JudikaturVwGH

Ra 2024/10/0089 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
16. August 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. M M und 2. W M, beide in W und vertreten durch Dr. Kerstin König, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Wickenburggasse 3/9, gegen das am 25. März 2024 mündlich verkündete und am 18. April 2024 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, Zlen. VGW 141/035/1798/2024 9 und VGW 141/035/1800/2024, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien wurden den revisionswerbenden Parteien näher genannte Mindestsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 1. Oktober 2023 bis zum 30. September 2024 zuerkannt, wobei das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung eine aus der Erstrevisionswerberin und dem Zweitrevisionswerber bestehende Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) zugrunde legte. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei.

2 In der Begründung dieses Erkenntnisses nahm das Verwaltungsgericht nach der Wiedergabe von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer Lebensgemeinschaft (Verweis auf VwGH 14.11.2012, 2010/08/0118; 25.4.2007, 2006/08/0124; 21.11.2001, 2001/08/0101; 27.7.2001, 96/08/0100; 24.4.1990, 89/08/0318) zunächst den Standpunkt ein, bei der Beurteilung des Vorliegens einer Lebensgemeinschaft bzw. einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 WMG sei auf die tatsächlichen Lebensumstände abzustellen; auch Personen mit eingeschränkter oder fehlender Fähigkeit, ein Rechtsgeschäft abzuschließen oder eine Ehe einzugehen, seien in der Lage, in Lebensgemeinschaft mit einer anderen Person, der sie sich verbunden und zugehörig fühlten, zu leben.

3 Im Revisionsfall - so das Verwaltungsgericht weiter - sei schon deshalb von einer Wirtschaftsgemeinschaft, für deren Annahme bereits die Mitfinanzierung der Miete genüge, auszugehen, weil die revisionswerbenden Parteien „für die Wohnkosten (‚Warm Miete‘ und Strom) halbe/halbe gemeinsam“ aufkämen. Zudem sei im Revisionsfall aus näher dargestellten Gründen vom Vorliegen eines gegenseitigen Beistandes im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auszugehen. Auch im Hinblick darauf, dass die revisionswerbenden Parteien bereits von 2009 bis 2012 in Deutschland zusammengelebt hätten, sie gemeinsam nach Österreich gekommen seien, der Zweitrevisionswerber in den ersten fünf Jahren in Österreich für den Lebensunterhalt der Erstrevisionswerberin aufgekommen sei und sich dieser offenkundig verpflichtet fühle, für die Erstrevisionswerberin zu sorgen und sie zu betreuen, wenngleich er seine Gefühle für die Erstrevisionswerberin nur als „väterlich“ beschreibe, bestehe zwischen den revisionswerbenden Parteien eine Bindung, welche aus einer seelischen Gemeinschaft und dem Zusammengehörigkeitsgefühl entstanden sei. Es sei daher davon auszugehen, dass zwischen den revisionswerbenden Parteien eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft vorliege und diese daher eine Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 WMG bildeten.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe. Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 13.9.2023, Ra 2023/10/0063; 3.3.2023, Ra 2022/10/0094; 28.10.2022, Ra 2022/10/0135). Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 14.10.2022, Ra 2022/10/0122; 29.9.2022, Ra 2022/10/0095; 31.7.2020, Ra 2020/10/0073).

8 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden außerordentlichen Revision wird das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, „ob eine schwer behinderte Person, die krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, ihre täglichen Geschäfte zu erledigen, eine Lebensgemeinschaft eingehen und somit eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 Z 2 WMG bilden“ könne, sowie zur Frage, „ob eine nicht ehefähige Person eine Lebensgemeinschaft eingehen und somit eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 Z 2 WMG bilden“ könne, geltend gemacht. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffe Fälle, „die von ehefähigen und entscheidungsfähigen Personen“ ausgingen. Dies sei hier nicht der Fall.

9 Mit diesem Vorbringen wird aber schon deshalb keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG, von deren Beantwortung das Schicksal der vorliegenden Revision abhängt, aufgezeigt, weil das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgeht, dass bei der Beurteilung des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 dritter Fall WMG („Lebensgemeinschaft“) auf die tatsächlichen Lebensumstände abzustellen ist und auch Personen mit eingeschränkter oder fehlender Fähigkeit, ein Rechtsgeschäft abzuschließen oder eine Ehe einzugehen, in der Lage sind, in Lebensgemeinschaft mit einer anderen Person, der sie sich verbunden und zugehörig fühlen, zu leben. Dass und aus welchen Gründen diese vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Ansicht unzutreffend sei und mit dem WMG nicht im Einklang stehen sollte, wird in der allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden außerordentlichen Revision nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat auch die im Einzelfall erforderliche Beurteilung des Vorliegens einer Lebensgemeinschaft iSd § 7 Abs. 2 Z 2 WMG nicht in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen, sodass insofern keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt (vgl. VwGH 9.3.2016, Ra 2016/08/0045, mwH).

10 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 16. August 2024