Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision 1. des I K, 2. der M V, 3. der K K, und 4. des K K, die Dritt- und Viertrevisionswerber vertreten durch die Erst- und Zweitrevisionswerber als gesetzliche Vertreter, alle vertreten durch Mag. a Sarah Moschitz Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Frauengasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Mai 2024, 1. W272 2241528 2/32E, 2. W272 2241533 2/19E, 3. W272 2241532 2/18E, und 4. W272 22415292/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Erstrevisionswerber ist mit der Zweitrevisionswerberin verheiratet, die Dritt- und Viertrevisionswerber sind deren Kinder. Alle sind Staatsangehörige der Russischen Föderation. Der Erstrevisionswerber stellte erstmals am 8. Juli 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2Mit Bescheid vom 10. März 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte dem Erstrevisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Beschwerde des Erstrevisionswerbers gegen den Bescheid des BFA vom 10. März 2015 wies das BFA mit Bescheid vom 27. August 2015 ab. Am 6. August 2015 wurde der Erstrevisionswerber in die Russische Föderation abgeschoben.
4Am 10. November 2020 stellte der Erstrevisionswerber seinen zweiten, die Zweit- bis Viertrevisionswerber jeweils ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 22. März 2021 wies das BFA die Anträge auf internationalen Schutz ab, erteilte den Revisionswerbern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 15. Juli 2021 ab. Die Revisionswerber verblieben anschließend im Bundesgebiet.
6 Am 7. Juli 2022 stellten die Revisionswerber die gegenständlichen Folgeanträge auf internationalen Schutz. Begründend brachte der Erstrevisionswerber im Wesentlichen vor, dass für den Krieg gegen die Ukraine Männer einberufen würden und er eine solche Einberufung erhalten habe. Er wolle nicht kämpfen und nicht sterben. In Tschetschenien habe er bereits ein paar Mal „Probleme mit der Polizei“ gehabt und sei schon öfters von „Kadyrovs Leuten“ geschlagen und verletzt worden. Die Zweitrevisionswerberin brachte vor, in Österreich bleiben zu wollen, wobei sie auch die Einberufung ihres Ehemannes und die medizinische Behandlung der Drittrevisionswerberin ins Treffen führte.
7Das BFA wies mit Bescheid vom 6. April 2023 die Anträge auf internationalen Schutz ab, erteilte den Revisionswerbern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
8 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 29. Mai 2024 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
Begründend führte es aus, dass der Erstrevisionswerber nicht mehr im wehrdienstpflichtigen Alter sei, den Grundwehrdienst nicht abgeleistet habe, über keine militärische Ausbildung verfüge und kein Reservist sei, weshalb ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung drohe. Die Erst- und Zweitrevisionswerber hätten sich auch nie politisch oder journalistisch engagiert. Die Dritt- und Viertrevisionswerber seien keiner Gefährdung oder Verfolgung ausgesetzt.
9 Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 17. September 2024, E 2470/2024 8 und E 2649 2651/2024 7, ab und trat sie mit Beschluss vom 17. Oktober 2024, E 2470/2024 10, E 2649 2651/2024 9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
10 Daraufhin wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
13Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG weiche von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (und des Gerichtshofes der Europäischen Union) ab, weil der Erstrevisionswerber bei seiner Rückkehr in die Russische Föderation zwangsrekrutiert und im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden würde. Das BVwG habe im Zusammenhang mit einem vorgelegten Einberufungsbefehl eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen und habe entgegen dem Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchung aktenwidrig Bedenken dagegen geäußert. Dabei habe es sich auch begründungslos über relevantes Parteivorbringen zum Einberufungsbefehl hinweggesetzt, wie dies auch im Zusammenhang mit dem Vorbringen zur ablehnenden Haltung der Erst- und Zweitrevisionswerber gegen die Politik Kadyrovs und den Ukrainekrieg sowie der zumindest unterstellten oppositionellen Gesinnung geschehen sei. Das BVwG habe in seiner Entscheidung verkannt, dass die Entscheidung in einem Asylverfahren eine Prognoseentscheidung sei.
15Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (VwGH 12.3.2024, Ra 2023/19/0235, mwN).
16 Das BVwG setzte sich unter Heranziehung der Länderberichte beweiswürdigend mit dem Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbers wie auch mit den vorgelegten Dokumenten auseinander und ging davon aus, dass diesem eine Einziehung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe, weil die Angaben zum Erhalt der Ladung nicht nachvollziehbar und widersprüchlich gewesen seien.
17Dass die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG in ihrer Gesamtheit unvertretbar wären, vermag der Erstrevisionswerber, der in erster Linie seine eigenen beweiswürdigenden Überlegungen an die Stelle des BVwG gesetzt wissen möchte, nicht darzutun, zumal es hier nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht darauf ankommt, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 18.1.2024, Ra 2023/19/0270, mwN).
18Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Aktenwidrigkeit nur dann vor, wenn sich die Behörde bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat, wenn also der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen wurden, die auf Grund der Beweiswürdigung oder einer anders lautenden rechtlichen Beurteilung mit den Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. VwGH 15.10.2024, Ra 2024/19/0416, mwN).
19 Das vom Revisionswerber für eine Aktenwidrigkeit geltend gemachte Argument bezieht sich der Sache nach auf die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG. Eine Aktenwidrigkeit wird damit nicht dargelegt.
20Schließlich wendet sich die Revision auch gegen ein Übergehen von Parteivorbringen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 22.5.2024, Ra 2022/19/0131, mwN). Mit ihren pauschalen Ausführungen gelingt es der Revision jedoch nicht, einen solchen Verfahrensfehler darzulegen.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 6. Februar 2025