Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. Juni 2024, W268 22536351/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: A H S), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird in den Spruchpunkten A) II. bis IV. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 22. August 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen auf Bedrohungen aufgrund von Blutrache, auf die schlechte Sicherheitslage und die Dürre in Somalia stützte.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 31. Jänner 2022 ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Somalia zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte es mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Mitbeteiligten, soweit ihm die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten versagt worden war, ab [Spruchpunkt A) I.]. Es gab der Beschwerde jedoch insofern statt, als es dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte [Spruchpunkt A) II.] und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter mit der Gültigkeit für ein Jahr erteilte [Spruchpunkt A) III.]. Die Spruchpunkte betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die damit in Zusammenhang stehenden Absprüche des Bescheides vom 31. Jänner 2022 wurden ersatzlos behoben [Spruchpunkt A) IV.]. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 In seiner Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht, soweit für den vorliegenden Revisionsfall in dem Spruchpunkt A) I. nicht verfahrensgegenständlich ist relevant, davon aus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz vorlägen. Es stellte fest, dass der Mitbeteiligte der Volksgruppe der Darod und dem Clan Majerteen angehöre. Er sei in Bossaso, Puntland (Somalia) geboren worden, wo er auch bis zum Tod des Vaters mit seiner Familie gewohnt habe. Er habe Somalia im Alter von sieben Jahren verlassen und habe sich anschließend vierzehn Jahre in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgehalten, wovon er zwölf Jahre die Schule besucht und zwei Jahre als Angestellter gearbeitet habe. Der Mitbeteiligte habe in Somalia keine Angehörigen mehr. Er könne aufgrund der dort schlechten allgemeinen Versorgungslage nicht in seinen Herkunftsort zurückkehren. Er könne sich auch nicht an einem anderen Ort wie Mogadischu niederlassen und seinen Unterhalt verdienen, um dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.
5 Der Mitbeteiligte verfüge zwar aufgrund des zwölfjährigen Schulbesuchs (in den Vereinigten Arabischen Emiraten) über eine für somalische Verhältnisse sehr gute Schulbildung. Schwerer wiege jedoch, dass er sein Heimatland bereits im Alter von sieben Jahren verlassen habe und somit mit den somalischen Verhältnissen und der somalischen Kultur nicht vertraut sei. Deshalb habe er auch keine Erfahrungen mit dem Erwerbsleben „im Land“. Er verfüge über keinerlei persönliche oder familiäre Anknüpfungspunkte, weil auch seine Familie das Land verlassen habe. Zudem sei die Versorgungslage insbesondere für IDPs (Binnenflüchtlinge) gemäß den zitierten Länderberichten gerade in Bossaso sehr schlecht. Es könne daher unter Einbeziehung der skizzierten schlechten Versorgungslage nicht mit der für ein Asylverfahren notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Mitbeteiligte im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatort einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne des Art. 15 lit. c Statusrichtlinie ausgesetzt sein könnte. Der Mitbeteiligte, der nicht aus Mogadischu stamme, könne auch nicht in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile Somalias, insbesondere nach Mogadischu, verwiesen werden. Für Rückkehrer ohne Netzwerk oder Geld gestalte sich die Situation schwierig. Im herausfordernden Umfeld von Mogadischu seien entweder ein funktionierendes Netzwerk oder aber genügend Eigenressourcen notwendig, um ein Auslangen finden zu können. Ein Netzwerk sei hinsichtlich Arbeitssuche wichtig. Somit laufe der Mitbeteiligte Gefahr, in ein IDP Camp gehen zu müssen. Da der Mitbeteiligte keinem der dortigen Mehrheitsclans angehöre, verfüge er in Mogadischu über keine Clanunterstützung. Er könnte nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit seinen notdürftigsten Lebensunterhalt erwirtschaften und liefe Gefahr, in kürzester Zeit in eine existenzbedrohende Lage zu geraten.
6 Dem Mitbeteiligten sei daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und ihm die dafür vorgesehene befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Die im Bescheid enthaltenen, von der Versagung dieses Status abhängenden Aussprüche, seien zu beheben gewesen.
7 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Erhebung einer Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht vorlägen.
8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtet sich mit der Revision gegen jene Spruchpunkte, mit denen dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und die weiteren rechtlich davon abhängende Aussprüche getätigt wurden (Spruchpunkte II. bis IV.).
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Revision samt den Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattetin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe gegen die Begründungspflicht verstoßen. Das Verwaltungsgericht weiche von der näher dargestelltenRechtsprechung zu einer mit realem Risiko drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK ab, weil es die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und damit auch die darauf aufbauenden Spruchpunkte nicht einzelfallbezogen begründet habe. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Mitbeteiligte im Falle einer Rückkehr exzeptionellen Umständen iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt sein sollte, sodass der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren wäre.
11 Aufgrund dieses Vorbringens erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.
12Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.
13 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinenhöheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.
14Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (zum Ganzen VwGH 1.7.2024, Ra 2024/20/0347, mwN).
15 Im vorliegenden Fall ging das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass der Mitbeteiligte gesund und arbeitsfähig sei und aufgrund des zwölfjährigen Schulbesuchs über eine für somalische Verhältnisse sehr gute Schulbildung und über Arbeitserfahrung verfüge.
16 Das Bundesverwaltungsgericht verneinte jedoch die Möglichkeit der Rückkehr in seine Heimatregion Bossaso aufgrund der schlechten Versorgungslage insbesondere für Binnenflüchtlinge und der in der Person des Mitbeteiligten gelegenen Umstände.
17 Für diese Annahme lässt sich dem Erkenntnis jedoch einerseits keine taugliche Begründung entnehmen. Andererseits hat das Bundesverwaltungsgericht einen wesentlichen Umstand außer Acht gelassen:
18 Das Bundesverwaltungsgericht begründete nicht nachvollziehbar, warum der Mitbeteiligte trotz seiner erheblich besseren Schulbildung und der bisherigen Arbeitserfahrung von der allgemeinen Versorgungslage stärker betroffen wäre als die übrige Bevölkerung. Auch der Verweis, dass die Versorgungslage insbesondere für Binnenflüchtlinge (IDP’s) in der Heimatregion des Mitbeteiligten sehr schlecht sei, ist gegenständlich nicht zielführend, weil es sich beim Mitbeteiligten um einen im Ausland ausgebildeten Rückkehrer handelt und nicht um einen Binnenflüchtling. Aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes ist zu entnehmen, dass es für Rückkehrer hinsichtlich Grundversorgung und Arbeitsmöglichkeiten durchaus Unterschiede zu der übrigen Bevölkerung geben kann (siehe Feststellungen S. 60 ff).
19 Wenn das Bundesverwaltungsgericht damit argumentiert, der Mitbeteiligte verfüge über keinerlei persönliche oder familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsland, ist dem zu entgegnen, dass sich das Verwaltungsgericht mit dem Umstand, dass der Mitbeteiligte in seiner Heimatregion dem Mehrheitsclan Majerteen angehört, überhaupt nicht auseinandergesetzt hat. Den Feststellungen folgend ist der Clan die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia und bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen. Eine Begründung dafür, warum er sowohl bei der Arbeitssuche als auch bei der Versorgung nicht von seinem Clan unterstützt werden könnte, ist dem Erkenntnis nicht zu entnehmen.
20 Die Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis, die sich allgemein mit Verweisen auf die Länderberichte begnügen, ohne eine individuelle Prüfung der Situation des Mitbeteiligten vorzunehmen, entsprechen somit nicht den Anforderungen an die Beurteilung der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten.
21 Gleiches gilt auch für die vom Verwaltungsgericht verneinte Zumutbarkeit der Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in Mogadischu, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Situation und den persönlichen Umständen des Mitbeteiligten anhand der Länderberichte vermissen lässt.
22 Im Gesamten hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung in für den Ausgang des Verfahrens relevanter Weise mit einem Verfahrensmangel belastet, der auf die Verkennung des oben dargelegten, vom Bundesverwaltungsgericht heranzuziehenden Prüfmaßstabeswenngleich die diesbezügliche Judikatur im angefochtenen Erkenntnis wiedergegeben wird, spricht das Bundesverwaltungsgericht an anderer Stelle davon, dass es eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht ausschließen könne zurückzuführen ist.
23 Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis im Umfang der Anfechtung die in den Spruchpunkten A) III. und A) IV. enthaltenen Aussprüche verlieren aufgrund der Aufhebung des Spruchpunktes A) II. ihre Grundlagewegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 14. Oktober 2024