JudikaturVwGH

Ra 2023/21/0027 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. Juli 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des E R, vertreten durch die Kocher Bucher Rechtsanwälte OG in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. Dezember 2022, G314 2252962 1/4E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der 1994 geborene Revisionswerber, ein rumänischer Staatsangehöriger, reiste im Jänner 2020 in das österreichische Bundesgebiet ein; er war zunächst bis Juli 2020 und danach wieder ab November 2021 als Bodenleger erwerbstätig. In Österreich, wo auch seine Schwester mit ihrem Ehemann sowie mit ihren beiden 2018 und 2021 geborenen Kindern lebt, ist der Revisionswerber seit September 2020 mit einem Hauptwohnsitz gemeldet. Eine Anmeldebescheinigung hat er nicht beantragt.

2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 16. November 2021 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 und 2 StGB und des Vergehens der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs. 3 zweiter Fall iVm Abs. 4 Z 1 und 3 lit. b StGB zu einer unbedingten Geldstrafe in der Höhe von € 6.000, (600 Tagessätze á € 10, ) und einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vierzehn Monaten verurteilt, wobei für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet wurde. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe im Juni 2020 über „WhatsApp“ ein noch nicht zehn Jahre altes Mädchen zur Vornahme von näher beschriebenen, dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen an sich selbst verleitet und sie dazu aufgefordert, davon und von ihrem Geschlechtsorgan Fotos bzw. Videos anzufertigen und sie ihm via „WhatsApp“ zu übermitteln.

3 Daraufhin erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 22. Februar 2022 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot und erteilte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Dezember 2022 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8 Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision macht der Revisionswerber lediglich geltend, dass das BVwG zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe.

9 Dem Revisionswerber ist einzuräumen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen hat, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung besondere Bedeutung zukomme, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA VG kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, bei denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa VwGH 22.2.2022, Ra 2021/21/0297, Rn. 9, mwN).

10 Von einem derartigen eindeutigen Fall durfte das BVwG entgegen dem Revisionsvorbringen in der vorliegenden Konstellation aber vertretbar ausgehen. In Anbetracht des der Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltens des Revisionswerbers, das vom BVwG zu Recht mit Hinweis auf Art. 83 Abs. 1 AEUV (vgl. auch die darauf gestützte Richtlinie 2011/92/EU) generell als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses und insbesondere aufgrund des geringen Alters des Missbrauchsopfers auch fallbezogen als besonders schwerwiegend erachtet wurde, ist nämlich die Annahme, dass das Verhalten des Revisionswerbers eine Gefahr iSd § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG darstelle, nicht zu beanstanden (vgl. zur Bedeutung des § 207a StGB allgemein VwGH 16.8.2022, Ra 2020/21/0321, Rn. 14, mwN).

11 Soweit der Revisionswerber in diesem Zusammenhang auf den seit der Tatbegehung verstrichenen Zeitraum und seine seither vollzogene Entwicklung während der Betreuung im Rahmen der angeordneten Bewährungshilfe verweist, ist für ihn daraus nichts zu gewinnen. Wie bereits das BVwG dargelegt hat, ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit eines Fremden auch nach vom Revisionswerber überdies ins Treffen geführter Absolvierung einer Therapie in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten (in Freiheit) maßgeblich (vgl. etwa VwGH 19.1.2023, Ra 2022/21/0159, Rn. 15, mwN). Entgegen dem Revisionsvorbringen vermögen daher weder die Ausführungen des Bewährungshelfers in der Beschwerde über das positive Verhalten des Revisionswerbers im Rahmen der Bewährungshilfe noch der seit der Tatbegehung im Juni 2020 bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses verstrichene Zeitraum im vorliegenden Fall die Verhandlungspflicht zu begründen, zumal seit der strafgerichtlichen Verurteilung erst rund ein Jahr vergangen war. Dass das BVwG den Zeitraum des Wohlverhaltens insgesamt als zu kurz für eine positive Zukunftsprognose erachtete, ist bei diesem Delikt jedenfalls nicht zu beanstanden.

12 Im Übrigen liegt auch in Bezug auf die nach § 9 BFA VG vorgenommene Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten Interessen des ledigen Revisionswerbers, der wie das BVwG hervorhob den Großteil seines Lebens in seiner Heimat, wo seine Eltern und weitere Geschwister nach wie vor leben, verbrachte, angesichts des erst etwa dreijährigen Aufenthalts in Österreich trotz seiner beruflichen Integration ein eindeutiger Fall vor.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 4. Juli 2023

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