JudikaturVwGH

Ra 2024/20/0076 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des M K, vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2013, L525 2262791 1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 11. April 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 6. Oktober 2022 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit Erkenntnis vom 18. Oktober 2023 als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis an ihn gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 13. Dezember 2023, E 3513/2023 5, ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist, Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, sind ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 In der Begründung für die Zulässigkeit der Revision, die sich im Übrigen außerhalb der vom Revisionswerber angeführten Revisionspunkte bewegt (er macht geltend, „in seinem subjektiven Recht auf Zuerkennung des internationalen Schutzes bzw. subsidiären Schutzes verletzt“ zu sein), wird in Bezug auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorgebracht, der Revisionswerber unterliege als türkischer Staatsangehöriger den Bestimmungen des ARB 1/80, weshalb er zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei. Außerdem teile er die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiege sein persönliches Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet, nicht.

9 Entgegen den Behauptungen in der Revision fehlt es nicht an Judikatur zu der Frage, ob türkische Staatsangehörige, die während eines Asylverfahrens einer nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) erlaubten Beschäftigung nachgehen, in den Genuss der Vergünstigungen des Art. 6 ARB 1/80 kommen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können sich nur solche türkischen Arbeitnehmer auf ein auf Art. 6 ARB 1/80 gegründetes Aufenthaltsrecht berufen, die während der in dieser Bestimmung angeführten Zeiträume auf die dort näher umschriebene Weise ordnungsgemäß beschäftigt waren. Dies setzt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union „eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt voraus“. Während der in Art. 6 ARB 1/80 genannten Zeiträume muss sowohl die Beschäftigung des betroffenen türkischen Arbeitnehmers im Einklang mit den arbeitserlaubnisrechtlichen als auch sein Aufenthalt im Einklang mit den nicht nur eine vorübergehende Position sichernden aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates gestanden haben. Erst wenn dann der betreffende türkische Arbeitnehmer im Anschluss an einen derartigen Zeitraum ordnungsgemäßer Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt verbleibt, kann er sich hinsichtlich des Rechts zur Fortsetzung dieser ordnungsgemäßen Beschäftigung sowie des diesem Zweck dienenden Rechts auf Aufenthalt auf Art. 6 ARB 1/80 berufen. Diese Voraussetzungen erfüllen Fremde, die eine wenn auch allenfalls in Einklang mit den Bestimmungen des AuslBG stehende Beschäftigung ausüben, dann nicht, wenn ihr Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet bloß auf Grund einer asylrechtlichen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung besteht (vgl. so schon VwGH 1.6.2001, 2001/19/0035; vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa weiters VwGH 15.10.2015, Ra 2015/21/0117; 9.7.2021, Ra 2021/22/0120; 18.7.2022, Ra 2022/18/0154; 25.10.2023, Ra 2021/21/0257; 20.6.2023, Ra 2023/19/0104).

10 Dass das bisherige Aufenthaltsrecht des Revisionswerbers aber allein darauf beruht hat, dass er während des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz vorübergehend nach asylrechtlichen Bestimmungen zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war, stellt er nicht in Abrede. Ein aus Art. 6 ARB 1/80 ableitbares Aufenthaltsrecht kam ihm mangels einer gesicherten aufenthaltsrechtlichen Rechtsposition nicht zu.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 21.12.2023, Ra 2023/20/0244, mwN).

12 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 21.12.2023, Ra 2023/20/0244, mwN).

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt und in Fällen, in denen eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vorliegt, regelmäßig erwartet wird, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Erlassung einer Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären (vgl. VwGH 12.9.2023, Ra 2023/20/0278, mwN).

14 Das Bundesverwaltungsgericht hat sämtliche fallbezogen für die Entscheidung maßgeblichen Umstände in seiner Beurteilung einbezogen. Der Revisionswerber zeigt nicht auf, dass die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären. Im Besonderen ist darauf hinzuweisen, dass es der oben angeführten Rechtsprechung nicht entspräche, wenn wie vom Revisionswerber intendiert eine tabellarische Aufzählung von Umständen der öffentlichen und persönlichen Interessen erfolgte, um diese dann bloß zahlenmäßig gegenüber zu stellen. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung eine sich auf die maßgeblichen Umstände beziehende, gewichtende Abwägung der gegenläufigen Interessen vorzunehmen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber in seiner Aufzählung weitere entscheidungswesentliche nicht zu seinen Gunsten ausschlagende und vom Bundesverwaltungsgericht auch tatsächlich berücksichtigte Umstände gänzlich ausblendet. Entgegen seinen Behauptungen ist auch nicht zu sehen, weshalb in seinem Fall von einer außergewöhnlichen Integration auszugehen wäre, sodass trotz der geringen Dauer seines im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung gegebenen stets als unsicher zu qualifizierenden Aufenthalts im Bundesgebiet von etwa eineinhalb Jahren unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK akzeptiert werden müsste, dass er mit seinem Verhalten versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. VwGH 20.11.2019, Ra 2019/20/0269, mwN).

15 Die Revision erweist sich somit im Sinn des § 34 Abs. 1 VwGG als unzulässig, weshalb sie nach dieser Bestimmung ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen war.

Wien, am 22. Februar 2024

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