Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER über die Beschwerde der XXXX , vertreten durch DR. RAGOSSNIG Partner Rechtsanwalts GmbH, Friedrichgasse 6/9/37, 8010 Graz, gegen den Bescheid der Bundesdisziplinarbehörde vom 23.12.2024, GZ 2024-0.323.319, betreffend Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Mit Disziplinarerkenntnis der Bundesdisziplinarbehörde (in Folge: Behörde) vom 28.06.2024 wurde über RevInsp XXXX (in Folge: Beschwerdeführerin) die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von drei Monatsbezügen verhängt
Die von der Beschwerdeführerin gegen dieses Erkenntnis erhobene Beschwerde wurde von der Behörde mit Beschwerdevorentscheidung vom 25.09.2024, GZ 2024-0.323.319 mit der Maßgabe abgewiesen, dass eine Geldstrafe in der Höhe von vier Monatsbezügen verhängt wurde. Die Beschwerdevorentscheidung wurde der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters am 26.09.2024 und dem Disziplinaranwalt am 25.09.2024 zugestellt.
Gegen diese Beschwerdevorentscheidung brachte der Disziplinaranwalt beim BMI mit Schriftsatz vom 02.10.2024 rechtzeitig einen Vorlageantrag ein, der mit E-Mail vom 21.10.2024, noch vor Vorlage durch die Behörde an das BVwG zurückgezogen wurde.
Mit Schriftsatz vom 11.10.2024 brachte die Beschwerdeführerin bei der Behörde einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG wegen Versäumung der Frist zur Einbringung eines Vorlageantrages ein und stellte gleichzeitig den Vorlageantrag.
2. Mit dem bekämpften Bescheid der Behörde vom 23.12.2024 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass der Rechtsvertreter die notwendige berufsgebotene Sorgfalts- und Überwachungspflicht bei der Termin- und Fristenevidenz außer Acht gelassen habe.
Dagegen wurde rechtzeitig Beschwerde wegen formeller und materieller Rechtswidrigkeit erhoben, die Behebung des bekämpften Bescheides sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung samt Beweisaufnahme durch Zeugenbefragung beantragt.
3. Mit Note vom 06.02.2025, beim Bundesverwaltungsgericht am 07.02.2025 eingelangt, legte die Behörde den verfahrensgegenständlichen Bescheid und die Beschwerde, nach Urgenz durch das Bundesverwaltungsgericht im April 2025 auch den verfahrensgegenständlichen Disziplinarakt vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen und Beweiswürdigung
1.1. Die aufgrund der Beschwerde der Disziplinarbeschuldigten (Beschwerdeführerin) ergangene Beschwerdevorentscheidung vom 25.09.2024, GZ 2024-0.323.319, wurde dem zustellbevollmächtigten Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am 26.09.2024 zugestellt. Die Frist zur Einbringung eines Vorlageantrages endete demnach am 10.10.2024.
Der Schriftsatz betreffend Vorlageantrag wurde durch den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am 08.10.2024 um 15:39 Uhr fertig gestellt. Am 10.10.2024 wurde dieser bereits kurvertierte Schriftsatz um 16:45 Uhr mit etwa fünfzehn anderen Poststücken einer langjährigen Mitarbeiterin übergeben, damit diese zur Post gebracht werden. Der Mitarbeiterin wurde dabei mitgeteilt, dass darunter auch Schriftstücke seien, die fristwahrend an diesem Tag aufgegeben werden müssen. Weiters wurde der Mitarbeiterin gesagt, dass sie danach ihren Dienst beenden könne.
Die Mitarbeiterin verstaute die Poststücke in ihrer Handtasche, die mehrere Fächer hat, und begab sich zur Postfiliale XXXX . Diese Postfiliale ist knapp 400m (Gehweg) von der Kanzlei des Rechtsvertreters entfernt und schließt um 17:00 Uhr. Am selben Abend kurz vor 22:30 Uhr suchte die Mitarbeiterin zu Hause in ihrer Tasche nach ihrem Ladekabel und entdeckte dabei den kuvertierten Vorlageantrag, der in ein (anderes) Innenfach der Handtasche gerutscht war, obwohl die Mitarbeiterin angenommen hatte, alle Briefsendungen im Hauptfach ihrer Tasche verstaut zu haben. Die Mitarbeiterin teilte sodann per WhatsApp Ihrem Arbeitgeber, dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin mit, dass sie nun den Brief von der XXXX in ihrer Tasche gefunden habe, fragte nach, ob dies „eine Frist von heute oder morgen“ sei und war aufgrund dessen offensichtlich beunruhigt („Bin jetzt voll unrund- Bitte melde dich ganz dringend“).
1.2. Obige Feststellungen konnten aufgrund des Vorbringens im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand getroffen werden. Wenn im Wiedereinsetzungsantrag angegeben wird, dass sich die Postfiliale 300m von der Kanzlei entfernt befände, ist darauf zu verweisen, dass sich im Routenplaner ein Fußweg von 400m mit einer Gehzeit von sechs Minuten ergibt.
2. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich war die Rechtmäßigkeit eines Bescheides der Bundesdisziplinarbehörde betreffend Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrages zu prüfen, weshalb diese Entscheidung durch eine Einzelrichterin zu erfolgen hatte.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte ungeachtet eines Parteienantrages gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegen. Verfahrensgegenständlich ist nicht ein Disziplinarerkenntnis, sondern ein abweisender Bescheid betreffend Wiedereinsetzung wegen Versäumung einer Frist.
Zu A)
2.1. Die maßgebliche Bestimmung des § 33 VwGVG lautet:
„§ 33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrags ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil die anzufechtende Beschwerdevorentscheidung fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat oder die Beschwerdevorentscheidung keine Belehrung zur Stellung eines Vorlageantrags, keine Frist zur Stellung eines Vorlageantrags oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.
(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen
1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.
2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,
bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.
(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.
(4a) […]
(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.
(6) […]“
Bei Versäumen der Beschwerdefrist ist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein § 33 VwGVG die maßgebliche Bestimmung und nicht die §§ 71, 72 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt (VwGH 28.09.2016, Ra 2016/16/0013). Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass grundsätzlich die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG übertragbar sind (siehe etwa VwGH 25.05.2020, Ra 2018/19/0708).
2.3. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung festhält, stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hierbei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinn der obigen Ausführungen dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. VwGH 02.08.2018, Ra 2018/19/0147). Dasselbe gilt auch hinsichtlich des ausführenden Verhaltens eines Rechtsanwaltsanwärters oder eines anderen juristischen Mitarbeiters (vgl. VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0332; 31.5.2017, Ra 2017/22/0064)
Gerade in Fällen besonderer Dringlichkeit ist das Fehlen, bzw. die Unzulänglichkeit eines Kontrollsystems, insbesondere ob zur Postaufgabe vorgesehene Sendungen tatsächlich zur Post gegeben und versendet wurden, nicht mehr als minderer Grad des Versehens zu werten (vgl. VwGH 14.10.2016, Ra 2016/09/0001, mwN). Dies gilt gleichermaßen für die fristgebundene Abfertigung von Schriftstücken im elektronischen Rechtsverkehr (vgl. VwGH 02.08.2018, Ra 2018/19/0147).
2.4. Die Anwendung dieser Rechtslage auf den gegenständlichen Sachverhalt ergibt Folgendes:
Im vorliegenden Fall erfolgt die Termin- und Fristverwaltung durch den rechtskundigen Parteienvertreter, seine Kanzleimitarbeiterin ist für die tatsächliche Postaufgabe der ihr übergebenen Briefstücke verantwortlich. Im vorliegenden Fall hat der Parteienvertreter, obwohl der durchaus einfache Schriftsatz des Vorlageantrages bereits am 08.10.2024 erstellt war, seiner Mitarbeiterin diesen Schriftsatz erst zwei Tage später, 15 Minuten bevor das Postamt schließt, zur Aufgabe übergeben. Es handelte sich also im gegenständlichen Fall um eine Angelegenheit mit besonderer Dringlichkeit und ist im Gegenstand nicht erkennbar, dass grundsätzliche Maßnahmen vorweg getroffen wurden, um mögliche Fehler oder Irrtümer bei der physischen Postaufgabe zu vermeiden. Im vorliegenden Fall transportierte nämlich die Kanzleimitarbeiterin sämtliche aufzugebenden Briefsendungen ohne Unterscheidung nach der Dringlichkeit der Postaufgabe in ihrer privaten Handtasche, die offenbar über mehrere Fächer verfügt .Schon diese Art des Transportes von aufzugebenden Briefsendungen birgt das durchaus vorhersehbare Risiko, dass eine einzelne Briefsendung, wie es im vorliegenden Fall passiert ist, bei der Postaufgabe übersehen wird, noch dazu, wenn diese nur Minuten vor Postschluss erfolgt. Dieses Risiko wäre bei Verwendung eines Postbehälters oder einer „Letterbox“ einfach zu vermeiden gewesen und widerspricht diese Form des Transports anwaltlicher Briefsendungen der dabei gebotenen Sorgfalt. Dass ein Kontrollsystem, ob die aufzugebenden Briefsendungen auch tatsächlich aufgegeben wurden, fehlt, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass die Mitarbeiterin ihren Fehler durch Zufall bemerkte, als sie in ihrer Tasche Stunden später nach ihrem Ladekabel suchte.
Wenn in der Beschwerde ausgeführt wird, dass der langjährigen Mitarbeiterin, die seit Jahren für das Versenden der Post zuständig sei, ein solcher Fehler noch nie passiert sei, so ändert dies nichts an der Unzulänglichkeit der dargestellten Vorgangsweise und des fehlenden Kontrollsystems. Zwar mag durchaus zutreffen, dass der Verbleib des Poststückes in der Handtasche der Mitarbeiterin ein minderer Grad des Versehens der Mitarbeiterin ist, dies ändert jedoch nichts am Umstand, dass die gepflegte Vorgangsweise an sich die gebotene Sorgfalt vermissen lässt.
Zum Beschwerdevorbringen, wonach die Behörde verpflichtet gewesen wäre, den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin sowie seine Mitarbeiterin zu befragen oder einen Verbesserungsauftrag zu erteilen, bleibt offen, zu welchen weiteren Beweisergebnissen die Behörde dabei hätte kommen sollen, zumal sie ihrer Entscheidung ohnehin den im Wiedereinsetzungsantrag dargelegten Sachverhalt ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat.
Zum Beschwerdevorbringen, wonach die Ansicht der Behörde verfehlt sei, dass das betreffende Poststück fristwahrend im SB-Bereich der Post am selben Tag noch hätte aufgegeben werden können, ist zu bemerken, dass die Behörde diese Ansicht nicht vertreten hat, sondern nur auf die grundsätzliche Möglichkeit der Aufgabe im SB-Bereich verwiesen hat. Gerade aber, weil eine Aufgabe im SB-Bereich der Postfiliale nach 17:00 Uhr nicht mehr fristwahrend möglich gewesen wäre, ist bei der gegebenen Dringlichkeit der Aufgabe angesichts eines fehlenden Kontrollsystems und der dargestellten Unzulänglichkeit des Transportes von anwaltlichen Briefsendungen, nicht mehr von einem minderen Grad des Versehens auszugehen.
Zusammengefasst kann eine Rechtwidrigkeit in der Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrages nicht erblickt werden und war die Beschwerde daher abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidungen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängen, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Denn die Frage, ob das Verwaltungsgericht fallbezogen zu Recht das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens in einem Verfahren betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verneint hat, ist keine Rechtsfrage, der über den konkreten Einzelfall hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 03.09.2018, Ra 2018/01/0370).