BundesrechtInternationale VerträgeNukleare Sicherheit und Strahlenschutz - Informationsaustausch (Ukraine)

Nukleare Sicherheit und Strahlenschutz - Informationsaustausch (Ukraine)

In Kraft seit 18. August 1998
Up-to-date

Artikel 1

Art. 1

(1) Wenn sich auf dem Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien in einer Kernanlage oder während einer Tätigkeit im nuklearen Bereich, wie im Absatz 2 bestimmt, ein Unfall ereignet, der zur Freisetzung radioaktiver Stoffe geführt hat oder führen kann, und diese das Territorium der anderen Vertragspartei erreichen kann, benachrichtigt die Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat, unverzüglich die andere Vertragspartei im Wege der Kontaktstellen.

(2) Unter „Kernanlage“ und „Tätigkeit im nuklearen Bereich“ gemäß Absatz 1 versteht man:

a) einen Kernreaktor,

b) Ausrüstung und Anlagen, die im Kernbrennstoffkreislauf verwendet werden,

c) Ausrüstung und Anlagen, die zur Behandlung radioaktiver Abfälle vorgesehen sind,

d) die Beförderung und Lagerung von Kernbrennstoffen oder radioaktiven Abfällen,

e) die Herstellung, Verwendung, Lagerung, Beseitigung und Beförderung von Radioisotopen für landwirtschaftliche, industrielle, medizinische sowie damit zusammenhängende wissenschaftliche Zwecke und Forschungszwecke sowie Beta- oder Gamma-Bestrahlungseinrichtungen und

f) die Verwendung von Radioisotopen für die Energiegewinnung in Weltraumgegenständen.

Artikel 2

Art. 2

(1) Gegenstand der gegenseitigen Information gemäß Artikel 1 Absatz 1 sind Ereignisse, die zumindest der Stufe 3 der Internationalen Skala nuklearer Ereignisse entsprechen; die Definition dieser Ereignisse ist dem Abkommen als Anlage B beigeschlossen.

Vorläufige Informationen über solche Ereignisse werden der anderen Vertragspartei im Wege der Kontaktstellen unverzüglich übermittelt.

(2) Die Vertragsparteien informieren einander ehestmöglich auch über Ereignisse, die keine Unfälle gemäß Artikel 1 Absatz 1 sind, die aber in der Bevölkerung einer Vertragspartei Besorgnis hervorrufen könnten; dies betrifft unter anderem wichtige geplante oder ungeplante Ereignisse in der Umgebung von Nuklearanlagen, wie Brände, Erdbeben und größere Abbrucharbeiten.

(3) Im Falle, daß eine Vertragspartei Informationen über ein Ereignis besitzt, das ihr gemäß diesem Artikel nicht gemeldet worden ist, hat sie das Recht, von der anderen Vertragspartei Aufklärung über dieses Ereignis im Wege der Kontaktstellen zu verlangen.

Artikel 3

Art. 3

(1) Die Vertragsparteien sorgen dafür, daß die gemäß Artikel 1 Absatz 1 dieses Abkommens übermittelte Information hinreichend vollständig ist, um der anderen Vertragspartei die Möglichkeit zu geben, über die Vorbereitung oder Durchführung entsprechender Maßnahmen zum Schutz ihrer Bevölkerung zu entscheiden. Diese Information enthält insbesondere jene Angaben, über die die mitteilende Vertragspartei im Moment der Informationsübermittlung verfügt, und zwar:

1. den Zeitpunkt, gegebenenfalls den genauen Ort und die Art des nuklearen Unfalls,

2. die betroffene Anlage oder Tätigkeit,

3. die vermutete oder festgestellte Ursache und die vorhersehbare Entwicklung des nuklearen Unfalls in bezug auf die grenzüberschreitende Freisetzung radioaktiver Stoffe,

4. die allgemeinen Merkmale der radioaktiven Freisetzung, einschließlich, soweit möglich, der Art, der wahrscheinlichen physikalischen und chemischen Form und der Menge, Zusammensetzung und effektiven Höhe der radioaktiven Freisetzung,

5. Informationen über die derzeitigen und die vorhergesagten meteorologischen und hydrologischen Bedingungen, die zur Vorhersage der grenzüberschreitenden Freisetzung der radioaktiven Stoffe notwendig sind,

6. Ergebnisse der Umweltüberwachung, die die grenzüberschreitende Freisetzung der radioaktiven Stoffe betreffen,

7. die ergriffenen oder geplanten Schutzmaßnahmen außerhalb der betroffenen Anlage,

8. die Vorhersage über das Verhalten der radioaktiven Freisetzung im weiteren Verlauf.

(2) Die übermittelten Angaben werden entsprechend der weiteren Entwicklung der Unfallsituation laufend auf den neuesten Stand gebracht. Die benachrichtigende Vertragspartei wird auf Ersuchen der anderen Vertragspartei notwendige Erklärungen und zusätzliche Angaben zur Verfügung stellen.

(3) Diese Angaben und deren allfällige Ergänzungen werden so lange übermittelt, bis die im Artikel 1 dieses Abkommens erwähnte Unfallsituation nicht mehr gegeben ist, oder bis die für eine erschöpfende Beurteilung der Lage ausreichende Information vorliegt.

(4) Die Vertragsparteien können gemäß gegenseitiger Absprache zur weiteren Klärung der Unfallsituation Vertreter ihrer zuständigen Behörden zum Unfallort entsenden.

Artikel 4

Art. 4

(1) Bei Eintritt einer Unfallsituation gemäß Artikel 1 Absatz 1 dieses Abkommens pflegen die Vertragsparteien unverzüglich das Einvernehmen über die sofortige Durchführung der notwendigen Zusammenarbeit zum Schutz der Gesundheit und des Vermögens ihrer Bevölkerung sowie über die notwendige Hilfeleistung.

(2) Solche weiteren Maßnahmen werden gemäß Artikel 7 dieses Abkommens im Wege der Kontaktstellen abgesprochen.

Artikel 5

Art. 5

(1) Jede Vertragspartei führt auf ihrem Hoheitsgebiet ein Programm zur Messung der ionisierenden Strahlung und der Radionuklide in der Luft (Aerosole), im Trinkwasser, im Oberflächenwasser und im Boden durch. Die Meßergebnisse müssen hinreichende Informationen über die Strahlungsbelastung der Bevölkerung der jeweiligen Vertragspartei enthalten.

(2) Die Meßergebnisse werden der anderen Vertragspartei einmal jährlich übermittelt. Bei bedeutenden Abweichungen vom Naturzustand wird diese Information der anderen Vertragspartei im Wege der Kontaktstellen unverzüglich übermittelt. Auf Ersuchen einer Vertragspartei übermittelt die andere Vertragspartei zusätzliche Daten. Beide Vertragsparteien tragen zur Ausarbeitung eines Strahlenfrühwarnsystems bei, dem auch andere Staaten beitreten können.

Artikel 6

Art. 6

(1) Die Vertragsparteien informieren einander wenigstens einmal alle zwei Jahre über ihre Nuklearprogramme, über Erfahrungen aus dem Betrieb der Kernanlagen und über die Rechtsvorschriften über nukleare Sicherheit und Strahlenschutz.

(2) Die Vertragsparteien informieren einander über stillgelegte, in Betrieb oder in Bau befindliche und geplante Kernanlagen sowie über Betriebsstillegungen und übermitteln einander zu diesem Zweck die in den Rahmen dieses Abkommens fallenden Angaben (siehe die Anlage zu diesem Abkommen).

(3) Informationen gemäß Absatz 2 über geplante Kernanlagen werden im voraus übergeben, und zwar nicht später als sechs Monate vor dem Beginn der Bauarbeiten.

Artikel 7

Art. 7

(1) Für die Übermittlung der Information gemäß den Artikeln 1, 2, 3 und 4 dieses Abkommens richtet jede Vertragspartei eine eigene Kontaktstelle ein, die sie der anderen Vertragspartei bei Inkrafttreten des Abkommens auf diplomatischem Wege bekanntgibt.

(2) Die Kontaktstellen vereinbaren miteinander direkt die konkreten Wege der Informationsübermittlung. Das Funktionieren des Systems der Informationsübermittlung wird mindestens zweimal jährlich überprüft.

Artikel 8

Art. 8

(1) Die Vertragsparteien führen bei Bedarf gemeinsame Expertentagungen durch, um folgende Punkte zu behandeln:

1. Bewertung der Erfüllung dieses Abkommens,

2. Erörterung von Umfang, Rechtzeitigkeit und Qualität der gemäß Artikel 6 dieses Abkommens übermittelten Information,

3. Beurteilung von Ergebnissen und Erfahrungsaustausch auf dem Gebiete des im Artikel 5 dieses Abkommens angeführten Strahlenmeßprogramms,

4. Erörterung anderer aktueller Fragen der Gewährleistung der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes, sowie gegenseitige Information über die Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen auf diesem Gebiet.

(2) Informationen über Inhalt, Verlauf und Ergebnisse der gemeinsamen Expertentagungen werden den zuständigen staatlichen Behörden zur Kenntnisnahme vorgelegt.

(3) Zeit, Ort und Tagesordnung der Tagungen sowie Zusammensetzung der Delegationen werden von den in Artikel 9 angeführten Koordinatoren vereinbart.

(4) Bei Bedarf sowie nach Vereinbarung der Vertragsparteien können außerordentliche Expertenberatungen und Expertenuntersuchungen der Anlagen durchgeführt werden.

Artikel 9

Art. 9

(1) Für die Erfüllung dieses Abkommens bestellt jede Vertragspartei einen Koordinator, und zwar:

die österreichische Seite: das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten,

die ukrainische Seite: das Ministerium für Umweltschutz und nukleare Sicherheit.

(2) Die Koordinatoren

organisieren und gewährleisten den Informationsaustausch gemäß diesem Abkommen,

organisieren die gemeinsame Arbeit der Experten gemäß Artikel 8 dieses Abkommens,

erfüllen nötigenfalls andere Aufgaben, die sich aus diesem Abkommen ergeben.

(3) Über mögliche Änderungen des Koordinators informieren die Vertragsparteien einander auf diplomatischem Wege.

Artikel 10

Art. 10

Informationen, die gemäß diesem Abkommen erhalten werden, können von jeder Vertragspartei zur Informierung der Bevölkerung verwendet werden, falls die Vertragspartei, die diese Informationen übermittelt, sie nicht für vertraulich erklärt.

Artikel 11

Art. 11

Der gegenseitige Informationsaustausch gemäß diesem Abkommen erfolgt kostenlos. Wenn zusätzliche Informationen notwendig sind und ihre Beschaffung mit bedeutenden Auslagen verbunden ist, so übernimmt die ersuchende Vertragspartei diese Auslagen unter der Voraussetzung, daß sie rechtzeitig über sie informiert worden ist.

Artikel 12

Art. 12

Alle Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen dieses Abkommens werden durch Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien beigelegt.

Artikel 13

Art. 13

(1) Dieses Abkommen tritt mit dem Tage in Kraft, an dem beide Vertragsparteien einander auf diplomatischem Wege bekanntgeben, daß die entsprechenden innerstaatlichen Voraussetzungen für sein Inkrafttreten erfüllt sind.

(2) Die Anlagen A und B sind Bestandteile dieses Abkommens.

(3) Dieses Abkommen wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Es kann von jeder Vertragspartei schriftlich auf diplomatischem Wege gekündigt werden. Das Abkommen tritt sechs Monate nach der Übergabe einer entsprechenden diplomatischen Note außer Kraft.

(4) Durch dieses Abkommen wird das Abkommen zwischen der ehemaligen UdSSR und Österreich über die frühzeitige Benachrichtigung bei einem nuklearen Unfall und den Informationsaustausch über Kernanlagen 1 ) vom 12. September 1988 im Verhältnis zwischen der Republik Österreich und der Ukraine aufgehoben.

Geschehen zu Graz, am 8. November 1996 in zwei Ausfertigungen, jede in deutscher und ukrainischer Sprache, wobei beide Texte gleichermaßen authentisch sind.

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1 ) Kundgemacht in BGBl. Nr. 130/1990

Anlage A

zum Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Ukraine über Informationsaustausch und Zusammenarbeit auf dem Gebiete der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes

Anl. 1

Gemäß dem Artikel 6 Absatz 2 dieses Abkommens werden folgende Daten mitgeteilt:
Name der Anlage,
Ort der Unterbringung und Adresse der Anlage,
Bezeichnung der Anlage,
wichtigste technische Daten der Anlage,
gegenwärtiger Status der Anlage,
Betriebsdaten,
Beschreibung des Ortes der Anlage.
Im Falle eines Kernreaktors werden zusätzlich folgende Daten mitgeteilt:
Reaktortyp,
Leistung,
Beschreibung der Spaltzone
(z. B.: Geometrie, Brennstoff, Belastung, Anreicherung, Abbrand, Leistungsdichte),
Typ des Reaktorgefäßes,
Kühlmittel, Kühlkreisläufe (primär und sekundär),
Typ des Dampferzeugers,
zulässige Werte der Abgabe radioaktiver Stoffe in die Umwelt,
Systeme zur Gewährleistung der nuklearen Sicherheit.

Anlage B

zum Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Ukraine über Informationsaustausch und Zusammenarbeit auf dem Gebiete der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes

Anl. 2

Freisetzung von radioaktiven Stoffen in die Umgebung über die behördlich festgesetzten Grenzwerte hinaus, die bei den am stärksten betroffenen Personen außerhalb der Anlage zu einer Strahlenbelastung in der Größenordnung von einigen zehntel Millisievert führt.

Bei einer derartigen Freisetzung müssen außerhalb der Anlage Schutzmaßnahmen nicht erforderlich sein.

Ereignisse in der Anlage, die Strahlendosen zur Folge haben, die akute Gesundheitsbeeinträchtigungen für das Betriebspersonal bewirken können und/oder ein Ereignis mit großflächiger Kontamination z. B. mit einer Aktivität von einigen tausend Terabecquerel in ein sekundäres Containment, wo das radioaktive Material in einen sicheren Lagerbereich zurückverbracht werden kann.

Störfälle, bei denen ein zusätzlicher Ausfall von Sicherheitseinrichtungen zum Eintritt eines Unfalls führen könnte oder Anlagenzustände, bei denen die Sicherheitseinrichtung im Falle des Eintritts bestimmter auslösender Ereignisse eine Ausweitung zu einem Unfall nicht verhindern könnte.