Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision 1. der Bürgerinitiative O (protokolliert zu hg. Ra 2024/04/0401), 2. des DI Dr. M R (protokolliert zu hg. Ra 2024/04/0402), 3. der E R (protokolliert zu hg. Ra 2024/04/0403), 4. der S P (protokolliert zu hg. Ra 2024/04/0404), 5. des G P (protokolliert zu hg. Ra 2024/04/0405), 6. des Dr. L P (protokolliert zu hg. Ra 2024/04/0406) und 7. der E T (protokolliert zu hg. Ra 2024/04/0407), alle vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2024, Zl. W248 2273872 1/85E, betreffend eine Angelegenheit gemäß § 17 UVP G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. A AG, 2. E AG, 3. L GmbH und 4. N GmbH, alle vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Die mitbeteiligten Parteien beantragten mit Eingabe vom 29. November 2021 die Genehmigung betreffend den in Oberösterreich gelegenen Teil des Ersatzneubaus verschiedener 220 kV bzw. 110 kV Leitungsverbindungen im oberösterreichischen Zentralraum einschließlich des Umbaus mehrerer Umspannwerke gemäß (insbesondere) § 17 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP G 2000).
2 Die erstrevisionswerbende Partei ist eine Bürgerinitiative gemäß § 19 Abs. 4 UVP G 2000. Die übrigen Revisionswerber sind Nachbarn gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP G 2000.
3 Mit Bescheid vom 9. März 2023 genehmigte die Oberösterreichische Landesregierung (belangte Behörde) diesen Antrag unter Vorschreibung zahlreicher Nebenbestimmungen gemäß § 17 UVP G 2000 in Mitanwendung der im Einzelnen aufgezählten materiell-rechtlichen Genehmigungsbestimmungen.
4Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht unter anderem den Beschwerden der revisionswerbenden Parteien gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG teilweise statt und änderte den Bescheid der belangten Behörde dahingehend ab, dass die Genehmigung um näher angeführte Auflagen ergänzt wurde. Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Beschwerden als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
Auswirkungen auf den Lebensraumtyp (LRT) 6212* Submediterrane Halbtrockenrasen und LRT 6510 Magere Flachland Mähwiesen des Anhangs I der FFH Richtlinie
9 Die revisionswerbenden Parteien bringen in diesem Zusammenhang zur Zulässigkeit der Revision zusammengefasst vor, „die Gerichtssachverständigen“ hätten eine Regeneration dieser beiden Lebensraumtypen im näher genannten Europaschutzgebiet bejaht, wenn nur eine 70 bis 80 %-ige Ähnlichkeit mit dem Ausgangszustand vorliege. Dies stelle jedoch keine Renaturierung dar. Eine erfolgreiche Renaturierung liege nach Ansicht der revisionswerbenden Parteien erst bei 100 % vor. Auch das „EU Renaturierungsgesetz“ (gemeint die Verordnung (EU) 2024/1991 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Juni 2024 über die Wiederherstellung der Natur und zur Änderung der Verordnung (EU) 2022/869), fordere eine „100 % Renaturierung“. Darüber hinaus sei das Zeitfenster, in welchem die Renaturierung von 70 bis 80 % vorliege, völlig ungewiss und könne bis zu 30 Jahre umfassen. Es stelle sich daher die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ab wann von einer erfolgreichen Renaturierung der beiden LRT 6212* und 6510 gesprochen werden könne.
Zur Sodenverpflanzung betreffend den LRT 6510 bringen die revisionswerbenden Parteien vor, der Eingriff in diesen Lebenstraumtypus könne durch schadensbegrenzende Maßnahmen nicht verhindert werden. Er sei daher als erheblich zu bewerten. Es stelle sich daher die Rechtsfrage, „ob eine Maßnahme wie jene der Sodenverpflanzung, mit welcher trotz dieser Maßnahme 20 bis 30 %“ dieses Lebensraumtypus zerstört würden, eine „Abschwächungs- oder Ausgleichsmaßnahme“ darstelle.
Schließlich monieren die revisionswerbenden Parteien, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts das vorliegende Projekt durch die Vernichtung der Vegetation einen erheblichen Eingriff in die LRT 6212* und 6510 bewirke und mehr als eine vorübergehende Störung eintrete. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wann es sich um einen vorübergehenden bzw. einen dauerhaften Eingriff iSd Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH RL) handle. Selbst wenn man von einem vorübergehenden, sich regenerierenden Eingriff ausgehe, stelle sich die grundsätzliche Rechtsfrage, ob dies eine Beeinträchtigung iSd Art. 6 Abs. 3 FFH RL darstelle, wenn der „Sachverständige selbst nicht genau festhalten kann wie viele Jahre es dauert, bis eine vollständige (= 100 %) Regeneration erfolgt bzw eine 100 % Regeneration gar nicht erfolgen kann“.
10 Vorliegend stellte das Verwaltungsgericht zu den projektbedingten Auswirkungen auf den LRT 6212* und den LRT 6510 fest, dass es betreffend den LRT 6212* zu einer permanenten Flächenbeanspruchung von 74 m² und einer temporären Beanspruchung von 2.756 m² und betreffend den LRT 6510 zu einer permanenten Flächenbeanspruchung von 30 m² und einer temporären Flächenbeanspruchung mit Bodenabtrag von 8.688 m² und ohne Bodenabtrag von 795 m² komme. Durch das gezielte Neophytenmanagement, die Bauzeitbeschränkung auf die Zeit außerhalb der Vegetationsperiode (Oktober bis Ende Februar) sowie die fachgerechte Umsetzung der Sodenverpflanzung, wodurch für die tangierten LRT Flächen keine Vegetationsperioden verloren gingen, handle es sich bei den Eingriffen lediglich um kurzzeitige und nicht erhebliche Beeinträchtigungen der betroffenen Lebensraumtypen. Der LRT 6510 werde zur Gänze bereits im selben Jahr wiederhergestellt sein. Die Wiederherstellung beim LRT 6212* sei spätestens im Folgejahr zu erwarten. Im Zuge der projektintegralen Maßnahmen werde es in wenigen Jahren nach Initiierung der Maßnahmen nicht nur zu einer Zunahme der LRT 6212* und 6510 im Europaschutzgebiet im Ausmaß von rund 7.560 m² kommen, sondern auch zu einer Verbesserung der Erhaltungsgrade dieser Flächen.
11 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zum Schutz des vom Projekt betroffenen Europaschutzgebietes zusammengefasst aus, auf der Grundlage der durchgeführten Verträglichkeitsprüfung habe sich keine dauerhaft nachteilige Beeinträchtigung dieses Natura 2000 Gebietes ergeben. Es könne daher nicht zur Anwendung der „sogenannten ‚Ausnahmebewilligung‘ gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH RL kommen“. Nach näher dargelegter Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) bestehe daher auch kein Grund, „die in Art. 6 Abs. 4 FFH RL erwähnten Tatbestandsmerkmale (Alternativlösungen, zwingendes überwiegenden öffentliches Interesse, etc.) zu prüfen“. Aufgrund des positiven Ergebnisses der Verträglichkeitsprüfung gemäß § 24 Abs. 3 des Landesgesetzes über die Erhaltung und Pflege der Natur (OÖ. Natur- und Landschaftsschutzgesetz 2001Oö. NSchG 2001) iVm Art. 6 Abs. 3 FFHRL habe die Bewilligung gemäß § 24 Abs. 4 Z 1 Oö. NSchG 2001 ohne weitere Prüfschritte betreffend eine Ausnahmebewilligung gemäß § 24 Abs. 4 Z 2 und Abs. 5 Oö. NSchG 2001 erteilt werden können.
12Soweit sich die revisionswerbenden Parteien mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen hinsichtlich Dauer und Ausmaß der Wiederherstellung der projektbedingt beeinträchtigten Flächen der LRT 6212* und 6510 gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts richten, zeigen sie keine als unvertretbar anzusehende Beweiswürdigung auf (vgl. zum Prüfungskalkül des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Beweiswürdigung etwa VwGH 18.8.2017, Ra 2017/04/0022, 0023, Rn. 14, mwN).
13Ausgangspunkt für die Prüfung, ob eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Sinn des § 41 VwGG, soweit sich die Revision hinsichtlich der Geltendmachung der Voraussetzung des Art. 133 Abs. 4 BVG nicht auf eine Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 42 Abs. 2 Z 2 und 3 VwGG) stützt, der vom Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich der Revisionswerber bei der Darlegung der Zulässigkeit seiner Revision von diesem Sachverhalt, wird schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. etwa VwGH 27.11.2024, Ra 2024/11/0176, Rn. 17, mwN).
14 Ausgehend davon entfernt sich das Zulässigkeitsvorbringen der revisionswerbenden Parteien hinsichtlich Ausmaß und Dauer der Wiederherstellung der projektbedingt beeinträchtigten Flächen der LRT 6212* und 6510 auf unzulässige Weise vom festgestellten Sachverhalt und vermag dazu bereits deshalb keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG aufzuzeigen.
15Davon abgesehen beruht § 24 Abs. 3 Oö. NSchG 2001, LGBl. Nr. 129/2001 in der zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 54/2019, auf dessen Grundlage vorliegend in Bezug auf das vom Projekt betroffene Europaschutzgebiet eine Naturverträglichkeitsprüfung vorzunehmen war, auf Art. 6 Abs. 3 FFH RL. Diese Bestimmung ist daher im Sinne des Erfordernisses einer richtlinienkonformen Interpretation unter Bedachtnahme auf ihre unionsrechtliche Grundlage auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 6 Abs. 3 FFHRL bringt bereits der Wortlaut dieser Bestimmung zum Ausdruck, dass eine Prüfung der Verträglichkeit der Pläne und Projekte für ein besonderes Schutzgebiet deren Genehmigung vorauszugehen hat, und die Gesamtwirkungen aus der Kombination dieser Pläne oder Projekte mit anderen Plänen und Projekten im Hinblick auf die für das betreffende Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu berücksichtigen sind. Eine solche Prüfung setzt somit voraus, dass unter Berücksichtigung der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse sämtliche Gesichtspunkte des Plans oder Projektes zu ermitteln sind, die für sich oder in Verbindung mit anderen Plänen und Projekten diese Ziele beeinträchtigen könnten (vgl. VwGH 25.1.2021, Ra 2018/04/0179, Ra 2019/04/0111, 0112, Rn. 53, mwN).
16 Die Beurteilung der Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des betreffenden Gebietes ist im Licht der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des von diesen Plänen oder Projekten betroffenen Gebiets vorzunehmen. Damit ein Gebiet nicht im Sinne von Art. 6 Abs. 3 zweiter Satz FFH RL als solches in seiner Eigenschaft als natürlicher Lebensraum beeinträchtigt wird, muss es in einem günstigen Erhaltungszustand verbleiben, was voraussetzt, dass seine grundlegenden Eigenschaften, die mit dem Vorkommen eines natürlichen Lebensraumtyps zusammenhängen, zu dessen Erhaltung das Gebiet in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne dieser Richtlinie aufgenommen wurde, dauerhaft erhalten werden (vgl. EuGH 21.7.2016, C 387/15, C 388/15, Orleans u.a., Rn. 45 und 47, mwN). Von einer wesentlichen Beeinträchtigung des Schutzzwecks eines Europaschutzgebietes iSd § 24 Abs. 2 Oö. NSchG 2001 ist daher entgegen der Revisionsbehauptung solange nicht auszugehen, als das Schutzgebiet in einem günstigen Erhaltungszustand verbleibt, auch wenn keine „100 % Regeneration“ oder eine solche erst nach vielen Jahren erfolgt. Dass vorliegend das Schutzgebiet in seiner Eigenschaft als natürlicher Lebensraum dadurch beeinträchtigt sei, dass keine „100 % Regeneration“ erfolge, wird von den revisionswerbenden Parteien in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht behauptet.
17 Im Übrigen ist nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH zwischen in das Projekt aufgenommenen Schutzmaßnahmen gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH RL, mit denen die etwaigen durch dieses Projekt unmittelbar verursachten schädlichen Auswirkungen verhindert oder verringert werden sollen, um dafür zu sorgen, dass das Projekt das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt, und Maßnahmen im Sinne des Abs. 4 dieses Artikels, mit denen die schädlichen Auswirkungen auf ein geschütztes Gebiet ausgeglichen werden sollen, die im Rahmen der Prüfung der Verträglichkeit dieses Projektes nicht berücksichtigt werden dürfen, zu unterscheiden. Nur wenn ausreichende Gewissheit besteht, dass eine Maßnahme wirksam dazu beitragen wird, eine Beeinträchtigung zu vermeiden, und gewährleistet, dass kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass das Gebiet als solches durch das Projekt nicht beeinträchtigt wird, kann eine solche Maßnahme bei der Verträglichkeitsprüfung berücksichtigt werden (vgl. EuGH 25.7.2018, C 164/17, Grace und Sweetman , Rn. 47 und 51, mwN).
18 Ausgehend vom oben wiedergegebenen festgestellten Sachverhalt sind die in das Projekt aufgenommenen Schutzmaßnahmen, wie etwa die Sodenverpflanzung, solche, die unter Art. 6 Abs. 3 FFH RL fallen.
19Schließlich ist dem Hinweis auf die Verordnung (EU) 2024/1991 entgegenzuhalten, dass diese Verordnung gemäß ihres Art. 28 erst am 18. August 2024, also erst nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Kraft trat (vgl. zu der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts, wenn das Verwaltungsgericht in der Sache selbst entscheidet, etwa VwGH 29.1.2025, Ro 2023/04/0026, Rn. 24, mwN).
20 Die revisionswerbenden Parteien vermögen daher in Bezug auf die projektbedingten Auswirkungen auf die LRT 6212* und 6510 keine die Zulässigkeit der Revision begründende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.
Auswirkungen von Einzelstammentnahmen auf den LRT 91E0*
21 Die revisionswerbenden Parteien bringen in diesem Zusammenhang zur Zulässigkeit der Revision zusammengefasst vor, die „Rodung und Fällungen des Endaufwuchses entlang der Stromleitungen“ bewirkten „eine Verschlechterung des besonders streng geschützten LRT Auenwälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus excelsior (91E0*)“. Der „prioritäre LRT“ werde durch die Fällungen in einem Wald-Altersstadium auf Bestanddauer der Stromleitungen gehalten“, in dem die Biodiversität sehr niedrig sei. Diese Beeinträchtigung des LRT 91E0* sei als erheblich zu betrachten. Es stelle sich die grundsätzliche Rechtsfrage, ob diese Einzelstammentnahmen, welche nur die Erhaltungsgrade von „B“ oder „C“ aufwiesen, einen „erheblichen graduellen Verlust der Funktionstüchtigkeit“ des LRT 91E0* und somit einen erheblichen Eingriff darstellten.
22 Das Verwaltungsgericht hat zu den Auswirkungen auf den LRT 91E0* zusammengefasst nachfolgende Feststellungen getroffen:
Aufgrund der bereits bestehenden Leitungstrasse komme es zu keinen wesentlichen Änderungen des räumlichen Ausmaßes. Der neue Trassenkorridor von etwa 110 m Länge sei mit Hybrid-Pappelbeständen und nicht mit Bäumen des Lebensraumtyps 91E0* bestockt. Nach der Fällung der dortigen Hybrid Pappeln im Rahmen des Trassenaufhiebs erfolge die Wiederbewaldung mit Auwaldbaumarten. In der Betriebsphase seien „Fällungen Endaufwuchs“ (Bäume mit einer Höhe von 25 m) im Ausmaß von 2.149 m² geplant. Diese beträfen mehrere schmale Randstreifen und erfolgten nicht großflächig, sondern einzelstammweise bis femelartig, verteilt über einen längeren Zeitraum. In den betroffenen Randbereichen stockten vor allem ältere Hybrid Pappeln sowie untergeordnet Eschen. Wegen des durchwegs hoch deckenden, ungleichaltrigen Gehölzunterwuchses sei das Entstehen flächiger Kahlhiebe ausgeschlossen. Durch die Entfernung der neophytischen Hybrid Pappeln komme es zu einer Verbesserung für den Lebensraumtyp. Aufgrund der projektierten Wiederaufforstungsmaßnahmen komme es nicht zu einer dauerhaften Rodung. Es sei weder mit einer Verschlechterung noch mit einem graduellen Verlust der Funktionstüchtigkeit des LRT 91E0* zu rechnen.
23 Insofern entfernt sich das Zulässigkeitsvorbringen der revisionswerbenden Parteien wiederum vom im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Sachverhalt. Die revisionswerbenden Parteien vermögen daher diesbezüglich bereits deshalb keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B VG aufzuzeigen.
24 Im Übrigen ist die Beurteilung, ob vorliegend Einzelstammentnahmen einen „erheblichen graduellen Verlust der Funktionstüchtigkeit“ des LRT 91E0* darstellen, keine Rechtsfrage, sondern eine mittels Sachverständigenbeweis zu klärende Tatsachenfrage.
Auswirkungen auf den Bestand von Kiebitz und Wachtel
25 Die revisionswerbenden Parteien bringen dazu zusammengefasst vor, es bestehe ein individuenbezogenes Töten, wenn systematische Tötungen vorkämen. Dies sei beim Kiebitz der Fall, weil es eine zu geringe Wirksamkeit der Vogelmarkierungen gebe. Das Tötungsrisiko werde nicht signifikant abgestellt, sondern liege bei fast 50 %. Auch bei anderen Zug- und Rastvögeln bleibe ein signifikantes Tötungsrisiko. Es stelle sich daher die Rechtsfrage, ob der Erhaltungsgrad bei der Betrachtung des Tötungsrisikos (wie etwa beim Kiebitzbestand) relevant sei.
26Soweit sich die revisionswerbenden Parteien in diesem Zusammenhang gegen die Feststellung im angefochtenen Erkenntnis richten, dass es sowohl für den Kiebitz als auch die Wachtel durch das Vorhaben (wegen des Überhangs der Demontage bestehender Leitungen im Vergleich zum Neubau sowie den im Projekt vorgesehenen bisher noch nicht vorhandenen Markierungen der bestehenden Leitungen sowie des größeren Seildurchmessers im Vergleich zu den bestehenden Leitungen) zu einer Verbesserung komme, bekämpfen sie die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Sie vermögen jedoch mit diesem Zulässigkeitsvorbringen keine in unvertretbarer Weise vorgenommene Beweiswürdigung aufzuzeigen (vgl. wiederum zum Prüfungskalkül des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Beweiswürdigung etwa VwGH 18.8.2017, Ra 2017/04/0022, 0023, Rn. 14, mwN).
27 Im Übrigen ist zu dem im Zulässigkeitsvorbringen angesprochenen artenschutzrechtlichen Tötungsverbot gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a FFHRL sowie § 28 Abs. 3 Oö. NSchG 2001 festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von der Verwirklichung dieses Verbotstatbestandes nur die absichtliche Tötung erfasst ist, die wiederum nur dann angenommen werden kann, wenn der Handelnde die Tötung eines Exemplars einer geschützten Tierart „gewollt oder zumindest in Kauf genommen“ hat. Um zu beurteilen, wann von einem „in Kauf nehmen“ gesprochen werden kann, ist das Kriterium der signifikanten Erhöhung des Risikos der Tötung geeignet. Der bloße Umstand, dass die Tötung eines Exemplars nicht völlig ausgeschlossen werden kann, führt somit für sich allein noch nicht dazu, dass eine solche Tötung durch das Vorhaben in Kauf genommen wird. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn für die Frage der Erhöhung des Tötungsrisikos auf das allgemeine Naturgeschehen (und die damit verbundenen Gefahren) sowie darauf abgestellt wird, inwieweit im betroffenen Lebensraum unabhängig vom geplanten Vorhaben für die jeweiligen Tiere bereits Risiken resultieren. Mit dem Abstellen auf ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko wird für sich genommen der Individuenbezug des Tötungsverbotes nicht in Frage gestellt, soweit sich die Frage der Risikoerhöhung wiederum auf das Individuum bezieht (vgl. VwGH 26.11.2024, Ra 2023/04/0235, Rn. 21).
28 Ein Abweichen des Verwaltungsgerichts von dieser Rechtsprechung im angefochtenen Erkenntnis zeigen die revisionswerbenden Parteien in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht auf.
Behauptete Befangenheit des Sachverständigen für Humanmedizin
29 Die revisionswerbenden Parteien bringen dazu vor, das Verwaltungsgericht sei auf ihr umfangreiches Vorbringen zur Unrichtigkeit der Gutachtensergebnisse des Sachverständigen für Humanmedizin und der sich daraus ableitbaren Befangenheit des Sachverständigen entgegen näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht eingegangen.
30Sowohl die Frage, ob ein Gutachten in seiner konkreten Ausgestaltung vom Verwaltungsgericht zu Recht als schlüssig qualifiziert wurde, als auch die Frage, ob ein Sachverständiger in einem bestimmten Verfahren als befangen anzusehen ist, stellt jeweils eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, welche die Zulässigkeit einer Revision jedenfalls dann nicht zu begründen vermag, wenn das Verwaltungsgericht diese Fragen vertretbar gelöst hat (vgl. etwa VwGH 15.3.2022, Ra 2021/11/0060, 0061, Rn. 19 und 24, mwN). Eine unvertretbare rechtliche Beurteilung des Einwands der Befangenheit wird von den revisionswerbenden Parteien im Zulässigkeitsvorbringen nicht aufgezeigt.
Keine Alternativenprüfung
31 Schließlich bringen die revisionswerbenden Parteien zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, die beiden näher genannten Grundstücke des Zweit- und des Sechstrevisionswerbers seien jeweils von einer „Masterrichtung“ und einer „Überspannung mit Leiterseilen“ betroffen. Die dort geplanten 110 kV Leitungen beträfen keine Bestandstrasse, sondern stellten einen Neubau dar. Von den Projektwerbern sei eine „Trassenalternativenprüfung“ für diesen Abschnitt nicht durchgeführt worden. Entgegen näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei „der Neubau auf den Grundstücken der Zweit- und Sechstrevisionswerber ... nicht geprüft worden“.
32 Die Verpflichtung zur Darstellung von Alternativvarianten in der Umweltverträglichkeitserklärung ergibt sich - in Übereinstimmung mit den Vorgaben der UVP-Richtlinie - aus § 6 Abs. 1 Z 2 UVP G 2000. Im Rahmen der Alternativenprüfung nach § 6 Abs. 1 Z 2 UVP G 2000 sind vor allem Standortvarianten zu untersuchen. Nicht zu prüfen sind alternative umweltpolitische Gesamtkonzepte und gesamtstaatliche Fragen des Umweltschutzes.
Es trifft zwar zu, dass gemäß § 1 Abs. 1 Z 4 UVP G 2000 im Fall der Möglichkeit einer Enteignung die vom Projektwerber geprüften Standort- oder Trassenvarianten darzustellen sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch bereits klargestellt, dass § 1 Abs. 2 Z 3 und Z 4 UVP G 2000 eine bloß programmatische Bestimmung darstellt, die die Aufgaben der Umweltverträglichkeitsprüfung festlegt und als Interpretationshilfe dient. § 1 Abs. 1 Z 3 und Z 4 oder § 6 Abs. 1 Z 2 UVP G 2000 verlangen ebenso wie Art. 5 Abs. 1 lit. d iVm Anhang IV Z 2 der Richtlinie 2011/92/EU nur Angaben über die vom Projektwerber geprüften Standort- oder Trassenvarianten (UVP G 2000) bzw. Lösungsmöglichkeiten (Richtlinie 2011/92/EU). Einer Auslegung dahin, dass die Projektwerberin auch alternative Bauausführungen zu prüfen habe, steht der klare Wortlaut sowohl des UVPG 2000 als auch der Richtlinie 2011/92/EU entgegen (vgl. zu alldem VwGH 24.5.2022, Ra 2021/03/0167 bis 0276, Rn. 70 und 71, mwN).
33 Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Erkenntnis (Seiten 42 und 43) darauf hingewiesen, dass sich das Umweltverträglichkeitsgutachten mit der Einbindung des Umspannwerkes K und den alternativen Lösungen auseinandergesetzt hat und die Projektwerber in der Umweltverträglichkeitserklärung eine (teilweise) Verkabelung als technische Alternativlösung geprüft haben. Entgegen dem Beschwerdevorbringen der revisionswerbenden Parteien sei zusammengefasst im Rahmen der Umweltverträglichkeitserklärung eine ordnungsgemäße, den Vorgaben des UVP G 2000 entsprechende Alternativenprüfung durchgeführt worden.
34 Unabhängig davon ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens letztlich das von den mitbeteiligten Parteien eingereichte Vorhaben, nicht etwa eine andere als die beantragte Trassenführung. Alternativprojekte oder alternative Trassenführungen sind von der Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht nicht zu prüfen; allein mit dem Revisionsvorbringen einer nicht durchgeführten „Trassenalternativenprüfung“ wird eine Verletzung konkreter subjektivöffentlicher Rechte nicht aufgezeigt (vgl. wiederum VwGH 24.5.2022, Ra 2021/03/0167 bis 0276, Rn. 77, mwN).
35 Zusammengefasst werden somit in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher bereits deshalb zurückzuweisen, ohne dass näher darauf einzugehen war, inwiefern im Zulässigkeitsvorbringen von den Zweit- bis Siebentrevisionswerbern eine Verletzung der ihnen als Nachbarn iSd § 19 Abs. 1 Z 1 UVP G 2000 zukommenden subjektiv öffentlichen Rechte aufgezeigt wird.
Wien, am 1. August 2025