JudikaturVwGH

Ra 2024/18/0057 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
09. April 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Dezember 2023, W259 2279501 1/8E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: W A), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 9. September 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er vom syrischen Militär desertiert sei. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er verhaftet oder hingerichtet zu werden.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (die revisionswerbende Partei) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 9. August 2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres.

3 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status eines Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

4 Das BVwG stellte fest, dass der Mitbeteiligte seinen Grundwehrdienst beim syrischen Militär angetreten habe, in der Folge jedoch von diesem desertiert sei. Der Mitbeteiligte lehne das syrische Regime aus persönlichen und politischen Gründen ab und wolle aus diesem Grund weder für das syrische Regime kämpfen noch dieses anderweitig unterstützen. Zwar stehe die Herkunftsregion des Mitbeteiligten unter kurdischer Kontrolle; allerdings müsste der Mitbeteiligte bei einer Rückkehr dorthin nach der Einreise über den Grenzübergang Semalka die Verbindungsstrecke zwischen Ar Raqqa und Ayn Issa benützen, wo das syrische Regime patroulliere. Für den Mitbeteiligten bestehe die Gefahr, an einem Checkpoint in Kontakt mit den syrischen Behörden zu kommen, verhaftet und zum Wehrdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden. Im Falle seiner Rückkehr drohe dem Mitbeteiligten daher aus Gründen seiner politischen Überzeugung oder einer ihm zumindest unterstellten oppositionellen Gesinnung wegen seiner Desertion eine asylrelevante Verfolgung.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG sei von näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen. Die Feststellung des BVwG, wonach der Mitbeteiligte bei Checkpoints kontrolliert und anschließend verhaftet und inhaftiert werden könne, stehe in Widerspruch zu den Länder und Themenberichten, die das BVwG dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegt habe. Denn aus diesen ergebe sich, dass bei den Checkpoints in der Nähe der Herkunftsregion des Mitbeteiligten keine Personenkontrollen durchgeführt würden.

6 Der Mitbeteiligte erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision ist zulässig und begründet.

8Vorab wird darauf hingewiesen, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist. Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sachund Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren (vgl. etwa VwGH 4.3.2025, Ra 2024/18/0004, mwN).

9 Das BVwG nahm an, dem Mitbeteiligten drohe im Falle seiner Rückkehr asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Desertion vom Wehrdienst für das syrische Regime, zumal er glaubhaft vorgebracht habe, aufgrund seiner oppositionellen Gesinnung gegenüber dem syrischen Regime desertiert zu sein. Die Herkunftsregion des Mitbeteiligten befinde sich in einem näher bezeichneten Gebiet, das unter kurdischer Kontrolle stehe. Doch ergebe sich aus den herangezogenen Länderberichten, dass das syrische Regime insbesondere an der Verbindungsstrecke zwischen Ayn Issa und Ar Raqqa, die der Mitbeteiligte bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion durchqueren müsste, präsent sei. Es werde nicht verkannt, dass sich aus den Länderberichten „unterschiedliche Ansichten“ betreffend Rekrutierungen durch die syrische Armee in kurdisch kontrollierten Gebieten ergeben würden. Doch sei beim Mitbeteiligten davon auszugehen, dass dieser aufgrund seiner glaubhaften Desertion nicht bloß Gefahr liefe, zwangsrekrutiert zu werden. Vielmehr würde ihm im Falle einer Überprüfung bei Kontakt mit dem syrischen Regime eine Bestrafung bis hin zu Inhaftierung und Folterung drohen. Es sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte im Falle einer Rückkehr in seine Heimatregion einen unter der Kontrolle der syrischen Regierungskräfte stehenden Checkpoint passieren müsste und aufgrund seiner Desertion inhaftiert werden würde.

10 Die Amtsrevision weist in zutreffender Weise darauf hin, dass es einem Länderbericht zufolge, den auch das BVwG im angefochtenen Erkenntnis auszugsweise zitiert hat („Themenbericht der Staatendokumentation, Syrien Grenzübergänge“ vom 25. Oktober 2023), in Gebieten nahe Ayn Issa, die an Regionen unter Kontrolle pro türkischer Gruppen grenzten, sowie an der Grenze zur Türkei zwar „syrische Armee Positionen“ gebe; dort würden aufgrund eines von Russland vermittelten Abkommens zwischen den „Syrian Democratic Forces“ und dem „Regime“ jedoch keine Personenkontrollen durchgeführt. Die „Armee Checkpoints“ seien nicht in der Lage, Personenkontrollen durchzuführen, sondern dienten vielmehr zur Abschreckung der Türkei.

11 Das BVwG setzte sich in der angefochtenen Entscheidung mit diesem Bericht nicht näher auseinander. Es führte lediglich aus, es verkenne nicht, dass in den Länderberichten unterschiedliche Ansichten betreffend die Rekrutierung durch die syrische Armee im relevanten Gebiet vertreten würden. Beim Mitbeteiligten gehe es aber nicht bloß um eine Rekrutierung, sondern um eine drohende Gefahr der Bestrafung aufgrund seiner früheren Desertion. Diese Begründung erweist sich als unzureichend, zumal nach dem übergangenen Bericht überhaupt keine Personenkontrollen durchgeführt würden, sodass nicht nachvollzogen werden kann, weshalb der Mitbeteiligte in Kontakt mit den syrischen Sicherheitskräften kommen sollte.

12Das BVwG hat deshalb seine Annahme, der Mitbeteiligte werde bei einer Rückkehr in seine Heimatregion an einem Checkpoint der syrischen Regierungskräfte aufgrund seiner Desertion inhaftiert werden, nicht hinreichend begründet (vgl. zur Begründungspflicht grundlegend VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

13Das angefochtene Erkenntnis ist daher (relevant) mangelhaft begründet und war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 9. April 2025