JudikaturBVwG

W221 2260381-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
18. Dezember 2024

Spruch

W221 2260378-1/6EW221 2260381-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Daniela URBAN, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX , geb. XXXX und 2.) der XXXX , geb. XXXX , beide StA. Somalia, beide vertreten durch die BBU, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 05.08.2022, 1.) Zl. 1287343601/211558654 und 2.) Zl. 1287356305/211558549, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.12.2024 zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerinnen stellten am 18.10.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin.

Am 19.10.2021 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerinnen statt. Befragt, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen haben, antwortete die Erstbeschwerdeführerin, dass die Al-Shabaab ihren Mann und ihre zwei Söhne Ende XXXX umgebracht habe. Zwei ihrer Töchter seien entführt und vergewaltigt und sie selbst auch vergewaltigt worden. Die Zweitbeschwerdeführerin gab am selben Tag befragt an, dass die Al-Shabaab ihren Vater und ihre zwei Brüder umgebracht habe. Sie selbst und ihre Schwester seien entführt und vergewaltigt worden.

Am 25.03.2022 wurden die Beschwerdeführerinnen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. Zu den Fluchtgründen befragt, gaben die Beschwerdeführerinnen an, dass Al-Shabaab eines Abends in das familieneigene Geschäft gekommen sei, den Ehemann der Erstbeschwerdeführerin (bzw. Vater der Zweitbeschwerdeführerin) sowie die beiden Söhne (bzw. Brüder) getötet habe und die Beschwerdeführerinnen vergewaltigt worden seien. Die Zweitbeschwerdeführerin und ihre Schwester seien mitgenommen und zehn Tage festgehalten worden. Sie seien dann von Regierungssoldaten befreit worden. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ihre Schwester verloren, es selbst aber zurück nach Qoryooley geschafft. Ihre Mutter sei bei den Nachbarn gewesen, weil das Haus von Al-Shabaab abgebrannt worden sei und gemeinsam hätten sie beschlossen, aus Somalia zu fliehen.

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des BFA vom 05.08.2022, zugestellt am 31.08.2022, wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Den Beschwerdeführerinnen wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das BFA traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Somalia, stellte die Identität der Beschwerdeführerinnen nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerinnen unglaubwürdig seien.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass auf die Situation von alleinstehenden Frauen nicht eingegangen worden sei.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom BFA vorgelegt und sind am 30.09.2022 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 11.09.2024 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W186 abgenommen und der Gerichtsabteilung W221 zugewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.12.2024 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und im Beisein der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerinnen eine mündliche Verhandlung durch, in welcher die Beschwerdeführerinnen ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden und ihnen Gelegenheit gegeben wurde, zu den aufgetretenen Widersprüchen Stellung zu nehmen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen und Fluchtgründen der Beschwerdeführerinnen:

Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige von Somalia und bekennen sich zum muslimischen Glauben. Sie gehören nicht dem Clan der Gabooye an, sondern einem Mehrheitsclan.

Die Beschwerdeführerinnen stammen aus der Stadt Qoryooley in der Region Lower Shabelle. Qoryooley befindet sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS.

Die Beschwerdeführerinnen reisten im Mai XXXX mit einem somalischen Reisepass aus Mogadischu in die Türkei aus, reisten über mehrere Länder unrechtmäßig nach Österreich ein und stellten am 18.10.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Ausreise für beide Beschwerdeführerinnen hat ca. 1.200 US-Dollar gekostet.

Die Beschwerdeführerinnen waren in Qoryooley keiner wie auch immer gearteten Bedrohungssituation durch Al-Shabaab ausgesetzt. Den Beschwerdeführerinnen droht auch im Falle einer Rückkehr keine Gefahr durch Al-Shabaab, insbesondere droht der Zweitbeschwerdeführerin keine Zwangsheirat mit einem Al-Shabaab Mann.

Die Beschwerdeführerinnen sind im Falle einer Rückkehr nach Qoryooley keine alleinstehenden Frauen ohne männlichen Schutz. Die Kernfamilienangehörigen der Beschwerdeführerinnen – Ehemann bzw. Vater, drei Söhne bzw. Brüder, Tochter bzw. Schwester – befinden sich nach wie vor in Qoryooley und es besteht aufrechter Kontakt zu diesen. Daneben können die Beschwerdeführerinnen zusätzlich auf die Unterstützung durch Angehörige ihres Mehrheitsclans, wie etwa ihre Nachbarn, bauen.

Den Beschwerdeführerinnen droht in Somalia alleine aufgrund ihres Geschlechts nicht die Gefahr, mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

„Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

[…]

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

[…]

South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle)

[…]

Lower Shabelle: Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley, Merka und Baraawe befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS, Kurtunwaarey und Sablaale werden von al Shabaab kontrolliert (PGN 23.1.2023; vgl. Sahan/SWT 21.8.2023). Dies gilt auch für große Teile des Hinterlandes nördlich des Shabelle (PGN 23.1.2023) bzw. des ländlichen Raumes (Sahan/SWT 21.8.2023). Lower Shabelle ist nach wie vor von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen den Städten liegt im Fokus der al Shabaab. Zwischen Afgooye und Merka kann die Gruppe weiterhin das Gelände zwischen den größeren Orten, die mehrheitlich unter Regierungskontrolle sind, nutzen (BMLV 1.12.2023).

[…]

Minderheiten und Clans

Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen (SPC 9.2.2022). Dementsprechend steht Diskriminierung in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben (AA 28.6.2022, S. 11). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2022, S. 10). Selbst relative starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan 30.9.2022).

[…]

In ganz Somalia sehen sich Menschen, die keinem der großen Clans angehören, in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021, S. 56) und für ökonomische sowie politische Partizipation (UNHCR 22.12.2021, S. 56; vgl. BS 2022, S. 23). Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2022, S. 23). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021, S. 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UNOCHA 14.3.2022).

Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021, S. 56). Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, S. 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S. 42; vgl. ÖB 11.2022, S. 4). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 11.2022, S. 4). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, S. 21). Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S. 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S. 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, S. 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S. 14).

Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021, S. 58).

Politik: Politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB 11.2022, S. 3). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB 11.2022, S. 3; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 31f; FH 2022a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2022a, B4). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen (SPC 9.2.2022). So ist also selbst die gegebene, formelle Vertretung nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen (ÖB 11.2022, S. 4).

Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 12.4.2022, S. 41; vgl. AA 28.6.2022, S. 14; FH 2022a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 28.6.2022, S. 14). Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, und sie verfügen über geringere Ressourcen (Sahan 24.10.2022) und erhalten weniger Remissen (Sahan 24.10.2022; vgl. SPC 9.2.2022). Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird (Sahan 24.10.2022). Dementsprechend stehen Haushalte, die einer Minderheit angehören, einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber. Meist sind Minderheitenangehörige von informeller Arbeit abhängig, und die allgemeinen ökonomischen Probleme haben u.a. die Nachfrage nach Tagelöhnern zurückgehen lassen. Dadurch sind auch die Einkommen dramatisch gesunken (UNOCHA 14.3.2022).

Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 12.4.2022, S. 41). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, S. 39).

[…]

Bevölkerungsstruktur

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, S. 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, S. 11/14). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, S. 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vgl. NLMBZ 1.12.2021, S. 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, S. 44; vgl. SEM, 31.5.2017, S. 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, S. 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, S. 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S. 8).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S. 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, S. 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, S. 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S. 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, S. 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, S. 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S. 9). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, S. 25).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

[…]

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021, S. 57). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021, S. 57; vgl. NLMBZ 1.12.2021, S. 45; SEM 31.5.2017, S. 14ff) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (NLMBZ 1.12.2021, S. 45). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021, S. 57).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S. 43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S. 3).

Die berufsständischen Kasten werden zudem diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, S. 9). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017, S. 44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S. 44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S. 49).

[…]

Somaliland

[…]

Im Alltag spielt die Clanzugehörigkeit eine große Rolle (AA 28.6.2022, S. 12). Große Clans dominieren Politik und Verwaltung, wodurch kleinere Gruppen marginalisiert, gesellschaftlich manchmal diskriminiert werden. Ihr Zugang zu öffentlichen Leistungen ist schlechter (FH 2022b, B4/F4). Dies trifft v.a. auf die Gabooye zu. Diese leiden unter sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung und werden am Arbeitsmarkt diskriminiert.

[…]

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen - Allgemein

Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden (USDOS 12.4.2022, S. 37/40). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts. Entsprechend gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z. B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, diese gelten auch in Somaliland (AA 28.6.2022, S. 18). Auch im Rahmen der Ausübung des Xeer haben Frauen nur eingeschränkt Einfluss. Verhandelt wird unter Männern, und die Frau wird üblicherweise von einem männlichen Familienmitglied vertreten (SPC 9.2.2022). Oft werden Gewalttaten gegen Frauen außerhalb des staatlichen Systems zwischen Clanältesten geregelt, sodass ein Opferschutz nicht gewährleistet ist (AA 28.6.2022, S. 15).

Die von Männern dominierte Gesellschaft und ihre Institutionen gestatten es somalischen Männern, Frauen auszubeuten. Verbrechen an Frauen haben nur geringe oder gar keine Konsequenzen (SIDRA 6.2019b, S. 6). Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt werden oft im Rahmen kollektiver Clanverantwortung abgehandelt. Viele solche Fälle werden nicht gemeldet. Weibliche Opfer befürchten, von ihren Familien oder Gemeinden verstoßen zu werden, sie fürchten sich z. B. auch vor einer Scheidung oder einer Zwangsehe. Anderen Opfern sind die formellen Regressstrukturen schlichtweg unbekannt (SPC 9.2.2022).

Gemäß einer aktuellen Studie zum Gender-Gap in Süd-/Zentralsomalia und Puntland verfügen Frauen dort nur über 50 % der Möglichkeiten der Männer – und zwar mit Bezug auf Teilnahme an der Wirtschaft; wirtschaftliche Möglichkeiten; Politik; und Bildung (SLS 6.4.2021). Der Salafismus stellt in Somalia das größte Hindernis für die Förderung von Frauen dar. Trotzdem wächst die Zahl an Polizistinnen und Soldatinnen, und auch in Behörden werden zunehmend Frauen angestellt (Sahan 9.9.2022).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 12.4.2022, S. 40). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 28.6.2022, S. 17). Frauen werden in der somalischen Gesellschaft, in der Politik und in den Rechtssystemen systematisch Männern untergeordnet (LIFOS 16.4.2019, S. 10; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 40). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und werden diesen systematisch untergeordnet. Frauen leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik und Unterbringung (USDOS 12.4.2022, S. 40).

Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019, S. 3). Frauen sind das ökonomische Rückgrat der Gesellschaft und mittlerweile oft die eigentlichen Brotverdiener der Familie (SIDRA 6.2019b, S. 2). Daher ist es üblich, in einer Stadt wie Mogadischu Kleinhändlerinnen anzutreffen, die Khat, Gemüse oder Benzin verkaufen (TE 11.3.2019; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 11). Außer bei großen Betrieben spielen Frauen eine führende Rolle bei den Privatunternehmen. In Mogadischu und Bossaso gehören ca. 45 % aller formellen Unternehmen Frauen (WB 22.3.2022).

Politik: Viele traditionelle und religiöse Eliten stellen sich vehement gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen am politischen Leben (AA 28.6.2022, S. 18). Die eigentlich vorgesehene 30-%-Frauenquote für Abgeordnete im somalischen Parlament wird nicht eingehalten. Aktuell liegt diese bei 20 % (UNSC 13.5.2022, Abs. 2; vgl. ÖB 11.2022, S. 12) im Unterhaus und 26 % im Oberhaus (14 von 54 Sitzen) (USDOS 12.4.2022, S. 31; vgl. ÖB 11.2022, S. 12; UNSC 8.2.2022, Abs. 12). In der neuen Regierung nehmen Frauen 10 Sitze ein, was einen Anteil von 13 % ausmacht (UNSC 1.9.2022, Abs. 9).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen gesetzlich verboten ist (USDOS 12.4.2022, S. 37), bleiben häusliche (USDOS 12.4.2022, S. 37; vgl. AA 28.6.2022, S. 18) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem. Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 12.4.2022, S. 34/37).

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt bleiben ein großes Problem – speziell für IDPs (FH 2022a, G3; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 34ff, ÖB 11.2022, S. 11). Im Jahr 2021 kam es zu einem Anstieg an derartigen Fällen, oft werden Opfer auch getötet (HRW 13.1.2022; vgl. UNFPA 14.4.2022). Auch im Jahr 2022 ist die Zahl an Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt weiter gestiegen. Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer. 2021 war eine hohe Rate an Partnergewalt zu verzeichnen; mit der Rücknahme von Covid-19-bedingten Einschränkungen ist die Rate an Partnergewalt zuletzt gesunken. 74 % aller registrierten Vergehen von geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen IDPs (UNFPA 14.4.2022). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 12.4.2022, S. 35).

Frauen und Mädchen werden Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Nach anderen Angaben wiederum ereignet sich der Großteil der Vergewaltigungen - über 50 % - im eigenen Haushalt oder aber im direkten Umfeld; das heißt, Täter sind Familienmitglieder oder Nachbarn der Opfer. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass die Zahl an Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt aufgrund der Covid-19-Maßnahmen zugenommen hat. Alleine im Juli 2021 wurden von der UN 168 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert - darunter auch Vergewaltigungen und versuchte Vergewaltigungen. Es wird angenommen, dass die Dunkelziffer viel höher liegt (USDOS 12.4.2022, S. 35f). Insgesamt hat sich aber aufgrund von Chaos und Gesetzlosigkeit seit 1991 eine Kultur der Gewalt etabliert, in welcher Männer Frauen ungestraft vergewaltigen können (TE 11.3.2019). Frauen und Mädchen bleiben daher den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 28.6.2022, S. 17).

Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage und staatlicher Schutz: Vergewaltigung ist gesetzlich verboten (AA 28.6.2022, S. 18). Allerdings handelt es sich um ein Vergehen gegen Anstand und Ehre - und nicht gegen die körperliche Integrität (HRW 13.1.2022). Die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 12.4.2022, S. 34). Das Problem im Kampf gegen sexuelle Gewalt liegt insgesamt nicht am Mangel an Gesetzen – sei es im formellen Recht oder in islamischen Vorschriften (SIDRA 6.2019b, S. 5ff). Woran es mangelt, ist der politische Wille der Bundesregierung und der Bundesstaaten, bestehendes Recht umzusetzen und Täter zu bestrafen (SIDRA 6.2019b, S. 5ff; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 34). Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert (AA 28.6.2022, S. 17). Hinsichtlich einer Strafverfolgung von Vergewaltigern gibt es keine Fortschritte (UNSC 13.5.2022, Abs. 60).

Bei Vergewaltigungen kann von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden (ÖB 11.2022, S. 11; vgl. BS 2022, S. 19). Generell herrscht Straflosigkeit (USDOS 12.4.2022, S. 35; vgl. ÖB 11.2022, S. 11). Nach anderen Angaben nimmt die Zahl erfolgreicher Strafverfolgung bei Vergewaltigungen und anderer Formen sexueller Gewalt zu. Mädchen und Frauen haben demnach Vertrauen gewonnen und zeigen Fälle an. Trotzdem gibt es noch zahlreiche Mängel und Hürden, wenn Opfer Gerechtigkeit suchen (UNFPA 14.4.2022).

Die Tabuisierung von Vergewaltigungen führt u. a. dazu, dass kaum Daten zur tatsächlichen Prävalenz vorhanden sind (SIDRA 6.2019b, S. 2). Außerdem leiden Vergewaltigungsopfer an Stigmatisierung (USDOS 12.4.2022, S. 36). Opfer, die sich an Behörden wenden, werden oft angefeindet; in manchen Fällen sogar getötet (TE 11.3.2019). Aus Furcht vor Repressalien und Stigmatisierung wird folglich in vielen Fällen keine Anzeige erstattet (ÖB 11.2022, S. 11; vgl. UNFPA 14.4.2022; UNSC 10.10.2022, Abs. 132). Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 12.4.2022, S. 36).

Insgesamt werden Vergewaltigungen aber nur selten der formellen Justiz zugeführt (USDOS 12.4.2022, S. 36; vgl. AA 28.6.2022, S. 18; UNSC 10.10.2022, Abs. 132), was u. a. an der Angst vor Rache, vor Stigmatisierung und am schwachen Justizsystem und der allgemeinen Straflosigkeit der Täter liegt (UNSC 10.10.2022, Abs. 132). Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt. Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers (SIDRA 6.2019b, S. 5ff), oder aber das Opfer wird gezwungen, den Täter zu ehelichen (TE 11.3.2019; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 36). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S. 49; vgl. ÖB 11.2022, S. 11; SIDRA 6.2019b, S. 5ff). Manchmal übergibt die Polizei ohne Zustimmung des Opfers oder der Familie des Opfers einen Vergewaltigungsfall an traditionelle Rechtsinstrumente (UNSC 6.10.2021).

Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Es gibt kleinere Fortschritte dabei, Opfern den Zugang zum formellen Justizsystem zu erleichtern. Einerseits wurden Staatsanwältinnen eingesetzt; andererseits werden Kräfte im medizinischen und sozialen Bereich ausgebildet, welche hinkünftig Opfern zeitnah vertrauliche Dienste anbieten können werden (UNSC 13.5.2020, Abs. 56f). Zusätzlich kommt es zu Ausbildungsmaßnahmen für Sicherheitskräfte, um diese hinsichtlich konfliktbezogener sexueller Gewalt und den damit verbundenen Menschenrechten zu sensibilisieren (UNSC 13.11.2020, Abs. 49).

[…]

Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Insgesamt gibt es für Opfer sexueller Gewalt beachtliche Hürden, um notwendige Unterstützung in Anspruch nehmen zu können (USDOS 12.4.2022, S. 37). Zudem gibt es nur wenig Unterstützung in Fällen von Vergewaltigung, da es kaum spezialisierte Anbieter hinsichtlich psycho-sozialer Unterstützung oder zur Behandlung von Traumata gibt (UNFPA 14.4.2022). Sogenannte One-Stop-Centers, die von lokalen und internationalen Organisationen sowie vom Gesundheitsministerium betrieben werden, bieten Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt (auch FGM) rechtliche Hilfe und andere Dienste (UNICEF 29.6.2021). UNFPA unterstützt insgesamt 31 solche Einrichtungen sowie 16 Gesundheitseinrichtungen, welche für Opfer spezialisierte Behandlungen anbieten (UNFPA 5.2022). In ganz Somalia sind 74 NGOs und internationale Organisationen aktiv, um Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt zu unterstützen. In Mogadischu und in Puntland sind z.B. jeweils mehr als 20 Organisationen aktiv. Im Jahr 2021 wurden durch diese Anbieter ca. 51.000 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt behandelt, fast 10.000 Opfern wurde ein safe space zur Verfügung gestellt (UNFPA 14.4.2022). In Lower Shabelle stellen etwa ein Dutzend NGOs und andere Akteure für Vergewaltigungsopfer medizinische Behandlung, Beratung und andere Dienste zur Verfügung (USDOS 12.4.2022, S. 35). Insgesamt mangelt es allerdings an Schutzeinrichtungen. In Puntland gibt es einige Frauenhäuser, im Süd-/Zentralsomalia hingegen gibt es nur sehr wenige derartige Einrichtungen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (UNFPA 14.4.2022).

[…]

Frauen - al Shabaab: In den von ihr kontrollierten Gebieten gelingt es al Shabaab, Frauen und Mädchen ein gewisses Maß an physischem Schutz zukommen zu lassen. Die Gruppe interveniert z. B. in Fällen häuslicher Gewalt (ICG 27.6.2019, S. 2/6). Al Shabaab hat Vergewaltiger – mitunter zum Tode – verurteilt (USDOS 12.4.2022, S. 37). Dies ist auch ein Grund dafür, warum es in den Gebieten der al Shabaab nur vergleichsweise selten zu Vergewaltigungen kommt (ICG 27.6.2019, S. 6; vgl. DI 6.2019, S. 9).

Andererseits legen Berichte nahe, dass sexualisierte Gewalt von al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 28.6.2022, S. 18). Die Zahl an Zwangs- und Frühehen durch al Shabaab hat zugenommen (UNSC 6.10.2021). Dabei zwingt al Shabaab Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 20 Jahren zur Ehe. Diese sowie deren Familien haben generell kaum eine Wahl. Solche Zwangsehen gibt es nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (USDOS 12.4.2022, S. 37). Nach anderen Angaben werden die meisten Ehen mit Mitgliedern der al Shabaab freiwillig eingegangen, auch wenn der Einfluss von Eltern und Clan sowie das geringe Alter bei der Eheschließung nicht gering geschätzt werden dürfen. Eine solche Ehe bietet der Ehefrau und ihrer Familie ein gewisses Maß an finanzieller Stabilität, selbst Witwen beziehen eine Rente (ICG 27.6.2019, S. 8). Demgegenüber stehen Berichte, wonach viele Eltern ihre Töchter in Städte gebracht haben, um sie vor dem Zugriff durch al Shabaab in Sicherheit zu bringen (DI 6.2019, S. 9).

Al Shabaab schränkt die Freiheit und die Möglichkeiten von Frauen auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle signifikant ein (TE 11.3.2019). Die Anwendung einer extremen Form der Scharia resultiert in einer entsprechend weitgehenden Diskriminierung von Frauen (AA 28.6.2022, S. 18). Diese werden etwa insofern stärker ausgeschlossen, als ihre Beteiligung an ökonomischen Aktivitäten als unislamisch erachtet wird (USDOS 12.4.2022, S. 40). Nach anderen Angaben hat al Shabaab einen pragmatischen Zugang. Da immer mehr Familien vom Einkommen der Frauen abhängig sind, tendiert die Gruppe dazu, sie ihren wirtschaftlichen Aktivitäten nachgehen zu lassen. Und dies, obwohl Frauen nominell das Verlassen des eigenen Hauses nur unter Begleitung eines männlichen Verwandten (mahram) erlaubt ist (ICG 27.6.2019, S. 11).

Eheschließung: Bei Eheschließungen gilt das Scharia-Recht. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 11.2022, S. 10). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018, S. 7). Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die gesellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist (LIFOS 16.4.2019, S. 38). Gerade bei der ersten Ehe ist die arrangierte Ehe die Norm (LI 14.6.2018, S. 8f). Eheschließungen über Clangrenzen [Anm.: großer bzw. "nobler" Clans] hinweg sind normal (FIS 5.10.2018, S. 26f).

Ehe-Alter / Kinderehe: Generell sind die Ausdrücke "Erwachsener" und "Kind" in Somalia umstritten und de facto gesetzlich nicht explizit definiert (SPA 1.2021). Zwar ist gemäß somalischem Zivilrecht für eine Eheschließung ein Mindestalter von 15 Jahren vorgesehen (ICG 27.6.2019, S. 8), doch Scharia und Tradition nehmen eine Heiratsfähigkeit bei Erreichen der Pubertät an (LI 14.6.2018, S. 7). Generell herrscht unter den relevanten Stakeholdern keine Einigkeit darüber, wann denn nun eigentlich das Heiratsalter erreicht ist (UNFPA 14.4.2022) - und dies, obwohl Somalia die Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat, die eigentlich gegen eine Ehe vor dem Alter von 18 Jahren spricht (Sahan 19.9.2022). Laut Gesetzen sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen (USDOS 12.4.2022, S. 42; vgl. Sahan 19.9.2022). Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet (USDOS 12.4.2022, S. 42; vgl. FH 2022a, G3) – gerade in ärmeren, ländlichen Gebieten (ICG 27.6.2019, S. 8; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27; LI 14.6.2018, S. 7). Denn die Scharia, in der kein Mindestalter vorgesehen ist, hat das Familiengesetz weitestgehend ersetzt (Sahan 19.9.2022). Oft werden Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren verheiratet, wobei die Eheschließung von den Eltern schon sehr früh vereinbart wird. Die eigentliche Hochzeit erfolgt, wenn das Mädchen die Pubertät erreicht (FIS 5.10.2018, S. 27). Eltern ermutigen Mädchen zur Heirat, in der Hoffnung, dass die Ehe dem Kind finanzielle und soziale Absicherung bringt und dass diese die eigene Familie finanziell entlastet. Zudem wird eine frühe Ehe als kulturelle und religiöse Anforderung wahrgenommen (UNFPA 14.4.2022). Bei einer Umfrage im Jahr 2017 gaben ca. 60 % der Befragten an, dass eine Eheschließung für Mädchen unter 18 Jahren kein Problem ist (AV 7.2017, S. 36). Schätzungen zufolge heiraten 45 % der Mädchen vor ihrem 18. und 8 % vor ihrem 15. Geburtstag. Die Dürre hat das Risiko für viele Mädchen erhöht, bereits in jungen Jahren einer Ehe zugeführt zu werden. Es ist zu einem starken Anstieg der Zahl an Kinderehen gekommen. Viele durch die Dürre verarmte Familien holen Töchter aus den Schulen und verheiraten diese, um vom Brautgeld (yarad) leben zu können. In einem unsicheren Umfeld – etwa in einem IDP-Lager – wollen Eltern u.U. auch die Tochter vor Missbrauch schützen, indem sie diese verheiraten (Sahan 19.9.2022).

Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe ist fließend. Bei Ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich (LI 14.6.2018, S. 9f). Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 28.6.2022, S. 18). Nach Angaben einer Quelle sind Zwangsehen in Somalia normal (SPA 1.2021). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele von ihnen waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, S. 10). Und manche Mädchen haben nur in eine Ehe eingewilligt, um nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden (SPA 1.2021). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen. Außerdem gibt es kein Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr (USDOS 12.4.2022, S. 43). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition (LI 14.6.2018, S. 10). Vielmehr können Frauen, die sich gegen eine arrangierte Ehe wehren und/oder davonlaufen, ihr verwandtschaftliches Solidaritätsnetzwerk verlieren (ACCORD 31.5.2021, S. 33; vgl. LI 14.6.2018, S. 10).

Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (LI 14.6.2018, S. 9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, S. 11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, S. 11; vgl. LI 14.6.2018, S. 8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu – freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen – Liebesehen kommt (LI 14.6.2018, S. 8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80 % der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden. Zusätzlich gibt es auch die Tradition der "runaway marriages", bei welcher die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (FIS 5.10.2018, S. 26f). Diese Art der Eheschließung ist in den vergangenen Jahren immer verbreiteter in Anspruch genommen worden (LI 14.6.2018, S. 11).

Durch eine Scheidung wird eine Frau nicht stigmatisiert, und Scheidungen sind in Somalia nicht unüblich (LI 14.6.2018, S. 18f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27f). Bereits 1991 wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der über 50-jährigen Frauen mehr als einmal verheiratet gewesen ist (LI 14.6.2018, S. 18). Die Zahlen geschiedener Frauen und von Wiederverheirateten sind gestiegen. Bei einer Scheidung bleiben die Kinder üblicherweise bei der Frau, diese kann wieder heiraten oder die Kinder alleine großziehen. Um unterstützt zu werden, zieht die Geschiedene aber meist mit den Kindern zu ihren Eltern oder zu Verwandten (FIS 5.10.2018, S. 27f). Bei der Auswahl eines Ehepartners sind Geschiedene in der Regel freier als bei der ersten Eheschließung (LI 14.6.2018, S. 19). Auch bei al Shabaab sind Scheidungen erlaubt und werden von der Gruppe auch vorgenommen (ICG 27.6.2019, S. 9).

[…]

Medizinische Versorgung

[…]

Die Fertilitätsrate liegt in Somaliland bei 5,7 Kindern pro Frau, der gesamtsomalische Durchschnitt beträgt 6,9. In Somaliland werden 40 % der Kinder unter medizinischer Begleitung geboren [institutional delivery], im somalischen Durchschnitt sind es nur 21 % (WB 6.2021, S. 26ff).

[…]

Grundversorgung/Wirtschaft

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

[…]

Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können (UNSC 21.12.2018, S. 4). Der Bevölkerungszuwachs nivelliert das Wirtschaftswachstum und hemmt die Reduzierung von Armut (BS 2022, S. 30). Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 875 US-Dollar (BS 2022, S. 3).

[…]

Dokumente

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

[…]

Dokumente: Nur wenige Somali können die erforderlichen Mittel aufbringen, um einen Reisepass zu erhalten (ÖB 11.2022, S. 10). Dabei erfolgt die Ausstellung eines Passes in Mogadischu innerhalb weniger Wochen ohne Problem, die Kosten betragen 90-100 US-Dollar. Gleichzeitig mit dem Pass erhält man einen Personalausweis. Für die Beantragung eines Passes ist die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig (FIS 7.8.2020, S. 45). Die Daten im Reisepass beruhen auf den mündlichen Angaben des Antragstellers. Üblicherweise nennt der Antragsteller auch eine Bezugsperson – meist einen Clanvertreter. Allerdings gibt es keine Hinweise, wonach die vom Antragsteller zur Verfügung gestellten Informationen systematisch überprüft werden, indem z.B. mit der Bezugsperson Kontakt aufgenommen wird (LI 31.3.2022). Ausgestellt werden Pässe in Mogadischu und wenigen anderen somalischen Städten sowie an einigen Botschaften (UNHCR 22.12.2021, S. 43ff). Generell ist die Ausstellung von Reisepässen an somalischen Botschaften von persönlichen Beziehungen und der jeweiligen Situation abhängig (NLMBZ 1.12.2021, S. 41). Insgesamt ist die Ausstellung von Reisepässen von Betrug und Korruption gekennzeichnet, die Integrität dieses Dokuments ist untergraben (ÖB 11.2022, S. 5). Aufgrund von Sorgen hinsichtlich des Ausstellungsprozesses bzw. wegen weitverbreitetem Passbetrug erkennen nur wenige Staaten den somalischen Reisepass als gültiges Reisedokument an (UNHCR 22.12.2021, S. 43ff; vgl. ÖB 11.2022, S. 10).“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, die bereits im angefochtenen Bescheid getroffen wurden, stützen sich auf die zitierten Quellen und wurden von den Parteien nicht substanziell bestritten. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.2. Zu den Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführerinnen und zu ihren Fluchtvorbringen:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Religionszugehörigkeit gründen sich auf die entsprechenden gleichlautenden und damit glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerinnen im Laufe der Verfahren.

Die Beschwerdeführerinnen gaben zwar konstant an, der berufsständischen Minderheit der Gabooye anzugehören, jedoch konnten sie die dahingehenden Behauptungen nicht glaubhaft machen. In diesem Kontext ist zunächst darauf hinzuweisen, dass den zitierten Länderberichten entsprechend der Begriff „Gabooye“ ein vor allem im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist. Die Beschwerdeführerinnen stammen jedoch – wie festgestellt und siehe dazu weiter unten – aus der im Süden Somalias gelegenen Region Lower Shabelle, sodass die Angaben der Beschwerdeführerinnen hinsichtlich ihrer Clanzugehörigkeit zu den Gabooye bereits aus diesem Grund anzuzweifeln sind.

Von der erkennenden Richterin dazu befragt, was es bedeutet, eine Angehörige der Gabooye zu sein, artikulierte die Erstbeschwerdeführer ferner keinen einzigen konkreten Vorfall oder keine einzige konkrete Alltagssituation, die den Schluss zulassen würden, dass sie tatsächlich eine Angehörige der Gabooye sei. Die Erstbeschwerdeführerin führte nämlich vollkommen abstrakt und nicht auf sich selbst, sondern lediglich allgemein bezogen aus, „wir“ seien eine Minderheit, „wir“ würden keinem edlen Clan angehören, „wir“ würden von anderen Mehrheiten verachtet werden und „wir“ würden diskriminiert werden – worin die Diskriminierung und Verachtung genau gelegen seien, ist dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin selbst nach mehrmaliger entsprechender Nachfrage durch die erkennende Richterin jedoch nicht zu entnehmen. Die alleinige unsubstantiierte Angabe der Erstbeschwerdeführerin, „die anderen“ würden Gewalt gegen „uns“ anwenden, lässt keinesfalls den Schluss zu, dass die Erstbeschwerdeführerin von tatsächlich erlebter Gewalt berichtet, als mangels konkreter Beschreibung einer wie auch immer gearteten Konfliktsituation nicht aufgezeigt wird, in welcher Art und Weise Gewalt gegen die Erstbeschwerdeführerin angewandt worden sei. Die Zweitbeschwerdeführer führte auf ebendiese Frage der erkennenden Richterin zwar genauer aus, Gabooye hätten keine Rechte, würden verachtet werden, nur die als minderwertig betrachteten Berufe ausüben und keinen Schutz erhalten, doch beschränken sich auch diese Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin auf lediglich abstrakte Informationen das Leben von Gabooye betreffend und vermittelte die Zweitbeschwerdeführerin damit mangels konkreter sowie persönlicher Erfahrungen nicht den Eindruck, als hätte sie als Angehörige der Gabooye in der somalischen Gesellschaft gelebt.

Wie die Zweitbeschwerdeführerin zwar theoretisch zutreffend ausführte, üben berufsständische Minderheiten nach den zitierten Länderberichten grundsätzlich Berufe aus, die unrein oder unehrenhaft sind, wie zum Beispiel Schuster, Jäger oder Töpfer. Die Beschwerdeführerinnen gaben dazu im Widerspruch stehend jedoch an, dass ihr Ehemann bzw. Vater ein – wenn auch kleines – Geschäft betrieben habe, mit dem er den täglichen Bedarf der siebenköpfigen Familie befriedigen habe können. Als Geschäftsmann, und damit als Wirtschaftstreibender, habe der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführerinnen aber keinen für berufsständische Minderheiten typischen Beruf ausgeübt und spricht auch dieser Umstand dafür, dass die Beschwerdeführerinnen und ihre Familie keiner berufsständischen Minderheit angehören.

Den zitierten Länderberichten ist weiters zu entnehmen, dass berufsständische Minderheiten gesellschaftlich diskriminiert werden. Wie bereits geschrieben schilderte die Erstbeschwerdeführerin keine einzige von Diskriminierungen geprägte, sie betreffende Alltagssituation. Die Zweitbeschwerdeführerin führte hingegen zwar sowohl vor dem BFA als auch in der mündlichen Verhandlung aus, sie habe ausgehend von Somaliern, die einem anderen Clan angehören würden, Diskriminierungen in Form von Beschimpfungen erfahren, doch kann diesem Vorbringen nicht gefolgt werden. Die Beschwerdeführerinnen gaben nämlich an, sie hätten vor der Ausreise aus Somalia von Nachbarn, welche einem anderen – von den Beschwerdeführerinnen nicht näher bezeichneten – Clan als dem Minderheitenclan der Gabooye angehören würden, Unterstützung im beachtlichen Ausmaß (Unterkunft für mehrere Monate, Finanzierung der Ausreise, Organisation der Reisepässe) erhalten. Wäre die Zweitbeschwerdeführerin von Somaliern, die einem anderen Clan angehören würden, tatsächlich aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit zu den Gabooye diskriminiert bzw. beschimpft worden, ist nicht nachvollziehbar, wieso Nachbarn, welche einem anderen Clan als jenem der Gabooye zugehörig seien, den Beschwerdeführerinnen im beachtlichen Ausmaß Unterstützung bieten hätten sollen, wenn diese nach der Logik der Zweitbeschwerdeführerin doch eigentlich ursächlich für die Diskriminierungen bzw. Beschimpfungen gewesen seien.

Schließlich ist den zitierten Länderberichten auch noch zu entnehmen, dass die wenigsten Somalier die finanziellen Mittel für die Ausstellung eines Reisepasses haben und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Somalia lediglich 875 US-Dollar beträgt. Nach den Angaben der Beschwerdeführerinnen hätten genannte Nachbarn die Ausreisekosten in der Höhe von ca. 1.200 US-Dollar bestritten – damit eine Summe, die das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Somalia bei Weitem übersteigt – und Reisepässe der Beschwerdeführerinnen für deren Ausreise aus Somalia organisiert. Es ist somit naheliegend, dass diese Nachbarn über höhere finanzielle Mittel verfügt hätten und im Lichte jener Länderinformation, wonach kleinere Gruppen in wirtschaftlicher Benachteiligung leben, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keiner Minderheit, sondern einem Mehrheitsclan angehört hätten. Da genannte Nachbarn dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen nach – wie bereits geschrieben – diesen im Zusammenhang mit der Ausreise geholfen hätten und bereit gewesen seien, eine doch beträchtliche Summe für sie zu bezahlen, kann davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerinnen demselben Mehrheitsclan wie die Nachbarn angehören. Insgesamt ist damit die Feststellung zu treffen, dass die Beschwerdeführerinnen einem – weil es den zitierten Länderberichten entsprechend keine physischen Charakteristika gibt, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen – nicht näher feststellbaren Mehrheitsclan angehören. Die Beschwerdeführerinnen versuchten dies durch unrichtige Angaben zu ihrer Clanzugehörigkeit im Asylverfahren zu verbergen und das Verfahren dadurch zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Die Feststellung zum Herkunftsort der Beschwerdeführerinnen beruht darauf, dass sie vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gleichlautend angaben, in Qoryooley geboren worden zu sein und dort immer gelebt zu haben. Dass sich der Herkunftsort der Beschwerdeführerinnen aktuell unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS befindet, ergibt sich aus den zitierten Länderberichten.

Die Feststellungen zur Ausreise aus Somalia, zur Weiterreise nach Österreich sowie zu den Kosten der Ausreise ergeben sich aus den übereinstimmenden und damit glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerinnen im Laufe des Verfahrens. Das Datum der Antragstellungen ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Beschwerdeführerinnen konnten eine von Al-Shabaab ausgehende Bedrohungssituation aufgrund ihrer unterschiedlichen Erzählungen der fluchtauslösenden Ereignisse nicht glaubhaft machen. Dabei wird nicht verkannt, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Zeitpunkt der Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat sowie im Zeitpunkt des (behaupteten) fluchtauslösenden Ereignisses mit ihren damaligen etwa 17 Jahren noch minderjährig war. Entsprechend der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist daher eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und darf die Dichte dieses Vorbringens nicht mit „normalen Maßstäben“ gemessen werden (vgl. etwa VwGH 29.01.2021, Ra 2020/01/0470). Die damalige Minderjährigkeit der Zweitbeschwerdeführerin ändert jedoch nichts daran, dass sie ihr Fluchtvorbringen aufgrund von mehreren groben Diskrepanzen und vor allem auch in Zusammenschau mit jenen Angaben der Erstbeschwerdeführerin, die grundsätzlich dasselbe fluchtauslösende Ereignis betreffen, nicht glaubhaft darlegen konnte:

Vor dem BFA gab die Erstbeschwerdeführerin an, zehn Männer der Al-Shabaab seien zu Fuß in das Buschhaus der Familie gekommen. Männer der Al-Shabaab hätten die Erstbeschwerdeführerin, die Zweitbeschwerdeführerin und die andere Tochter der Erstbeschwerdeführerin aufgefordert, aus dem Buschhaus nach draußen in den Hof zu gehen und hätten vorgehabt, sie zu vergewaltigen. Der Ehemann und zwei Söhne der Erstbeschwerdeführerin wollten dies verhindern und seien deswegen von den Männern der Al-Shabaab im Hof erschossen worden. Anschließend seien die Erstbeschwerdeführerin, die Zweitbeschwerdeführerin und die andere Tochter der Erstbeschwerdeführerin von Männern der Al-Shabaab im Hof vergewaltigt worden, wobei die Erstbeschwerdeführerin von zwei Männern vergewaltigt worden sei. Die Zweitbeschwerdeführerin und die andere Tochter der Erstbeschwerdeführerin seien von den Männern der Al-Shabaab verschleppt worden.

In der mündlichen Verhandlung gab die Erstbeschwerdeführerin an, zehn Männer der Al-Shabaab seien mit dem Auto gekommen, als die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Ehemann und zwei ihrer Söhne im Hof vor der Buschhütte gesessen seien, während die Zweitbeschwerdeführerin und die andere Tochter im Buschhaus gewesen seien. Die zehn Männer der Al-Shabaab hätten sich aufgeteilt. Gleichzeitig sei ein Mann der Al-Shabaab zur Erstbeschwerdeführerin gekommen und habe sie im Hof vergewaltigt, zwei Männer der Al-Shabaab seien zur Zweitbeschwerdeführerin und der anderen Tochter der Erstbeschwerdeführerin gekommen und hätten diese im Buschhaus vergewaltigt. Die restlichen sieben Männer der Al-Shabaab seien ins Geschäft (der erste Raum des Buschhauses) zum Ehemann und zu den zwei Söhnen der Erstbeschwerdeführerin gekommen, hätten nach Geld gefordert und anschließend den Ehemann und die zwei Söhne der Erstbeschwerdeführerin im Geschäft erschossen. Die Zweitbeschwerdeführerin und die andere Tochter der Erstbeschwerdeführerin seien von den Männern der Al-Shabaab verschleppt worden.

Die Erstbeschwerdeführerin schilderte damit vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung zwei völlig konträre Varianten der Fluchtgeschichte. Sie tätigte widersprüchliche Angaben hinsichtlich der Anreiseart der Al-Shabaab Männer, der Reihenfolge bzw. Gleichzeitigkeit der Ermordung und Vergewaltigung, des Grundes für die Ermordung der männlichen Familienangehörigen, des Ortes der Ermordung der männlichen Familienangehörigen, des Ortes der Vergewaltigung der Zweibeschwerdeführerin sowie der anderen Tochter und der Anzahl ihrer Vergewaltiger.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab vor dem BFA an, sie selbst, die Erstbeschwerdeführerin und die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin seien im Buschhaus gewesen, während ihr Vater und zwei ihrer Brüder im Geschäft des Vaters gesessen seien. Zehn Männer der Al-Shabaab seien zu Fuß zum Buschhaus der Familie und ins Geschäft des Vaters gekommen, hätten Geld gefordert und versucht, dem Vater die Aufbewahrungsbox für das Geld wegzunehmen. Weil der Vater dies verhindern wollte, hätten die Männer der Al-Shabaab den Vater und die beiden Brüder im Geschäft erschossen. Die Zweitbeschwerdeführerin, die Erstbeschwerdeführerin und die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin seien, als sie Geschrei gehört hätten, aus dem Buschhaus über den Hof in Richtung Geschäft gerannt und hätten gesehen, wie die männlichen Familienangehörigen erschossen worden seien. Anschließend seien die Zweitbeschwerdeführerin, die Erstbeschwerdeführerin und die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin zurück ins Buschhaus gerannt. Drei Männer der Al-Shabaab seien ins Buschhaus gekommen und hätten sie dort vergewaltigt. Die Männer der Al-Shabaab hätten die Zweitbeschwerdeführerin und ihre Schwester mit einem Auto zu einem Al-Shabaab Gefängnis verschleppt. Dort seien die Zweitbeschwerdeführerin und ihre Schwester mit zwei anderen Frauen in einem Wellblechzimmer für zehn Tage eingesperrt gewesen. Ein Al-Shabaab Mann habe die Zweitbeschwerdeführerin zwangsheiraten wollen, was die Zweitbeschwerdeführerin abgelehnt habe; sie sei deswegen von ihm geschlagen sowie in einem anderen Zimmer vergewaltigt worden. Am zehnten Tag hätten Regierungssoldaten das Gefängnis angegriffen und im Zuge dieser Auseinandersetzungen hätten die Zweitbeschwerdeführerin und ihre Schwester flüchten können, wobei die Zweitbeschwerdeführerin und eine andere Frau einerseits und die Schwester und eine andere Frau andererseits getrennt bzw. in andere Richtungen geflüchtet seien. Mit der Hilfe von Hirten habe die Zweitbeschwerdeführerin nach Qoryooley zurückgefunden.

In der mündlichen Verhandlung erstattete die Zweitbeschwerdeführerin ein im Wesentlichen ähnliches Vorbringen. Sie widersprach sich jedoch zunächst dahingehend, dass die zehn Al-Shabaab Männer nunmehr mit einem Auto gekommen seien und gab zudem – wesentlich schwerwiegender – eine unterschiedliche Variante hinsichtlich dessen an, wie sie die Ermordung ihres Vaters und ihrer zwei Brüder mitbekommen habe. Während die Zweitbeschwerdeführerin – wie gerade geschrieben – nämlich vor dem BFA angab, dass sie aus dem Buschhaus über den Hof in Richtung Geschäft gelaufen sei und damit korrelierend noch angab, das Geschäft sei zwar ein Teil des Buschhauses gewesen, jedoch sei es um die Ecke des Buschhauses gelegen, schilderte die Zweitbeschwerdeführerin besagte Situation in der mündlichen Verhandlung folgendermaßen: Das Buschhaus bestehe aus einem Wohnraum und dem Geschäft. Der Wohnraum sei neben bzw. hinter dem Geschäft gewesen, wobei der Wohnraum über das Geschäft direkt erreichbar sei und die Wände seien aufgrund des Materials hellhörig sowie leicht sichtdurchlässig gewesen. Als die Zweitbeschwerdeführerin das Geschrei gehört habe, sei sie aufgestanden und habe die Ermordung ihrer männlichen Familienangehörigen gesehen; dass sie aus dem Buschhaus über den Hof in Richtung Geschäft gelaufen wäre und so die Ermordung ihrer männlichen Familienangehörigen mitbekommen hätte, erwähnte sie hingegen in der mündlichen Verhandlung – wie gerade aufgezeigt – nicht mehr. Durch das alleinige Aufstehen wird vielmehr suggeriert, dass die Zweitbeschwerdeführerin die Ermordung ihrer männlichen Familienangehörigen über das blickdurchlässige und hellhörige Baumaterial der Buschhätte miterlebt hätte, ohne dass sie den Ort gewechselt hätte. Ebenso gab die Zweitbeschwerdeführerin vor dem BFA noch an, dass sie nach der Ermordung der männlichen Familienangehörigen zurück ins Buschhaus gelaufen sei und dann vergewaltigt worden sei, während ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht zu entnehmen ist, dass sie zurück ins Buschhaus gelaufen wäre, sondern sie gab im Zuge der mündlichen Verhandlung lediglich an, drei Männer seien zu ihnen gekommen und hätten sie, die Erstbeschwerdeführerin und ihre Schwester vergewaltigt; einen Ortswechsel erwähnte die Zweitbeschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Vergewaltigung damit in der mündlichen Verhandlung nicht mehr, was schlussendlich den Schilderungen in der mündlichen Verhandlung zufolge auch logisch ist, als sie – wie gerade geschrieben – in erster Linie das Buschhaus nicht verlassen habe, sodass sie auch nicht zurück ins Buschhaus rennen konnte. Schließlich schilderte die Zweitbeschwerdeführerin auch die Inhaftierung durch Al-Shabaab anders. Vor dem BFA sprach die Zweitbeschwerdeführerin nämlich lediglich davon, dass ein Mann der Al-Shabaab sie selbst zwangsheiraten habe wollen und sie, weil sie das nicht gewollte habe, geschlagen sowie vergewaltigt habe. In der mündlichen Verhandlung brachte sie hingegen vor, dass sowohl sie als auch ihre Schwester zwangsverheiratet hätten werden sollen, dies beide verweigert hätten und deswegen beide geschlagen sowie vergewaltigt worden seien. Davon abgesehen ist dem Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin vor dem BFA zu entnehmen, dass sie aufgrund ihrer fehlenden Einwilligung in die Zwangsheirat mit einem Al-Shabaab Mann von diesem einmal geschlagen und in einem anderen Zimmer vergewaltigt worden sei. In der mündlichen Verhandlung sprach sie hingegen davon, dass sie (und ihre Schwester) öfters auf die geplante Zwangsheirat angesprochen worden seien und öfters – wobei die Zweitbeschwerdeführerin selbst auf konkrete Nachfrage durch die erkennende Richterin die Anzahl der Vergewaltigungen nicht konkret beziffern konnte – vergewaltigt worden sei(en). Während die Zweitbeschwerdeführerin vor dem BFA noch angab, sie sei in einem anderen Zimmer vergewaltigt worden, ergibt sich aus ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht mehr, dass die Vergewaltigung in einem anderen Zimmer stattgefunden hätte, als sie lediglich angab, „sie“ seien zu ihnen in der Nacht gekommen und hätten sie vergewaltigt. Letztlich gab die Zweitbeschwerdeführerin vor dem BFA an, dass sie gemeinsam mit ihrer Schwester und zwei anderen Frauen in einem Zimmer eingesperrt gewesen sei. Zu Beginn ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung führte sie dazu konträr jedoch aus, dass sie im Zeitpunkt der Befreiung durch Regierungssoldaten mit anderen Frauen in einem Zimmer gewesen sei und sie nicht gewusst habe, wo ihre Schwester untergebracht gewesen sei. Indem die Beschwerdeführerin an einer späteren Stelle in der mündlichen Verhandlung aber zu Protokoll gab, sie sei mit ihrer Schwester und zwei anderen Frauen in einem Zimmer gewesen und jeder sei, als die Regierungssoldaten das Al-Shabaab Gefängnis angegriffen hätten, um sein eigenes Leben geflüchtet bzw. sie selbst sei mit einer der mitgefangenen Frauen geflüchtet, weshalb sie nicht wisse, in welche Richtung ihre Schwester und die zweite mitgefangene Frau geflohen seien, widersprach sich die Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung zusätzlich selbst, als an dieser späteren Stelle in der mündlichen Verhandlung von getrennten Zimmern der Zweitbeschwerdeführerin und ihrer Schwester keine Rede mehr war.

Weder die Erstbeschwerdeführerin noch die Zweitbeschwerdeführerin waren damit in der Lage die behauptete von Al-Shabaab ausgehende Bedrohungssituation im Laufe des Verfahrens stringent und widerspruchsfrei zu schildern, sodass bereits aus diesem Grund für die erkennende Richterin feststeht, dass sich die Beschwerdeführerinnen in keiner von Al-Shabaab ausgehenden Bedrohungssituation in Somalia befunden haben. Dies wird ferner dadurch bekräftigt, dass die Erzählungen der beiden Beschwerdeführerinnen auch miteinander nicht vereinbar sind. Die Gegenüberstellung der weiter oben angeführten Angaben der beiden Beschwerdeführerinnen vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung zeigt nämlich, dass sie in dem Sinne zwar grundsätzlich eine ähnliche Rahmenerzählung lieferten, als dass Männer der Al-Shabaab das Zuhause der Familie der Beschwerdeführerinnen aufgesucht, die männlichen Familienmitglieder ermordet, die Beschwerdeführerinnen sowie die andere Tochter bzw. Schwester vergewaltigt und die Zweitbeschwerdeführerin sowie ihre Schwester verschleppt hätten. Doch unterscheiden sich die präsentierten Geschichten der beiden Beschwerdeführerinnen in den zentralen Eckpunkten. Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin vor dem BFA ist nämlich nicht nur gänzlich konträr zu ihrem eigenen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung – wie weiter oben bereits aufgezeigt – sondern auch zum Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren. Auch in diesem Vergleich gilt damit, dass die Erstbeschwerdeführerin vor dem BFA im Vergleich zum Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren unterschiedliche Angaben hinsichtlich des Grundes für die Ermordung der männlichen Familienangehörigen, des Ortes der Ermordung der männlichen Familienangehörigen, des Ortes der Vergewaltigungen und der Anzahl ihrer Vergewaltiger tätigte. Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung ist zwar ähnlich zu jenem der Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren, doch vermag dies erstens an der fehlenden Glaubwürdigkeit der behaupteten von Al-Shabaab ausgehenden Bedrohungssituation nichts zu ändern, als damit vielmehr der Eindruck vermittelt wird, dass sich die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin vor der mündlichen Verhandlung neuerlich abgesprochen haben, um ihre Geschichten möglichst in Einklang zu bringen. Zweitens ist aber genau das in den Einzelheiten nicht geglückt. So gab die Erstbeschwerdeführerin nämlich an, dass die Vergewaltigungen gleichzeitig mit der Ermordung der männlichen Familienangehörigen erfolgt seien, während die Zweitbeschwerdeführerin eine klare zeitliche Abfolge der zuerst erfolgten Ermordung der männlichen Familienangehörigen und der erst anschließenden Vergewaltigungen ausführte. Ferner gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie sei, als die Männer der Al-Shabaab gekommen seien, mit den männlichen Familienangehörigen draußen im Hof gesessen, die Zweitbeschwerdeführerin gab hingegen an, sie und die Erstbeschwerdeführerin seien mit der Schwester im Buschhaus drinnen gewesen, während die männlichen Familienangehörigen im Geschäft gewesen seien. Nach der Erstbeschwerdeführerin sei sie selbst im Hof vergewaltigt worden und die Zweitbeschwerdeführerin und ihre zweite Tochter seien im Buschhaus vergewaltigt worden. Nach der Zweitbeschwerdeführerin seien hingegen alle drei im Buschhaus vergewaltigt worden. Aufgrund dieser zahlreichen Diskrepanzen konnten die Beschwerdeführerinnen damit insgesamt keine tatsächlich erlebte Gefahr durch Al-Shabaab glaubhaft machen und ist es für die erkennende Richterin gerade auch unter Berücksichtigung dessen, dass es sich bei der Ermordung von nahen Familienangehörigen und einer Vergewaltigung um besonders einschneidende Ereignisse handelt, nicht nachvollziehbar, wieso die Beschwerdeführerinnen, die doch eigentlich – mit Ausnahme der Verschleppung durch Al-Shabaab – dasselbe erlebt hätten, nicht in der Lage waren, diese wohl traumatischen Ereignisse zumindest in den zentralen Eckpunkten gleichlautend zu erzählen.

Mangels Glaubhaftigkeit der von den Beschwerdeführerinnen behaupteten Bedrohungssituation durch Al-Shabaab sind die beiden der Al-Shabaab bisher nicht aufgefallen oder in deren Blickfeld geraten, weswegen bereits deswegen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass sie im Falle der lediglich hypothetischen Rückkehr nach Somalia mit Problemen seitens Al-Shabaab zu rechnen hätten. Davon abgesehen befindet sich der Herkunftsort der Beschwerdeführerinnen – wie festgestellt und weiter oben ausgeführt – aktuell nicht unter Kontrolle von Al-Shabaab, sondern unter jener von Regierungskräften und ATMIS. Eine von Al-Shabaab ausgehende Gefahr droht den Beschwerdeführerinnen im Falle einer Rückkehr damit auch aufgrund der momentanen Kontrollverhältnisse nicht. An dieser Stelle wird auch nicht verkannt, dass den zitierten Länderinformationen zu entnehmen ist, dass Al-Shabaab Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 20 Jahren zur Zwangsehe zwingt, doch hat die Zweitbeschwerdeführerin mit ihren 22 Jahren im Entscheidungszeitpunkt diesen Altersrahmen bereits überschritten und befindet sich der Herkunftsort eben nicht unter Kontrolle von Al-Shabaab. Den zitierten Länderinformationen ist diesbezüglich nämlich zu entnehmen, dass Al-Shabaab derartige Zwangsehen lediglich in den von ihr kontrollierten Gebieten vornimmt, weswegen zusätzlich aufgrund der aktuellen Kontrollverhältnisse im Herkunftsort nicht davon auszugehen ist, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr von einer Zwangsheirat mit einem Al-Shabaab Mann betroffen wäre.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerinnen im Falle einer Rückkehr nach Qoryooley keine alleinstehenden Frauen wären, ergibt sich zunächst daraus, dass der Fluchtgeschichte der Beschwerdeführerinnen kein Glaube geschenkt werden konnte und die darin involvierten Kernfamilienangehörigen der Beschwerdeführerinnen – sprich der Ehemann bzw. Vater, zwei Söhne bzw. Brüder (ca. 23 und 25 Jahre alt) und eine Tochter bzw. die Schwester – damit weiterhin am Leben sind und sich, mangels des Vorliegens von Anhaltspunkten, die auf anderes schließen lassen würden, nach wie vor im Herkunftsort der Beschwerdeführerinnen aufhalten. Davon abgesehen ist auch davon auszugehen, dass sich der dritte Sohn bzw. Bruder (ca. 22 Jahre alt) der Beschwerdeführerinnen nach wie vor im Herkunftsort befindet. Damit zusammenhängend gaben die Beschwerdeführerinnen in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend an, der dritte Sohn bzw. Bruder sei an jenem Abend, an dem die Männer der Al-Shabaab das Zuhause der Familie der Beschwerdeführerinnen aufgesucht hätten, Fußball schauen gewesen und hätten sie ihn seither nicht mehr gesehen. In diesem Zusammenhang konnten die Beschwerdeführerinnen nicht plausibel erklären, warum der Sohn bzw. Bruder keinen Kontakt mit ihnen habe aufnehmen können. Die Beschwerdeführerinnen führten dazu aus, der dritte Sohn bzw. Bruder hätte sie wohl nicht gefunden, weil das Familienhaus von den Al-Shabaab Männern zerstört worden sei oder sei angesichts des Übergriffes aus Angst geflüchtet. Unabhängig davon, dass auch diesem Vorbringen schon deswegen nicht gefolgt werden kann, weil die behauptete von Al-Shabaab ausgehende Bedrohungssituation in ihrer Gesamtheit nicht glaubhaft ist und damit kein Grund vorliegt, wieso der dritte Sohn bzw. Bruder seine Familie nach dem Fußball schauen nicht wieder zu Hause antreffen hätte können, ist es für die erkennende Richterin zudem auch nicht nachvollziehbar, wieso er die Erstbeschwerdeführerin nicht bei den Nachbarn finden hätte können, wenn doch auch die Zweitbeschwerdeführerin nach ihrer Flucht aus der Al-Shabaab Gefangenschaft die Erstbeschwerdeführerin bei den Nachbarn finden habe können. Unter Berücksichtigung dessen, dass der dritte Sohn bzw. Bruder zu diesem Zeitpunkt ca. 17 Jahre alt gewesen sei und immer gemeinsam mit seiner Familie gelebt habe, wäre umso mehr davon auszugehen, dass er sich, nachdem er das zerstörte Familienhaus gesehen habe, bei den Nachbarn erkundigt und bei diese nach seiner Familie gefragt hätte.

Die Kernfamilie der Beschwerdeführerinnen, bestehend aus dem Ehemann bzw. Vater, drei Söhnen bzw. Brüdern und einer weiteren Tochter bzw. der Schwester, lebt damit nach wie vor im Herkunftsort in Somalia. Die Beschwerdeführerinnen verneinten zwar, mit Bekannten oder Familienangehörigen in Somalia nicht mehr in Kontakt zu stehen, doch sind sie in Anbetracht dessen, dass sie die wahren Gegebenheiten hinsichtlich ihrer Clanzugehörigkeit und des Aufenthaltes ihrer Kernfamilienangehörigen – um sich einen Vorteil im Asylverfahren zu erschleichen – zu verbergen versuchten, insgesamt persönlich unglaubwürdig, sodass für die erkennende Richterin kein Grund vorliegt nunmehr dem Vorbringen des fehlenden Kontaktes der Beschwerdeführerinnen mit deren Familienangehörigen und/oder Bekannten zu folgen. Dies zeigt sich auch darin, dass die Beschwerdeführerinnen versuchten, ihre familiäre Situation so darzustellen, als ob es nie mehr Personen als die Kernfamilie gegeben hätte und die Erstbeschwerdeführerin erst auf konkrete Nachfragen bekannt gab, dass auch ihr Mann zwei Schwestern habe, während die Zweitbeschwerdeführerin abstritt, dass sie Tanten habe. Vor dem Hintergrund der Länderinformationen, wonach die Fertilitätsrate im gesamtsomalischen Durchschnitt bei 6,9 pro Frau liegt, scheint es sehr unwahrscheinlich, dass die Eltern der Erstbeschwerdeführerin und die Eltern ihres Mannes keine weiteren Kinder gehabt haben, die dann wiederum Kinder bekommen haben. Letztlich lehnte es die Zweitbeschwerdeführerin auch ab, der erkennenden Richterin ihr Handy vorzulegen, damit sich diese ein Bild davon hätte machen können, ob die Zweitbeschwerdeführerin weiterhin über somalische Kontakte verfügt. Würde die Zweitbeschwerdeführerin tatsächlich nicht mit somalischen Verwandten und/oder Bekannten in Kontakt stehen und hätte sie damit nichts zu verbergen gehabt, wäre es für sie wohl möglich gewesen, der erkennenden Richterin ihre Einwilligung dahingehend zu erteilen. Im Ergebnis haben die Beschwerdeführerinnen somit Kontakt zu ihren Familienangehörigen und/oder Bekannten in Somalia.

Ferner gehören die Beschwerdeführerinnen – wie festgestellt und weiter oben ausgeführt – einem Mehrheitsclan an. Angesichts der Bedeutung der verwandtschaftlichen Struktur und der damit verbundenen Clanverhältnisse für die somalische Gesellschaft und die Möglichkeiten und Verpflichtungen der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung, können die Beschwerdeführerinnen im Falle ihrer Rückkehr auch mit Unterstützung von Angehörigen ihres Mehrheitsclans, wie zum Beispiel ihren Nachbarn, durch welche sie auch bereits vor der Ausreise Unterstützung erhalten hätten, rechnen. Vor diesem Hintergrund vermag daran letztlich auch das lapidare Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, genannte Nachbarn würden nicht lebenslang Unterstützung bieten können, nichts zu ändern, als die Clanunterstützung bzw. nachbarschaftliche Unterstützung lediglich zusätzlich zum bestehenden familiären Netz im Herkunftsort hinzukommen würde und damit keinesfalls von der alleinigen Abhängigkeit von genannten Nachbarn auszugehen ist. In einer Gesamtbetrachtung wären die einem Mehrheitsclan angehörenden Beschwerdeführerinnen damit – weil ihre auch männlichen Kernfamilienmitglieder weiterhin im Herkunftsort leben und zu diesen auch ein aufrechter Kontakt besteht – im Falle einer Rückkehr nach Somalia keine alleinstehenden Frauen ohne männlichen Schutz oder Clanschutz.

Nicht verkannt wird in diesem Zusammenhang letztlich, dass sich aus den zitierten Länderberichten insbesondere ergibt, dass sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen ein großes Problem bleibt und ist es in den letzten zwei Berichtszeiträumen (2021 und 2022) zu einem Anstieg an derartigen Fällen gekommen. Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt etwa wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer. Das Risiko, als Frau Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt in Somalia zu werden, stellt sich für Frauen, die durch ihre Lebenssituation besonders vulnerabel sind, wie zum Beispiel IDPs und Minderheiten, um ein Vielfaches höher dar; 74 % aller registrierten Vergehen von geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen IDPs. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass jede Frau in Somalia gleichermaßen Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt wird, ist den zitierten Länderinformationen aber nicht zu entnehmen. Die Beschwerdeführerinnen sind Angehörige eines Mehrheitsclans und würden im Falle einer Rückkehr nicht als alleinstehende Frauen zurückkehren, da sie im Herkunftsort auch männliche Familienangehörige (Ehemann bzw. Vater und drei Söhne bzw. Brüder) haben, sodass sie auch keinem Risiko exponiert sind, im Falle einer Rückkehr als alleinstehende Frauen in ein IDP-Lager zu müssen. Die Beschwerdeführerinnen gehören damit nicht zu jenen, den zitierten Länderberichten zu entnehmenden vulnerablen Gruppen, die besonders gefährdet sind, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte in diesem Kontext in der mündlichen Verhandlung als Rückkehrbefürchtung zwar vor, sie fürchte generell von Zivilsten zwangsverheiratet und vergewaltigt zu werden, doch ist dies in Anbetracht der gerade aufgezeigten Berichtslage als Frau, die über Clanschutz eines Mehrheitsclans und mehrere männliche Familienmitglieder im Herkunftsort verfügt, sowie aufgrund dessen, dass sie im gesamten Verfahren – abseits der als unglaubhaft befundenen Vergewaltigung und geplanten Zwangsheirat durch bzw. mit Männern der Al-Shabaab – keine sie betreffende geschlechtsspezifische Gewaltsituation artikulierte, (auch) im Falle einer Rückkehr nach Somalia nicht maßgeblich wahrscheinlich. Die Erstbeschwerdeführerin brachte in der mündlichen Verhandlung keine dahingehende Rückkehrbefürchtung vor und erwähnte auch sonst im Verfahren nicht, dass sie abgesehen von der als unglaubhaft befundenen Vergewaltigung durch Männer der Al-Shabaab jemals sonst einer geschlechtsspezifischen Gewaltsituation in Somalia ausgesetzt gewesen wäre. Aufgrund einer Zusammenschau der weiter oben angeführten Länderinformationen betreffend geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und der bisherigen Lebenssituation der Beschwerdeführerinnen sowie jener im Falle einer Rückkehr, besteht damit insgesamt keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Gefährdung der Beschwerdeführerinnen aufgrund ihrer Eigenschaft als Frauen im Falle einer Rückkehr nach Somalia.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Eine soziale Gruppe wird anhand von zwei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, definiert. Erstens müssen die Personen, die ihr angehören, mindestens eines der folgenden drei Identifizierungsmerkmale teilen, nämlich „angeborene Merkmale“, „einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann“, oder „Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten“. Zweitens muss diese Gruppe im Herkunftsland eine „deutlich abgegrenzte Identität“ haben, „da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“ (vgl. Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Abs. 1 rL 2011/95). Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist. Um das Vorliegen einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe beurteilen zu können, bedarf es daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen bzw. zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung (vgl. VwGH 12.12.2023, Ro 2023/14/0005 mwN). Allein die Tatsache, weiblichen Geschlechts zu sein, stellt ein angeborenes Merkmal dar und kann ausreichen, um die erste Voraussetzung für die Definition der sozialen Gruppe, das „angeborene Merkmal“, zu erfüllen (EuGH, 16.01.2024, WS, C-621/21, Rn 40; UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Geschlechtsspezifische Verfolgung im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 07.05.2002, Pkt. 30).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (vgl. VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Wie beweiswürdigend ausgeführt, konnten die Beschwerdeführerinnen eine von Al-Shabaab ausgehende Bedrohungssituation aufgrund zahlreicher gravierender Widersprüche nicht glaubhaft machen. Die Beschwerdeführerinnen sind damit bisher nicht ins Visier von Al-Shabaab geraten und befindet sich der Herkunftsort der Beschwerdeführerinnen außerdem nicht unter Kontrolle der Al-Shabaab, weshalb sie im Falle derer Rückkehr in den Herkunftsort mit keiner – wie auch immer gearteten – Gefahr durch Al-Shabaab rechnen müssten.

Es ist ferner davon auszugehen, dass die (auch männlichen) Kernfamilienangehörigen der Beschwerdeführerinnen – wie ebenso in der Beweiswürdigung dargelegt – weiterhin im Herkunftsort leben und stehen die Beschwerdeführerinnen in Kontakt mit diesen. Zudem gehören die Beschwerdeführerinnen, wie auch ihre Nachbarn, durch welche sie bereits vor der Ausreise Unterstützung im beachtlichen Ausmaß erhalten hätten, einem Mehrheitsclan an, sodass die Beschwerdeführerinnen auch mit Unterstützung durch ihren Clan oder Nachbarn rechnen können. Die Beschwerdeführerinnen fallen damit aufgrund eines bestehenden familiären Netzes sowie Clanunterstützung nicht in die Gruppe der alleinstehenden Frauen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann nämlich auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl. z.B. VwGH vom 23.02.2017, Ra 2016/20/0089).

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Somalia haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle somalischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, in Somalia einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Frauen in einem IDP-Lager und Frauen, die zu Minderheiten gehören, sind in diesem Kontext besonders gefährdet, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden. Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt, sind die Beschwerdeführerinnen, als Angehörige eines Mehrheitsclans und weil sie mangels der Eigenschaft als alleinstehende Frauen nicht Gefahr laufen, bei einer Rückkehr in ein IDP-Lager zu müssen, keinem erhöhten Risiko exponiert, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden. Außerdem haben die Beschwerdeführerinnen bisher keine (glaubhaften) Vorfälle mit geschlechtsspezifischer Gewalt erlebt, sodass auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie im Falle einer Rückkehr nunmehr geschlechterspezifischer Gewalt bzw. einer Verfolgung alleine aufgrund ihrer Eigenschaft als Frauen ausgesetzt wären.

Den Beschwerdeführerinnen ist es daher insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen ihre Personen gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Somalia kann nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführerinnen aktuell in Somalia eine asylrelevante Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründen droht.

Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide sind daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.