Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des M D, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2022, W159 2253197 1/14E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein bosnisch herzegowinischer Staatsangehöriger, wurde 1997 in Österreich geboren und wuchs hier auf. Ihm wurden Aufenthaltstitel, zuletzt der unbefristete Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“, erteilt. Im Bundesgebiet leben die Eltern, ein Bruder und ein Onkel des ledigen Revisionswerbers, der keine Sorgepflichten hat.
2 Mit Urteil vom 18. August 2021 verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über den Revisionswerber wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels einerseits als Beteiligter nach §§ 12 zweiter Fall StGB, 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall, Abs. 2 Z 2, Abs. 4 Z 3 SMG sowie andererseits teilweise als Beteiligter nach §§ 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 2, Abs. 4 Z 3 SMG, 12 zweiter Fall StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren. Dem Schuldspruch lag zugrunde, er habe im November 2019 in Wien als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zum grenzüberschreitenden Schmuggel von Methamphetaminen („Crystal Meth“) im Kilogrammbereich aus der Türkei nach Österreich sowie aus Österreich (teils mit Zwischenstopps) nach Japan und Australien beigetragen, indem er unter anderem Mitglieder für die Durchführung von Schmuggelreisen anwarb sowie Flug und Hotelbuchungen vornahm. Des Weiteren habe er im November 2019 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung Anderen insgesamt etwa 4 kg Methamphetamin übergeben. Dadurch habe der Revisionswerber zur Ein und Ausfuhr der 616 fachen Grenzmenge an Methamphetamin beigetragen und überdies die 328 fache Grenzmenge an übergebenem Suchtgift zu verantworten. Seit 2. November 2020 wurde der Revisionswerber zunächst in Untersuchungshaft und anschließend in Strafhaft angehalten.
3 Daraufhin erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 17. Jänner 2022 eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA VG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei, und verhängte über den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot.
4 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. November 2022 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung insofern statt, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf sieben Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende nach Ablehnung der Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 27.2.2023, E 3499/2022 7) fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
8 Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots (vgl. dazu etwa VwGH 25.5.2023, Ra 2022/21/0235, Rn. 9, mwN).
9 Unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision zunächst gegen die Gefährdungsprognose und führt dazu aus, dass gegen den Revisionswerber nur eine Verurteilung vorliege, die Straftat aufgrund seiner Drogensucht erfolgt sei und er sich seither wohlverhalten habe. Es wäre „gegebenenfalls“ auch ein Gutachten zur Frage der Gefährlichkeit des Revisionswerbers einzuholen gewesen.
10 Zum einen ist dazu festzuhalten, dass grundsätzlich auch ein nur zu einer einzigen Verurteilung führendes Fehlverhalten bei einer wie hier gegebenen entsprechenden Gravität die Gefährdungsprognose des § 52 Abs. 5 FPG rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne in Bezug auf eine Gefährdungsprognose gemäß § 67 Abs. 1 FPG VwGH 21.12.2022, Ra 2020/21/0245, Rn. 15, mwN).
11 Zum anderen übersieht die Revision, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat, wobei dies selbst für den Fall einer bereits erfolgreich absolvierten Therapie gilt (vgl. etwa VwGH 20.12.2022, Ra 2021/21/0136, Rn. 12, mwN). Dieser Zeitraum ist umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden manifestiert hat (vgl. dazu etwa VwGH 27.4.2023, Ra 2022/21/0138, Rn. 14, mwN). In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof wie auch das BVwG hervorhob wiederholt ausgesprochen, dass grenzüberschreitender Suchtgiftschmuggel ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr besteht und bei dem auch ein längeres Wohlverhalten in Freiheit noch nicht für die Annahme eines Wegfalls der daraus ableitbaren Gefährdung ausreicht (vgl. VwGH 19.5.2022, Ra 2019/21/0396, Rn. 21, mwN).
12 Abgesehen davon, dass der Revisionswerber im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG noch gar nicht aus der Strafhaft entlassen worden war, durfte das BVwG im Rahmen seiner Gefährdungsprognose fallbezogen sowohl die sehr große Menge des grenzüberschreitend geschmuggelten und des übergebenen Suchtgiftes als auch die nicht bloß untergeordnete Rolle des Revisionswerbers innerhalb der international agierenden kriminellen Vereinigung einbeziehen. Davon ausgehend erweist sich die nach Verschaffung auch eines persönlichen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung getroffene Annahme des BVwG, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 52 Abs. 5 FPG darstellt, jedenfalls als vertretbar.
13 Dass die Einholung eines im Beschwerdeverfahren im Übrigen nicht beantragten Sachverständigengutachtens über die Gefährlichkeit des Revisionswerbers unterblieb, stellt keinen Verfahrensmangel dar, sondern steht vielmehr im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der zufolge ein durch ein Gutachten festgestellter Gesinnungswandel, der nicht in einem einen relevanten Zeitraum umfassenden Wohlverhalten seine Entsprechung gefunden hat, für den Wegfall der Gefährdungsprognose nicht ausreiche (vgl. dazu etwa VwGH 16.8.2022, Ra 2021/21/0123, Rn. 14, mwN).
14 Schließlich wendet sich die Revision gegen die Interessenabwägung nach § 9 BFA VG und weist auf die Geburt des Revisionswerbers in Österreich, seinen langjährigen Aufenthalt sowie seine soziale und familiäre Verankerung im Bundesgebiet hin.
15 Damit vermag die Revision jedoch nicht die Unvertretbarkeit der Interessenabwägung aufzuzeigen. Angesichts des insbesondere auch in Form des grenzüberschreitenden Schmuggels von äußerst großen Mengen im Rahmen einer international agierenden kriminellen Vereinigung begangenen Verbrechens des Suchtgifthandels, das (trotz der bisherigen Unbescholtenheit des Revisionswerbers) mit einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren sanktioniert wurde, bedarf es keiner näheren Erörterung, dass hier ein Fall besonders gravierender bzw. besonders schwerer Straffälligkeit vorliegt. Es ist daher insgesamt von der Begehung einer besonders verwerflichen Straftat und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen auszugehen. Somit führt auch eine Bedachtnahme darauf, dass der Revisionswerber in Österreich geboren, im Inland von klein auf aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, wodurch der frühere Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 9 Abs. 4 Z 2 BFA VG (idF vor dem FrÄG 2018) erfüllt wurde, im Rahmen der Interessenabwägung nicht zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes. Dies hat das BVwG, das die zuletzt erwähnten Aspekte bei der Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes angemessen berücksichtigte, auch zutreffend erkannt (zur Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen insbesondere auch bei schweren Drogendelikten trotz langjährigen Aufenthalts vgl. VwGH 7.10.2021, Ra 2021/21/0272, Rn. 10, mwN; zur gebotenen weiteren Berücksichtigung der Wertungen der ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände des § 9 Abs. 4 BFA-VG, die durch das FrÄG 2018 aufgehoben wurden, vgl. etwa VwGH 14.2.2022, Ra 2020/21/0200, Rn. 11, mit zahlreichen Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 11. April 2024