Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm, die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, über die Revisionen 1. des F A und 2. der C H, beide in M, beide vertreten durch die Rechtsanwälte Waldbauer, Paumgarten, Naschberger und Partner Co KG in 6330 Kufstein, Josef Egger Straße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 22. November 2021, Zl. LVwG 2021/38/2952 1, betreffend Versagung einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Kufstein), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 1. Mit Bescheid vom 8. Oktober 2021 versagte die belangte Behörde „dem Rechtserwerb gemäß dem Schenkungs und Wohnungseigentumsvertrag vom 01.03.2021 durch die [Zweitrevisionswerberin]“ gemäß §§ 4 Abs. 1 lit. a, 6 Abs. 1 und 25 Abs. 1 Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 [im Folgenden: TGVG 1996] die grundverkehrsbehördliche Genehmigung.
2 Begründend führte die belangte Behörde soweit im gegenständlichen Verfahren von Relevanz Folgendes aus:
3 Der Erstrevisionswerber sei Eigentümer der Liegenschaft A. Zum Gutsbestand dieser Liegenschaft gehöre unter anderem das Grundstück X. Das Grundstück X werde „in dieses“ und in das Grundstück Y geteilt. Das Grundstück Y solle sodann von der Liegenschaft A als Grundbuchskörper „abgeschrieben und dafür eine neue Grundbuchseinlage eröffnet werden.“ Das Grundstück Y weise ein Flächenausmaß von 1.790 m 2 auf, sei im aktuellen Flächenwidmungsplan der Gemeinde als Freiland gewidmet und mit einem landwirtschaftlichen Wohn und Wirtschaftsgebäude samt Nebengebäuden bebaut. Dabei handle es sich um die Hofstelle der Liegenschaft A des Erstrevisionswerbers. Der Erstrevisionswerber übergebe der Zweitrevisionswerberin, seiner Tochter, mit Schenkungs und Wohnungseigentumsvertrag vom 1. März 2021 das Grundstück Y zu „195/510 Miteigentumsanteilen“. Mit demselben Vertrage würden die Revisionswerber Wohnungseigentum begründen.
Der Erstrevisionswerber, der seinen Angaben nach seine landwirtschaftliche Tätigkeit neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit nur in sehr ungeordnetem Ausmaß ausgeübt habe, führe „aktuell“ Mäharbeiten auf dem ca. 1 ha großen Feld um die Hofstelle durch. Er bewirtschafte überdies Waldflächen im Ausmaß von ca. 4 ha. Der Stall der Hofstelle werde zum Einstellen von Schafen genutzt. Im Erdgeschoss des Wirtschafstraktes des Wohn und Wirtschaftsgebäudes würden zwei Schweine gehalten. Über dem Stall befinde sich im Wohn und Wirtschaftsgebäude die Tenne, in welcher unter anderem ein Traktor untergebracht sei sowie Heuballen für die Winterfütterung der Schafe gelagert würden.
4 Das Grundstück Y sei somit als landwirtschaftliches Grundstück gemäß § 2 Abs. 1 TGVG 1996 zu qualifizieren. Die landwirtschaftlich genutzten Grundflächen sowie die Hofstelle, welche aus Wohn und Wirtschaftsgebäude bestehe, würden eine selbstständige wirtschaftliche Einheit darstellen. Mit der Abschreibung des neu gebildeten Grundstücks Y, auf welchem sich das Wohn und Wirtschaftsgebäude des landwirtschaftlichen Betriebs befinde, werde der Schaffung, Erhaltung oder Stärkung leistungsfähiger land oder forstwirtschaftlicher Betriebe und der Schaffung, Erhaltung oder Stärkung eines wirtschaftlich gesunden land oder forstwirtschaftlichen Grundbesitzes entgegengewirkt; in concreto würde die Hofstelle von der Liegenschaft A abgetrennt und es käme zur Bildung „eines landwirtschaftlichen Splitterbesitzes“. Folglich stünden dem gegenständlichen Rechtsgeschäft insgesamt öffentliche Interessen im Sinn des § 6 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 1 lit. a Z 1 und Z 2 TGVG 1996 entgegen.
5 2. Dagegen erhoben die Revisionswerber Beschwerde. Im Beschwerdeverfahren brachten die Revisionswerber unter anderem Folgendes vor:
6 Das neu gebildete Grundstück Y enthalte keinerlei land und forstwirtschaftlich genutzte Flächen; es bestehe vielmehr lediglich aus dem Wohn und Wirtschaftsgebäude sowie jenem Umgebungsgrund, der schon bisher als bloßer Vor und Ziergarten sowie zu Freizeitzwecken (Swimmingpool und Kinderspielgeräte) genutzt worden sei. Die land und forstwirtschaftlich genutzten Flächen würden durch die „Abschreibung“ des Grundstücks Y nicht verringert. Durch die Begründung von Wohnungseigentum würden weder die rechtlichen noch die tatsächlichen Verhältnisse im Hinblick auf die Land und Forstwirtschaft geändert. Der Erstrevisionswerber bleibe Eigentümer sämtlicher Freiflächen, des Wirtschaftsgebäudes sowie der im Erdgeschoss des Wohngebäudes gelegenen Wohnung. „All das bildet weiterhin eine (selbständige wirtschaftliche) Einheit, auch wenn sich das [Grundstück Y] künftig in einer anderen Liegenschaft befindet“. Im Schenkungs und Wohnungseigentumsvertrag vom 1. März 2021 sei „jede nur erdenkliche Vorsorge dafür getroffen [worden]“, dass „selbst diese Wohnung“ oder die dazugehörigen „KFZ Abstellplätze“ nicht an Dritte veräußert werden können; es sei sowohl ein Vorkaufsrecht, als auch ein Belastungs und Veräußerungsverbot zu Gunsten des Erstrevisionswerbers vereinbart worden. Da die wirtschaftliche Einheit weder durch die Teilung des Grundstücks X, noch die „Abschreibung“ des neu gebildeten Grundstücks Y beeinträchtigt werde, entstehe kein „Splitterbesitz“; im Übrigen fordere das TGVG 1996 nicht, dass eine wirtschaftliche Einheit aus nur einer Liegenschaft zu bestehen habe.
7 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde als unbegründet ab (Spruchpunkt 1.). Unter einem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.).
8 Begründend führte das Verwaltungsgericht unter anderem Folgendes aus:
9 Es solle gegenständlich am neu gebildeten Grundstück Y Wohnungseigentum begründet werden, wobei 195/510 Anteile an die Zweitrevisionswerberin übertragen werden sollen. Das sich auf dem Grundstück Y befindliche Wohn und Wirtschaftsgebäude sei untrennbar mit dem Grundstück Y verbunden. Auf dem Grundstück Y befinde sich auch eine Mistlagerstätte, die aktiv verwendet werde. Die Zweitrevisionswerberin sei keine Landwirtin im Sinn des TGVG 1996.
10 Die Zweitrevisionswerberin erwerbe durch den gegenständlichen Schenkungs und Wohnungseigentumsvertrag zwar die ausschließlichen Nutzungsrechte der „195/510 Anteile an dem von ihr ausgebauten Dachgeschoß“, sie werde aber gleichzeitig auch Miteigentümerin an Grund und Boden des neu gebildeten Grundstücks Y. Durch die Bildung von Miteigentum würden sämtliche Entscheidungen im Zusammenhang mit der Hofstelle erschwert. Der Verfassungsgerichtshof (Verweis auf VfGH 9.6.1988, B 758/87) gehe davon aus, dass „die Schaffung von Miteigentum oder ideellem Hälfteeigentum für den landwirtschaftlichen Bereich einen agrarstrukturellen Mangel in rechtlicher Hinsicht [darstelle].“ Fehlendes Einverständnis zwischen den Revisionswerbern könne die Existenz des Hofes „in vielfältiger Form“ gefährden. Auch wenn es sich gegenständlich um einen sehr kleinen Betrieb handle, ist nicht zu übersehen, dass die landwirtschaftlichen Flächen arrondiert um die Hofstelle situiert seien. Es sei im Interesse einer Erhaltung von landwirtschaftlich genutzten Flächen im Sinn des § 6 Abs. 1 TGVG 1996, dass „klare Besitzverhältnisse im Zusammenhang mit besonders kleinen landwirtschaftlichen Flächen“ gegeben seien. Die vertragliche Vereinbarung eines Belastungs und Veräußerungsverbots sowie eines Vorkaufsrechtes zu Gunsten des Erstrevisionswerbers sei nicht geeignet, die negativen Auswirkungen auszugleichen, weil bereits mit dem Erwerb „die folgende Besitzzersplitterung“ eine Erschwerung der Verfügung über das Wirtschafts und Stallgebäude mit sich bringe.
11 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe Abstand genommen werden können, weil der als gegeben zu betrachtende Sachverhalt widerspruchsfrei vorliege und die getroffenen Feststellungen auch in keinem Widerspruch zu den Ausführungen der Revisionswerber stünden.
12 4.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die nach Ablehnung und Abtretung einer beim Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde mit dortigem Beschluss vom 20. September 2022, E 24/2022 5, erhobene vorliegende außerordentliche Revision.
13 4.2. Die belangte Behörde erstattete einen als Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz mit Verweis auf die Bescheidbegründung vom 8. Oktober 2021.
14 5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
15 5.1. Die Revisionswerber bringen zur Zulässigkeit ihrer Revision unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe trotz entsprechenden Antrags die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen und sei damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
16 5.2. Die Revision ist bereits aufgrund dieses Vorbringens zulässig; sie ist auch begründet.
17 5.3. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs lassen die Akten im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer Verhandlung erforderlich wäre. Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 GRC stehen dem Entfall der Verhandlung nicht entgegen, wenn es ausschließlich um rechtliche oder sehr technische Fragen geht oder wenn das Vorbringen nicht geeignet ist, irgendeine Tatsachen oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich macht.
In Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG hielt der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt fest, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen hatte (vgl. VwGH 4.12.2023, Ra 2023/11/0097, mwN).
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch schon wiederholt ausgesprochen, dass bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen ist (vgl. VwGH 26.4.2023, Ra 2022/09/0050, mwN).
19 Mit der Frage der Genehmigung eines Vertrages wie des vorliegend zwischen den Revisionswerbern geschlossenen ist der Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK eröffnet (vgl. VwGH 4.12.2023, Ra 2023/11/0097, mwN und Hinweisen auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs).
20 Im Revisionsfall haben die Revisionswerber in der Beschwerde weiteres Sachvorbringen und Argumente erstattet, womit sie darzulegen versuchten, der vom Verwaltungsgericht angenommene Versagungsgrund nach dem TGVG 1996 bestehe nicht.
21 Das Verwaltungsgericht hat dies als unbeachtlich angesehen, ohne die strittige Rechtsfrage in einer mündlichen Verhandlung mit den Parteien zu erörtern, was aber nach dem oben Gesagten geboten gewesen wäre.
22 5.4. Das angefochtene Erkenntnis war somit schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
23 5.5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 53 Abs. 1 VwGG, iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 5. August 2024