JudikaturVwGH

Ra 2024/21/0231 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
16. Juli 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der K T, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2024, G304 2295649 1/2E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Die 1969 geborene Revisionswerberin, eine bulgarische Staatsangehörige, befindet sich jedenfalls seit April 2021 im österreichischen Bundesgebiet. Sie ist unselbständig erwerbstätig und lebt mit ihrem Lebensgefährten, einem (ebenfalls) bulgarischen Staatsangehörigen, im selben Haushalt. Ihre beiden volljährigen Töchter aus geschiedener Ehe leben in Bulgarien.

2Im Laufe ihres Aufenthalts wurde die Revisionswerberin dreimal rechtskräftig wegen Diebstahls strafgerichtlich verurteilt, nämlich zunächst mit Urteil des Bezirksgerichts Ried im Innkreis vom 18. Oktober 2021 wegen teilweise versuchten, teils vollendeten Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB (Ladendiebstahl von Elektronikprodukten und Kleidungsstücken im Gesamtwert von über € 1.800,) zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe, dann mit Urteil desselben Gerichts vom 21. Februar 2022 wegen versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (Ladendiebstahl von Lebensmitteln im Wert von € 52,23) zu einer unbedingten Geldstrafe, wobei die bedingte Strafnachsicht des vorangegangenen Urteils widerrufen wurde, und zuletzt mit Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 5. Februar 2024 wegen versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (Ladendiebstahl von Lebensmitteln im Wert von € 51,64) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten.

3Daraufhin verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 6. Juni 2024 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG über die Revisionswerberin, der im Zuge des Verfahrens lediglich auf schriftlichem Weg die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden war, ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG erteilte das BFA der Revisionswerberin einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.

4 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. Oktober 2024 insoweit Folge, als es die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf ein Jahr herabsetzte; im Übrigen wies es die Beschwerde ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlungals unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:

6 Die Revision erweist sich wie die nachstehenden Ausführungen zeigenentgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.

7Das BVwG stützte seine Entscheidung auf die den drei strafgerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten, erachtete den von ihm herangezogenen Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG als erfüllt und begründete dies insbesondere damit, dass die von der Revisionswerberin begangenen Diebstähle „im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen“ ein die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Bundesgebiet gefährdendes Fehlverhalten darstelle.

8Dabei hat das BVwG (wie auch schon das BFA) allerdings unbeachtet gelassen, dass gegen die Revisionswerberin als Unionsbürgerin die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nur dann zulässig wäre, wenn das persönliche Verhalten der Revisionswerberin eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig (vgl. dazu näher etwa VwGH 21.12.2021, Ra 2020/21/0380, Rn. 15/16, mwN).

9Die den vom BVwG festgestellten strafgerichtlichen Verurteilungen der Revisionswerberin zugrundeliegenden Straftaten sind jedoch nicht geeignet, den erwähnten Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 FPG zu verwirklichen. Das Fehlverhalten der Revisionswerberin umfasst lediglich drei Ladendiebstähle, die in den ersten beiden Fällen mit jeweils einer Geldstrafe und zuletzt mit einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten sanktioniert wurden. Die letzten beiden Vergehen betrafen ausschließlich Lebensmittel und zeichneten sich auch nicht durch eine beträchtliche Schadenshöhe aus. Die drei Verurteilungen ohne jegliche Qualifikation sind innerhalb eines Zeitraums von rund zweieinhalb Jahren erfolgt, und es ist auch keine deutliche Steigerung der Intensität des überwiegend beim Versuch gebliebenenstrafbaren Verhaltens erkennbar. Auf dem Boden der vom BVwG getroffenen Feststellungen kann aus dem Fehlverhalten der Revisionswerberin eine erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, nicht abgeleitet werden. Das BVwG hat daher im vorliegenden Fall zu Unrecht angenommen, dass der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG erfüllt sei.

10 Aus all diesen Gründen lag in der vorliegenden Konstellation aber auch kein „eindeutiger Fall“ vor, der es dem BVwG in Anbetracht des § 21 Abs. 7 BFAVG ausnahmsweise erlaubt hätte, von der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzusehen (vgl. zur besonderen Bedeutung der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen etwa VwGH 4.7.2023, Ra 2023/21/0027, Rn. 9, mwN). Die Annahme des BVwG, der Sachverhalt sei iSd § 21 Abs. 7 BFA VG geklärt, war umso weniger gerechtfertigt, als die Revisionswerberin, die in ihrer schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem BFA psychische Probleme und die Inanspruchnahme einer therapeutischen Behandlung vorgebracht hatte, auch im verwaltungsbehördlichen Verfahren nicht persönlich einvernommen worden war und die näheren Umstände der Beziehung der Revisionswerberin zu ihrem Lebensgefährten (und dessen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet) weder festgestellt noch im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA VG berücksichtigt worden waren. Wie auch in der Revision geltend gemacht wird, war die Unterlassung der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung sohin rechtswidrig.

11Aus den dargestellten Gründen hat das BVwG das angefochtene Erkenntnis (vorrangig) mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben ist.

12Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. Juli 2025