Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., MA, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 22. März 2024, Zl. KLVwG2052/10/2022, betreffend Betretungs- und Annäherungsverbot gemäß § 38a SPG (mitbeteiligte Partei: A, vertreten durch die Grauf Hartl Kröpl Pirker Rechtsanwälte OG in Völkermarkt), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Kärnten (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Maßnahmenbeschwerde des Mitbeteiligten Folge und stellte fest, dass der am 16. November 2022 um 00.50 Uhr erfolgte Ausspruch des Betretungs- und Annäherungsverbots gegen den Mitbeteiligten für eine näher bezeichnete Wohnung bezüglich einer näher genannten „Gefährdeten“ rechtswidrig gewesen sei (I.), verpflichtete das „Land Kärnten (...) als Rechtsträger der belangten Behörde“ zu näher bezeichnetem Aufwandersatz (II.) und erklärte eine Revision für nicht zulässig (III.).
2 Gegen die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Betretungs und Annäherungsverbotes (I.) richtet sich laut ihrer Anfechtungserklärung die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurück- in eventu die Abweisung der Revision sowie Aufwandersatz beantragte.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
5Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl.im Zusammenhang mit einem Betretungs- und Annäherungsverbot nach § 38a SPGetwa VwGH 25.6.2024, Ra 2024/01/0071; 5.5.2025, Ra 2025/01/0099, jeweils mwN).
7Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Betretungsverbot (mit dem seit der SPG-Novelle BGBl. I Nr. 105/2019 auch ein Annäherungsverbot verbunden ist) an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Gefährder bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen.
Das Verwaltungsgericht hat somit die Rechtmäßigkeit eines gemäß § 38a SPG angeordneten Betretungs- und Annäherungsverbots im Sinne einer objektiven ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der eingeschrittenen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen. Dabei hat es zu beurteilen, ob die eingeschrittenen Organe entsprechend der dargelegten Grundsätze vertretbar annehmen konnten, dass ein vom Gefährder ausgehender gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht (vgl. erneut zum Ganzen etwa VwGH Ra 2024/01/0071; Ra 2025/01/0099, jeweils mwN).
8 Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall die genannten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes beachtet, indem es Feststellungen zu dem den einschreitenden Polizeibeamten sich bietenden Gesamtbild getroffen und die Frage, ob die eingeschrittenen Organe demnach vertretbar das Bevorstehen eines gefährlichen Angriffs durch den Revisionswerber annehmen konnten, verneint hat. Dem Verwaltungsgericht kann dabei nicht entgegen getreten werden, wenn es diese Einschätzung beweiswürdigend insbesondere auf die Aussage eines der beiden einschreitenden Polizeibeamten in der mündlichen Verhandlung stützte, wonach es einen Anhaltspunkt dafür, dass ein gefährlicher Angriff des Mitbeteiligten [auf seine Lebensgefährtin] unmittelbar bevorgestanden hätte, „definitiv nicht“ gegeben habe und er nur nicht habe ausschließen können, dass es zu keinem gefährlichen Angriff kommen werde.
9 In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im auch vom Verwaltungsgericht zitierten Erkenntnis vom 31. Mai 2012, 2012/01/0018, ausgesprochen, dass bei der Maßnahme des Betretungs- (und nunmehr auch: Annäherungs-)verbots die Annahme, dass ein solcher Angriff „keinesfalls auszuschließen gewesen wäre“, nicht genügt.
10 Vor diesem Hintergrund gelingt es der Amtsrevision nicht, eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des vorliegenden Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht aufzuzeigen, zumal eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung nicht (konkret) dargelegt wird und somitentgegen dem Zulässigkeitsvorbringen (Hinweis auf VwGH 10.5.2023, Ra 2023/01/0038) dem Verwaltungsgericht auch nicht vorzuwerfen ist, dass es in Bezug auf das Bestehen einer vom Mitbeteiligten ausgehenden maßgeblichen Gefährdung seinen eigenen Wissensstand an die Stelle des Blickwinkels der Beamten gesetzt hat.
11 Soweit die Revision zur Zulässigkeit weiters eine Aktenwidrigkeit von Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Verbleib bzw. der Versorgung der Hunde des Mitbeteiligten geltend macht, zeigt sie die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangelsim Hinblick auf die gegenständlich allein maßgebliche Frage der Rechtmäßigkeit des ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverbots iS der oben unter Rn. 7 zitierten Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des § 38a SPG nicht auf.
12 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
13Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die Umsatzsteuer, die in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung schon enthalten ist (vgl. etwa VwGH 26.8.2025, Ra 2024/06/0167, mwN).
Wien, am 9. Oktober 2025