JudikaturVwGH

Ra 2022/19/0131 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. Mai 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision 1. der A S, 2. der A F, 3. des M F, und 4. des S F, geboren am 3. August 1994, alle vertreten durch Dr. Stefan Korn, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Argentinierstraße 20/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 2022, 1. I406 2175705 1/17E, 2. I406 2175707 1/17E, 3. I406 2175710 1/16E und 4. I406 2175711 1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der Zweitrevisionswerberin sowie der Dritt und Viertrevisionswerber. Alle sind libysche Staatsangehörige und stellten am 1. Dezember 2015 Anträge auf internationalen Schutz, die sie im Laufe des Verfahrens damit begründeten, dass ihnen sowohl aufgrund der politischen Aktivität und der Ermordung des Ehemannes der Erstrevisionswerberin als auch der politischen Aktivitäten der Revisionswerber asylrelevante Verfolgung drohe.

2 Mit Bescheiden vom 29. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten ab, erkannte ihnen jeweils den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit bringt die Revision unter anderem vor, das BVwG habe die vorgelegten Beweismittel der Revisionswerber zum Fluchtvorbringen unberücksichtigt gelassen und sich begründungslos darüber hinweggesetzt sowie die Anträge auf Einvernahme der Dritt und Viertrevisionswerber übergangen.

6 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 8.3.2022, Ra 2021/19/0074 und 13.2.2020, Ra 2019/19/0472, jeweils mwN).

7 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht.

8 Die Revisionswerber übermittelten dem BVwG mit Schriftsätzen vom 23. und 24. August 2021 umfangreiche Beweismittel („Urkundenvorlage“) im Zusammenhang mit der Ermordung des Ehemannes der Erstrevisionswerberin. Das BVwG hat sich allerdings über die Ausführungen in diesen Berichten begründungslos hinweggesetzt.

9 Ausgehend vom Inhalt der Urkundenvorlage sowie dem Vorbringen in der Revision, dass führende bzw. aktive Mitglieder sowohl der Föderalisten- als auch der Frauenrechtsbewegung in Libyen zum Teil ermordet worden seien und dies insbesondere auch auf den Ehemann der Erstrevisionswerberin zutreffe, der aufgrund seiner politischen Aktivitäten ermordet worden sei, ist nicht zu sehen, dass den genannten Beweismitteln von vornherein die Eignung abzusprechen gewesen wäre, zum Beweisthema etwas beitragen zu können. Schon deshalb ist das angefochtene Erkenntnis mit einem für den Verfahrensausgang relevanten Verfahrensmangel behaftet.

10 Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG zwar eine mündliche Verhandlung durchführte, zu der alle Revisionswerber geladen wurden, die in der Verhandlung auch anwesend waren, jedoch wurden nur die Erst und Zweitrevisionswerberin, nicht aber die Dritt- und Viertrevisionswerber befragt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde der Antrag gestellt, eine Frist von 14 Tagen zu gewähren, um Fotos vorlegen zu können. Diesbezüglich ist der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 10. August 2021 zu entnehmen, dass der erkennende Richter festhielt, „dass noch BF3 und BF4 [Dritt und Viertrevisionswerber] einzuvernehmen sind und die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung nicht innerhalb von 14 Tagen stattfinden wird.“ Daraufhin wurde die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt. Eine neuerliche Verhandlung zu deren Befragung fand jedoch nicht statt.

11 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

12 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das BVwG mit den von den Revisionswerbern vorgelegten Beweismitteln im erforderlichen Umfang auseinanderzusetzen haben.

13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 52 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. Mai 2024

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