JudikaturVwGH

Ra 2023/09/0140 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
03. September 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die außerordentliche Revision 1. des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Salzburg, und 2. der Disziplinaranwalt Stellvertreterin der Österreichischen Ärztekammer, beide vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Roseggerstraße 58, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 6. Juni 2023, 405 8/1895/1/17 2023, betreffend Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 (weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz; mitbeteiligte Partei: Univ. Prof. Dr. A B in C, vertreten durch Dr. Georg Prchlik, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Kolingasse 11/15), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Der Mitbeteiligte ist Arzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Innere Medizin.

2 Mit Disziplinarerkenntnis vom 30. November 2022 erkannte der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Salzburg, den Mitbeteiligten schuldig, am 31. Jänner 2022 über eine näher genannte Internet-Plattform Impfunfähigkeitszertifikate ohne gewissenhafte ärztliche Untersuchung und genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen ausgestellt zu haben. Der Mitbeteiligte habe dadurch die Disziplinarvergehen gemäß § 136 Abs. 1 Z 1 und Z 2 iVm § 55 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) begangen. Über den Mitbeteiligten wurde gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 eine Geldstrafe in Höhe von € 10.000,-- verhängt. Weiters wurde der Mitbeteiligte zur Tragung der mit € 1.300 bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens verpflichtet.

3 Der Mitbeteiligte erhob dagegen Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht).

4 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde statt, hob das Disziplinarerkenntnis auf und sprach den Mitbeteiligten gemäß § 161 Abs. 1 ÄrzteG 1998 frei (Spruchpunkt I.). Weiters sprach es aus, dass der Mitbeteiligte die Verfahrenskosten nicht zu tragen habe (Spruchpunkt II.). Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig (Spruchpunkt III.).

5 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte habe über eine Internet Plattform „Gutachten zur Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2“ angeboten. Diese habe der Mitbeteiligte nach Ansehen eines 12-minütigen Videos und Beantwortung einer Frage („Können Sie ausschließen, dass Sie gegen die in der EU zugelassenen Covid-Impfstoffe allergisch sind?“) gegen ein Entgelt von € 20,-- ausgestellt. In den Bescheinigungen sei festgehalten worden, dass die vorläufige Impfunfähigkeit bis zum Ausschluss einer möglichen schwerwiegenden Allergie gegen einen der Inhaltsstoffe der in Österreich zugelassenen Impfstoffe gegen COVID-19 durch eine fachärztlich allergologische Abklärung bestätigt werde.

6 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, der Tatbestand einer Berufspflichtverletzung nach § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 sei nicht erfüllt, weil die Bescheinigungen kein ärztliches Zeugnis im Sinn des § 55 ÄrzteG 1998 darstellen würden, die grundsätzlich eine vorangehende ärztliche Untersuchung bedürfen. Der Mitbeteiligte habe in der Bescheinigung keine Tatsachen bestätigt, die einer spezifisch ärztlichen Beurteilung unterlägen, sondern lediglich festgehalten, dass der Attestempfänger bis zur Klärung, ob dieser allergisch gegen gewisse Impfstoffe sei, nicht geimpft werden solle. Des Weiteren verneinte das Verwaltungsgericht auch das Vorliegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung des Standesansehens nach § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998. Der Mitbeteiligte habe sich weder herablassend über Ärztinnen oder Ärzte, ihre Tätigkeit oder ihre medizinischen Methoden geäußert, noch eine wahrheitswidrige medizinische Exklusivität dargestellt. Er habe zwar unbestritten eine kritische Einstellung zur Impfung bzw. Impflicht betreffend das Corona-Virus SARS-CoV-2, spreche sich aber nicht grundsätzlich gegen die Impfung aus. Die Bescheinigungen seien unter Berücksichtigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 Abs. 1 EMRK ausgestellt worden. Aus der Tatsache, dass er die Bescheinigungen ausgestellt habe, sei keine abwertende Kritik an der Impfpolitik zu erkennen, noch habe er die Stellung von Berufskollegen in der Öffentlichkeit benachteiligt oder unsachlich gehandelt.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Salzburg, sowie der Disziplinaranwalt-Stellvertreterin. Der Mitbeteiligte erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der er die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragte.

8 Zur Zulässigkeit der Revision wird unter anderem vorgebracht, dass das Verwaltungsgericht von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes (Hinweis auf VwGH 22.3.2023, Ra 2022/09/0122; 7.2.2022, Ra 2021/03/0277; 22.9.2021, Ro 2020/09/0016) abgewichen sei, wonach Impfunfähigkeitsbestätigungen und im Internet bestellbare Maskenbefreiungsatteste unter § 55 ÄrzteG 1998 zu subsumieren seien. Der Verwaltungsgerichtshof habe in dem Erkenntnis vom 22. März 2022, Ra 2022/09/0122, auch bereits festgehalten, dass die Ausstellung der Impfunfähigkeitsbestätigungen nicht von der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK umfasst sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

10 Nach § 55 ÄrzteG 1998 darf ein Arzt ärztliche Zeugnisse nur nach gewissenhafter ärztlicher Untersuchung und nach genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen nach seinem besten Wissen und Gewissen ausstellen. Bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung folgt, dass als ärztliches Zeugnis jede vom Arzt ausgestellte Urkunde anzusehen ist, in der einer spezifisch ärztlichen Beurteilung unterliegende Tatsachen bestätigt werden. Von § 55 ÄrzteG 1998 sind sowohl ärztliche Zeugnisse als auch ärztliche Gutachten umfasst (siehe zum Ganzen grundlegend VwGH 22.9.2021, Ro 2020/09/0016).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass ein für eine bestimmte Person ausgestelltes ärztliches Gutachten, mit dem das Risiko einer konkreten Impfung für eine individuelle Patientin beurteilt werden soll, von § 55 ÄrzteG 1998 umfasst ist (vgl. VwGH 22.3.2023, Ra 2022/09/0122).

12 Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die vom Mitbeteiligten für individualisierte Personen ausgestellten „Gutachten zur Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit“ ebenfalls von § 55 ÄrzteG 1998 umfasst sind. Der Umstand, dass diese mit einer Befristung versehen waren, vermag daran nichts zu ändern. Wurde mit den inkriminierten Bescheinigungen doch eine gegenwärtige Impfunfähigkeit bestätigt, sohin das aktuelle Impfrisiko individuell dahingehend beurteilt, dass aus ärztlicher Sicht diese Personen eine SARS-CoV-2-Impfung nicht ohne Gefahr für Leben und Gesundheit erhalten könnten. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und das Vorliegen einer Berufspflichtverletzung nach § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 schon mangels Anwendbarkeit des § 55 ÄrzteG 1998 im Vorhinein ausschloss, belastete es sein Erkenntnis bereits aus diesem Grund mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

13 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Verwaltungsgericht auf Basis entsprechender Feststellungen damit auseinanderzusetzen haben, ob nach den besonderen Umständen des Falles in der Ausstellung der Impfunfähigkeitsbescheinigungen ohne eine ärztliche Untersuchung ein Verstoß gegen die in § 55 ÄrzteG 1998 auferlegte Verpflichtung zu sehen ist und ob die Vorgangsweise des Mitbeteiligten den Anforderungen des § 55 ÄrzteG 1998 an eine nach bestem Wissen und Gewissen vorgenommene genaue Erhebung der zu bestätigenden Tatsachen entsprochen hat. An dieser Stelle sei bereits auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ohne vorherige Untersuchung als Ausnahmefall einer nachvollziehbaren Begründung bedarf (vgl. erneut VwGH 22.9.2021, Ro 2020/09/0016).

14 Die Revision zeigt auch zutreffend auf, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts, wonach keine Verletzung der Standespflicht gemäß § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 vorliege, weil die inkriminierte Ausstellung von „Impfunfähigkeitsbescheinigungen“ via Internet von der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK erfasst sei, nicht tragfähig ist: Die über konkrete Patienten verfassten ärztlichen Zeugnisse waren kein Beitrag zum öffentlichen Diskurs, der allenfalls von der Meinungsfreiheit geschützt wäre. Vielmehr hatten diese ärztlichen Zeugnisse zum Schutz der Patienten vor Schäden an ihrer Gesundheit der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie den fachspezifischen Qualitätsstandards zu entsprechen (vgl. im Zusammenhang mit einem Gutachten über eine Impfunfähigkeit erneut VwGH 22.3.2023, Ra 2022/09/0122, mwN).

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen gewesen wäre.

Wien, am 3. September 2024

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