Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Schartner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Zeitfogel, über die Revision des A U, vertreten durch Dr. Johannes Pepelnik, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2024, W184 22868651/3E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 20. Mai 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, Angst vor der syrischen Regierung zu haben. Er habe sich aufgrund der Anzeige einer Sympathisantin des syrischen Regimes zwei Tage in Haft befunden und werde wegen Wehrdienstverweigerung und Teilnahme an Demonstrationen gesucht.
2 Mit Bescheid vom 14. Jänner 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine auf die Dauer eines Jahres befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Im Hinblick auf den behaupteten Fluchtgrund der Teilnahme an Demonstrationen führte das BFA in dem Bescheid aus, dass es zwar glaubhaft sei, dass der Revisionswerber im Jahr 2012 an Demonstrationen teilgenommen habe, jedoch nicht feststellbar sei, dass er deswegen ins Visier des syrischen Regimes geraten sei. Das im vom Revisionswerber vorgelegten Strafregisterauszug betreffend Teilnahme an Demonstrationen enthaltene Datum „10.02.2017“ interpretierte das BFA vor dem Hintergrund der Aussage des Revisionswerbers, er habe Syrien im Juni 2016 verlassen, dabei als nicht nachvollziehbar und glaubwürdig. Es handle sich bei dem Strafregisterauszug um ein bloßes Gefälligkeitsschreiben gegen Entgelt.
4 Gegen die Nichtzuerkennung des Asylstatus erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), in der er unter anderem ausführte, dass er aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen gegen das syrische Regime gesucht werde und bereits wegen einer solchen Teilnahme am 10. Februar 2017 verurteilt worden sei. Anders als vom BFA angenommen, habe am 10. Februar 2017 nicht die Demonstration stattgefunden, sondern sei dies der Tag seiner Verurteilung. Das BFA habe daher dem Strafregisterauszug zu Unrecht einen Beweiswert abgesprochen und dem Revisionswerber unterstellt, diesen gegen Bestechungsgeld erworben zu haben.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde - ohne Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Das BVwG stellte soweit für das vorliegende Verfahren wesentlich fest, dass der Revisionswerber wegen dessen Teilnahme an Demonstrationen niemals verhaftet, verhört oder gesucht worden sei. Beweiswürdigend führte es dazu aus, dass der Revisionswerber keinen Anhaltspunkt dafür genannt habe, dass er seitens des syrischen Regimes namentlich als Teilnehmer einer Demonstration identifiziert worden oder sonst individuell ins Blickfeld der Behörden geraten wäre.
7 Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung stützte das BVwG auf § 21 Abs. 7 BFA VG, ohne dies fallbezogen näher auszuführen.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der ihre Zulässigkeit mit der Verletzung der Verhandlungspflicht durch das BVwG begründet wird. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG zur Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung würden nicht vorliegen, da aufgrund des konkretisierten Beschwerdevorbringens in Zusammenhang mit der vorgelegten Strafregisterauskunft kein geklärter Sachverhalt vorgelegen sei.
9Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat, erwogen:
10 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
11Vorab wird darauf hingewiesen, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0005, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.
12Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
13 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. etwa VwGH 17.7.2025, Ra 2025/14/0028, mwN).
14 Diese Voraussetzungen lagen im gegenständlichen Fall nicht vor. Der Revisionswerber hat in seiner Beschwerde die Feststellungen des BFA, wonach er aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen nicht ins Visier des syrischen Regimes geraten wäre und es sich bei der dazu vorgelegten Strafregisterauskunft lediglich um eine „Gefälligkeitsschreiben“ handeln würde, substantiiert bestritten und auch näheres Vorbringen dazu erstattet, wie die zeitliche Angabe in der Strafregisterauskunft zu verstehen sei. Damit hat er einen dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehenden und für die Beurteilung relevanten Sachverhalt behauptet, so dass kein geklärter Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFAVG vorlag und das BVwG, das dieses Vorbringen zudem begründungslos übergeht (vgl. VwGH 22.7.2024, Ra 2023/14/0460, Rn. 12, mwN), nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte absehen dürfen.
15Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier gegeben des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. abermals VwGH 17.7.2025, Ra 2025/14/0028, mwN).
16Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen in der Revision einzugehen war.
17Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 5. November 2025
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