Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Doblinger, den Hofrat Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die außerordentliche Revision 1. des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Salzburg und 2. des Disziplinaranwalts beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer in Salzburg, beide vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 23. Jänner 2025, 405 8/2239/1/7 2025, betreffend Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 (weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz; mitbeteiligte Partei: Univ. Prof. Dr. A S, vertreten durch Dr. Georg Prchlik, Rechtsanwalt in Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte ist Arzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Innere Medizin.
2 Mit Disziplinarerkenntnis vom 30. November 2022 erkannte der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Salzburg (erstrevisionswerbende Partei) den Mitbeteiligten schuldig, am 31. Jänner 2022 über eine näher genannte InternetPlattform Impfunfähigkeitszertifikate ohne gewissenhafte ärztliche Untersuchung und genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen ausgestellt zu haben. Der Mitbeteiligte habe dadurch die Disziplinarvergehen gemäß § 136 Abs. 1 Z 1 und Z 2 iVm § 55 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) begangen. Über den Mitbeteiligten wurde gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 eine Geldstrafe in Höhe von € 10.000, verhängt. Weiters wurde der Mitbeteiligte zur Tragung der mit € 1.300, bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens verpflichtet.
3Mit dem Erkenntnis vom 6. Juni 2023 gab das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Mitbeteiligten statt, hob das Disziplinarerkenntnis auf und sprach den Mitbeteiligten gemäß § 161 Abs. 1 ÄrzteG 1998 frei.
4Mit hg. Erkenntnis vom 3. September 2024, Ra 2023/09/0140, 014110 (in der Folge: Vorerkenntnis), wurde dieses Erkenntnis infolge der von der erstrevisionswerbenden Partei und des Disziplinaranwalts (zweitrevisionswerbende Partei) erhobenen Revision wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil die ausgestellten Bescheinigungen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes von § 55 ÄrzteG 1998 umfasst seien. Zur weiteren Vorgeschichte wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf dieses Vorerkenntnis hingewiesen.
5Mit dem im zweiten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten neuerlich statt, hob das Disziplinarerkenntnis auf und sprach den Mitbeteiligten erneut von dem gegen ihn erhobenen Vorwürfen gemäß § 161 Abs. 1 ÄrzteG 1998 frei. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.
6 Das Verwaltungsgericht stellte zusammengefasst fest, der Mitbeteiligte habe über eine Internet Plattform „Gutachten zur Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Corona Virus SARS CoV 2“ angeboten. Diese habe der Mitbeteiligte nach Ansehen eines 12 minütigen Videos und Beantwortung einer Frage („Können Sie ausschließen, dass Sie gegen die in der EU zugelassenen Covid Impfstoffe allergisch sind?“) gegen ein Entgelt von € 20, ausgestellt. Der Mitbeteiligte habe für die Ausstellung dieser Bescheinigung über keine Befunde oder Ähnliches der betreffenden Personen verfügt. Die „Gutachten“ würden (auszugsweise und exemplarisch) folgenden Wortlaut aufweisen:
„Aufgrund meiner ärztlichen Einschätzung und Bewertung komme ich nach freiem Ermessen zu folgender gutachterlicher Einschätzung:
Bis zum Ausschluss einer möglichen, schwerwiegenden Allergie gegen einen der Inhaltsstoffe der in Österreich zugelassenen Impfstoffe gegen COVID 19 [...] durch eine fachärztliche allergologische Abklärung soll bei .... keine Impfung gegen das SARS CoV 2 Virus erfolgen.
Bis zur o.g. Vorstellung und Abklärung durch ein allergologisches Zentrum und/oder abschließende Beurteilung durch einen Amtsarzt ist .... daher vorläufig impfunfähig. Diese Bescheinigung gilt bis zur o.g. Abklärung spätestens bis zum ....“
Den „Gutachten“ seien jeweils eine „Begründung“ angeschlossen gewesen, wonach die näher angeführten Impfstoffe potenziell allergene Stoffe enthalten würden, wobei laut Hersteller darauf hingewiesen werde, dass eine Überempfindlichkeit gegenüber den Wirkstoffen eine Gegenanzeige für die Impfung darstelle. Nach den Angaben der begutachteten Person könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass diese eine allergische Disposition gegenüber einem oder mehreren der Inhaltsstoffe des Impfstoffes aufweise. Abschließend werde festgehalten, dass aufgrund der ärztlichen Expertise des Gutachters bis zur Feststellung einer Unbedenklichkeit der Impfung bzw. einer diesbezüglichen allergologischen Abklärung keine Impfung mit einem der genannten COVID 19 mRNA Impfstoffe erfolgen solle. Zudem werde in der Begründung ausgeführt, dass die Ausstellung einer dauerhaften Impfunfähigkeitsbescheinigung bzw. die Bescheinigung der Impffähigkeit nach Ausschluss einer entsprechend allergischen Reaktion nur durch den behandelnden Allergologen oder einen Amtsarzt erfolgen könne.
7Rechtlich beurteilte das Verwaltungsgericht diesen Sachverhalt nach Wiedergabe maßgeblicher Rechtsvorschriften und unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst dahingehend, dass die gegenständlichen Bescheinigungen von § 55 ÄrzteG 1998 umfasst seien. Der Verwaltungsgerichtshof schließe in seiner ständigen Rechtsprechung nicht aus, dass die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ausnahmsweise auch ohne vorherige (körperliche) Untersuchung gesetzmäßig sein könne. Ein derartiger Ausnahmefall liege vor, weil in den Gutachten lediglich die Tatsache bestätigt worden sei, dass die verwendeten Impfstoffe potentiell allergene Stoffe enthalten würden, und zum anderen die durch einen Fragebogen ermittelte Tatsache, dass nicht bekannt sei, ob die Person bei Verabreichung des Impfserums allergisch reagieren werde. Daraus habe der Mitbeteiligte den Schluss gezogen, dass aus seiner ärztlichen Sicht die COVID 19 Impfung nicht verabreicht werden solle, solange eine allfällige allergische Reaktion durch medizinische Tests nicht geklärt sei. Die ärztliche Feststellung der Impfunfähigkeit, also die Risikobeurteilung einer Impfung, werde fallbezogen nicht etwa auf einen Gesundheitsoder Krankheitszustand der beurteilten Person gestützt, der durch eine Untersuchung hätte erhoben werden müssen, sondern allein auf eine nicht ausgeschlossene allergische Reaktion. Es sei nicht erkennbar, welche weitere Untersuchung erforderlich gewesen wäre, um bescheinigen zu können, dass eine allergische Reaktion nicht auszuschließen sei, solange diese durch Kontakt mit dem Allergen oder durch einen „Allergietest“ bestätigt oder verneint worden sei. Somit würden die gegenständlichen Gutachten lediglich die grundsätzliche Möglichkeit, auf Impfstoffe allergisch zu reagieren, bescheinigen und die Bescheinigung aufgrund konkreter Information über das Nichtvorliegen einer Allergieausschlussdiagnostik für diese Person individualisiert. Es handle sich um eine Übertragung einer ohnehin allgemein gültigen Aussage auf eine konkrete Einzelperson. Die belangte Behörde habe dem Mitbeteiligten lediglich pauschal die Verletzung der Untersuchungs- und Erhebungspflicht im Sinn des § 55 ÄrzteG 1998 vorgeworfen und nicht geprüft, ob die Schlussfolgerung, dass bei einem nicht festgestellten Allergieausschluss bereits eine „Impfunfähigkeit“ vorliege, den wissenschaftlichen Erkenntnissen oder medizinischen Erfahrungen widerspreche.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Salzburg sowie des Disziplinaranwalts.
9 Der Mitbeteiligte erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der er die kostenpflichtige Zurück bzw. Abweisung der Revision beantragte.
10 Die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11In der Revision wird zur Zulässigkeit unter anderem ein Abweichen von näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verpflichtung nach § 55 ÄrzteG 1998 geltend gemacht.
12 Die Revision erweist sich im Hinblick darauf als zulässig; sie ist auch begründet.
13Nach § 55 ÄrzteG 1998 darf ein Arzt ärztliche Zeugnisse nur nach gewissenhafter ärztlicher Untersuchung und nach genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen nach seinem besten Wissen und Gewissen ausstellen.
14Der Verwaltungsgerichtshof hat im Vorerkenntnis im ersten Rechtsgang bereits klargestellt, dass die vom Mitbeteiligten ausgestellten „Gutachten zur Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit“ von § 55 ÄrzteG 1998 umfasst sind.
15Der Verwaltungsgerichtshof hat ebenfalls bereits festgehalten, dass ein für eine bestimmte Person ausgestelltes ärztliches Gutachten, mit dem das Risiko einer konkreten Impfung für eine individuelle Patientin beurteilt werden soll, von § 55 ÄrzteG 1998 umfasst ist und daher grundsätzlich nur nach gewissenhafter ärztlicher Untersuchung ausgestellt werden darf (vgl. VwGH 22.3.2023, Ra 2022/09/0122).
16Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nach den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen, ob in der Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ohne eine ärztliche Untersuchung ein Verstoß gegen die in § 55 ÄrzteG 1998 auferlegte Verpflichtung zu sehen ist, wobei allerdings die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ohne vorherige Untersuchung als Ausnahmefall einer nachvollziehbaren Begründung bedarf (vgl. etwa VwGH 22.3.2023, Ra 2022/09/0122, mwN).
17 Eine solche Unvertretbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung liegt im vorliegenden Fall jedoch vor. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen eines Ausnahmefalls damit begründet, dass mit den gegenständlichen Gutachten lediglich die grundsätzliche Möglichkeit auf Impfstoffe allergisch zu reagieren bescheinigt werde und diese Bescheinigungen aufgrund konkreter Information einer Person über das Nichtvorliegen einer Allergieausschlussdiagnostik für diese Person individualisiert würden. Damit übergeht es jedoch, dass nach den Feststellungen mit den inkriminierten via Internet ausgestellten Bescheinigungen eine gegenwärtige Impfunfähigkeit bestätigt wird („soll bei .... keine Impfung gegen das SARS CoV 2 Virus erfolgen“), sohin das aktuelle Impfrisiko hinsichtlich einer SARS CoV 2 Impfung individuell beurteilt wird (vgl. dazu bereits das Vorerkenntnis) und damit eine Abwägung des Risikos einer Erkrankung mit dem möglichen Risiko einer Impfung vorgenommen wird. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass eine derartige Einschätzung ohne persönlichen Kontakt und Untersuchung lediglich aufgrund der ungeprüften Übernahme der Beantwortung der online gestellten Frage „Können Sie ausschließen, dass Sie gegen die in der EU zugelassenen CovidImpfstoffe allergisch sind?“ nicht den Anforderungen des § 55 ÄrzteG 1998 an eine nach bestem Wissen und Gewissen vorgenommene genaue Erhebung der zu bestätigenden Tatsachen entspricht.
18Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 4. September 2025