JudikaturVwGH

Ra 2024/20/0208 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Zehetner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, in der Rechtssache der Revision des M A in W, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Freyung 6/7/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November 2023, W123 2255323 1/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 23. August 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 11. April 2022 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, soweit sie sich gegen die Erlassung eines Einreiseverbotes richtete, statt und behob diesen Spruchpunkt des bekämpften Bescheides ersatzlos. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die Erhebung einer Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig erklärt.

4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht, soweit für den Revisionsfall von Interesse, aus, der Revisionswerber habe insbesondere aufgrund seiner inkonsistenten und unglaubwürdigen Angaben keine aktuelle Gefahr der Verfolgung seiner Person im Fall einer Rückkehr nach Somalia glaubhaft machen können. Aufgrund der Sicherheitslage in seinem Heimatort bestehe jedoch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen. Aus näher dargelegten Gründen sei es dem Revisionswerber aber möglich, sich in der Stadt Afgooye niederzulassen oder sich in der Stadt Mogadischu neu anzusiedeln.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 25. Januar 2024, E 3940/2023 7, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 9. Februar 2024, E 3940/2023 9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein derartiger Beschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG).

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision - gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert - vorgebrachten Gründe zu überprüfen.

10 Der Revisionswerber macht zur Begründung der Zulässigkeit der Revision Begründungsmängel hinsichtlich der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative geltend.

11 Mogadischu komme nach den UNHCR Erwägungen von September 2022 als innerstaatliche Fluchtalternative nur in außergewöhnlichen Fällen in Betracht, etwa für einen alleinstehenden, gesunden und arbeitsfähigen Mann ohne identifizierte Vulnerabilitäten, der zu einem Mehrheitsclan wie dem Abgaal als Subclan der Hawiye gehöre. Das Bundesverwaltungsgericht habe jedoch festgestellt, dass der Revisionswerber dem Clan der Rahanweyn, Subclan Geledi, angehöre, der nach der offensichtlich nicht beachteten EUAA „Country Guidance Somalia“ vom 11. August 2023 eine wesentlich schwächere Stellung habe. Nach den Länderfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichts werde humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt. Schwache Gruppen erhielten wenig bis gar nichts. Die mangelnde Unterstützung des Revisionswerbers durch einen Mehrheitsclan hätte sich auf die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts seiner Lage im Fall der Rückkehr nach Somalia auswirken müssen. Darüber hinaus fehlten Feststellungen, ob sein Vater und damit auch der Revisionswerber aufgrund der Mischehe von seinem Clan verstoßen worden sei. Seine Mutter sei Angehörige der diskriminierten Minderheitengruppe der Gabooye. Nennenswerte Unterstützungsleistungen seitens der Familienangehörigen hätte das Bundesverwaltungsgericht wegen deren eigenen Hilfsbedürftigkeit (die Mutter befinde sich in einem „IDP Lager“) als nicht realistisch und nicht ausreichend einschätzen müssen.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der vom Revisionswerber angesprochenen Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

13 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.

14 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung für sich genommen selbst ein Leben im Herkunftsstaat in ärmlichen Verhältnissen nicht dazu führt, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK gegeben sein könnte (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 1.7.2024, Ra 2024/20/0347, mwN).

15 Weiters ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung“). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings hat sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und auch das Bundesverwaltungsgericht mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind. Auch den von EUAA herausgegebenen Informationen ist bei der Prüfung, ob die Rückführung eines Asylwerbers in sein Heimatland zu einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK führen kann sowie ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, Beachtung zu schenken (vgl. etwa VwGH 25.4.2022, Ra 2021/20/0485, mwN).

16 Zur angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative in Mogadischu hielt das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst fest, Mogadischu sei über den internationalen Flughafen erreichbar. Anhand der Länderberichte sei die Versorgungslage in Mogadischu zwar angespannt, ein besonderes individuelles Risiko für den Revisionswerber sei jedoch nicht zu erblicken, zumal sich sein Onkel mütterlicherseits in Afgooye aufhalte sowie seine Familie (jedenfalls seine Mutter und Geschwister), die durch diesen unterstützt werde, im Großraum Mogadischu. Es sei damit davon auszugehen, dass der Revisionswerber auch wenn sein Clan dort als „Gast“ gelte in dieser Umgebung über ein ausreichend tragfähiges familiäres Netzwerk verfüge und von seiner Familie und seinem Clan Unterstützung erhalten könne. Es bestehe daher kein hinreichender Grund zur Annahme, dass der Revisionswerber mit familiärer Anknüpfung in Afgooye und im Großraum Mogadischu aufgrund generell schwankender Versorgungssicherheit in eine lebensbedrohliche Notlage geraten könnte, sodass weder die EUAA „Country Guidance Somalia“ von Juni 2022 noch UNHCR Richtlinien zu Somalia von September 2022 der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach Mogadischu entgegenstünden. Darüber hinaus sei kein Grund ersichtlich, weshalb der junge und gesunde sowie arbeitsfähige Revisionswerber nicht selbst am Erwerbsleben teilnehmen und so seinen Unterhalt bestreiten könnte. Nach den „IPC Food Insecurity Lagekarten“ habe in Mogadischu mit Stand August und September 2023 die Stufe 2 („Stressed“) bestanden, wobei diese Klassifikation auch für die Monate Oktober bis Dezember prognostiziert worden sei. Mogadischu sei unter Kontrolle der Regierung sowie ATMIS und die Lage für die Zivilbevölkerung habe sich in den vergangenen Jahren generell verbessert; die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage gestalte sich als hinreichend stabil.

17 Das Bundesverwaltungsgericht nahm damit die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nötige Einzelfallprüfung zur Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK vor und setzte sich auch mit den UNHCR Richtlinien sowie EUAA Informationen auseinander. Auf dieser Grundlage bejahte es die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mogadischu für den Revisionswerber und stellte dabei auch darauf ab, dass er durch seinen Onkel mütterlicherseits sowie weitere familiäre Anknüpfungspunkte (jedenfalls Mutter und Geschwister) Unterstützung erhalten könne.

18 Mit dem lediglich pauschalen Vorbringen, dass der Revisionswerber nicht einem Mehrheitsclan in Mogadischu angehöre, sein Subclan eine wesentlich schwächere Stellung habe und nicht nur seine Mutter (die sich in einem „IDP Lager“ befinde), sondern auch sein Onkel den Revisionswerber nicht in der nötigen Weise unterstützen könnten, wird von der Revision keine Unvertretbarkeit der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Einzelfallprüfung aufgezeigt. Dem nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts gesunden und arbeitsfähigen, im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht etwas über 20 Jahre alten Revisionswerber gelingt es nicht darzulegen, dass er sich selbst wenn die Unterstützung durch Familienmitglieder nicht stattfände im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat in einer solchen Situation wiederfände, die es ausschlösse, ihn auf die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zu verweisen. Dass sich der Revisionswerber allenfalls bei der Rückkehr mit anfänglichen Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung im Heimatland konfrontiert sehen könnte, führt nicht dazu, dass ihm subsidiärer Schutz zu gewähren wäre. Vor diesem Hintergrund legt der Revisionswerber daher hinsichtlich der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative durch das Bundesverwaltungsgericht keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG dar.

19 Insoweit sich der Revisionswerber schließlich unsubstantiiert gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK durch das Bundesverwaltungsgericht wendet, zeigt er nicht auf, dass die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären. Das Bundesverwaltungsgericht hat sämtliche fallbezogen für die Entscheidung maßgeblichen Umstände in seiner Beurteilung einbezogen. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das Bundesverwaltungsgericht auch die Integrationsschritte des Revisionswerbers gewürdigt und nicht lediglich auf seine Aufenthaltsdauer in Österreich abgestellt (zur in Form einer Gesamtbetrachtung durchzuführenden Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK vgl. etwa VwGH 22.2.2024, Ra 2024/20/0076, mwN).

20 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 23. Juni 2025

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