Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des H F in W, vertreten durch Mag. Franz Scharf, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schulerstraße 20/7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 5. Dezember 2023, Zl. E 263/07/2023.006/011, betreffend Betretungs- und Annäherungsverbot nach § 38a SPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mattersburg), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Burgenland (Verwaltungsgericht) soweit im Revisionsfall von Bedeutung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Maßnahmenbeschwerde des Revisionswerbers wegen behaupteter Rechtswidrigkeit der Anordnung eines Betretungsverbots für die näher genannte eheliche Wohnung samt Annäherungsverbot an die gefährdete Ehegattin nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz (SPG) sowie dem damit verbundenen vorläufigen Waffenverbot als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nicht zulässig sei.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die beiden einschreitenden Polizeibeamten hätten im Zeitpunkt der Verhängung des Betretungs- und Annäherungsverbots im Hinblick auf das sich ihnen bietende Gesamtbild Erstattung einer Anzeige gegen den Revisionswerber durch seine Gattin wegen einer ihr am Vortag zugefügten Körperverletzung samt Vorlage einer entsprechenden Verletzungsanzeige des Krankenhauses Eisenstadt, sohin wegen eines glaubhaft gemachten vorangegangenen gefährlichen Angriffs durch den Revisionswerber „mit gutem Grund“ annehmen können, dass der Revisionswerber wegen der sich anbahnenden Scheidung wiederum einen gegen seine Gattin gerichteten gefährlichen Angriff begehen werde. Die Beamten seien sohin berechtigter Weise vom Vorliegen der Voraussetzungen für den Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbotes nach § 38a SPG ausgegangen.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. im Zusammenhang mit einem Betretungs- und Annäherungsverbot nach § 38a SPG etwa VwGH 14.2.2023, Ra 2022/01/0334, mwN).
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Betretungsverbot (mit dem seit der SPG Novelle BGBl. I Nr. 105/2019 auch ein Annäherungsverbot verbunden ist) an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Gefährder bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen.
Das Verwaltungsgericht hat somit die Rechtmäßigkeit eines gemäß § 38a SPG angeordneten Betretungs- und Annäherungsverbots im Sinne einer objektiven ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der eingeschrittenen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen. Dabei hat es zu beurteilen, ob die eingeschrittenen Organe entsprechend der dargelegten Grundsätze vertretbar annehmen konnten, dass ein vom Gefährder ausgehender gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 24.7.2023, Ra 2023/01/0074; 25.9.2023, Ro 2022/01/0011, jeweils mwN).
8 Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall die genannten Leitlininien des Verwaltungsgerichtshofes beachtet, indem es Feststellungen zu dem den einschreitenden Polizeibeamten sich bietenden Gesamtbild getroffen und die Frage, ob die eingeschrittenen Organe demnach vertretbar das Bevorstehen eines gefährlichen Angriffs durch den Revisionswerber annehmen konnten, bejaht hat.
9 Soweit die Revision dazu im Zulässigkeitsvorbringen auf die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls Bezug nimmt, indem sie vorbringt, das Verwaltungsgericht habe bei der Feststellung des sich den Beamten bietenden Gesamtbildes nicht berücksichtigt, dass der Revisionswerber lediglich „Verteidigungshandlungen“ in Bezug auf einen aggressiven körperlichen Angriff seiner (damaligen) Gattin gesetzt habe und das Verwaltungsgericht insofern die Dokumentation gemäß § 38a SPG sowie die Aussagen der Polizeibeamten „inhaltlich falsch gewertet“ habe, wird ein Abweichen von den genannten Leitlinien durch das Verwaltungsgericht nicht aufgezeigt, zumal nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis der Revisionswerber bei seiner (vor Ort erfolgten) Befragung durch die beiden eingeschrittenen Polizeibeamten „keinerlei Äußerungen“ dahingehend getätigt habe, dass er von seiner Gattin am Körper verletzt worden sei (vgl. im Übrigen zur grundsätzlich nicht revisiblen Thematisierung von „konkreten Umständen“ des Einzelfalls in derartigen Konstellationen abermals VwGH Ra 2022/01/0334).
10 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 25. Juni 2024