ein gewisses Maß an lokaler Autonomie bewahrt. Zu viel Autonomie wird Ankara verärgern, zu wenig Autonomie wird das Land gespalten halten. Seit Dezember 2024 verhandelt die SDF mit der Übergangsregierung in Damaskus über ein mögliches Abkommen, das ihre Eingliederung in ein geeintes Syrien vorsieht. Ahmad ash-Shara' hat sich am 30.12.2024 mit einer Delegation der SDF, getroffen, um eine Grundlage für einen zukünftigen Dialog zu schaffen. Die Atmosphäre war positiv. Ein syrischer Politiker sagte, dass die Verhandlungen mit der YPG [gemeint sind vermutlich die SDF; die Quelle ist türkisch Anm.] komplex bleiben, weil die Gruppierung auf Autonomie und mehr Kontrolle über rohstoffreiche Gebiete bestehe. Umgekehrt soll laut einem Journalisten der türkischen Tageszeitung Hürriyet SDF-Kommandeur Mazloum 'Abdi bei seinem Treffen mit ash-Shara' angeboten haben, eine kurdische Fraktion in der syrischen Armee zu schaffen und das syrische Öl gleichmäßig zu teilen, was aber ash-Shara's Regierung ablehnte und betonte, dass es keine andere Lösung als die Übergabe von Waffen gäbe. 'Abdi bot an, die Ölvorkommen in den von ihm kontrollierten Gebieten an die Zentralverwaltung zu übergeben, vorausgesetzt, der Reichtum wird gerecht auf alle syrischen Provinzen verteilt. Der syrische Verteidigungsminister sagte, dass sie [gemeint sind hier vermutlich die syrischen Behörden Anm.] kein Öl wollen, sondern die Institutionen und die Grenzen. Am 9.1.2025 berichtete Al Jazeera, dass 'Abdi sich mit der neuen syrischen Regierung geeinigt hätte, jegliche Teilungsprojekte, die die Einheit des Landes bedrohen, abzulehnen. 'Abdi sagte am 14.1.2025, dass seine Forderungen nach einer dezentralisierten Verwaltung für die von ihm kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens nicht im Widerspruch zur Einheit des Landes stünden und dass er dies als die beste Option für die syrische Realität betrachte, wobei er darauf hinwies, dass er diese Forderungen der neuen syrischen Regierung bei früheren Konsultationen vorgelegt habe. Die Forderung einer dezentralisierten Verwaltung Nord- und Ostsyriens ist die Hauptforderung der SDF. 'Abdi wies darauf hin, dass es sich bei der von ihm geforderten Dezentralisierung um eine „geografische Dezentralisierung und nicht um eine Dezentralisierung auf nationaler Ebene“ handele und erklärte, dass sie kein eigenes Parlament und keine eigene Regierung fordern. Am 27.1.2025 sagten Quellen, die der neuen Regierung nahestehen, dass diese den SDF ein Angebot gemacht habe, das die Anerkennung der kulturellen Rechte der Kurden und deren Aufnahme in die nächste Verfassung sowie die Öffnung des Weges für Kurden, um in die Sicherheits- und Militäreinrichtungen aufgenommen zu werden, beinhaltet. Die Quellen bestätigten, dass das Angebot auch ein dezentralisiertes Verwaltungssystem umfasst, das den lokalen Räten weitreichende Befugnisse zur Verwaltung der Angelegenheiten der Provinzen einräumt. Denselben Quellen zufolge lehnten die SDF das Angebot jedoch ab und bestanden auf ihren eigenen Bedingungen, zu denen gehören: Beitritt zur syrischen Armee als integrierte Einheit, Beibehaltung ihrer derzeitigen militärischen Einsatzgebiete, Erhalt eines Anteils an den Einnahmen aus den Ölfeldern und -quellen. Die SDF begründen ihre Position mit der Furcht vor einem möglichen türkischen Angriff auf ihre Gebiete und der fehlenden Integration der Gruppierungen der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) in das syrische Verteidigungsministerium. Die syrische Regierung lehnt ihrerseits die Vorschläge der SDF ab und betont, dass sie die Existenz von Blöcken innerhalb der Armee ablehnt und nicht bereit ist, das Öl-Dossier als politische Verhandlungskarte zu nutzen. In einem grundlegenden Wandel gegenüber der Ära al-Assad hat die Übergangsregierung in Damaskus den Kurden Syriens gleiche Rechte versprochen und angekündigt, Kurdisch zur zweiten Landessprache zu machen. Vertretern der SDF und der autonomen Verwaltung würden außerdem Sitze und Mitgliedschaft in allen Übergangsbehörden Syriens garantiert, darunter ein temporäres Parlament und ein Verfassungsausschuss. Die Einnahmen aus dem syrischen Öl-, Gas- und Agrarsektor würden anteilig in den Nordosten investiert werden. Nach wochenlangen Gesprächen hat die SDF einen Großteil des Abkommens grundsätzlich akzeptiert, wie ein Treffen zwischen der SDF und ihrem politischen Flügel und ihren Regierungsorganen am 17.2.2025 erneut bestätigte. Doch während die Organisation insgeheim schon seit Wochen akzeptiert hat, dass ihre Streitkräfte eines Tages aufgelöst und in die neuen Streitkräfte Syriens integriert werden, besteht das Haupthindernis bei den Gesprächen darin, wie dies geschehen soll. SDF-Anführer 'Abdi hat sich zwar mit allen anderen bewaffneten Gruppierungen in Syrien auf eine mögliche Auflösung geeinigt, fordert jedoch, dass das SDF-Personal ein eigenständiger Block innerhalb der neuen Streitkräfte Syriens bleibt und nur an seinen derzeitigen Standorten im Nordosten stationiert bleibt. Laut einem Mitglied des politischen Flügels der SDF, dem Demokratischen Rat Syriens (Meclîsa Sûriya Demokratîk - MSD), hat die autonome Verwaltung im Nordosten des Landes einen positiven Schritt unternommen, indem sie sich darauf vorbereitet, Grenzübergänge und offizielle Stellen an den syrischen Staat zu übergeben. Die syrische Übergangsregierung hat noch keine Vorstellung davon, wie die Verwaltung dieser Einrichtungen in Ostsyrien aufgenommen werden soll, daher müssen im Dialog zwischen der syrischen Regierung und der Autonomieverwaltung Ausschüsse auf Bildungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsebene gebildet werden (LIB S. 28 ff).
Am 10.3.2025 unterzeichneten der Anführer der kurdisch dominierten SDF Mazloum 'Abdi und Übergangspräsident Ahmad ash-Shara' ein Abkommen über die Integration der SDF in die staatlichen Institutionen Syriens. Das Abkommen sieht die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Vertretung und Beteiligung, einen Waffenstillstand in allen syrischen Gebieten und die Integration aller zivilen und militärischen Institutionen im Nordosten Syriens vor. Das Abkommen sieht auch vor, dass die SDF den syrischen Staat bei der Bekämpfung von Assads Überbleibseln und Drohungen unterstützen und Aufrufe zur Teilung, Hassreden und Versuche, Zwietracht zu säen, zurückweisen werden. Das Abkommen besteht aus acht Klauseln. Gemeinsame Ausschüsse sollen daran arbeiten, die Umsetzung des Abkommens bis Ende des Jahres abzuschließen. Das Abkommen sieht vor, das DAANES-Gebiet unter die volle Kontrolle der syrischen Zentralregierung bringen. Es beinhaltet die Integration der zivilen und militärischen Einrichtungen im Nordosten Syriens in die syrische Staatsverwaltung, einschließlich der Grenzposten, des Flughafens [in Qamishli, Anm.] und der Öl- und Gasfelder, die von den SDF im Nordosten Syriens kontrolliert werden. Kurz nach Bekanntgabe der Vereinbarung sagten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass sich ein Konvoi des syrischen Verteidigungsministeriums in Abstimmung mit den SDF nach al-Hasaka begeben wird und dass die Kräfte des Verteidigungsministeriums die Gefängnisse von den SDF übernehmen werden. Das Wall Street Journal zitierte US-Beamte mit der Aussage, dass US-Militärpersonal zwischen den SDF und den sogenannten Rebellengruppen vermittelt habe. Die Beamten sagten, die Vermittlung schließe auch Gruppierungen ein, die von der Türkei seit dem Sturz des gestürzten Präsidenten Bashar al-Assad unterstützt werden. Das Abkommen könnte den Konflikt der SDF mit der benachbarten Türkei und den von der Türkei unterstützten ehemaligen syrischen Rebellengruppen, die mit der Regierung verbündet sind und versuchen, die SDF aus Gebieten nahe der Grenze zu vertreiben, entschärfen. Das Abkommen macht keine Angaben darüber, wie die militärischen Einheiten der SDF in das syrische Verteidigungsministerium integriert werden sollen, was bisher ein wesentlicher Knackpunkt in den Gesprächen war. Die Vereinbarung bezieht sich weder auf die Übergabe von Waffen noch auf die Auflösung der von der YPG dominierten militärischen Formation. Die Vereinbarung enthält die Bestätigung, dass das kurdische Volk ein integraler Bestandteil Syriens ist und ein Recht auf Staatsbürgerschaft und garantierte verfassungsmäßige Rechte hat, einschließlich der Verwendung und des Unterrichts ihrer Sprache, die unter Assad jahrzehntelang verboten waren. Die Vereinbarung beinhaltet die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Repräsentation und Beteiligung am politischen Prozess und an allen staatlichen Institutionen, unabhängig von ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit (LIB S. 30 f).
Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit. HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll. Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll. Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an. In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen. Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt. (…) (LIB S. 140)
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte. Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (LIB S. 142).
Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27. März 2024 (Version 11):
Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen
Neben der Gefährdung durch sexualisierte Gewalt und Kampfhandlungen bleibt die Zwangsrekrutierung von Kindern im Syrienkonflikt durch verschiedenste Parteien ein zentrales Problem. Neben Somalia und Nigeria zählte Syrien 2020 laut UNICEF zu den Ländern mit den höchsten Rekrutierungsquoten von Kindersoldaten. Als Verantwortliche benennen die Vereinten Nationen insbesondere die Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), bewaffnete Gruppierungen der ehemaligen Free Syrian Army (FSA), die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) sowie in geringerem Maße regimenahe Milizen. Der im Juni 2022 veröffentlichte Jahresbericht des Generalsekretärs an die UN-Generalversammlung über Kinder in bewaffneten Konflikten berichtet über die Rekrutierung und den Einsatz von insgesamt 1.296 Kindern (1.258 Buben und 38 Mädchen) im Konflikt in Syrien zwischen Januar und Dezember 2021. Dem Bericht zufolge wurden 1.285 der Kinder im Kampf eingesetzt. 569 verifizierte Fälle werden der Syrian National Army (SNA) zugeschrieben, 380 der HTS, 220 der YPG und den mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten (YPJ) und 46 den regimenahen Kräften und Milizen, neben anderen Akteuren. Der UN zufolge wurde die Mehrheit der Minderjährigen auch in bewaffneten Konflikten eingesetzt und nur eine kleine Minderheit in nicht kämpferischen Rollen, beispielsweise als Köche oder für Reinigungsarbeiten (LIB S. 151).
Praxis in der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"
Laut den Vereinten Nationen und dem SNHR wurden zwischen Januar 2014 und September 2020 mindestens 911 Kinder durch die YPG zwangsrekrutiert. Im Juni 2019 wurde von den Syrian Democratic Forces (SDF) [Anm.: YPG und YPJ sind Kernbestandteile der SDF] und dem Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte ein Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern unter 18 Jahren unterzeichnet. 2020 beschloss der Exekutivrat der Selbstverwaltung [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] die Einrichtung von Kinderschutzbüros und es gibt anhaltende Bemühungen der SDF, der Praxis der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen. Allerdings schreibt das Auswärtige Amt, dass die Praxis nach wie vor nicht eingestellt worden zu sein scheint (LIB S. 153).
Seit Inkrafttreten des Abkommens zwischen den SDF und den Vereinten Nationen im Jahr 2019 wurden rund 700-750 Kinder aus den Diensten der SDF entlassen. Einem Bericht der UN zufolge waren es im Zeitraum von 1.7.2020 bis 30.9.2022 278 Kinder, die aus dem Dienste der SDF entlassen wurden und in weiteren 1.025 Fällen wurde die Rekrutierung durch die SDF verhindert, zumindest eigenen Angaben der SDF gemäß. Besonders im Jahr 2021 verzeichnet die UN in ihrem Bericht eine positive Entwicklung. Die SDF nahmen eine Resolution an, wonach ihre Trainings internationalem Recht entsprechen müssen sowie zur Errichtung eines Komitees zur Einhaltung internationaler Regulierungen zum Schutz von Minderjährigen. Des Weiteren eröffneten die SDF neun Büros zum Schutz Minderjähriger in bewaffneten Konflikten. Dennoch wurde im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von der Rekrutierung von Kindern in die SDF berichtet. Die UN spricht ebenfalls von Rückschlägen in der Einhaltung dieses Plans im Jahr 2022. So wurden beispielsweise die Büros zum Schutz Minderjähriger in bewaffneten Konflikten im Mai 2022 geschlossen und erst im April 2023 wieder geöffnet. SNHR verzeichnete einen Anstieg an Rekrutierungen Minderjähriger und berichtet, dass die Rekrutierung Minderjähriger zu einer systematischen Policy der SDF gehören und viele Unterorganisationen an Rekrutierungen von Kindern beteiligt sind und sogar viele Schulen der AANES. Insbesondere nach Angriffen auf die von der SDF kontrollierten Gebiete steigt laut SNHR die Zahl an rekrutierten Minderjährigen an, weil die SDF die verlorenen Kräfte kompensieren möchten. Bezüglich der Frage, wie es zu Rekrutierungen, bzw. möglichen Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen für die SDF kommt, gibt es verschiedene Erklärungen, darunter die schlechte Wirtschaftslage, welche das Gehalt der SDF attraktiv macht. SNHR berichtet dazu von einigen Fällen, die zwangsrekrutiert wurden durch Entführungen aus Schulen oder direkt von der Straße. Einige Familien wandten sich an die Kinderschutzbüros, um Fälle zu melden, in denen Kinder im Alter von 14 Jahren rekrutiert wurden, aber ihnen wurde gesagt, dass keine Maßnahmen ergriffen werden könnten, da die Kinder von der Bewegung der kurdischen Revolutionären Jugend entführt worden seien. Trotz Anfragen von Familien blieb der Verbleib einiger rekrutierter Kinder unbekannt (LIB S. 153).
Menschenrechtsorganisationen, darunter das Syria Justice and Accountability Center (SJAC), dokumentierten die Rekrutierung von Kindern durch die Revolutionäre Jugend, eine mit den SDF verbundene Organisation, die Jugendliche auf den Dienst bei der YPG und den Asayish, dem internen Sicherheits- und Geheimdienst der AANES, vorbereitet. Einige Minderjährige, die für Kampfeinsätze rekrutiert wurden, waren unter fünfzehn Jahre alt, eine Praxis, die nach Angaben von SJAC ein Kriegsverbrechen darstellt. Medienberichten zufolge erfolgt die Rekrutierung häufig über den Unterricht in Fächern wie Musik oder Sport, der von der Revolutionären Jugend durchgeführt wird. In diesen Klassen werden die Kinder schrittweise in der Ideologie der Organisation geschult, und in vielen Fällen werden sie dann in militärischen Ausbildungslagern untergebracht, ohne dass die Eltern über den Verbleib ihrer Kinder informiert werden. Andere werden unter dem Vorwand einer Anstellung angelockt. Die SDF und Asayish scheinen Rekrutierungen von Minderjährigen durch die Revolutionäre Jugend nicht zu verhindern. Ein Mitarbeiter des Kinderschutzbüros erklärte, dass das Büro nicht auf die Beschwerden über die Revolutionäre Jugend eingehen kann, da es nur für die SDF zuständig sei. SJAC dokumentierte auch mehrere Fälle, in denen die Revolutionäre Jugend und andere SDF-Mitglieder die Familien von rekrutierten und vermissten Kindern einschüchterten und belästigten, wenn sie versuchten, Informationen über ihre Kinder zu erhalten (LIB S. 154).
Auszug aus Anfragebeantwortung zu Syrien: „Zwangsrekrutierung von Kindern und der Einsatz von Kindersoldat·innen in der Autonomieverwaltung von Nordostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) [a-12243]“ vom 12. Oktober 2023:
„Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) schreibt in seinem Jahresbericht über Menschenrechtsverletzungen in Syrien im Jahr 2022, dass die SDF (Syrian Democratic Forces) weiterhin Kinder zum Zweck der Rekrutierung entführe und sie in Ausbildungs- und Rekrutierungslager bringe, wo sie keinen Kontakt zu ihren Familien haben dürften (SNHR, 17. Jänner 2023, S. 87).
Syrians for Truth und Justice (STJ) und 22 weitere Organisationen hätten im Mai 2022 einen offenen Brief unterschrieben, in dem sie die Regierung der AANES dazu aufgefordert hätten, der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen. Die kurdische Revolutionäre Jugend (KU: Tevgera Ciwanên Şoreşgerê; AR: Shabiba Al-Thawra; eine der PKK nahestehende Gruppierung (DIS, Juni 2022, S. 43)) führe weiterhin ungestraft weit verbreitete und systematische Entführungen und Rekrutierungen minderjähriger Kinder in den Gebieten der Autonomieverwaltung durch (STJ, 23. Mai 2022).
STJ dokumentierte die Rekrutierung von 24 Minderjährigen im Jahr 2021. Eines der Kinder sei zum Zeitpunkt der Rekrutierung 12 Jahre alt gewesen, fünf seien 13 Jahre alt und drei seien 14 Jahre alt gewesen. Im ersten Halbjahr 2022 (Anfang Jänner bis Ende Juni 2022) habe STJ die Rekrutierung von 29 Minderjährigen dokumentiert. Die rekrutierten Minderjährigen seien 12 Jahre und älter gewesen. Die Rekrutierungen seien von der Revolutionären Jugend (27 der 29 Fälle aus 2022) und den Volksverteidigungseinheiten (YPG) (2 der 29 Fälle) durchgeführt worden. Der Bericht nennt auch die Wohnorte der rekrutierten Jugendlichen und beschreibt in einigen Beispielen, wie die Rekrutierungen durchgeführt worden seien (siehe Anhang) (STJ, 26. Juli 2022). Im Jänner 2023 bestätigt STJ, dass die Revolutionäre Jugend in den Gebieten der AANES weiterhin Minderjährige rekrutiere. Die AANES und ihre Sicherheitskräfte würden keine Maßnahmen dagegen ergreifen. STJ habe in Manbidsch und Ayn Al-Arab (auch Kobane genannt) mehrere Fälle von Kinderrekrutierung dokumentiert. In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 habe STJ 20 Fälle dokumentiert. STJ habe Informationen erhalten, dass die Revolutionäre Jugend Kinder im Alter zwischen 14 und 18 Jahren mit gefälschten Ankündigungen über Aktivitäten, wie kostenlose Fotografie- und Fußballkurse, in ihr Hauptquartier in Manbisch locken würde. Sobald ein Kind in die Zentrale komme, um sich nach einem Kurs zu erkundigen oder sich dafür anzumelden, verschwinde es und kehre nie mehr nach Hause zurück (STJ, 25. Jänner 2023).
Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN Human Rights Council (HRC)) veröffentlicht im Februar 2023 einen Bericht der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission zur Arabischen Republik Syrien mit einem Berichtszeitraum von Anfang Juli bis Ende Dezember 2022. Laut der Untersuchungskommission habe es 2022 weiterhin Berichte über die Rekrutierung von Kindern in der AANES gegeben. Einige Familien hätten bei bestehenden Kinderschutzämtern in der AANES die Rekrutierung von Kindern im Alter von 14 Jahren gemeldet. Den Familien sei mitgeteilt worden, dass ihnen nicht geholfen werden könne, da die Kinder von der Revolutionären Jugend entführt worden seien (HRC, 7. Februar 2023, S. 17).
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNSC) veröffentlicht im Juni 2023 den Bericht des Generalsekretärs über Kinder und bewaffnete Konflikte, dessen Berichtszeitraum das Jahr 2022 umspannt. Es seien im Berichtszeitraum 637 Minderjährige von der SDF (davon 633 von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten und Frauenschutzeinheiten (YPG/YPJ)) und 21 von den Inneren Sicherheitskräften der AANES rekrutiert worden (UNSC, 5. Juni 2023, S. 24-25). Weiters sei die Entführung von vier Kindern (zwei durch YPG/YPJ und zwei durch die Revolutionäre Jugend) bestätigt worden. Alle Kinder seien zum Zweck der Rekrutierung entführt worden (UNSC, 5. Juni 2023, S. 25). Der Generalsekretär sei besorgt über die Zunahme bestätigter Fälle der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern durch die SDF (UNSC, 5. Juni 2023, S. 26).
Laut SNHR hätten mit Dezember 2022 SDF-Mitarbeiter·innen weiterhin Kinder zum Zweck der Rekrutierung entführt (SNHR, 3. Jänner 2023, S. 13). SNHR dokumentiert im Dezember 2022 die Entführung eines 2008 geborenen Mädchens in der Stadt Aleppo und eines 2007 geborenen Jungen in der Stadt Manbidsch. Beide seien zu SDF-Rekrutierungszentren gebracht worden (SNHR, 3. Jänner 2023, S. 23).
Das Danish Immigration Service (DIS) veröffentlicht im Juni 2022 einen Bericht über militärische Rekrutierungen in der Provinz Hasaka, für den eine Reihe von Expert·innen im Jänner und Februar 2022 unter anderem über die Rekrutierung von Minderjährigen befragt wurden. Laut einem/r Kinderschutzbeauftragten der AANES rekrutiere die SDF keine Minderjährigen unter Zwang, indem sie sie entführe oder aus ihren Häusern verschleppe. Die Minderjährigen, die sich der SDF angeschlossen hätten, hätten dies freiwillig getan. Gründe inkludierten familiäre Probleme, den Wunsch, die Familie finanziell zu unterstützen sowie den Wunsch, Teil einer Streitkraft zu sein. Einige Minderjährige würden beim Beitritt falsche Dokumente vorlegen. Andere würden angeben, keine Ausweispapiere zu besitzen. In letzterem Fall stütze sich die SDF auf das äußere Erscheinungsbild der Person, um ihr Alter zu bestimmen. In den meisten Fällen sei es schwierig zu erkennen, ob die Person minderjährig oder volljährig sei. Es gebe Beispiele von Minderjährigen, die nach ein bis zwei Tagen Aufenthalt bei der SDF zu ihren Familien zurückgebracht worden seien, weil sie als unter 18 Jahre alt eingeschätzt worden seien. Die Minderjährigen, die sich der SDF anschließen würden, seien überwiegend zwischen 15 und 18 Jahre alt. Sollten Minderjährige in der SDF entdeckt werden, würden sie sofort entlassen. Einige 17-jährige, die ein oder zwei Monate später 18 Jahre alt werden, würden sich weigern, die SDF zu verlassen. Sie würden bis zu ihrem 18. Lebensjahr zivile Arbeiten verrichten. Der/Die Kinderschutzbeauftragte wisse von Familien, die sich darüber beschwert hätten, dass ihre Kinder der Revolutionären Jugend beigetreten seien. Das Büro könne jedoch erst eingreifen, wenn sich das Kind einer SDF-Truppe anschließe (DIS, Juni 2022, S. 40-41). Fabrice Balanche, Associate Professor und Forschungsdirektor an der Universität Lyon 2, erklärt im Interview mit DIS, dass er nicht glaube, dass die Behörden der SDF und AANES Minderjährige zum Zweck der Rekrutierung entführen würden, da es viele Freiwillig gebe, die daran interessiert seien, der SDF beizutreten. Balanche gehe jedoch davon aus, dass die Revolutionäre Jugend versuche, Minderjährige politisch und ideologisch zu ermutigen und sie darauf vorzubereiten, sich der PKK anzuschließen (DIS, Juni 2022, S. 43- 44). Ein/e internationale/r humanitäre/r Koordinator·in („international humanitarian coordinator“) sagt gegenüber DIS aus, dass er/sie weiterhin Berichte über die Rekrutierung von Minderjährigen erhalte. Es handle sie dabei um die Revolutionäre Jugend, die mit der SDF verbündet sei, jedoch den Aktionsplan [gegen Kinderrekrutierung, Anmerkung ACCORD] nicht unterzeichnet habe. Fälle von Zwangsrekrutierung seien selten und es sei unmöglich den Schluss zu ziehen, dass ein Kind gewaltsam in eine bewaffnete Gruppe entführt worden sei, da die Informationen von den Eltern stammen würden. Die Eltern würden in der Regel erklären, dass der/die Minderjährige plötzlich verschwunden sei und sie später von Freund·innen erfahren hätten, dass der/die Minderjährige von einer bestimmten Gruppierung entführt worden sei. Es gebe auch Berichte von Familien darüber, dass die SDF Kinder zwangsrekrutiert habe. Diese Berichte seien jedoch nicht verifizierbar. Die Informationen würden ausschließlich auf den Berichten der Familien basieren und kämen nicht von den Minderjährigen selbst. Laut dem/der Koordinator·in könnten die Familien ein Interesse daran haben, eine veränderte Geschichte zu erzählen, und die Minderjährigen könnten sich freiwillig dazu entschieden haben, den bewaffneten Truppen beizutreten. Einige Minderjährige würden der SDF aus wirtschaftlichen Gründen beitreten. Es würden sich monatlich mindestens 500 Minderjährige an die SDF wenden. Die Quelle gehe jedoch davon aus, dass die SDF die meisten der Kinder ablehne (DIS, Juni 2022, S. 47). Laut einem Universitätsprofessor aus Erbil gebe es im Allgemeinen keine Zwangsrekrutierung junger Menschen, indem sie auf der Straße entführt würden. Es könne Einzelfälle dieser Art geben, aber im Allgemeinen sei die Vorgehensweise von Gruppen, wie der Revolutionären Jugend, eine andere. Eine Kombination sozialer und psychologischer Faktoren (wie niedriges Bildungsniveau, soziale Probleme und ideologische Propaganda) führe dazu, dass junge Menschen sich den Gruppierungen freiwillig anschließen. In Trainingslagern würden junge Menschen ideologisch so beeinflusst werden, dass sie nicht mehr zu ihrer Gemeinschaft und ihren Familien zurückkehren möchten. Diejenigen, die sich der Revolutionären Jugend anschließen, würden schließlich der PKK und nicht der SDF beitreten. Unter den Pro-PKK-Gruppen rekrutiere nur die Revolutionäre Jugend Minderjährige. Laut dem Professor rekrutiere die SDF zum Zeitpunkt des Interviews keine Minderjährigen (DIS, Juni 2022, S. 67-68). Laut Wladimir van Wilgenburg, ein in der Autonomen Region Kurdistan ansässiger, auf kurdische Angelegenheiten spezialisierter Reporter und Analyst, gebe es Fälle von Minderjährigen, die sich ohne Zustimmung ihrer Eltern der SDF anschließen wollten. Während die Minderjährigen sich freiwillig der SDF anschließen würden, würden die Eltern die Rekrutierung ihrer Kinder als Entführung betrachten (DIS, Juni 2022, S. 71).
Enab Baladi veröffentlicht im März 2022 einen Artikel über die gewaltsame Entführung von Kindern aus Aleppo durch die Revolutionäre Jugend. Laut einem lokalen Informanten würden Mitglieder der PYD (Democratic Union Party) zusammen mit der Revolutionären Jugend versuchen, Teenager im Alter zwischen 14 und 18 Jahren davon zu überzeugen, der Revolutionären Jugend beizutreten. Jugendliche würden durch monetäre Anreize und ideologische Diskussionen dazu bewegt, sich der Revolutionären Jugend anzuschließen. Die Jugendlichen würden auch gegen den Willen ihrer Eltern rekrutiert werden. Sollten sich die Jugendlichen weigern, sich der Revolutionären Jugend anzuschließen, käme es zu Entführungen. Manchmal würden die Entführungen bei Tag stattfinden. Es wage niemand darüber zu sprechen, aus Angst verhaftet zu werden (Enab Baladi, 18. März 2022).
Das Rasd Syria Network for Human Rights, eine syrische Medieninstitution, die sich auf Menschenrechtsfragen spezialisiert, veröffentlicht im Mai 2023 einen Artikel über den Anstieg der Fälle von Rekrutierungen und Entführungen von Kindern durch die Revolutionäre Jugend. Laut dem Netzwerk sei es zu einem deutlichen Anstieg der rekrutierten Kinder und deren Beteiligung an Kämpfen gekommen. Familien, die sich an offizielle Stellen der AANES gewendet hätten, seien ihre Kinder nicht zurückgegeben worden und sie hätten auch nichts über deren Schicksal oder Aufenthaltsort erfahren. Laut Rasd Syria Network for Human Rights sei die tatsächliche Zahl der (zum Zweck der Rekrutierung) entführten Kinder um einiges höher als die Zahl der dokumentierten Fälle. Familien hätten Angst Fälle offenzulegen, da sie sich durch die Revolutionäre Jugend bedroht fühlen würden. Zu den vom Netzwerk dokumentierten Fällen gehöre die Entführung eines 13-jährigen Mädchens aus der Stadt Qamischli sowie die Entführung eines 15-jährigen Jungen aus der Provinz Raqqa, der an chronischen Krankheiten leide (Rasd Syria Network for Human Rights, 25. Mai 2023).
Syria Indicator veröffentlicht ebenfalls im Mai 2023 einen Artikel über die Situation von Kindern in Nordost-Syrien. Im Artikel stellt Syria Indicator Informationen der ‘Bercav’ Organization for Democratic Development and Media, laut der Kinder unter 15 Jahren nicht rekrutiert würden, Quellen von STJ gegenüber, die Entführung zum Zweck der Rekrutierung von unter 15-jährigen im Jahr 2022 dokumentieren. Laut Syria Indicator seien in den Jahren 2021 und 2022 Dutzende Kinder unter 15 Jahren rekrutiert worden, darunter zwei Jungen im Alter von neun und zehn Jahren in Aleppo im Mai 2022, die jedoch aufgrund von medialem Druck nach einem Tag wieder frei gelassen worden seien, sowie einem 13-jährigen Mädchen aus Qamischli. Insgesamt seien im Zeitraum von 2021 bis 2022 mindestens 97 Kinder rekrutiert worden. Im Jänner und Februar 2023 seien ein Mädchen (15 Jahre) und ein Junge (14 Jahre) von der Revolutionären Jugend in Aleppo entführt worden (Syria Indicator, 17. Mai 2023).
STJ bestätigt die kontinuierliche Rekrutierung von Minderjährigen durch die Revolutionäre Jugend in der Region im Juli 2023. Im ersten Halbjahr 2023 seien mindestens 32 Kinder rekrutiert worden. Die Revolutionäre Jugend habe die meisten Rekrutierungen zu verantworten. Eine Rekrutierung sei durch die YPJ durchgeführt worden. Es seien Mädchen wie auch Jungen rekrutiert worden, zehn davon in Qamischli, fünf in Ayn Al-Arab, vier in Manbidsch, fünf in Raqqa, drei in Al-Hasaka und fünf in Aleppo (STJ, 7. Juli 2023).
Laut dem Rasd Syria Network for Human Rights seien mit September 2023 weiterhin Minderjährige in der AANES rekrutiert und eingesetzt worden. Das Netzwerk habe im September die Entführung zum Ziel der Rekrutierung von zwei Kindern durch die Revolutionäre Jugend dokumentiert (Rasd Syria Network for Human Rights, 1. Oktober 2023).“
Auszug aus The Danish Immigration Service: Syria: Military recruitment in North and East Syria, Juni 2024:
„3.3 Recruitment of minors
There have been reports of recruitment of individuals under the age of 18 into the SDF during the current reporting period. However, the exact numbers and the extent to which this recruitment was conducted by use of physical force (e.g. kidnappings) remain unclear, as the recruitment of minors is a politically sensitive issue.
Proponents of the SDF and the DAANES tend to understate this issue by suggesting that these recruitment practices do not occur or that the situation has improved. Conversely, those who are critical of the SDF and the DAANES and tend to overstate the number of these cases.
Syrians for Truth and Justice (STJ) has reported that the SDF and other groups, including the Revolutionary Youth Movement (RYM), continue to recruit minors. However, the number of recruited minors has, according to STJ, decreased in recent years to dozens of cases each year; a number which includes recruitment of minors to all groups active in NES. A representative from the Child Protection Office informed the DIS that the number of minors recruited to the SDF has fluctuated in recent years, with approximately 100 cases per year previously and approximately 50 cases in 2023. A similar figure was reported by the STJ in an article published on 31 January 2024.
Several other consulted sources similarly indicated that the number of cases regarding the recruitment of minors to the SDF has decreased in recent years, although recruitment of minors still occurs. A Syrian human rights organisation stated that it had not received any information regarding the recent recruitment of minors by the SDF. However, parents of minors who join the RYM (see chapter 4) typically claim that their children have joined the SDF. In such cases, the parents of recruited minors are the primary source of information about their recruitment.
On the other hand, the latest report on children and armed conflict in the Syrian Arab Republic, published by the United Nations Security Council, indicates an 80% increase in verified cases of child recruitment attributed to the SDF and the Asayish since the last report. The same report indicates that 829 minors were recruited by the SDF between July 2020 and September 2022.
The Syrian Network for Human Rights (SNHR) recorded at least 672 cases of minors being recruited to the YPG/SDF in the period from July 2012 until June 2024. Additionally, the SNHR has recorded the discharge of 301 minors after being recruited, while 341 minors remain active with the SDF. The SNHR has also reported that at least 30 minors recruited by the YPG/SDF have been killed in combat. The SNHR stated that the recruitment of minors in NES is common practice. Furthermore, the scale of recruitment has increased as the SDF has consolidated its security and military control over the NES region.
The SNHR has also observed that the number of cases regarding the recruitment of minors tends to increase when there are clashes between the SDF and Turkish forces in the region. In their report published in November 2023, the SNHR reported of abduction of minors for the purpose of military recruitment. It should be noted that the SNHR report includes recruitment by the Revolutionary Youth Movement (RYM) as recruitment to the SDF, although they are separate groups.
Several consulted sources noted that various incentives motivate minors to join different groups, including emotional, ideological or economic reasons, as well as domestic problems such as household violence. According to the Syrians for Truth and Justice, there is limited evidence that the recruitment of minors into the SDF involves the use of physical force (e.g. kidnappings).
However, according to STJ, the Syrian law stipulates that a minor is legally under the custody of their parents, and recruitment of persons under the age of 18 by any party to the conflict may amount to “exploitation of minors”. Therefore, recruitment of minors by armed groups without the parents’ consent is considered by the general population and some of the consulted sources a violation of the parents’ custody and thereby a forced recruitment, regardless of whether the minor joins a particular group of their own volition. This perception is also shared by a number of international organisations, including UN organisations, who consider any recruitment of children forced due to the impossibility for a child to give free and informed consent.
(…)
4.2 Recruitment to the Revolutionary Youth Movement (RYM)
(…)
The majority of sources interviewed by DIS generally agreed that the RYM’s recruitment method is primarily focused on political indoctrination with the objective of luring or attracting young people through cultural and ideological activities rather than using force. One source described the RYM's objective as winning the hearts and minds of the younger generation and encouraging them to follow the group and its ideology.
A number of sources indicated that the RYM capitalises on the security, economic, social and domestic issues faced by young people in NES, and presents its ideology as an alternative and solution to these issues. A Syrian human rights organisation also mentioned the attraction of being part of an organisation as one of the reasons why minors tend to join the RYM.
Similarly, the STJ reported that the majority of recruited minors come from families facing socio-economic and domestic problems, such as poverty, absent or divorced parents, or domestic violence. The circumstances render minors particularly vulnerable to the ideological propaganda of the RYM. A Syrian university professor stated that the RYM's recruitment efforts are mainly conducted by young adults aged 18 and older, who primarily focus on recruiting adolescents.
However, the local population and international organisations consider any recruitment without parental consent as forced, blurring the distinction between voluntary and coerced recruitment. Parents are often the primary source of information regarding the recruitment of minors to the RYM, which additionally blurs the distinction.“
Übersetzung:
„3.3 Rekrutierung von Minderjährigen
Während des aktuellen Berichtszeitraums gab es Berichte über die Rekrutierung von Personen unter 18 Jahren für die SDF. Die genauen Zahlen und das Ausmaß, in dem diese Rekrutierung durch Anwendung physischer Gewalt (z. B. Entführungen) erfolgte, bleiben jedoch unklar, da die Rekrutierung von Minderjährigen ein politisch heikles Thema ist.
Die Befürworter der SDF und der DAANES neigen dazu, dieses Problem herunterzuspielen, indem sie behaupten, dass diese Rekrutierungspraktiken nicht vorkommen oder dass sich die Situation verbessert hat. Umgekehrt neigen diejenigen, die den SDF und den DAANES kritisch gegenüberstehen, dazu, die Zahl dieser Fälle zu hoch anzusetzen.
Syrians for Truth and Justice (STJ) hat berichtet, dass die SDF und andere Gruppen, darunter die Revolutionäre Jugendbewegung (RYM), weiterhin Minderjährige rekrutieren. Allerdings ist die Zahl der rekrutierten Minderjährigen laut STJ in den letzten Jahren auf Dutzende von Fällen pro Jahr zurückgegangen; eine Zahl, die die Rekrutierung von Minderjährigen für alle in NES aktiven Gruppen einschließt. Ein Vertreter des Kinderschutzbüros teilte dem DIS mit, dass die Zahl der Minderjährigen, die für die SDF rekrutiert wurden, in den letzten Jahren schwankte, wobei die Zahl der Fälle in der Vergangenheit bei etwa 100 pro Jahr lag und im Jahr 2023 bei etwa 50. Eine ähnliche Zahl wurde vom STJ in einem am 31. Januar 2024 veröffentlichten Artikel genannt.
Mehrere andere befragte Quellen gaben ebenfalls an, dass die Zahl der Fälle, in denen Minderjährige für die SDF rekrutiert wurden, in den letzten Jahren zurückgegangen ist, obwohl die Rekrutierung von Minderjährigen immer noch stattfindet. Eine syrische Menschenrechtsorganisation erklärte, sie habe keine Informationen über die jüngste Rekrutierung von Minderjährigen durch die SDF erhalten. Die Eltern von Minderjährigen, die sich der RYM anschließen (siehe Kapitel 4), behaupten jedoch in der Regel, dass ihre Kinder sich den SDF angeschlossen haben. In solchen Fällen sind die Eltern der rekrutierten Minderjährigen die primäre Quelle für Informationen über deren Rekrutierung.
Andererseits zeigt der jüngste Bericht über Kinder und bewaffnete Konflikte in der Arabischen Republik Syrien, der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen veröffentlicht wurde, einen Anstieg der verifizierten Fälle von Kinderrekrutierung, die den SDF und den Asayish zugeschrieben werden, um 80 % seit dem letzten Bericht. Aus demselben Bericht geht hervor, dass zwischen Juli 2020 und September 2022 829 Minderjährige von den SDF rekrutiert wurden.
Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) verzeichnete im Zeitraum von Juli 2012 bis Juni 2024 mindestens 672 Fälle, in denen Minderjährige für die YPG/SDF rekrutiert wurden. Darüber hinaus verzeichnete das SNHR die Entlassung von 301 Minderjährigen nach ihrer Rekrutierung, während 341 Minderjährige weiterhin bei den SDF aktiv sind. Der SNHR hat auch berichtet, dass mindestens 30 von der YPG/SDF rekrutierte Minderjährige im Kampf getötet wurden. Der SNHR erklärte, dass die Rekrutierung von Minderjährigen in den NES gängige Praxis ist. Der SNHR hat auch beobachtet, dass die Zahl der Fälle der Rekrutierung von Minderjährigen tendenziell zunimmt, wenn es zu Zusammenstößen zwischen den SDF und den türkischen Streitkräften in der Region kommt. In ihrem im November 2023 veröffentlichten Bericht berichtete die SNHR über die Entführung von Minderjährigen zum Zweck der militärischen Rekrutierung. Es ist anzumerken, dass der SNHR-Bericht die Rekrutierung durch die Revolutionäre Jugendbewegung (RYM) als Rekrutierung für die SDF einschließt, obwohl es sich um getrennte Gruppen handelt.
Mehrere befragte Quellen wiesen darauf hin, dass Minderjährige durch verschiedene Anreize dazu bewegt werden, sich verschiedenen Gruppen anzuschließen, darunter emotionale, ideologische oder wirtschaftliche Gründe sowie häusliche Probleme wie Gewalt im Haushalt. Laut Syrians for Truth and Justice gibt es nur wenige Hinweise darauf, dass bei der Rekrutierung von Minderjährigen für die SDF physische Gewalt (z. B. Entführungen) angewendet wird.
(…)
4.2 Rekrutierung in die Revolutionäre Jugendbewegung (RYM)
(…)
Die Mehrheit der von DIS befragten Quellen stimmte im Allgemeinen darin überein, dass die Rekrutierungsmethode der RYM primär auf politische Indoktrinierung mit dem Ziel, junge Leute durch kulturelle und ideologische Aktivitäten anzulocken, zentriert ist, und nicht auf die Anwendung von Gewalt. Eine Quelle beschrieb das Ziel der RYM darin, die Herzen und Gedanken der jüngeren Generation zu gewinnen und sie zu ermutigen, der Gruppe und ihrer Ideologie zu folgen.
Einige Quellen gaben an, dass die RYM die Sicherheits-, Wirtschafts-, Sozial- und Familienprobleme der jungen Menschen nützt und ihre Ideologie als eine Alternative und Lösung dieser Probleme präsentiert. Eine syrische Menschenrechtsorganisation erwähnte auch die Anziehungskraft, Teil einer Organisation zu sein, als einen der Gründe, warum Minderjährige der RYM beitreten.
Ähnlich berichtete STJ, dass die Mehrheit der rekrutierten Minderjährigen aus Familien kommen, die sozio-ökonomische und familiäre Probleme haben, wie Armut, abwesende oder geschiedene Eltern oder häusliche Gewalt. Die Umstände machen Minderjährige besonders anfällig für die ideologische Propaganda der RYM. Ein syrischer Universitätsprofessor erklärte, dass die Rekrutierungsbemühungen der RYM hauptsächlich von jungen Erwachsenen ab 18 umgesetzt werden, die vor allem Jugendliche rekrutieren.
Die örtliche Bevölkerung und internationale Organisationen bewerten jedoch jede Rekrutierung ohne elterliche Zustimmung als erzwungen, sodass der Unterschied zwischen freiwilliger und zwangsweiser Rekrutierung verschwimmt. Eltern sind oft die primäre Informationsquelle betreffend die Rekrutierung Minderjähriger durch die RYM, was den Unterschied zusätzlich verwischt.“
Auszug aus der EUAA-„Country Guidance“ vom April 2024 (S. 60 f):
„b. Child recruitment
The SDF and its components, particularly the YPG, continued to recruit and use children in large numbers in 2021 and 2022. Moreover, recent sources noted that, notwithstanding the action plan signed in June 2019 with the UN that aimed to end the recruitment and use of children in conflict, SDF continued to recruit children, whose number increased in 2022, with most of the children being recruited into the YPG or the women’s units YPJ.
Groups linked to the PKK such as the Kurdish Revolutionary Youth Movement and the Kurdistan Women Union (KWU) were also reported to recruit children in their ranks including through kidnappings.
IDP camps were a source for recruiting children, on some occasions without the permission of their families. Parents usually had no contact with their children once they were recruited and only found out from authorities that their children were in training. After the training period, children were deployed in combat operations [Targeting 2020, 4.3, p. 49]. Recent sources also noted that the Kurdish People’s Protection Units (YPG and YPJ) recruited and used boys and girls as young as 12 years old from IDP camps in north-eastern Syria.“
Übersetzung:
„b. Rekrutierung Minderjähriger
Die SDF und ihre Untergruppierungen, vor allem die YPG, rekrutierten und benutzten Kinder in großer Zahl auch weiterhin in den Jahren 2021 und 2022. Jüngere Quellen berichten außerdem, dass trotz eines im Juni 2019 mit den UN unterzeichneten Aktionsplans, der diese Praxis beenden sollte, die SDF weiterhin Kinder rekrutierten, deren Zahl im Jahr 2022 anstieg, wobei die meisten Kinder in die YPG oder die weibliche YPJ rekrutiert wurden.
Mit der PKK verbundene Gruppen wie die Kurdische Revolutionäre Jugendbewegung und die Frauen Union Kurdistan rekrutierten Berichten zufolge ebenfalls mittels Entführungen in ihre Reihen.
Flüchtlingslager waren eine Quelle für rekrutierte Kinder, in einigen Fällen ohne die Erlaubnis ihrer Familien. Eltern verloren in der Regel den Kontakt zu ihren Kindern nach der Rekrutierung und konnten nur bei Behörden in Erfahrung bringen, dass sich ihre Kinder nun in Ausbildung befanden. Nach der Ausbildung wurden die Kinder in Kampfsituationen eingesetzt. Nach jüngeren Quellen rekrutierten auch die YPG und YPJ Buben und Mädchen ab 12 Jahren in Flüchtlingslagern in Nordostsyrien.“
2. Beweiswürdigung:
Zur Person des Beschwerdeführers:
Die einzelnen Feststellungen beruhen jeweils auf den in der Klammer angeführten Beweismitteln sowie zum Teil aus den in dieser Hinsicht jeweils glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers. Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen – Angaben zu zweifeln.
Was sein Heimatdorf betrifft, tätigte der Beschwerdeführer im Verfahren unterschiedliche Angaben: Während er vor der belangten Behörde angab, XXXX geboren worden zu sein, korrigierte er in der Verhandlung, dass er in XXXX geboren sei. Da es sich um nach der Syria Live Map unmittelbar benachbarte Dörfer handelt (rund 1 km voneinander entfernt), ist es nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer in erster Instanz in dieser Hinsicht lediglich ungenaue Angaben gemacht hat, sodass XXXX als sein Heimatort festzustellen war.
Nicht feststellbar war, ob die älteste Tochter des Beschwerdeführers aktuell auch XXXX lebt, zumal der Beschwerdeführer in dieser Hinsicht in der mündlichen Verhandlung divergente Angaben machte (siehe unten).
Dass XXXX (samt näherer Umgebung) unter der Kontrolle der kurdischen Selbstverwaltung steht, ergibt sich aus der Einsicht in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com/ (Zugriff zum Entscheidungszeitpunkt) sowie aus dem damit übereinstimmenden Vorbringen des Beschwerdeführers (Verhandlungsschrift S. 5).
Zu den Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer brachte vor der belangten Behörde zum einen seine Befürchtung vor, von der Assad-Regierung festgenommen zu werden. Eine Verfolgungsgefahr aus diesen Gründen ist aber deshalb auszuschließen, weil das syrische Regime unter Präsident Assad infolge der erfolgreichen Großoffensive der HTS Ende November/Anfang Dezember 2024 nicht mehr existiert (siehe die obigen Länderfeststellungen). Dem vermochte der Beschwerdeführer auch nichts Substantiiertes entgegenzuhalten. In der Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung erwähnte er den auf das Assad-Regime bezogenen Fluchtgrund im Übrigen nicht mehr.
Der Beschwerdeführer brachte als Fluchtgrund in der Beschwerde lediglich eine Entführung seiner Person durch kurdische Sicherheitskräfte im Jahr 2022 vor, die geschehen sei, weil er seine damals 15-jährige Tochter vor einer drohenden zwangsweisen Rekrutierung durch die Kurden versteckt habe.
Zunächst ist anhand der verfügbaren Länderinformationen zu prüfen, ob und in welcher Häufigkeit Zwangsrekrutierungen von Mädchen durch kurdische Sicherheitskräfte damals stattfanden. Laut dem für den fraglichen Zeitraum maßgeblichen Länderinformationsblatt vom 27. März 2024 (S. 151) bleibe die Zwangsrekrutierung von Kindern durch verschiedenste Parteien im Syrienkonflikt ein zentrales Problem. Als Verantwortliche würden die Vereinten Nationen unter anderem „die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG/YPJ)“ benennen. Der im Juni 2022 veröffentlichte Jahresbericht des Generalsekretärs an die UN-Generalversammlung über Kinder in bewaffneten Konflikten berichte über die Rekrutierung und den Einsatz von insgesamt 1.296 Kindern (1.258 Buben und 38 Mädchen) im Konflikt in Syrien zwischen Januar und Dezember 2021. 220 dieser Fälle seien der YPG und den mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten (YPJ) zugeschrieben worden. Laut den Vereinten Nationen und dem SNHR seien zwischen Januar 2014 und September 2020 mindestens 911 Kinder durch die YPG zwangsrekrutiert worden (S. 153). 2020 habe der Exekutivrat der Selbstverwaltung die Einrichtung von Kinderschutzbüros beschlossen, und es gebe anhaltende Bemühungen der SDF, der Praxis der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen. Allerdings scheine die Praxis nach wie vor nicht eingestellt worden zu sein.
Während die Vereinten Nationen nämlich im Jahr 2021 in ihrem Bericht eine positive Entwicklung verzeichnet hätten, sei es im Jahr 2022 laut UN zu Rückschlägen gekommen. So seien beispielsweise die Büros zum Schutz Minderjähriger in bewaffneten Konflikten im Mai 2022 geschlossen und erst im April 2023 wieder geöffnet worden. SNHR (Syrian Network for Human Rights) habe einen Anstieg an Rekrutierungen Minderjähriger verzeichnet und berichtet, dass die Rekrutierung Minderjähriger zu einer systematischen Policy der SDF gehöre und viele Unterorganisationen an Rekrutierungen von Kindern beteiligt seien und sogar viele Schulen der AANES. Insbesondere nach Angriffen auf die von der SDF kontrollierten Gebiete steige laut SNHR die Zahl an rekrutierten Minderjährigen an, weil die SDF die verlorenen Kräfte kompensieren möchten.
Eine Erklärung für die erfolgreichen Rekrutierungen sei in der schlechten Wirtschaftslage zu suchen, welche das Gehalt der SDF attraktiv macht. Es gebe Berichte von Zwangsrekrutierungen durch Entführungen aus Schulen oder direkt von der Straße. Menschenrechtsorganisationen würden die Rekrutierung von Kindern durch die Revolutionäre Jugend dokumentieren, eine mit den SDF verbundene Organisation, die Jugendliche auf den Dienst bei der YPG und den Asayish, dem internen Sicherheits- und Geheimdienst der AANES, vorbereitet. Solche Rekrutierungen würden häufig über den Schulunterricht oder unter dem Vorwand einer Anstellung erfolgen.
Laut EUAA- „Country Guidance“ vom April 2024 (S. 60 f) habe die Zahl der von den SDF und ihrer Untergruppierungen wie vor allem YPG rekrutierten Kinder im Jahr 2022 zugenommen. Auch die PKK, die Revolutionäre Jugend sowie die mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten (YPJ) würden Kinder rekrutieren. Flüchtlingslager von Vertriebenen seien eine Quelle der Rekrutierungen, wobei diese Buben und Mädchen ab zwölf Jahren betreffen würden.
Laut dem Bericht des Danish Immigration Service vom Juni 2024 zu „Military recruitment in North and East Syria“ fänden im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht keine Rekrutierungen von Minderjährigen statt (S. 14). Allerdings gebe es Berichte von Rekrutierungen Minderjähriger durch die SDF (S. 26 ff). Unklar bleibe dabei, inwieweit diese durch den Einsatz physischer Gewalt (etwa Entführungen) erfolgen würden, zumal die einzige Quelle oft nur die Eltern der verschwundenen Kinder seien. Eine Menschenrechtsorganisation spreche von einem Rückgang der Fälle in den letzten Jahren auf einige Dutzend pro Jahr. Ein UN-Bericht vom Oktober 2023 sehe hingegen einen Anstieg der Fälle; demnach seien zwischen Juli 2020 und September 2022 829 Minderjährige von den SDF rekrutiert worden. Mehrere Quellen würden betreffend die Motive der Rekrutierung auf emotionale, ideologische und wirtschaftliche Gründe verweisen, darunter Probleme mit den Eltern. Dennoch komme es auch zu gewaltsamen Rekrutierungen durch Entführungen. Auch betreffend die Revolutionäre Jugend (S. 29 ff) würden einige Quellen von Entführungen Minderjähriger von zu Hause berichten. Den Hauptfokus bilde aber die freiwillige Rekrutierung durch Anlocken und Indoktrinieren.
Ein ähnliches Bild zeichnet die ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien „Zwangsrekrutierung von Kindern und der Einsatz von Kindersoldat·innen in der Autonomieverwaltung von Nordostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) [a-12243]“ v. 12. Oktober 2023. Rekrutierungen würden vor allem durch die Revolutionäre Jugend durchgeführt werden (27 von 29 durch eine bestimmte Organisation dokumentierte Fälle im Jahr 2022), wobei die AANES und ihre Sicherheitskräfte keine Maßnahmen dagegen ergreifen würden. Laut UN-Bericht seien im Jahr 2022 637 Minderjährige von der SDF (davon 633 von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten und Frauenschutzeinheiten (YPG/YPJ)) und 21 von den Inneren Sicherheitskräften der AANES rekrutiert worden. Weiters sei die Entführung von vier Kindern (zwei durch YPG/YPJ und zwei durch die Revolutionäre Jugend) bestätigt worden. Laut einem Universitätsprofessor aus Erbil gebe es im Allgemeinen keine Zwangsrekrutierung junger Menschen, indem sie auf der Straße entführt würden. Es könne Einzelfälle dieser Art geben, aber im Allgemeinen sei die Vorgehensweise von Gruppen, wie der Revolutionären Jugend, eine andere. Eine Kombination sozialer und psychologischer Faktoren (wie niedriges Bildungsniveau, soziale Probleme und ideologische Propaganda) führe dazu, dass junge Menschen sich den Gruppierungen freiwillig anschließen. In Trainingslagern würden junge Menschen ideologisch so beeinflusst werden, dass sie nicht mehr zu ihrer Gemeinschaft und ihren Familien zurückkehren möchten. Laut einem Informanten komme es erst dann zu Entführungen, wenn Jugendliche sich weigern würden, sich freiwillig der Revolutionären Jugend anzuschließen. Laut Rasd Syria Network for Human Rights sei die tatsächliche Zahl der (zum Zweck der Rekrutierung) entführten Kinder um einiges höher als die Zahl der dokumentierten Fälle. Familien hätten Angst Fälle offenzulegen, da sie sich durch die Revolutionäre Jugend bedroht fühlen würden.
Zusammenfassend lässt sich aus den genannten Quellen folgendes Gesamtbild herausfiltern: Eine Rekrutierung minderjähriger Personen durch verschiedene, den herrschenden kurdischen Kräften nahestehende Gruppierungen im AANES-Gebiet fand zu dem vom Beschwerdeführer genannten Zeitpunkt (Herbst 2022, Verhandlungsschrift S. 9) statt, wobei ein großer Teil der Revolutionären Jugend zuzurechnen war. Zwang wurde allerdings nur in seltenen Fällen angewendet, und diesem ging oft der Versuch einer Indoktrination oder eines Anlockens voraus. Üblicherweise führte eine Kombination sozialer und psychologischer Faktoren (wie niedriges Bildungsniveau, soziale Probleme und ideologische Propaganda) zu einer Rekrutierung. Buben waren außerdem generell häufiger betroffen als Mädchen. Den Länderinformationen ist – auch unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer – jedenfalls nicht zu entnehmen, dass systematisch eine große Zahl von Jugendlichen oder Kindern zwangsrekrutiert wurde.
Vor diesem Hintergrund mutet es im konkreten Fall seltsam an, dass die Tochter des Beschwerdeführers ohne jegliche Vorgeschichte von kurdischen Kräften zwecks gewaltsamer Entführung und Rekrutierung aufgesucht worden sein soll. Der Beschwerdeführer brachte weder vor dem BFA noch in der mündlichen Verhandlung vor, dass seine Tochter bereits zuvor (etwa im schulischen Umfeld) zu indoktrinieren versucht worden wäre, oder dass es andere „Anlockversuche“ durch kurdische Milizen gegeben hätte. Weshalb gerade diese konkrete Minderjährige von den Milizen ausgesucht worden sein soll, vermochte der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar zu erklären. In der mündlichen Verhandlung antwortete er auf die entsprechende Nachfrage: „Sie haben viele rekrutiert. Weder ich noch meine Tochter wollten kämpfen und Menschen töten. Wir wollen mit den Waffen nichts zu tun haben.“ Auf nochmalige Nachfrage, was er mit „viele“ meine, sagte der Beschwerdeführer erneut, dass sie viele rekrutiert hätten, er kenne diese Menschen nicht, im Fernsehen werde darüber berichtet, die Eltern würden sagen, dass ihre Kinder rekrutiert worden seien (Verhandlungsschrift S. 8). Eine nachvollziehbare Erklärung liefert der Beschwerdeführer mit diesen ausweichenden Antworten nicht.
Im Ergebnis erscheint es daher als sehr unwahrscheinlich, dass kurdische Kräfte „aus heiterem Himmel“ gerade die konkrete Tochter des Beschwerdeführers zwangsweise zu rekrutieren versucht hätten.
Die vom Beschwerdeführer vorgetragene Geschichte rund um die versuchte Zwangsrekrutierung und Entführung ist aber auch in sich betrachtet nicht glaubhaft: Wie die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung bereits ausführlich darlegte, waren schon die zeitlichen Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde widersprüchlich (Niederschrift S. 5 ff): Der Vorfall mit den „Haval“ (laut Dolmetsch ein Sammelbegriff für die Mitglieder der YPG und PKK) sei rund einen Monat vor seiner Ausreise gewesen, wobei der Beschwerdeführer hier vom zeitlichen Ablauf her offenbar den ersten Vorfall meinte. Ca. 10 Tage später seien die Haval das zweite Mal bei ihm gewesen. Zwei Fragen später korrigierte sich der Beschwerdeführer, es sei nur 5-6 Tage später gewesen. Wiederum kurz darauf sprach er von einem Zeitraum von 10-15 Tagen.
Über Aufforderung, den ersten Vorfall genau zu beschreiben, gab der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde an, es sei in der Nacht gewesen, als sie zum ersten Mal gekommen seien. Kurz darauf behauptete er, er wisse nicht, ob es Tag oder Nacht gewesen sei. Nur eine Frage später meinte er nun, es sei doch Tag gewesen. Beim zweiten Mal seien sie zwischen 2 und 3 Uhr früh gekommen, er sei dann zehn Tage im Gefängnis gewesen. Trotz mehrmaliger Aufforderung durch den Leiter der Amtshandlung, dieses zweite Mal genauer zu beschreiben, vermochte der Beschwerdeführer nicht mehr zu erzählen, als dass sie gekommen seien und das Haus durchsucht hätten, die Familie aufgeweckt und nach seiner Tochter gesucht und ihn dann mitgenommen hätten. Es seien drei oder vier Leute gewesen.
Bereits die angeführten Widersprüche im zeitlichen Rahmen sowie das Unvermögen des Beschwerdeführers, konkretere Details zu den Vorfällen zu nennen, machen seine Geschichte unglaubhaft: Denn bei einem derart einschneidenden Erlebnis wie der versuchten Entführung der eigenen Tochter sowie der anschließenden eigenen Entführung ist anzunehmen, dass mehr Details und Umstände der Ereignisse genannt werden können und sich eine Person, die das erlebt hat, nicht mehrmals widerspricht bzw. in einem Zick-Zack-Kurs erzählt.
Die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers wird durch seine Verantwortung in der mündlichen Verhandlung noch untermauert: Hier sprach er nämlich erstmals davon, dass die Kurden „zwei- oder dreimal“ zu ihm nach Hause gekommen seien, um seine Tochter zu rekrutieren (Verhandlungsschrift S. 7, 9). Auf Vorhalt dieses Widerspruchs meinte der Beschwerdeführer, auch vor der belangten Behörde von zwei „oder“ drei Vorfällen gesprochen zu haben („Ich habe damals gesagt, zwei- oder dreimal. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.“, Verhandlungsschrift S. 10). Dies ist aber nicht nachvollziehbar, zum einen, weil der Beschwerdeführer ausweislich des von ihm nach Rückübersetzung unterfertigten Einvernahmeprotokolls vor der belangten Behörde von zwei Vorfällen gesprochen hatte. Zum anderen wäre es ungewöhnlich, wenn sich der Beschwerdeführer bei derart einschneidenden Ereignissen wie der versuchten Entführung seiner Tochter „nicht mehr daran erinnern“ könnte, ob es zwei oder drei Versuche gab.
Ein weiterer Widerspruch besteht darin, dass der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde angab, 10-15 Tage lang von den Kurden inhaftiert gewesen zu sein (Niederschrift S. 9), während er in der mündlichen Verhandlung von lediglich 4-6 Tagen sprach (Verhandlungsschrift S. 7). Auch die in der mündlichen Verhandlung geschilderten Abstände zwischen den (nunmehr) drei Vorfällen von jeweils einem Monat passen nicht zu den vor der belangten Behörde (unterschiedlich) geschilderten Zeiträumen von nur einigen Tagen (siehe oben).
Nicht nachvollziehbar erscheint es auch, dass der Beschwerdeführer (siehe Niederschrift BFA, S. 9) mit seinem Bruder nicht darüber gesprochen haben soll, wie dieser ihn gefunden und das Lösegeld ausgehandelt haben soll. Schon vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer befürchtet (Niederschrift S. 6, Verhandlungsschrift S. 12), dass seine Tochter weiterhin der Gefahr einer Entführung ausgesetzt ist, wäre anzunehmen, dass er als Vater sich beim Bruder über die näheren Umstände seiner eigenen Entführung und der daran beteiligten Personen informiert.
Widersprüchlich schilderte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung auch den aktuellen Verbleib seiner ältesten Tochter: Während er zunächst ausdrücklich aussagte, dass seine Ehefrau und seine „sechs Kinder“ im Heimatdorf leben würden (Verhandlungsschrift S. 6), revidierte er diese Aussage auf Vorhalt der von ihm behaupteten Bedrohung und meinte, er habe seine älteste Tochter bei Verwandten in Al-Malikiya versteckt (Verhandlungsschrift S. 8 und 10).
Ungewöhnlich erscheint auch, dass der Beschwerdeführer nur gegen ein Lösegeld von immerhin 5.000 € (für syrische Verhältnisse also eine enorme Summe) freigelassen worden sein soll, seine weiterhin im Heimatdorf lebende Frau samt Kindern bzw. seine sonstigen dort oder in der Nähe lebenden Angehörigen in den seitdem vergangenen drei Jahren aber keinen Repressalien ausgesetzt gewesen sein sollen (der Beschwerdeführer sprach vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung lediglich von einer ein- bzw. zweimaligen Nachschau ohne Konsequenzen). Dies deutet entweder darauf hin, dass die vom Beschwerdeführer vorgetragene Geschichte gar nicht stattgefunden hat, oder dass sich die dafür verantwortlichen kurdischen Kräfte mit dem Lösegeld und der Unmöglichkeit der Entführung der Tochter zufriedengegeben haben und dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr jedenfalls keine Repressalien drohen würden. Es ergäbe auch keinen Sinn, dass angesichts der zahlenmäßig wenigen und daher offensichtlich ausgewählten Fälle tatsächlicher Zwangsrekrutierungen sich die verantwortlichen kurdischen Milizen auf eine konkrete Minderjährige „fixieren“ und nicht vielmehr bei zu großem Widerstand eine andere Person als Ziel ins Auge fassen sollten. Der Beschwerdeführer selbst sprach nur davon, dass die Haval ihm bei Rückkehr „wehtun“ würde (Niederschrift S. 5), bzw. dass die Kurden ihn bei Rückkehr töten würden (Verhandlungsschrift S. 12), ohne dies näher auszuführen. Insbesondere ist auch nicht nachvollziehbar, warum etwa die inzwischen 15- bzw. 12-jährigen Töchter Silin und Zavin unbehelligt im Heimatdorf leben können und offenbar keine Probleme mit Zwangsrekrutierungen haben (Verhandlungsschrift S. 7, 9). Im Übrigen war die älteste Tochter zum damaligen Zeitpunkt erst rund 13 Jahre alt (Geburtsjahr 2009, Verhandlungsschrift S. 7), und nicht bereits 15 (wie in der Beschwerde vorgebracht).
Zudem ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde bestätigte, dass seine Angaben vor der Polizei richtig gewesen seien, man ihm diese rückübersetzt habe und er nichts richtigzustellen habe (Niederschrift BFA S. 3), sodass auch die Widersprüche zwischen Erstbefragung und Einvernahme insbesondere hinsichtlich des Ziels der versuchten Zwangsrekrutierung (Beschwerdeführer selbst bzw. Tochter) erheblich sind. Eingangs der Einvernahme vor der belangten Behörde erklärte sich der Beschwerdeführer ausdrücklich damit einverstanden, in der Sprache Arabisch einvernommen zu werden, und bestätigte zugleich, dieser Sprache mächtig zu sein (Niederschrift S. 2), sodass sein Hinweis auf den Arabisch-Dolmetscher bei der Erstbefragung und seine mangelnden Arabisch-Kenntnisse ins Leere geht.
Schließlich fällt auch die dem Beschwerdeführer vom ehemaligen Assad-Regime im Februar 2022, also nur etwa ein dreiviertel Jahr vor seiner Ausreise ausgestellte Ausreisebewilligung ins Gewicht: Während der Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung den entsprechenden handschriftlichen Vermerk im Militärbuch bestätigte, konnte sich der Beschwerdeführer diesen nicht erklären, was nicht glaubhaft erscheint, zumal eine Ausreisebewilligung in der Regel nur auf Antrag ausgestellt wird (Verhandlungsschrift S. 6). Auch diese Tatsache spricht also gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und legt nahe, dass dieser seine Ausreise aus Syrien bereits längere Zeit geplant hatte und nicht wegen einer behaupteten Entführung kurzfristig ausreisen musste.
Im Ergebnis vermochte der Beschwerdeführer die seiner Verantwortung nach zentralen seine Flucht aus Syrien auslösenden Ereignisse nicht kohärent und nachvollziehbar darzustellen. Die erläuterte Unwahrscheinlichkeit einer versuchten Zwangsrekrutierung der Tochter an sich führt in Zusammenhalt mit der widersprüchlichen und detailarmen Erzählung des Beschwerdeführers daher zur getroffenen Negativfeststellung, weil sich die Entführung entweder gar nicht zugetragen hat oder daraus für den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr keine Repressalien mehr zu erwarten sind.
Die getroffene negative Feststellung betreffend eine drohende Zwangsrekrutierung durch die neue syrische Regierung gründet zum einen darauf, dass im Heimatort des Beschwerdeführers die Gebietskontrolle durch die kurdische Selbstverwaltung ausgeübt wird und die syrische Regierung dort aktuell keinen Zugriff hat. Zum anderen ergeben sich aus den Länderinformationen keine substantiellen Hinweise auf zwangsweise Rekrutierungen durch die Regierung al-Scharaa: Diese plant vielmehr die Einführung einer Freiwilligenarmee und will nicht auf die Wehrpflicht zurückgreifen, außer für einige Spezialeinheiten und „für kurze Zeiträume“ (LIB S. 140, 142).
Was eine Bedrohung durch die seitens der Türkei kontrollierte SNA betrifft, ist eine solche im Heimatort des Beschwerdeführers mangels Gebietskontrolle durch die SNA ebenfalls auszuschließen XXXX bzw. der zugehörige Bezirk Al-Malikiya liegen weit abseits des SNA-Gebiets und es gibt keine Berichte über dort stattgefundene Verfolgungen von Kurden durch die SNA aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen stützen sich auf die auszugsweise wiedergegebenen aktuellen Länderberichte zu Syrien, welche dem Beschwerdeführer zu Gehör gebracht wurden und denen er keine substantiierten Einwände entgegenhielt. Das durch den Machtwechsel veraltete Länderinformationsblatt vom 27. März 2024 wurde dort zitiert, wo es im konkreten Fall um die Situation (zu Zwangsrekrutierungen Minderjähriger) vor dem Machtwechsel ging.
Angesichts der Aktualität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf verschiedenen voneinander unabhängigen dort wiedergegebenen Quellen beruhen und ein übereinstimmendes, in sich schlüssiges und nachvollziehbares Gesamtbild liefern, besteht für das Gericht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
Gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2021/234 (im Folgenden: AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1955/55 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1974/78 (im Folgenden: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art 9 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl L 2011/337, 9 [im Folgenden: Statusrichtlinie] verweist).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).
Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art 9 Abs 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).
Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).
Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).
Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden VwG vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom VwG nicht getroffen werden (vgl. VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, mwN).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe eine asylrelevante Verfolgung darstellen (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn 19, mwN).
Der VwGH hat in seiner Rechtsprechung von der - nicht asylrelevanten - Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei jene Verfolgung unterschieden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht an. Entscheidend ist daher, mit welchen Reaktionen durch die Milizen der Asylwerber auf Grund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen müsste und ob in seinem Verhalten eine - sei es auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0079).
Wie festgestellt, existiert das syrische Regime unter Präsident Assad seit dem Umsturz im Dezember 2024 nicht mehr. Der Befürchtung des Beschwerdeführers einer Verfolgung (aus welchen Gründen immer) seitens des nicht mehr vorhandenen Regimes ist damit der Boden entzogen.
Der Beschwerdeführer konnte, wie in der Beweiswürdigung dargelegt und in den Feststellungen festgehalten wurde, auch keine Gefahr von Repressalien durch kurdische Milizen im Fall seiner Rückkehr in die Heimatregion im Zusammenhang mit einer versuchten Zwangsrekrutierung seiner Tochter und seiner eigenen Entführung glaubhaft machen, sodass eine Verfolgung aus diesem Grund auszuschließen ist.
Schließlich war auch eine Bedrohung seitens der neuen syrischen Regierung (Zwangsrekrutierung) sowie der SNA (ethnisch motivierte Verfolgung) aus den in der Beweiswürdigung dargestellten Gründen auszuschließen.
Das Verwaltungsgericht verkennt zwar nicht, dass es vor der zum Sturz des syrischen Regimes führenden Offensive in den HTS-beherrschten Gebieten im Nordwesten Syriens (in der Provinz Idlib und angrenzenden Provinzen) zu Menschenrechtsverletzungen seitens der HTS-Machthaber kam. Doch ist nach Art. 9 Abs. 1 StatusRL und der dazu ergangenen Rechtsprechung (EuGH 19.11.2020, C-238/19 (BAMF), Rn. 22) nicht jede Menschenrechtsverletzung als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A GFK zu betrachten, sondern nur eine Handlung, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt (Art. 9 Abs. 1 lit. a StatusRL) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, besteht, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie unter lit. a leg. cit. beschrieben betroffen ist (lit. b leg. cit.). Dass dem männlichen Beschwerdeführer, der Sunnit und nicht durch oppositionelle Aktivitäten gegenüber HTS in Erscheinung getreten ist, im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsort, der derzeit nicht einmal unter Regierungskontrolle steht, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, Opfer derartiger Menschenrechtsverletzungen zu werden, ist nicht zu erwarten, zumal noch nicht absehbar ist, wie sich die Politik der derzeit moderat agierenden HTS-geführten Regierung in Zukunft entwickeln wird, und die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für deren Glaubhaftmachung genügt.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt auch nicht, dass sich die Lage in Syrien in der ersten Dezemberhälfte des Jahres 2024 sehr rasch verändert hat, dass eine neuerliche Lageveränderung durchaus möglich ist und dass noch weitgehend unklar ist, wie sich die Lage in den kommenden Monaten entwickeln und welche politische Richtung die nunmehr regierende HTS einschlagen wird. Es wäre aber untunlich, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis völlige Klarheit über die künftigen Verhältnisse herrscht, weil nicht abschätzbar ist, ob und wann ein solches Szenario eintritt. Die verfügbaren aktuellen Berichte zur Lage in Syrien wurden – im Wesentlichen nach vorheriger Gelegenheit zur Stellungnahme – dem Verfahren zugrunde gelegt. Der volatilen Sicherheitslage in Syrien wurde durch die Gewährung subsidiären Schutzes ohnehin Rechnung getragen.
Zu berücksichtigen ist auch, dass nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für deren nach § 3 Abs 1 AsylG 2005 erforderliche Glaubhaftmachung im Sinne der zum Entscheidungszeitpunkt anzustellenden Prognose genügt (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN; Ra 2021/01/0003). Eine potentiell immer und zumal im generell volatilen Syrien mögliche Änderung der Lage zum Schlechteren für einen konkreten Beschwerdeführer kann nicht zu einer Asylgewährung führen. Sollte sich die Lage in Syrien dergestalt ändern, dass dem subsidiär schutzberechtigten Beschwerdeführer in Syrien (konkret absehbare) asylrelevante Verfolgung droht, steht ihm schließlich die Möglichkeit offen, einen Folgeantrag zu stellen.
Im Umstand, dass im Heimatland des Beschwerdeführers Bürgerkrieg herrscht, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. VwGH 26.11.1998, 98/20/0309, 0310 und VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht. Eine solche hat der Beschwerdeführer aber nicht hinreichend nachvollziehbar glaubhaft machen bzw. dartun können.
Letztlich ist in Zusammenschau dieser Erwägungen keine tatsächliche Gefahr für den Beschwerdeführer, bei einer Rückkehr nach Syrien in seine Heimatregion aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe verfolgt zu werden, erkennbar. In den Angaben des Beschwerdeführers waren auch keine sonstigen glaubwürdigen Anknüpfungspunkte oder Hinweise für irgendeine individuelle Verfolgung iSd GFK ersichtlich.
Aus diesen Gründen war dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten nicht zuzuerkennen und keine Flüchtlingseigenschaft festzustellen; seine darauf gerichtete Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG 2005 abzuweisen.
Zu B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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