JudikaturVwGH

Ra 2024/02/0239 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
09. Januar 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision des M, vertreten durch Dr. Karl Hepperger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Müllerstraße 27/II, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 29. Juli 2024, LVwG 2023/12/2736 10, betreffend Ausübung unmittelbarer Befehls und Zwangsgewalt durch Aufforderung zu einem Harntest (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung ist eine Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt durch Aufforderung zur Abgabe eines Harntests durch ein Organ der Landespolizeidirektion Tirol am 7. Oktober 2023 gegen 22:25 Uhr als unzulässig zurück und erklärte die Revision für nicht zulässig.

2 Dies begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass die bloße Aufforderung zur Abgabe eines Harntests (vergleichbar der Aufforderung im Sinne des § 5 Abs. 2 StVO) im Rahmen der Beweissicherung zwecks Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens nach der StVO erfolgte. Derartige Aufforderungen stellten nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine selbständig bekämpfbare Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt dar (Hinweis auf VwGH 22.4.1994, 94/02/0020; 19.1.1994, 93/03/0251, u.a.). Im vorliegenden Fall gehe aus der Aussage des Revisionswerbers hervor, dass er selbst davon ausgegangen sei, dass er sofern er nicht die Harnprobe an Ort und Stelle abgebe für eine amtsärztliche Untersuchung zur Polizeidienststelle fahren müsse und dass eine Verweigerung verwaltungsstrafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehe. Dem Revisionswerber mag zwar die Freiwilligkeit der verlangten Abgabe einer Harnprobe nicht bewusst gewesen sei. Es sei aber über die Aufforderung hinaus kein Zwang zur Durchsetzung derselben angewandt worden und es habe bei objektiver Beurteilung des Geschehens in seiner Gesamtheit nicht der Eindruck entstehen müssen, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit unmittelbarer zwangsweiser Durchsetzung zu rechnen sei. Der Revisionswerber habe nur fehlerhaft angenommen, bei Nichtmitwirkung bei diesem Harntest ein Verwaltungsstrafverfahren wegen „Verweigerung“ desselben erwarten zu müssen. Allein deshalb liege eine Ausübung von unmittelbarer behördlicher Befehls und Zwangsgewalt nicht vor.

3 Gegen diesen Beschluss hat der Revisionswerber Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben, der mit Beschluss vom 16.9.2024, E 3460/2024 5, ihre Behandlung abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

4 In der Folge erhob der Revisionswerber die nun vorliegende außerordentliche Revision.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Der Revisionswerber bringt zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision vor, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts liege die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt vor, es könne von einer Freiwilligkeit keine Rede sein, wenn man vor die Wahl gestellt werde, entweder einen Harntest zu machen, oder aber zur Polizeiinspektion mitzukommen. Kein rechtstreuer Bürger wäre gerne zu einer Polizeiwache mitgekommen. Darüber hinaus sei das gesamte Verhalten der einschreitenden Polizeibeamten aufgrund näher ausgeführter Umstände menschenunwürdig, menschenverachtend, nicht objektiv, diskriminierend und nicht korrekt.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen einen individuell bestimmten Adressaten einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und damit unmittelbar d.h. ohne vorangegangenen Bescheid in subjektive Rechte des Betroffenen eingreift. Das ist im allgemeinen dann der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwangs bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Es muss ein Verhalten vorliegen, das als Ausübung von Zwangsgewalt, zumindest aber als spezifisch verstandene Ausübung von Befehlsgewalt gedeutet werden kann. Als unverzichtbares Merkmal eines Verwaltungsakts in der Form eines Befehls gilt, dass dem Befehlsadressaten eine bei einer Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Liegt kein ausdrücklicher Befolgungsanspruch vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist.

10Weil das Gesetz auf Befehle, also auf normative Anordnungen abstellt, sind behördliche Einladungen zu einem bestimmten Verhalten auch dann nicht tatbildlich, wenn der Einladung Folge geleistet wird. Die subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht ändert noch nichts am Charakter einer Aufforderung zum freiwilligen Mitwirken (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 15.6.2023, Ro 2021/02/0011, mwN).

11 Bei der Frage, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die unter Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände des Einzelfalls zu lösen ist (zur einzelfallbezogenen Beurteilung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehlsund Zwangsgewalt etwa VwGH 14.2.2023, Ra 2023/01/0022, mwN).

12Nach § 5 Abs. 9 iVm Abs. 5 StVO kann ein Lenker, von dem vermutet werden kann, dass er sich in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, von den Organen der Straßenaufsicht zu einem Arzt gebracht werden, der eine klinische Untersuchung durchführt und im Fall der Feststellung einer Beeinträchtigung durch Suchtgift gemäß § 5 Abs. 10 StVO eine Blutabnahme vorzunehmen hat (vgl. VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0133). § 5 Abs. 9a StVO berechtigt (u.a.) die Organe der Straßenaufsicht dazu, den Speichel näher genannter Personen auf das Vorliegen von Suchtgiftspuren zu überprüfen. Gemäß § 99 Abs. 1 lit. b und c StVO sind sowohl die Verweigerung des ärztlichen Untersuchung nach § 5 Abs. 9 StVO als auch die Verweigerung der Blutabnahme nach § 5 Abs. 10 StVO strafbar (vgl. etwa VwGH 25.2.2020, Ro 2019/11/0006).

13Anders als die Vorführung zur ärztlichen Untersuchung und die Blutabnahme kann die Abgabe einer Harnprobe nicht erzwungen werden (vgl. etwa VwGH 18.10.2017, Ra 2017/02/0041, mwN).

14 Das Verwaltungsgericht stützte sich im gegenständlichen Fall auf die dargestellte Rechtslage und führte zutreffend aus, dass die bloße Aufforderung zur Abgabe einer (nicht erzwingbaren) Harnprobe keinen Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt darstellt. Es zog dabei Parallelen zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 5 Abs. 2 StVO, wonach die bloße Aufforderung, die Atemluft auf Alkoholgehalt überprüfen zu lassen, jedenfalls dann, wenn dabei kein physischer Zwang angewendet wird oder zu befürchten gewesen ist, nicht mit Maßnahmenbeschwerde angefochten werden kann (vgl. VwGH 25.3.1992, 91/03/0253; 19.1.1994, 93/03/0251; 22.4.1994, 94/02/0020, jeweils mwN). Für den vorliegenden Fall ergänzte das Verwaltungsgericht seine Überlegungen dahingehend, dass gegenüber dem Revisionswerber weder physischer Zwang ausgeübt worden sei noch, dass er von einer unverzüglich drohenden Zwangsfolge ausgegangen sei. Er habe vielmehr irrtümlich angenommen, bei Verweigerung der Harnprobe ein Verwaltungsstrafverfahren erwarten zu müssen bzw. er sei richtig darüber informiert worden, anderenfalls für eine amtsärztliche Untersuchung auf die Polizeidienststelle mitfahren zu müssen. All das begründet aber, wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannte, keine Zwangsfolgen, die eine Maßnahmenbeschwerde rechtfertigen würden (vgl. dazu auch Eisenberger/Ennöckl/Helm , Die Maßnahmenbeschwerde [2016], 244).

15 Im Übrigen besteht das subjektivöffentliche Recht eines Maßnahmenbeschwerdeführers alleine darin, dass der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird (vgl. etwa VwGH 29.6.2023, Ra 2021/01/0116, mwN). Mit den Ausführungen des Revisionswerbers, er sei „in seinem Recht, ohne Verwirklichung der Tatbestände nach § 5 StVO und § 37 AVG, nicht wegen einer Verwaltungsübertretung nach dieser Gesetzesstelle benachteiligt zu werden“ sowie „in seinem Recht, nicht durch die falsche Anwendung der § 5 StVO und § 37 AVG, benachteiligt zu werden“ verletzt worden zu sein, wird kein tauglicher Revisionspunkt im Sinne des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG geltend gemacht.

16Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 9. Jänner 2025