JudikaturVwGH

Ra 2025/13/0019 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
28. März 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der A N in W, vertreten durch Dr. Rebekka Stern, Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin in 1030 Wien, Hintere Zollamtsstraße 15/1/30, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. Dezember 2024, RV/7101830/2024, betreffend Einkommensteuer 2020 und 2021, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die Revisionswerberin machte in dennach Ergehen von Einkommensteuerbescheiden im Wege der antragslosen Arbeitnehmerveranlagung (§ 41 Abs. 2a EStG 1988) eingebrachten Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung für die verfahrensgegenständlichen Jahre „Pflegeheimkosten“ (Kosten für Unterbringung und Verpflegung in einer Seniorenresidenz) als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt geltend.

2 In Beantwortung eines Ergänzungsersuchens des Finanzamtes legte sie Abrechnungen des Seniorenresidenzbetreibers sowie ein Schreiben des Sozialministeriumservice vom 26. August 2022 über die (zeitlich befristete) Ausstellung eines Behindertenpasses samt dem erstatteten Sachverständigengutachten, mit dem ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 % festgestellt wurde, vor. Nach Ergehen eines weiteren Ergänzungsersuchens legte die Revisionswerberin mehrere medizinische Befunde (aus den Jahren 2015, 2016 und 2021) vor.

3In der Folge hob das Finanzamt die (antragslos ergangenen) Einkommensteuerbescheide für die verfahrensgegenständlichen Jahre gemäß § 41 Abs. 2 EStG 1988 auf und erließ neue, aber inhaltlich unveränderte somit ohne Berücksichtigung der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen Einkommensteuerbescheide.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt nachdem die Revisionswerberin in Beantwortung eines weiteren Ergänzungsersuchens lediglich auf die bereits vorgelegten Unterlagen verwiesen hatte mit Beschwerdevorentscheidungen als unbegründet ab, woraufhin die Revisionswerberin einen Vorlageantrag stellte.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin sei im Juli 2021 80 Jahre alt geworden und habe in den Jahren 2020 und 2021 überwiegend im Seniorenheim „Wohnpark [F]“ gewohnt. Sie habe aber auch in beiden Jahren mehrere Wochen außerhalb des Seniorenheimes verbracht. Im Jahr 2021 etwa habe sie fünfmal jeweils 5 bis 7 Tage in einem Kurort und darüber hinaus Anfang April fünf Tage, sowie Anfang Juli und Ende August je eine Woche auswärts wohl in ihrem Haus verbracht. Pflegebedarf habe in diesen Jahren nicht bestanden.

7 Aus dem Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 26. August 2022 ergebe sich, dass die Revisionswerberin im Jänner 2022 eine Wirbelsäulenoperation gehabt habe, seit der sie schwer aufstehen und nur ganz kurz stehen könne. Sie könne 50 bis 100 Meter gehen, mache aber täglich Übungen und schwimme täglich, um ihren Zustand zu verbessern. Aufgrund des am 19. Juli 2022 erhobenen Gesundheitszustandes sei der Revisionswerberin in der Folge ein Grad der Behinderung im Ausmaß von 70 % attestiert worden.

8 Aufgrund der Beschwerden im Zeitpunkt der Untersuchung scheine die Operation im Jänner 2022 ein einschneidendes Ereignis für die Mobilität der Revisionswerberin gewesen zu sein. Für die Zeit vor der Operation gebe es keine Erfassung ihres Gesundheitszustandes, die darauf schließen lasse, dass sie ihren Haushalt nicht mehr selbst hätte führen können. Ausführungen der steuerlichen Vertretung über Krankheitsbilder würden nicht den Nachweis des im Einzelfall vorliegenden konkreten Gesundheitszustandes durch eine auf diesem Gebiet fachkundige Person somit etwa eines ärztlichen Gutachtens ersetzen.

9 Im Beschwerdeverfahren werde behauptet, die Revisionswerberin sei schon seit dem Jahr 2016 nicht mehr fähig, ihren Haushalt selbst zu führen. Als außergewöhnliche Belastung werde dieser Umstand erst für das Jahr 2020 geltend gemacht. Es sei nicht ersichtlich, welche Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Jahr 2020 eingetreten sein solle, sehr wohl aber für das Jahr 2022, in dem die Revisionswerberin eine Wirbelsäulenoperation gehabt habe, deren Nachwirkungen sich negativ auf ihre Beweglichkeit ausgewirkt hätten. Diesem punktuellen Ereignis entsprechend sei ihr auch nur temporär bis 31. Oktober 2024 ein Behindertenpass ausgestellt worden, weil nach diesem Zeitpunkt eine Überprüfung ihres Gesundheitszustandes erforderlich sei.

10 Für die Jahre 2020 und 2021 gebe es keinen Nachweis darüber, dass der Gesundheitszustand der Revisionswerberin es ihr nicht erlaubt hätte, selbst ihren Haushalt zu führen. Die bloße Aneinanderreihung von Einzelbefunden aus Vorjahren sei kein taugliches Mittel, um einen Pflegebedarf zu untermauern, zumal sich diese Befunde auf Leiden (etwa Diabetes) beziehen würden, die gegenüber der im Juli 2022 festgestellten und für die Pflegebedürftigkeit als ausschlaggebend hervorgehobenen Bewegungseinschränkung deutlich im Hintergrund stehen würden.

11 Anzumerken sei weiters, dass das bloße Vorliegen einer Behinderung alleine noch keinen Rückschluss darüber zulasse, dass diese Behinderung die Revisionswerberin daran hindere, ihren Haushalt selbst zu führen. Dies bedürfe eines gesonderten Nachweises. Zudem lasse ein Gutachten über den körperlichen Zustand des Bewegungsapparates nach einer Wirbelsäulenoperation keinen Rückschluss auf den körperlichen Zustand vor diesem Eingriff zu, insbesondere, weil das Gutachten nahelege, dass die wesentlichen Beschwerden erst nach der Operation eingetreten bzw. derart verstärkt worden seien, dass überhaupt der Bedarf bestanden habe, die Behinderung festzustellen.

12 Lediglich in einer „Dokumentation“ vom 17. November 2021 sei erfasst worden, dass die Revisionswerberin über starke Rückenschmerzen klage. Diese erst am Ende des Streitzeitraumes festgehaltene Tatsache eines intensiven Schmerzempfindens könne jedoch nicht gleichgesetzt werden mit den postoperativen Bewegungseinschränkungen. Zumal die Revisionswerberin bereits vor dem Jahr 2022 in orthopädischer und neurochirurgischer Behandlung gewesen sei, wäre es ihr ein Leichtes gewesen, von diesen Ärzten entsprechende Expertise über ihren Gesundheitszustand und einen allfälligen Pflegebedarf einzuholen.

13 Da sie trotz mehrfacher Aufforderung durch das Finanzamt keinerlei medizinische Nachweise über einen die eigene Haushaltsführung verunmöglichenden Gesundheitszustand in den Jahren 2020 und 2021 erbracht habe, sei davon auszugehen, dass die Revisionswerberin in diesen Jahren dazu fähig gewesen sei.

14 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesfinanzgericht aus, die von einem Pensionisten für seine Unterbringung in einem Pensionistenheim zu tragenden Aufwendungen seien so lange nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, als mit ihnen nicht auch besondere Aufwendungen abzudecken seien, die durch Krankheit, Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit verursacht werden würden.

15 Kosten einer Behinderung könnten bereits unabhängig vom Pflegegeldbezug im Zusammenhang mit einer Pflege oder Betreuungsbedürftigkeit entstehen, wenn jemand behinderungsbedingt nicht mehr in der Lage sei, den Haushalt selbst zu führen und daher auf eine Betreuung, wie sie in einem Alters oder Pflegeheim typisch sei, angewiesen sei.

16 Aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2010, 2008/13/0145, sei abzuleiten, ein für die Zukunft gewährtes Pflegegeld deute dann auf eine bereits in der Vergangenheit vorhandene Behinderung hin, die Pflegebedürftigkeit nach sich ziehe, wenn diese Behinderung schon für die Vergangenheit amtsärztlich attestiert worden sei. Auch dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Mai 2010, 2007/13/0051, liege ein Fall zugrunde, in dem eine Kontinuität erkennbar sei, weil die (damals) belangte Behörde bereits festgestellt habe, auch vor der Zuerkennung von Pflegegeld könnte möglicherweise bereits ein nicht antragsmäßig geltend gemachter Anspruch darauf bestanden haben.

17 Im vorliegenden Fall liege weder ein auf den Gesundheitszustand der Vorjahre Bezug nehmendes ärztliches Attest vor, noch könne aufgrund des für die Feststellung des Grades der Behinderung maßgebenden erst im Jahr 2022 gelegenen Operationsereignisses auf eine hinreichende Kontinuität aus Vorjahren geschlossen werden, um bereits in den Jahren 2020 und 2021 eine Pflegebedürftigkeit zu unterstellen.

18 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

19 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

20Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

21Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

22 Die Revisionswerberin wendet sich in der Zulässigkeitsbegründung gegen die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichtes und bringt dazu im Wesentlichen vor, aus den vorgelegten Befunden würde sich auch ihr Gesundheitszustand ergeben. Es entspreche dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, dass sich eine Behinderung, wie jene, an der sie leide (degenerative Veränderung des Stütz und Bewegungsapparates), über viele Jahre aufbaue und somit schon lange vor der Beantragung der Behindertenbescheinigung bestanden habe. Die Beschwerden seien nicht nach der Operation entstanden, sondern die Operation sei Folge der langjährigen Behinderung gewesen. Das gelte auch für ihre Diabeteserkrankung mit sämtlichen Neben- und Folgeerscheinungen. Dementsprechend sei die Heimunterbringung im Jahr 2016 erfolgt, weil die Revisionswerberin die Anforderungen des täglichen Lebens aufgrund ihrer Erkrankungen und Behinderungen nicht mehr habe bewältigen können. Die trotz ihres belegten Gesundheitszustandes gezogene Schlussfolgerung des Bundesfinanzgerichtes, die Betreuungsdienste des Seniorenheimes würden nicht benötigt werden, sei unschlüssig und denkunmöglich.

23 Mit diesem Vorbringen gelingt es der Revisionswerberin nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

24Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht es einem behinderten Steuerpflichtigen im Sinne des § 35 EStG 1988, der behinderungsbedingt nicht mehr in der Lage ist, den Haushalt selbst zu führen und daher auf eine Betreuung, wie sie in einem Alters oder Pflegeheim typisch ist, angewiesen ist, frei, die tatsächlichen Kosten einer Heimunterbringung (auch in der Form der Unterkunft und Verpflegung, soweit diese Kosten über die Haushaltsersparnis hinausgehen) als außergewöhnliche Belastung geltend zu machen. Eine solche Berücksichtigung behinderungsbedingter Mehraufwendungen erfordert allerdings einen unmittelbaren (spezifischen) Zusammenhang der Mehraufwendungen mit einem notwendigen Pflege- oder Betreuungsbedarf (weswegen die Unterbringung in einem Alters- oder Pflegeheim geboten ist). Ein solcher Zusammenhang ist bei allein mit Rücksicht auf eine Behinderung erfolgter (allgemeiner) Wohnsitznahme noch nicht gegeben (vgl. VwGH 30.3.2016, 2013/13/0063, mwN). Mehraufwendungen aus einer Unterbringung in einem Alters oder Pflegeheim erwachsen nämlich nur dann zwangsläufig, wenn ein derartiger Pflegeoder Betreuungsbedarf gegeben ist (vgl. VwGH 26.2.2020, Ro 2018/13/0013).

25 Das Bundesfinanzgericht hat sich mit den von der Revisionswerberin vorgelegten, im Verwaltungsakt einliegenden ärztlichen Befunden (Befundbericht aus dem Jahr 2015 über eine stationäre Herpes Zoster Behandlung, ein Schilddrüsenambulanzbrief und ein Befundbericht über eine Kontrolluntersuchung durch einen Facharzt für Innere Medizin aus dem Jahr 2016, sowie eine Diabetesdokumentation aus dem Jahr 2021) auseinandergesetzt und ist mit näherer Begründung (und unter Berücksichtigung der regelmäßigen Aufenthalte der Revisionswerberin außerhalb des Seniorenheims) zum Ergebnis gelangt, dass sich daraus ein entsprechender Pflege bzw. Betreuungsbedarf der Revisionswerberin in den verfahrensgegenständlichen Jahren nicht ableiten lasse.

26Soweit sich die Revisionswerberin gegen die in diesem Zusammenhang vorgenommene Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichtes wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes nur insoweit unterliegt, als das Ausreichen der Sachverhaltsermittlungen und die Übereinstimmung der Überlegungen zur Beweiswürdigung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 7.8.2024, Ra 2022/16/0001, mwN). Der an sich nur zur Rechtskontrolle berufeneVerwaltungsgerichtshof ist im Übrigen auch nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt, sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 17.10.2024, Ra 2022/13/0089, mwN).

27 Der Revisionswerberin die im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung lediglich wiederholt auf ihre Krankheitsgeschichte und auf die vorgelegten Befunde verweist, ohne allerdings auf die Erwägungen des Bundesfinanzgerichtes einzugehen und konkret darzulegen, weshalb es ihr nicht mehr möglich gewesen sei, in den verfahrensgegenständlichen Jahren einen Haushalt selbst zu führen gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung des Bundefinanzgerichtes unschlüssig oder unvertretbar wäre.

28 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 28. März 2025