JudikaturVwGH

Ra 2024/20/0638 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, in den Rechtssachen der Revisionen 1. des O L, 2. der Y G, 3. der M L und 4. der C L, alle vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Bruno Marek Allee 5/8, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes je vom 25. September 2024, 1. G310 2294825 1/3E, 2. G310 2292854 1/3E, 3. G310 2292856 1/3E und 4. G310 2292858 1/3E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertrevisionswerberinnen. Alle sind venezolanische Staatsangehörige. Der Erstrevisionswerber stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 3. Oktober 2022 und die Zweit- bis Viertrevisionswerberinnen am 6. Februar 2024 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diese Anträge mit den Bescheiden vom 26., 29. und 30. April 2024 ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Venezuela jeweils zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die von den revisionswerbenden Parteien gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden vom Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit den angefochtenen Erkenntnissen als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision jeweils nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Gegen diese Erkenntnisse erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit den Beschlüssen je vom 11. März 2025, E 473 476/2025 6, ablehnte und über nachträglich gestellte Anträge mit den Beschlüssen je vom 17. April 2025, E 473 476/2025 8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurden die gegenständlichen Revisionen eingebracht.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.

8 In den vorliegenden Revisionen wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG), wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben könne, abgewichen. Sie führen unter Verweis auf Länderberichte und das Vorbringen in den Beschwerden Ermittlungsmängel im verwaltungsbehördlichen Verfahren ins Treffen, die vom Bundesverwaltungsgericht hätten beseitigt werden müssen. Auch habe das Bundesverwaltungsgericht die (in den Bescheiden enthaltenen) Länderfeststellungen um einen Absatz ergänzt, wonach es nach den Präsidentschaftswahlen 2024 in Venezuela zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sei und das Regime seine umfassenden repressiven Taktiken verschärft habe. Dazu sei den revisionswerbenden Parteien auch kein Parteiengehör eingeräumt worden.

9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem hier maßgeblichen ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA VG („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. dazu ausführlich VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018; sowie aus der weiteren Rechtsprechung etwa VwGH 10.12.2024, Ra 2024/20/0364, mwN).

10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besondere Bedeutung zu. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 31.5.2024, Ra 2024/20/0286, mwN).

11 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (vgl. VwGH 27.2.2025, Ra 2025/20/0048, mwN).

12 Da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt, ist es für die Gewährung von Asyl nicht ausreichend, derselben eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios zugrunde zu legen (vgl. VwGH 17.12.2024, Ra 2024/20/0727, mwN).

13 Fallbezogen legen die revisionswerbenden Parteien nicht dar, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Die revisionswerbenden Parteien beschränken sich in ihren Begründungen zur Zulässigkeit ihrer Revisionen auf weitwendige Ausführungen, zu welchen Themenbereichen sie noch zu befragen gewesen wären, ohne dabei aufzuzeigen, dass sie dabei konkret einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein könnten. Der Verweis auf das Vorbringen in den Beschwerden, der Sachverhalt sei deshalb nicht ordnungsgemäß festgestellt worden, weil sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht mit der politischen Einstellung der revisionswerbenden Parteien auseinandergesetzt habe, verfängt ebenso nicht, weil auch hier mit kein individuelles Verfolgungsszenario von asylrechtlicher Bedeutung dargelegt worden ist. Damit ist auch nicht ersichtlich, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt unvollständig erhoben worden wäre. Dass das Bundesverwaltungsgericht von den oben dargestellten, in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre, vermögen die revisionswerbenden Parteien somit nicht aufzuzeigen.

14 Zutreffend verweisen die revisionswerbenden Parteien darauf, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung darauf hingewiesen hat, dass bei der Aktualisierung der Länderberichte und Ergänzung der Feststellungen eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (vgl. etwa VwGH 25.4.2022, Ra 2022/20/0044, mwN). Wenn sie zum einen vorbringen, dass ihnen zu dem vom Bundesverwaltungsgericht ergänzten Absatz aus den aktuellen Länderberichten kein Parteiengehör eingeräumt worden sei und sie gegebenenfalls auf eine „Verschärfung der Situation in Venezuela“ nach der Präsidentschaftswahl 2024 in den dort genannten Bereichen hingewiesen hätten, ist ihnen zu entgegnen, dass diese Feststellungen ohnehin vom Verwaltungsgericht in den angefochtenen Erkenntnissen getroffen worden sind.Zum anderen legen die revisionswerbenden Parteien auch hier nicht dar, welchen unmittelbaren Bezug diese Feststellungen zu ihnen und ihrer jeweiligen persönlichen Situation konkret aufweisen.

15 Gleiches gilt auch für die Ausführungen in den Revisionen, soweit sich die revisionswerbenden Parteien gegen die Versagung der Zuerkennung von subsidiärem Schutz richten und in diesem Zusammenhang Ermittlungsmängel geltend machen.

16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 24.9.2024, Ra 2024/20/0469, mwN).

17 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 14.10.2024, Ra 2024/20/0447, mwN).

18 Entgegen dem Vorbringen in den Revisionen ist auf Grundlage des Inhalts der angefochtenen Entscheidungen nicht zu sehen, dass das Bundesverwaltungsgericht von dieser Rechtsprechung abgewichen ist.

19 Die Revisionen legen nämlich mit ihrem allgemeinen, sich auf Berichte beziehenden Vorbringen zur wirtschaftspolitischen Lage in Venezuela als auch zur dortigen Versorgungs- und Sicherheitslage nicht konkret auf die Person der jeweiligen revisionswerbenden Parteien bezogen eine Unvertretbarkeit der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dar.

20 Darüber hinaus wird mit dem Vorbringen in den Zulässigkeitsbegründungen keine Relevanz der behaupteten Ermittlungsmängel aufgezeigt (vgl. zur Notwendigkeit der Relevanzdarlegung von Verfahrensmängeln etwa VwGH 4.9.2024, Ra 2024/20/0508, mwN).

21 In den Revisionen wird sohin keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 23. Juni 2025

Rückverweise