Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2023, W138 2281184 1/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: A A), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 9. September 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte zusammengefasst vor, er habe Syrien bereits im Jahr 2013 mit seiner Familie verlassen (und anschließend durchgehend in der Türkei gelebt), weil in ihrer Herkunftsregion Krieg geherrscht habe. Im Falle der Rückkehr müsse er den Militärdienst leisten oder für andere Gruppen Waffen tragen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 26. September 2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobenen Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, erkannte dem Mitbeteiligte den Status des Asylberechtigten zu und stellte seine Flüchtlingseigenschaft fest. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG aus, dem Mitbeteiligten drohe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Einberufung zum Wehrdienst bei der syrischen Armee, weil er gesund und im wehrpflichtigen Alter sei, seinen Wehrdienst bisher nicht abgeleistet habe und das syrische Regime Bedarf an Soldaten habe. Er könne nur über Grenzübergänge, welche sich unter Kontrolle des syrischen Regimes befänden, „sicher und legal nach Syrien zurückkehren“. Dass keine anderen Einreisemöglichkeiten bestünden, ergebe sich aus den Länderberichten und daraus, dass „eine andere Möglichkeit nicht aufgezeigt wurde“. Daher bestehe für den Mitbeteiligten die Gefahr, bei der Einreise am Grenzkontrollposten oder an einem der zahlreichen Checkpoints verhaftet und zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden. Die Ausreise des Revisionswerbers aus Syrien und die dadurch bewirkte Kriegsdienstverweigerung werde vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung betrachtet. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative bestehe schon deshalb nicht, weil die Annahme einer solchen im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehe.
5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache zusammengefasst geltend macht, das BVwG sei von der für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen bestehenden Begründungspflicht abgewichen. Es sei aus dem angefochtenen Erkenntnis nicht schlüssig ableitbar, woraus sich die asylrelevante Gefahr der Zwangsrekrutierung im Einzelfall für den Mitbeteiligten ergebe. Insbesondere habe das BVwG keine Feststellungen zur Herkunftsregion des Mitbeteiligten getroffen, die nach den Feststellungen des BFA sowie der Länderberichte im angefochtenen Erkenntnis nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes (sondern der Oppositionspartei SNA) stehe, weshalb der Mitbeteiligte dort nicht von der syrischen Armee rekrutiert werden könne. Überdies habe sich das BVwG begründungslos nicht mit der vom BFA aufgezeigten sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion des Mitbeteiligten (über bestimmte, nicht durch das syrische Regime kontrollierte Grenzübergänge zwischen der Türkei und Nordsyrien) auseinandergesetzt, sondern festgestellt, dass eine Rückkehr für den Mitbeteiligten nach Syrien nur über vom syrischen Regime kontrollierte Grenzübergänge möglich sei. Die Asylrelevanz der behaupteten Verfolgung (Zwangsrekrutierung durch die syrische Armee) wäre bei Einhaltung der Begründungspflicht zu verneinen gewesen.
6 Der Mitbeteiligte erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Vorab wird darauf hingewiesen, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 1.6.2022, Ra 2021/18/0391, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.
9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unabhängig von der Frage, ob einem Asylwerber in seiner Heimatregion asylrelevante Verfolgung droht zu prüfen, ob er im (hypothetischen) Fall seiner Rückkehr dorthin gelangen kann, ohne bei oder nach der Einreise in den Herkunftsstaat asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein (vgl. etwa VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108; 29.2.2024, Ra 2024/18/0043, mwN). Aus asylrechtlicher Sicht kann es nicht darauf ankommen, ob die Einreise in einen verfolgungssicheren Landesteil aus der Sicht des potentiellen Verfolgers (hier: des syrischen Regimes) legal stattfindet, sondern nur, ob die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise in das sichere Gebiet zulassen (VwGH 29.2.2024, Ra 2024/18/0043).
10 Im vorliegenden Fall setzte sich das BVwG entgegen den Vorgaben in der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht mit der Frage auseinander, ob die Herkunftsregion des Mitbeteiligten als seinen Heimatort stellte es das Dorf Al Said Ali im Distrikt Maree (Azaz) im Gouvernement Aleppo fest im Entscheidungszeitpunkt des BVwG unter der Kontrolle des syrischen Regimes (oder anderer Bürgerkriegsparteien) stand und ob das syrische Regime dort auf ihn Zugriff habe. Es ging außerdem davon aus, dass der Mitbeteiligte bei Rückkehr nur über Grenzübergänge einreisen könne, die in der Hand des syrischen Regimes seien. Beweiswürdigend stützte es diese Feststellung auf nicht näher spezifizierte „Länderberichte“ bzw. darauf, dass eine andere Möglichkeit nicht aufgezeigt worden sei. Zu Recht wendet die Amtsrevision ein, dass das BFA in seinem Bescheid aber gegenteilige Feststellungen (gestützt auf näher bezeichnete Ermittlungsergebnisse) getroffen hatte, die das BVwG begründungslos überging.
11 Dass diese Begründungsmängel hinsichtlich der Frage, ob der Mitbeteiligte asylrelevante Verfolgung durch das syrische Regime in Form von Zwangsrekrutierung zu erwarten hat, im Hinblick auf lokal unterschiedliche Machtverhältnisse in Syrien von Relevanz sein konnten, legt die Amtsrevision hinreichend dar.
12 Das angefochtene Erkenntnis ist daher (relevant) mangelhaft begründet und war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 4. März 2025