JudikaturVwGH

Ra 2024/11/0030 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Immobilienrecht
20. März 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und den Hofrat Dr. Faber sowie die Hofrätin Dr. in Oswald als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision der P GmbH in L, vertreten durch die Riedmüller Mungenast Rechtsanwälte OG in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 13, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 4. Jänner 2024, Zl. LVwG 2023/33/2975 1, betreffend Feststellung gemäß § 11 Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Imst), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Bescheid vom 7. November 2023 stellte die belangte Behörde gemäß § 11 Abs. 3 Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 (im Folgenden: TGVG) fest, dass ein näher bezeichnetes Grundstück der Revisionswerberin innerhalb der vorgeschriebenen Frist (bis zum 13. Juni 2022) nicht dem der Flächenwidmung entsprechenden Verwendungszweck zugeführt, insbesondere bebaut worden sei.

2 Begründend führte die belangte Behörde aus, das Grundstück weise die Widmung „Gewerbe und Industriegebiet“ gemäß § 39 Abs. 1 Tiroler Raumordnungsgesetz 2022 TROG 2022 auf und dürfe mit den darin näher bezeichneten Gebäuden bebaut werden. Mit erfolgter Bebauung gelte es als widmungsgemäß verwendet. Trotz Bauverpflichtung sei das Grundstück nicht innerhalb der Frist bebaut worden.

3 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Sie betreibe ein Transportunternehmen und verwende das Grundstück zum Abstellen von Fahrzeugen. Unmittelbar nach Erwerb des Grundstückes habe sie das gesamte Grundstück für ihre Zwecke adaptiert. Dazu seien Stützmauern errichtet und die Oberfläche zwecks Herstellung von Park und Rangierflächen befestigt worden. Die gewerbe und wasserrechtlichen Bewilligungen für das Abstellen der Fahrzeuge seien erteilt worden. Auch die Errichtung einer Betriebstankstelle sei bewilligt worden. Die behördlich bewilligte Ausübung eines Gewerbes auf einem Grundstück sei eine der Flächenwidmung entsprechende Nutzung. Das Gesetz sehe die Bebauung nur als eine Art der widmungskonformen Nutzung vor.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol ohne Durchführung der beantragten Verhandlung die Beschwerde der Revisionswerberin ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass das gegenständliche Grundstück bis zum Ablauf der Bebauungsfrist am 13. Juni 2022 nicht bebaut worden sei. Die Revisionswerberin habe am 25. Mai 2022 die Errichtung einer Lagerhalle mit Tiefgarage zur Bewilligung eingereicht. Das Verfahren über dieses Bauvorhaben sei anhängig.

6 § 11 Abs. 3 TGVG verweise auf die Flächenwidmung des jeweiligen Grundstückes und damit auf den raumordnungsrechtlichen Verwendungszweck. § 39 Abs. 1 TROG 2022 bestimme, welche Gebäude im Gewerbe und Industriegebiet errichtet werden dürften. Der der Flächenwidmung entsprechende Verwendungszweck im Sinne des § 11 TGVG einer als Bauland (Gewerbe und Industriegebiet) gewidmeten Grundfläche sei demnach die Errichtung eines der in § 39 Abs. 1 TROG 2022 genannten Gebäude.

7 Das Vorliegen einer Betriebsanlagengenehmigung sei unerheblich. Die Errichtung von baulichen Anlagen untergeordneter Bebauung, wie im gegenständlichen Fall von Stützmauern, gelte nicht als Bebauung im Sinne der grundverkehrsrechtlichen Bestimmungen.

8 Eine Bebauung sei weder bis zum Ablauf der Bebauungsfrist noch bis zur Erlassung des Bescheides der belangten Behörde vom 7. November 2023 erfolgt. Es sei mit der Bauausführung bis zu diesen Zeitpunkten nicht begonnen worden.

9 Auf die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung habe verzichtet werden können, da die Frage des Fristablaufs eine Rechtsfrage darstelle.

10 Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, da die Rechtslage eindeutig sei und einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliege (Hinweis auf VwGH 22.6.2017, Ra 2017/11/0077).

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Im Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter dem Aspekt eines Abweichens von näher zitierter Judikatur unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe trotz entsprechenden Antrags zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

13 Die Revision ist schon aus diesem Grund zulässig. Sie ist auch begründet.

14 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs lassen die Akten im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer Verhandlung erforderlich wäre. Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 GRC stehen dem Entfall der Verhandlung nicht entgegen, wenn es ausschließlich um rechtliche oder sehr technische Fragen geht oder wenn das Vorbringen nicht geeignet ist, irgendeine Tatsachen oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich macht. In Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG hielt der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt fest, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen hatte (vgl. VwGH 4.12.2023, Ra 2023/11/0097, mwN).

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch schon wiederholt ausgesprochen, dass bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen ist (vgl. VwGH 5.8.2024, Ra 2022/11/0193 bis 0194, mwN).

16 Die verfahrensgegenständliche Feststellung gemäß § 11 Abs. 3 erster Satz TGVG, dass das Grundstück nicht fristgerecht dem der Flächenwidmung entsprechenden Verwendungszweck zugeführt, insbesondere bebaut worden sei, fällt schon deswegen in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK, weil diese Feststellung Voraussetzung für die in § 11 Abs. 3 zweiter Satz TGVG vorgesehene Versteigerung des Grundstückes ist (vgl. VwGH 22.6.2017, Ra 2017/11/0077).

17 Im Revisionsfall hat die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde weiteres sachverhaltsmäßiges und rechtliches Vorbringen hinsichtlich der widmungsentsprechenden Verwendung des gegenständlichen Grundstückes erstattet. Sie hat insbesondere geltend gemacht, mit der fristgerecht erfolgten näher beschriebenen baulichen Adaptierung des erworbenen Grundstücks für die Zwecke ihres Gewerbebetriebs sei es dem von § 11 Abs. 2 TGVG geforderten, der Flächenwidmung entsprechenden Verwendungszweck zugeführt worden. Das Gesetz sehe die Bebauung nur als eine Art der widmungsgemäßen Verwendung vor.

18 Angesichts dessen kann nicht gesagt werden, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließe.

19 Wenn sich das Verwaltungsgericht auf das hg. Erkenntnis vom 22. Juni 2017, Ra 2017/11/0077, beruft, in welchem der Verwaltungsgerichtshof in einem Verfahren betreffend eine Feststellung nach § 11 TGVG keine Verletzung der Verhandlungspflicht durch das Verwaltungsgericht erkannte, ist dem entgegen zu halten, dass in jenem Verfahren das Fehlen einer widmungsgemäßen Verwendung (dort: fehlende Bebauung) unstrittig war, während im vorliegenden Verfahren die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde gerade die widmungsentsprechende Verwendung behauptete.

20 Das Verwaltungsgericht hätte daher nicht von der beantragten Verhandlung absehen dürfen.

21 Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

22 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. März 2025