Spruch
Teilerkenntnis
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina MUCKENHUBER über die Beschwerde von XXXX , StA. Brasilien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.04.2023, Zl. XXXX , betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung, zu Recht:
A) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Belangte Behörde) vom 19.04.2023 wurde gegen den brasilianischen Staatsangehörigen XXXX (im Folgenden: BF) gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Brasilien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Absatz 3 Z 6 FPG wurde gegen den BF ein Einreiseverbot für die Dauer von 10 Jahren erlassen (Spruchpunkt III) und gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 und 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
Dagegen erhob der BF am 21.03.2025 die gegenständliche Beschwerde und stellte gleichzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Mit Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 24.03.2025 wurde die Beschwerde als verspätet zurückgewiesen.
Der BF stellte im Wege seiner Rechtsvertretung fristgerecht einen Vorlageantrag.
Die gegenständliche Beschwerde und der Vorlageantrag wurden mit dem maßgeblichen Verwaltungsakt am 11.04.2025 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 24.03.2025 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 3 VwGVG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG wurde diesem Antrag die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.).
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigem Tag wurde die dagegen erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass sich die Zurückweisung auf § 33 Abs. 1 VwGVG stützt, zumal keine Fristversäumnis vorliegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF ist brasilianischer Staatsangehöriger.
Er hält sich seit dem Jahr 2007 in Österreich auf und verfügte ab 24.09.2014 über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“.
1.2. Der BF reiste im Februar 2024 nach Brasilien und tauchte dort unter, um sich einem strafgerichtlichen Ermittlungsverfahren in Österreich zu entziehen.
Der angefochtene Bescheid vom 19.04.2023 wurde aufgrund des unbekannten Aufenthaltes von der belangten Behörde gemäß § 25 ZustG öffentlich bekanntgemacht.
1.3. Am XXXX .09.2023 stellte sich der BF den österreichischen Behörden indem er vorangemeldet an diesem Tag per Flug nach Österreich einreiste. Der BF wurde am Flughafen von Polizeibeamten festgenommen.
Am 29.11.2023 wurde der BF von einem Landesgericht wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Dem Urteil lag zugrunde, dass der BF im Dezember 2022 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem anderen Mittäter ein Kennzeichen eines fremden Fahrzeuges abmontierte und an sich nahm. Im Dezember 2022 nahm er gemeinsam mit anderen Mittätern einen Standtresor mit Bargeld in Höhe von EUR 35.000,-, ein Armband im Wert von EUR 33.000, Silber- und Goldmünzen, weiteren Schmuck unbekannten Wertes, ein Mobiltelefon sowie zwei Laptops im Gesamtwert von zumindest EUR 300.000 mit dem Vorsatz weg, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem sie eines der Opfer in ihrem Haus überwältigten, es mittels Klebeband und Kabelbinder an einen Sessel fesselten, es unter Drohungen aufforderten, den Öffnungscode für den Tresor zu nennen, den Tresor mit einem mitgebrachten Winkelschleifer zur öffnen versuchten, schließlich den Tresor samt Beute sowie die Gold-und Silbermünzen aus dem Versteck im Hasenstall in das Fluchtfahrzeug verbrachten und flüchteten. Sie hielten das Opfer widerrechtlich gefangen, indem sie es gefesselt im Haus zurückließen.
Bei der Strafbemessung wurden die Tatbegehung in Gemeinschaft und das Zusammentreffen von einem Verbrechen und zwei Vergehen als erschwerend sowie die umfassend geständige Verantwortung, den wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung, den bisherigen ordentlichen Lebenswandel und den Umstand, dass das Opfer von der Versicherung einen Teil der Raubbeute ersetzt erhielt, als mildernd gewertet.
Der BF befindet sich aktuell in Strafhaft. Das errechnete Strafende ist am XXXX .03.2027. Termine für eine allfällige bedingte Entlassung sind am XXXX .09.2025 (1/2), am XXXX .05.2026 (2/3).
1.4. Am 18.03.2025 wurde der Bescheid vom 19.04.2023 vom zur Übernahme bevollmächtigten Vater des BF übernommen.
Am 21.03.2025 übermittelte der damals bevollmächtigte Rechtsvertreter des BF die Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.04.2023 samt Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Identität des BF steht unstrittig fest.
Die Feststellungen zum Aufenthalt in Österreich und zum Aufenthaltstitel konnten den Ausführungen im angefochtenen Bescheid entnommen werden, welchen in der dagegen erhobenen Beschwerde von Seiten des BF nicht entgegengetreten wurde. Diese Feststellungen decken sich auch mit den Eintragungen im Zentralen Fremdenregister.
2.2. Dass sich der BF dem Ermittlungsverfahren in Österreich entzog, beruht auf dem Abschlussbericht der LPD XXXX vom 28.06.2023 sowie der staatsanwaltschaftlichen Festnahmeanordnung vom 10.02.2023.
Die Beurkundung der öffentlichen Bekanntmachung des angefochtenen Bescheides ist aktenkundig.
2.3. Die Einreise des BF am XXXX .09.2023 und die Festnahme beruhen auf dem Abschlussbericht der LPD XXXX vom 21.09.2023.
Das genannte Strafurteil samt Ausführungen zum genauen Tathergang und den Strafbemessungsgründen ist aktenkundig.
Der aktuelle Vollzug der Freiheitsstrafe und das errechnete Strafende ergibt sich aus der eingeholten Haftauskunft.
2.4. Die Bestätigung über die Übernahme des Bescheides vom 19.04.2023 durch den Vater des BF am 18.03.2025 ist aktenkundig.
Der Zeitpunkt des Einbringens der Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.04.2023 beruht auf dem E-Mail des damaligen Rechtsvertreters vom 21.03.2025.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 24.03.2025 wies die belangte Behörde die Beschwerde des BF gegen den Bescheid vom 19.04.2023 als verspätet zurück.
Entgegen der Annahme der belangten Behörde erwies sich die Zustellung des Bescheides vom 19.04.2023 durch öffentliche Bekanntmachung als nicht wirksam und erfolgte eine wirksame Zustellung dieses Bescheides erst durch die Übernahme des Bescheides durch den Vater des BF am 18.03.2025. Die am 21.03.2025 eingebrachte Beschwerde erfolgte innerhalb der vierwöchigen Beschwerdefrist und galt damit als rechtzeitig (vgl. Ausführungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag, zu G316 2310889-1).
Die Zurückweisung einer Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung ändert nichts daran, dass das Rechtsmittel, über welches das VwG zu entscheiden hat, im Fall eines zulässigen Vorlageantrags nach § 15 VwGVG 2014 die Beschwerde bleibt (vgl. VwGH 17.02.2023, Ro 2023/08/0001).
Ist die Beschwerde zulässig, wurde sie mit der Beschwerdevorentscheidung aber zurückgewiesen, so hat das Verwaltungsgericht inhaltlich über die Beschwerde zu erkennen (und den Ausgangsbescheid zu bestätigen, zu beheben oder abzuändern), wobei seine Entscheidung an die Stelle der Beschwerdevorentscheidung tritt, ohne dass diese explizit behoben werden muss (VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026).
Demnach ist gegenständlich inhaltlich über die Beschwerde zu erkennen und es bedarf keiner expliziten Behebung der vorliegenden Beschwerdevorentscheidung.
3.2. Zur Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung:
3.2.1. Vorweg ist festzuhalten, dass Gegenstand der vorliegenden Entscheidung nur jener – trennbare – Spruchteil des mit der Beschwerde angefochtenen Bescheides ist, mit dem gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 und 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung der Beschwerde aberkannt wurde, weshalb sich die Prüfung auf jene Teile des Beschwerdevorbringens beschränkt, die sich gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides) richten.
Die Entscheidung in der Hauptsache (dh. konkret gegen die Spruchpunkte I.-IV. des angefochtenen Bescheides) ergeht zu einem späteren Zeitpunkt gesondert.
3.2.2. Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung vom Bundesamt abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist (Z1), oder Fluchtgefahr (Z3) besteht.
Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.
Gemäß Abs. 6 leg. cit. steht ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.
Gegenständlich hält sich der BF seit seinem siebten Lebensjahr in Österreich auf und bringt in der Beschwerde vor, seine gesamte Schulbildung in Österreich genossen zu haben. Er sei im Bundesgebiet sozialisiert worden und verfüge in Brasilien über keinerlei Anknüpfungspunkte. Zudem würden seine Eltern und sein vierjähriger Sohn im Bundesgebiet leben.
Auch wenn eine sofortige Ausreise gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG aufgrund der Straffälligkeit grundsätzlich indiziert ist, macht der BF mit seinem Vorbringen ein reales Risiko einer Verletzung von Artikel 8 EMRK geltend. Da der BF – wie auch von der belangten Behörde festgestellt wurde – ab seinem siebten Lebensjahr in Österreich lebte und über einen Aufenthaltstitel Daueraufenthalt EU verfügt, ist bei der Prüfung des Vorbringens im Lichte der höchstgerichtlichen Judikatur zu Artikel 8 EMRK in Verbindung mit Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot ein besonderer Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Weitere Ermittlungen sind daher notwendig, um im gegenständlichen Fall eine Verletzung von Artikel 8 EMRK ausschließen zu können.
Es war daher der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. stattzugeben und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG zuzuerkennen.
Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und solche sind auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Im Ergebnis war die Revision daher nicht zuzulassen.