JudikaturBVwG

W208 2316856-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
10. September 2025

Spruch

W208 2316856-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von Abteilungsinspektor XXXX , geb XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Klaus HEINZINGER gegen den Einleitungsbeschluss der BUNDESDISZIPLINARBEHÖRDE vom 23.06.2025, GZ: 2025-0.236.260 - Senat 27, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 95 Abs 2 und 118 Abs 1 Z 2 BDG stattgegeben und der Einleitungsbeschluss, soweit dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird, er habe dem festgenommenen XXXX am 29.09.2024, gegen 19:05 Uhr, in XXXX , im Arrestbereich des Polizeikommissariats XXXX , zweimal eine Ohrfeige versetzt, aufgehoben und das Disziplinarverfahren in diesem Punkt eingestellt, weil die zur Last gelegte Tat nach den Feststellungen des Strafgerichtes nicht erwiesen werden kann.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Disziplinarbeschuldigte und Beschwerdeführer (BF) steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund als Exekutivbeamter.

2. Am 24.03.2024 erstattete die Personalabteilung der Landespolizeidirektion WIEN Disziplinaranzeige gegen den BF (AS 5), welche vom Landespolizeipräsidenten mit Schreiben vom gleichen Tag an die Bundesdisziplinarbehörde (BDB) weitergeleitet wurde (AS 1). In der Disziplinaranzeige ist ausgeführt, dass der Personalabteilung der Sachverhalt am 30.09.2024 zur Kenntnis gelangt sei (AS 7). Weiters wird in der Sache auf einen Anlassbericht an die Staatsanwaltschaft (StA) vom 02.10.2024 hingewiesen (AS 11).

3. Am 13.05.2025 erging nach einer Strafverhandlung am Landesgericht für Strafsachen WIEN (LG), bei der der BF und die drei Beamten einvernommen wurden, die bei dem inkriminierten Vorwurf anwesend waren, das folgende Strafurteil (Hervorhebungen durch BVwG):

„Der Angeklagte [BF] wird von der wider ihn mit Anklageschrift vom 24.03.2025 erhobenen Anklage, er habe am 29. September 2024 in Wien als Exekutivbeamter seine Befugnis im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetzte Amtsgeschäfte vorzunehmen, nämlich Befehls- und Zwangsgewalt anzuwenden, wissentlich mit dem Vorsatz missbraucht, dadurch XXXX an seinem Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden (Verbot der Folter – Artikel 3 EMRK) zu schädigen, indem er im Zuge einer Amtshandlung, nämlich der Übernahme des Genannten nach seiner Festnahme und Überstellung in den Arrestbereich, Begutachtung und Dokumentation einer Verletzung und Personendurchsuchung, XXXX zwei Ohrfeigen versetzt habe, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

GRUND DES FREISPRUCHS:

Kein Schuldbeweis.

Der Sachverhalt konnte nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, weshalb im Zweifel ein Freispruch zu erfolgen hatte.“

4. Am 17.06.2025 fasste der zuständige Senat der BDB einen Einleitungsbeschluss (EB) gemäß § 123 Abs 1 und 2 BDG mit folgendem Inhalt, der am 23.06.2025 von der Senatsvorsitzende schriftlich ausgefertigt und am 26.06.2025 dem Rechtsvertreter des BF zugestellt wurde (AS 185 - Anonymisierung und Kürzung auf das Wesentliche im kursiven Text und Hervorhebungen durch BVwG;):

Der BF stehe im Verdacht

„[…] er habe am 29.09.2024, gegen 19:05 Uhr, in XXXX , während seines Dienstes im Arrestbereich des Polizeikommissariats XXXX , den festgenommenen XXXX ohne erkennbaren Grund mehrmals angeschrien, diesem die Kappe vom Kopf geschlagen und ihm zweimal eine Ohrfeige im Gesichtsbereich versetzt, wobei der Festgenommene bereits mit am Rücken angelegten Handfesseln auf einem Sessel saß,

er habe dadurch Dienstpflichtverletzungen gem. § 43 Abs. 1 und 2 BDG 1979 und § 44 Abs. 1 BDG 1979 i.V.m § 3 Abs. 1 AnhO und § 4 Abs. 1 AnhO und der zum Zeitpunkt der Dienstpflichtverletzungen gültigen DA „Allgemeine Polizeidienstrichtlinie", Punkt 11.2. „Auftreten", GZ: PO/113730/1/2014, vom 19.05.2014, „Anhaltewesen; Anhaltung im Arrest - Anhalteordnung (AnhO)", Punkt VI.I. Grundsätze, GZ: P4/87601/1/2014, vom 24.03.2014 i.V.m. § 91 BDG 1979 begangen […],

5. Gegen den EB brachte der BF am 19.07.2025 Beschwerde an das BVwG ein. Wobei sich diese lediglich gegen den Vorwurf richtet, er habe dem Inhaftierten zwei Ohrfeigen im Gesichtsbereich versetzt.

6. Mit Schreiben vom 28.07.2025 (eingelangt beim BVwG am 31.07.2025) wurde die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt – ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen – von der BDB zur Entscheidung vorgelegt.

7. Das BVwG hat den Strafakt des LG beschafft (OZ 2).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der im Verfahrensgang angeführten Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Verdachts einer Dienstpflichtverletzung durch die zur Verfolgung berufene Abteilung der Dienstbehörde und der Anzeigeerstattung steht fest.

Ebenso steht fest, dass das Strafgericht nach einer Anzeige der Dienstbehörde vom 02.10.2024 mit rechtskräftigem Urteil vom 13.05.2025 festgestellt hat, dass nicht erweisbar ist, dass der BF dem Festgenommenen tatsächlich zwei Ohrfeigen gegeben hat.

2. Beweiswürdigung:

Zunächst ist auf die in Klammern im Verfahrensgang angeführten Beweismittel/Aktenseiten (AS) zu verweisen, aus denen sich insb die relevanten Zeitpunkte der Kenntnisnahme des Verdachts der vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen, der Strafanzeige und des Strafurteils (Freispruch) ergibt.

Aufgrund der Formulierung des Urteilsspruches (I.3) und der Begründung ist unstrittig, dass der BF deswegen freigesprochen wurde, weil das Strafgericht den Vorwurf der Verabreichung von zwei Ohrfeigen als nicht erweisbar angenommen hat.

Das Strafgericht kam nach der Befragung der bei dem Vorfall anwesenden Beamten BezInsp XXXX , Insp XXXX und KontrInsp XXXX als Zeugen in der Verhandlung am 13.05.2025 zu dieser Feststellung. Das ergibt sich aus der vom BVwG eingeholten Niederschrift der Hauptverhandlung. Der Zeuge XXXX (H) gab bei seiner Einvernahme in seiner eigenen Verhandlung im Verwaltungsstrafverfahren am 30.09.2024 (ON 4.22, 3 im Strafakt des LG) an, dass er sich wegen seiner Alkoholisierung in der Nacht an gar nichts erinnern könne und konnte ihm – trotz mehrmaliger Versuche des LG – keine Zeugenladung für die Hauptverhandlung zugestellt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zulässigkeit und Verfahren

Gemäß § 7 Abs 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde beim BVwG vier Wochen. Die Beschwerde wurde fristgerecht eingebracht. Gründe für eine Unzulässigkeit der Beschwerde sind nicht ersichtlich.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. § 135a BDG sieht bei Entscheidungen über einen Einleitungsbeschluss keine Senatszuständigkeit vor, gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Eine mündliche Verhandlung wurde (nicht) beantragt und wird vom BVwG auch nicht für notwendig erachtet (§ 24 Abs 1 iVm Abs 4 VwGVG), weil der für Beurteilung der Rechtmäßigkeit des EB notwendige Sachverhalt den Akten zu entnehmen ist und feststeht.

Zu A)

3.2. Gesetzliche Grundlagen und Judikatur

Die anzuwendenden Bestimmungen des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG) lauten (Auszug):

„Zusammentreffen von strafbaren Handlungen mit Dienstpflichtverletzungen

§ 95.

(1) […]

(2) Die Disziplinarbehörde ist an die dem Spruch eines rechtskräftigen Urteils zugrunde gelegte Tatsachenfeststellung eines Strafgerichtes (Straferkenntnis eines Verwaltungsgerichts) gebunden. Sie darf auch nicht eine Tatsache als erwiesen annehmen, die das Gericht (das Verwaltungsgericht) als nicht erweisbar angenommen hat. […]

Einstellung des Disziplinarverfahrens

§ 118.

(1) Das Disziplinarverfahren ist mit Bescheid einzustellen, wenn

1. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit ausschließen,

2. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Dienstpflichtverletzung darstellt,

3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen, oder

4. die Schuld des Beschuldigten gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Beschuldigten von der Verletzung der Dienstpflichten abzuhalten oder der Verletzung von Dienstpflichten durch andere Beamte entgegenzuwirken.“

Die dem strafgerichtlichen Freispruch zugrundeliegende Bestimmung der Strafprozessordnung (StPO) lautet:

„§ 259.

Der Angeklagte wird durch Urteil des Schöffengerichts von der Anklage freigesprochen:

1. […]

2. […]

3. wenn das Schöffengericht erkennt, dass die der Anklage zugrunde liegende Tat vom Gesetze nicht mit Strafe bedroht oder der Tatbestand nicht hergestellt oder nicht erwiesen sei, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat begangen habe, oder dass Umstände vorliegen, durch die die Strafbarkeit aufgehoben oder die Verfolgung aus anderen als den unter Z. 1 und 2 angegebenen Gründen ausgeschlossen ist.“

Der VwGH hat dazu folgende einschlägige Aussagen getroffen:

Im Disziplinarverfahren ist - anders als im strafgerichtlichen Verfahren - nicht die strafrechtliche Qualifikation von Handlungen zu beurteilen, sondern die Prüfung der Disziplinarbehörde auf die Beurteilung des vom Beamten gesetzten Verhaltens aus disziplinärer Sicht beschränkt. Diese Prüfung obliegt den Disziplinarbehörden unabhängig von der Frage, ob der Beamte wegen seines Verhaltens angeklagt bzw. strafrechtlich verurteilt wurde oder nicht (VwGH 16.1.1992, 91/09/0175, 21.10.1998, 96/09/0169).

Die Bindungswirkung im Disziplinarverfahren folgt nicht bloß aus der Bestimmung des § 95 Abs 2 erster Satz BDG 1979, sondern aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft überhaupt, wie sie unanfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen eigen ist. Diese Bestimmung dient den rechtsstaatlichen Anliegen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, weil durch die grundsätzliche Bindungswirkung sichergestellt werden soll, dass zu einem sachgleichen historischen Geschehensablauf nicht unterschiedliche tatsächliche Feststellungen in verschiedenen Verfahren rechtskräftig getroffen werden. Das gerichtliche Strafverfahren ist mit den strengsten rechtsstaatlichen Garantien ausgestattet; das gilt in besonderem Maße für das Zustandekommen der tatsächlichen Feststellungen. Deshalb muss auch gemäß § 114 Abs 1 BDG 1979 das Disziplinarverfahren unterbrochen und der Ausgang eines sachgleichen Strafverfahrens abgewartet werden, womit zugleich das Ziel verfolgt wird, widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Die Disziplinarkommissionen können keine Überprüfungsinstanz für gerichtliche Strafurteile darstellen (VwGH 24.01.2014, 2013/09/0158).

Die Bindung gemäß § 95 Abs. 2 BDG 1979 entsteht nach dem unmissverständlichen Normtext losgelöst von der Frage der allfälligen Tilgung einer strafgerichtlichen Verurteilung. Denn die Disziplinarbehörden sind nicht nur an die dem Spruch eines verurteilenden, sondern auch an die dem Spruch eines freisprechenden rechtskräftigen Urteils zu Grunde liegenden Tatsachenfeststellungen gebunden (VwGH 05.09.2013, 2013/09/0012).

3.3. Beurteilung des konkreten Sachverhaltes

Die Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss der BDB zu dem im Spruch angeführten Vorwurf, der BF hätte dem Festgenommenen H – neben dem Anschreien und dem Herunterschlagen der Kappe – auch zwei Ohrfeigen versetzt, ein Disziplinarverfahren gegen den BF einzuleiten.

Die BDB hat nicht – positiv – zu prüfen, ob eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung begangen wurde, sondern – negativ – zu erheben, ob nicht ein Grund für die Einstellung des Verfahrens vorliegt der eine Bestrafung ausschließt. Es handelt sich dabei um eine Entscheidung im Verdachtsbereich (Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, 4. Auflage, 567).

Gemäß der ständigen Rsp des VwGH sind in dieser Phase des Disziplinarverfahrens nur offenkundige Einstellungsgründe gemäß § 118 BDG zu beachten (VwGH 16.11.1995, 93/09/0054).

Ein offenkundiger Einstellungsgrund ist gem § 118 Abs 1 Z 2 BDG auch, wenn die Tat nicht erwiesen werden kann. Das ist hier nach den Feststellungen des Strafgerichtes, an die die BDB gem § 95 Abs 2 BDG gebunden ist, der Fall.

Vor diesem Hintergrund liegt eine Rechtswidrigkeit iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG aus den vom BF angeführten Grund vor und ist der Beschwerde spruchgemäß stattzugeben.

Demgemäß ist das Disziplinarverfahren gegen den BF „nur“ zu den Vorwürfen des Anschreiens und des Herunterschlagens der Kappe eingeleitet.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Auf die zitierte Judikatur und den klaren Gesetzeswortlaut darf verwiesen werden.