JudikaturBVwG

W274 2298560-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
09. Mai 2025

Spruch

W274 2298560-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. Lughofer als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 29.07.2024, Zl. 1373724108/232153878, wegen § 3 AsylG, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:

Der allein gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides gerichteten Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer, BF) beantragte am 17.10.2023 (offenbar vor der PI Nickelsdorf Fremdenpolizei) internationalen Schutz und brachte im Rahmen der Erstbefragung vor der PI XXXX am Folgetag vor, er sei am XXXX in Aleppo geboren, verheiratet, habe 12 Jahre Grundschule absolviert und sei Elektrotechniker. Seine Eltern und mehrere Geschwister befänden sich in Syrien, seine Ehefrau, Ex-Frau und Söhne in der Türkei. Er sei im Februar 2015 illegal zu Fuß in die Türkei gereist, im September 2023 sei er weiter nach Europa gereist. Als Fluchtgrund gab er an, er habe Syrien wegen des Krieges und der fehlenden Sicherheit verlassen. Bei einer Rückkehr befürchte er eine Verhaftung durch das syrische Regime, weil er aus einem Stadtviertel stamme, das von einer bewaffneten Gruppierung eingenommen worden sei. Er habe Angst, dass das Regime ihn für einen Mittäter der Gruppierung halte.

Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) gab der BF am 11.06.2024 zusammengefasst an, er sei am XXXX in der Stadt Aleppo geboren und habe dort auch zuletzt gelebt. Die Herrschaft über die Stadt sei damals geteilt gewesen, ein Teil sei von der Regierung kontrolliert worden, der andere von der Freien Armee, wobei er selbst im Teil der Freien Armee gelebt habe. Er sei Ende Jänner 2015 endgültig aus Syrien ausgereist. Nach einem rund achtjährigen Aufenthalt in der Türkei sei er über die Balkanroute nach Österreich weitergereist. Von Beruf sei er Elektrotechniker und er habe in der Türkei Haushaltsgeräte repariert. Er sei geschieden und habe zwei Söhne. Die Ex-Frau und die Söhne hielten sich in Istanbul auf. Nach der Scheidung sei er nochmals für kurze Zeit verheiratet gewesen. In Syrien befänden sich noch seine Eltern und Geschwister. Er habe zwölf Jahre die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen. Danach habe er drei Jahre an der Universität Elektrotechnik und Elektronik studiert. In Syrien habe er mit Ersatzteilen von Waschmaschinen gehandelt.

Als Fluchtgrund gab der BF an, sein Schwager sei ein Informant und Mittelsmann der syrischen Behörden gewesen. Der BF habe diesem Geld geschuldet und der Schwager habe ihm gedroht, falls er das Geld nicht zurückzahle. Da der BF ihm das Geld nicht gezahlt habe, habe der Schwager ihn tatsächlich angezeigt und behauptet, der BF organisiere Demonstrationen und gehöre der Opposition an. In der Folge sei der BF aus Syrien geflohen. Die Militärpolizei und der Geheimdienst seien immer wieder bei ihnen zu Hause gewesen. Sein Vater und seine Schwester seien festgenommen worden. Bei der Rückkehr befürchte er die Hinrichtung.

Der BF legte einen syrischen Personalausweis und ein syrisches Berufsschulzeugnis in Kopie vor.

Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

Die Behörde stellte zusammengefasst fest, die Identität des BF stehe nicht fest. Er sei in Aleppo geboren und habe dort bis zu seiner Ausreise im Jänner 2015 gelebt. Er habe seinen verpflichtenden Militärdienst in Syrien noch nicht abgeleistet, sei aber niemals zur Ableistung einberufen worden. Syrische Staatsbürger könnten sich gegen die Entrichtung einer Gebühr von der Wehrpflicht befreien lassen. Der BF sei nicht derart in das Visier des syrischen Regimes geraten, dass ihm eine Verfolgung wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung drohe. Der BF habe kein gegen ihn als Person gerichtetes Bedrohungsszenario glaubhaft machen können. Ihm drohe bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkrete individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit Konventionsgründen. Aufgrund der herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass der BF in eine aussichtslose Lage geraten könnte.

Das Fluchtvorbringen betreffend den Schwager sei im Rahmen einer sehr vagen freien Erzählung behauptet worden und weise nicht auf wohlbegründete Furcht hin.

Rechtlich verneinte die belangte Behörde eine Asylberechtigung, sprach aber aus, dass eine Rückkehr nach Syrien für den BF derzeit nicht in Betracht komme und ihm aufgrund der momentan instabilen Sicherheits- und Versorgungslage subsidiärer Schutz zukomme.

Allein gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die Beschwerde des BF wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem primären Antrag, dem BF nach mündlicher Beschwerdeverhandlung den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Zusammengefasst brachte der BF vor, er wolle nicht am syrischen Bürgerkrieg teilnehmen und sei gegen das syrische Regime und die Opposition eingestellt. Ihm drohe aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung die Unterstellung einer oppositionellen politischen Gesinnung sowie Verfolgung durch die syrische Regierung. Auch aufgrund der Asylantragstellung im Ausland nach illegaler Ausreise drohe ihm Verfolgung. Schließlich unterstelle ihm das Regime auch wegen der Anzeige seines Schwagers betreffend Organisation von Demonstrationen gegen das Regime eine oppositionelle Gesinnung. Der BF gehöre zur sozialen Gruppe der wehrdienstfähigen und -pflichtigen syrischen Männer.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem BVwG mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Sie langte beim BVwG am 04.09.2024 ein.

Mit Schreiben vom 28.11.2024 legte der BF Auszüge seines Militärbuches vor.

Am 03.12.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF als Partei vernommen wurde. Seitens des Gerichts wurde festgehalten, dass prinzipiell noch vom LIB der Staatendokumentation Stand 27.03.2024 auszugehen sei. Darüber hinaus erfolge ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen in Nordsyrien, die sich in täglichen Pressemitteilungen niederschlage, wovon das Gericht beispielhaft auf einige Medienberichte und darüber hinaus auf die Syria Live Map verwies. Da der BF nach dem bisherigen Akteninhalt aus Aleppo stamme, hätten die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich Machtverschiebungen allenfalls Auswirkungen auf diesen Fall.

Der BF gab als Partei vernommen zusammengefasst an, vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Syrien sei es dort jetzt noch schlimmer. In Aleppo fänden viele Kämpfe statt, die Situation könnte jederzeit eskalieren. Er stamme aus einem Bezirk der Stadt, wo die Kurden die Macht hätten. Solange das syrische Regime existiere, sei er unsicher. Das Regime suche ihn und betrachte ihn als Verräter, weil ihm von seinem Schwager vorgeworfen worden sei, er habe Demonstrationen organisiert. Außerdem habe er Syrien auf illegale Art verlassen und den Wehrdienst nicht abgeleistet. Sein Schwager habe von ihm Schutzgeld erpressen wollen und ihn in der Folge beim syrischen Regime angezeigt. Sein Vater und seine Schwester seien verhaftet worden. Er stamme aus einem Gebiet, das vom syrischen Regime als oppositionell angesehen werde. Er wolle nicht an der Seite des Diktators kämpfen, der unschuldige Menschen umbringe. Darum wolle er sich auch vom Wehrdienst nicht freikaufen.

Auf ein individuelles Parteiengehör vom 27.12.2024, in dem auf die geänderte Lage in Syrien aufgrund des Sturzes von Baschar al-Assad im Dezember 2024 verwiesen wurde, erfolgte reagierte der BF nicht.

Die Beschwerde ist nicht berechtigt:

Aufgrund des Akteninhaltes und der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung steht folgender Sachverhalt fest:

Zum Beschwerdeführer:

Der BF wurde am XXXX in Aleppo Stadt geboren, ist syrischer Staatsangehöriger, Araber und Muslim sunnitischer Richtung. Er ist (zweimal) geschieden und hat zwei Söhne.

Er wuchs in der Stadt Aleppo (Bezirk XXXX ) auf und erfuhr eine zwölfjährige Schulbildung, die er mit Matura abschloss. In der Folge studierte er drei Jahre (ohne Abschluss) an der Universität (Fakultät für Elektrotechnik und Elektronik). Während des Studiums arbeitete er im Handel mit Ersatzteilen von Waschmaschinen. Im Jänner 2015 reiste er aus Syrien in die Türkei aus. Nach einem rund achtjährigen Aufenthalt in der Türkei, wo er Haushaltsgeräte reparierte, reiste er nach Österreich weiter.

In Syrien (Aleppo) leben noch die Eltern und vier Geschwister des BF. Zwei Geschwister leben in der Türkei, eine Schwester hält sich im Libanon auf. Seine geschiedene (erste) Frau und seine Söhne befinden sich in der Türkei.

Der Herkunftsbezirk des BF in Aleppo Stadt ( XXXX ) steht aktuell (nach dem Sturz des Assad-Regimes Ende 2024) unter Kontrolle der Regierung unter Ahmed al-Scharaa.

Der BF ist in Österreich unbescholten.

Für den BF besteht keine Gefahr, dass er in Aleppo Stadt durch das (nicht mehr existierende) syrische Regime zum Militärdienst rekrutiert bzw. wegen einer Wehrdienstverweigerung oder aus sonstigen Gründen (etwa einer allfälligen „Anzeige“ durch einen Schwager im Jahr 2015) bestraft würde.

Dem BF droht in seinem Herkunftsbezirk XXXX auch keine Zwangsrekrutierung durch kurdische Milizen.

Zur relevanten Situation in Syrien:

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Als die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba‘ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Demonstranten, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein immer komplexer werdender bewaffneter Konflikt.

Ab März 2020 trat der Konflikt in eine Patt-Phase ein, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden. Dabei kontrollierte die syrische Regierung unter Präsident Assad („syrisches Regime“) rund 60% des syrischen Staatsgebietes, während der Nordosten Syriens unter Herrschaft kurdischer Kräfte stand, mit der Türkei alliierte Rebellengruppen Teile des Nordens kontrollierten und die islamistische Gruppierung HTS über einen Teil der Provinzen Idlib und Aleppo im Nordwesten herrschte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB) vom 27.03.2024, S. 16).

Für männliche syrische Staatsbürger war im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren in der syrisch-arabischen Armee des syrischen Regimes gesetzlich verpflichtend. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehrten, mussten mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Gesetz waren in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu verpflichtet, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer militärärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wurde man einberufen, um den Wehrdienst zu leisten, sofern kein Ausnahmegrund (Studium, medizinische Gründe, einziger Sohn der Familie) vorlag (LIB, S. 119). Nach Ableistung des Wehrdienstes blieb ein syrischer Mann Reservist und konnte bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (LIB, S. 124). Eine Durchsetzung der Wehrpflicht durch Zwangsrekrutierung war dem syrischen Regime im Wesentlichen nur im eigenen Herrschaftsgebiet möglich (LIB, S. 123f.).

Wehrdienstverweigerung wurde aber vom syrischen Regime zuletzt nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das Regime war sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land lediglich verlassen hatten, um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich gegen Bezahlung einer Geldsumme von der Wehrpflicht „freizukaufen“ (LIB, S. 144).

Personen, die unter dem Verdacht standen, sich oppositionell zu engagieren, oder als regimekritisch wahrgenommen wurden, unterlagen einem besonders hohen Folterrisiko seitens des Regimes. In vielen Fällen wurden auch Familienmitglieder solcher Personen als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen ihrer Angehörigen inhaftiert (LIB, S. 165).

Das sowohl von den USA als auch den UN als Terrororganisation eingestufte Milizenbündnis HTS versuchte in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Ihr wurden in dieser Zeit Menschenrechtsverletzungen (auch gegenüber religiöser Minderheiten) und u.a. willkürliche Verhaftungen, mangelnde Rechtsstaatlichkeit auf Basis einer religiösen Gerichtsbarkeit, gewaltsame Niederschlagungen von Protesten sowie das Verschwindenlassen von Personen vorgeworfen (LIB, S. 11, 35, 90, 169).

Durch eine am 27.11.2024 gestartete Großoffensive unter HTS-Führung gegen die Regierung von Präsident Assad kam es rund um den 08.12.2024 zu einem Machtwechsel in Syrien: Assad setzte sich nach Russland ab, HTS übernahm die Kontrolle über die staatlichen Institutionen und bildete eine unter ihrer Leitung stehende Übergangsregierung. Die nunmehr machtausübenden Akteure haben insgesamt eine Neuordnung des syrischen Staates in Aussicht gestellt, der diesbezügliche Zeitplan beinhaltet die Ausarbeitung einer neuen Verfassung binnen drei Jahren und die Abhaltung von Wahlen in vier Jahren. Die Soldaten der von Assad befehligten Syrischen Arabischen Armee (SAA) wurden vom Armeekommando außer Dienst gestellt. Für alle Wehrpflichtigen, die in der SAA gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Aktuell existiert in Syrien keine staatliche Wehrpflicht.

Kurzinformation der Staatendokumentation zur Sicherheitslage und politischen Lage vom 10. Dezember 2024:

„Nach monatelanger Vorbereitung und Training starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf […] Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. (…)

Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort. Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12.

Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab. Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen. Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein, nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten. Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab. Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor. Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind, und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt, die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen. Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt.

Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad. Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt.

[…]

Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo. Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein.

[…]

Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet. Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen. Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union und der Türkei als Terrororganisation eingestuft. Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden. Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien. Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren.

[…]

Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt. Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben.“

Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich der persönlichen Umstände des BF, seiner Familie, seiner Ausreise aus Syrien und der Aufenthaltsorte der Familienmitglieder beruhen auf den diesbezüglich unbedenklichen Angaben des BF gegenüber der Polizei, dem BFA sowie dem erkennenden Gericht samt den vorgelegten Urkunden.

Die Unbescholtenheit des BF in Österreich ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.

Die Feststellung zur Gebietskontrolle betreffend Aleppo Stadt beruht auf den Informationen von syria.liveuamap.com.

Zur Negativfeststellung hinsichtlich einer Verfolgung durch das Assad-Regime:

In seiner Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung stützte sich der BF im Wesentlichen auf eine Verfolgung durch das Assad-Regime wegen seiner Wehrdienstverweigerung, Asylantragstellung sowie wegen einer Anzeige durch einen für das Regime arbeitenden Schwager. Dieser habe von ihm Schutzgeld erpressen wollen und ihn aufgrund seiner Weigerung beim Assad-Regime mit der Behauptung angezeigt, er habe Demonstrationen organisiert und sei Teil der Opposition.

Eine Verfolgungsgefahr aus den auf das Assad-Regime bezogenen Gründen ist aber schon deshalb mittlerweile auszuschließen, weil das syrische Regime unter Präsident Assad infolge der erfolgreichen Großoffensive der HTS Ende November/Anfang Dezember 2024 nicht mehr existiert (siehe die obigen Länderfeststellungen). Dem vermochte der BF zuletzt auch nichts Substantiiertes entgegenzuhalten, auf das gewährte Parteiengehör vom 27.12.2024 erfolgte keine Reaktion.

Dies gilt auch für das Vorbringen und die Angaben des BF im Bezug auf eine behauptete Denunzierung des BF vor 10 Jahren (2015!) durch einen Schwager: Dieses war im Übrigen auch zur Gänze unglaubwürdig, zumal in sich nicht schlüssig, unterschiedlich begründet und zuletzt massiv gesteigert (Vater und Schwester seien geschlagen worden und Geld sei bezahlt worden (BVwG S 10 und 11). Zunächst begründete der BF das Vorgehen seines Schwagers mit vom BF nicht gezahlten Geldschulden bei diesem (BFA S 14). Darauf angesprochen, führte der BF aus, der eigentliche Grund seien nicht die Geldsumme oder die Schulden gewesen, der Schwager habe den BF gehasst (BFA S 15). Selbst wenn man im Sinne des BF von einer Korrektur seiner Angaben nach Rückübersetzung (BFA S 17) ausgeht (der Schwager habe das Geld von ihm verlangt, ohne dass es der BF ihm geschuldet hätte), relativierte er auf S 15 (wie dargestellt) zunächst primär monetäre Gründe des Schwagers.

In der Beschwerde führt der BF durch seine RV aus, die Behörde hätte durch Befragung feststellen müssen, dass der Schwager Geld von ihm habe erpressen wollen (Beschwerde S 4). Nur weil der BF dem nicht nachgekommen sei, sei er vom Schwager verraten worden.

Vor Gericht klammerte der BF wieder den monetären Charakter der Vorgansweise des Schwagers aus und stellte diesen als eine Art professionellen „Vernaderer“ dar (BVwG S 7, 8).

Im Übrigen nannte der BF die Thematik betreffend den Schwager auf die Frage nach seinen aktuellen Asylgründen vor Gericht zunächst nur ganz allgemein (man hat mir vorgeworfen, ich habe Demonstrationen organisiert, BVwG S 6 und 7) und nannte den Schwager und dessen Vorgangsweise erst über weitere Frage nach dem konkreten Anlass für die Ausreise (S 7 unten).

Zur Negativfeststellung hinsichtlich einer Verfolgung durch kurdische Milizen:

Nach der maßgeblichen Berichtslage (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2024, S. 157) werden seit einem Dekret aus dem Jahr 2021 nur mehr die Jahrgänge 1998 und jünger für die Selbstverteidigungspflicht bei den kurdischen Milizen in der AANES (zwangs-)rekrutiert, sobald sie ihren 18. Geburtstag erreicht haben. Der BF fällt mit seinem Geburtsjahr XXXX (deutlich) nicht in diese Jahrgänge, sodass ihm schon aus diesem Grund keine Zwangsrekrutierung seitens kurdischer Milizen droht. Abgesehen davon steht der Herkunftsbezirk des BF in Aleppo Stadt nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung in Zusammenschau mit der Syria Live Map (Protokoll S. 12) aktuell nicht unter kurdischer Kontrolle. Im Übrigen ging der BF von einer drohenden Zwangsrekrutierung seitens kurdischer Milizen gar nicht aus (Verhandlungsprotokoll S. 11: „Über Frage, ob von einer anderen Seite mir eine Einberufung droht: Nein.“).

Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen stützen sich auf die auszugsweise wiedergegebene Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10.12.2024 nach dem Sturz des Assad-Regimes, welche dem BF mit Schreiben vom 27.12.2024 zu Gehör gebracht wurde. Das durch den Machtwechsel veraltete LIB vom 27.03.2024 wurde dort zitiert, wo sich trotz dieses Machtwechsels keine wesentliche Änderung ergeben hat und es daher nach wie vor Aktualität besitzt, oder wo es um einen Vergleich mit der Situation vor dem Machtwechsel geht.

Angesichts der Aktualität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf verschiedenen voneinander unabhängigen dort wiedergegebenen Quellen beruhen und ein übereinstimmendes, in sich schlüssiges und nachvollziehbares Gesamtbild liefern, besteht für das Gericht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.

Rechtlich folgt:

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm in seinem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Heimatstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht oder er einen Asylausschlussgrund gesetzt hat.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 11 und 12 AsylG ist Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, Verfolgungsgrund ein in Art. 10 StatusRL genannter Grund.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach Art. 9 der StatusRL muss eine Verfolgungshandlung i.S.d. GFK aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist, bestehen.

Unter anderem können als Verfolgung folgende Handlungen gelten: Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt; gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewendet werden; unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung; Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung; Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 2 fallen; Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt AZ 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht vor dieser Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.

Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, dass dem Asylwerber in seinem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht.

Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt es nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch eine seitens des Verfolgers dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant.

Im Fall der Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung durch die Strafjustiz im Herkunftsstaat bedarf es einer Abgrenzung zwischen der legitimen Strafverfolgung („prosecution“) einerseits und der die Gewährung von Asyl rechtfertigenden Verfolgung aus einem der Gründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK („persecution“) andererseits. Keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist im Allgemeinen in der staatlichen Strafverfolgung zu erblicken. Allerdings kann auch die Anwendung einer gesetzlich für den Fall der Zuwiderhandlung angeordneten, jeden Bürger des Herkunftsstaates gleichermaßen treffenden Sanktion unter bestimmten Umständen eine Verfolgung im Sinne der GFK aus einem dort genannten Grund sein; etwa dann, wenn das den nationalen Normen zuwiderlaufende Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt.

Um feststellen zu können, ob die strafrechtliche Verfolgung wegen eines auf politischer Überzeugung beruhenden Verhaltens des Asylwerbers einer Verfolgung im Sinne der GFK gleichkommt, kommt es auf die angewendeten Rechtsvorschriften, aber auch auf die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung und die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an.

Der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung kann asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt, wie dies etwa bei der Anwendung von Folter grundsätzlich der Fall ist (VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124; VwGH 23.01.2019, Ra 2019/19/0009; jüngst VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548). Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zur Teilnahme an völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe eine asylrelevante Verfolgung darstellen (VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009; VwGH 28.03.2023, Ra 2023/20/0027, m.w.N.; Putzer, Leitfaden Asylrecht2 (2011), Rn. 97; EuGH 26.02.2015, C-472/13 (Shepherd)). Wird der Asylwerber in seinem Herkunftsstaat dazu gezwungen, gegen Angehörige seiner eigenen Volksgruppe vorzugehen, kann dies ebenfalls in asylrechtlicher Hinsicht relevant sein (VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124, m.w.N.).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Gewährung von Asyl zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche Vorverfolgung für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste. Relevant kann also nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten hat (VwGH 23.05.2023, Ra 2023/20/0110, m.w.N.).

Zum Beschwerdeführer:

Wie festgestellt, existiert das syrische Regime unter Präsident Assad seit dem Umsturz im Dezember 2024 nicht mehr. Eine Verfolgung (aus welchen Gründen immer) seitens des nicht mehr vorhandenen Regimes ist daher nicht anzunehmen. Ebenso wenig ist - wie festgestellt - eine drohende Verfolgung seitens kurdischer Milizen zu befürchten.

Im Umstand, dass im Heimatland des BF eine Situation nach einem Bürgerkrieg mit noch unsicherer Lage herrscht, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. VwGH 26.11.1998, 98/20/0309, 0310 und VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer (nunmehr bis vor kurzem bestehenden) Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht. Eine solche hat der BF aber nicht hinreichend nachvollziehbar glaubhaft machen bzw. dartun können.

Ganz allgemein wird nicht verkannt, dass es vor der zum Sturz des syrischen Regimes führenden Offensive in den HTS-beherrschten Gebieten im Nordwesten Syriens (in der Provinz Idlib und angrenzenden Provinzen) zu Menschenrechtsverletzungen seitens der HTS-Machthaber kam. Doch ist nach Art. 9 Abs. 1 StatusRL und der dazu ergangenen Rechtsprechung (EuGH 19.11.2020, C-238/19 (BAMF), Rn. 22) nicht jede Menschenrechtsverletzung als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A GFK zu betrachten, sondern nur eine Handlung, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt (Art. 9 Abs. 1 lit. a StatusRL) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, besteht, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie unter lit. a leg. cit. beschrieben betroffen ist (lit. b leg. cit.).

Die der HTS-Regierung in Idlib vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen betrafen vor allem Frauen, (vermeintliche) Oppositionelle und Angehörige von Minderheiten (z.B. Christen). Dass dem männlichen BF, der Araber, Sunnit und nicht durch oppositionelle Aktivitäten gegenüber HTS in Erscheinung getreten ist (nach seinen Angaben vor der belangten Behörde praktiziert er seinen islamischen Glauben [BFA S 16], im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsort, der nunmehr unter Kontrolle des Regimes al-Scharaa steht, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, Opfer derartiger Menschenrechtsverletzungen zu werden, ist nicht zu erwarten, zumal noch überhaupt nicht absehbar ist, wie sich die Politik der HTS in Zukunft entwickeln wird und die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für deren Glaubhaftmachung genügt.

Das Verwaltungsgericht verkennt auch nicht, dass sich die Lage in Syrien in der ersten Dezemberhälfte des Jahres 2024 sehr rasch verändert hat, dass auch eine neuerliche Lageveränderung noch möglich ist und dass noch weitgehend unklar ist, wie sich die Lage in den kommenden Monaten entwickeln wird. Es wäre aber untunlich, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis völlige Klarheit über die künftigen Verhältnisse herrscht, weil nicht abschätzbar ist, ob und wann ein solches Szenario eintritt. Die verfügbaren aktuellen Berichte zur Lage in Syrien wurden – im Wesentlichen nach vorheriger Gelegenheit zur Stellungnahme – dem Verfahren zugrunde gelegt. Der volatilen Sicherheitslage in Syrien wurde durch die Gewährung subsidiären Schutzes ohnehin Rechnung getragen.

Zu berücksichtigen ist auch, dass nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für deren nach § 3 Abs 1 AsylG 2005 erforderliche Glaubhaftmachung im Sinne der zum Entscheidungszeitpunkt anzustellenden Prognose genügt (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN; Ra 2021/01/0003). Eine potentiell immer und zumal im generell volatilen Syrien mögliche Änderung der Lage zum Schlechteren für einen konkreten Beschwerdeführer kann daher nicht zu einer Asylgewährung führen. Sollte sich die Lage in Syrien dergestalt ändern, dass dem subsidiär schutzberechtigten BF in Syrien (konkret absehbare) asylrelevante Verfolgung droht, steht ihm schließlich die Möglichkeit offen, einen Folgeantrag zu stellen.

Dem BF ist es daher im Rahmen der Beschwerde und der daraufhin durchgeführten Befragung insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien kann nicht erkannt werden, dass dem BF aktuell in Syrien eine asylrelevante Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründen droht.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides kommt daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG kein Erfolg zu.

Zum Unterbleiben einer weiteren mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß Abs 4 kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

Ein Absehen von der mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht ist nach § 21 Abs 7 BFA-VG unter anderem dann zulässig, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.

Eine mündliche Verhandlung ist im konkreten Fall bereits erfolgt. Eine weitere mündliche Verhandlung konnte unterbleiben, weil der bisher und auch in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Fluchtgrund der Verfolgung durch das Assad-Regime durch den Sturz dieses Regimes weggefallen ist. Dem BF wurde bereits mit Schreiben vom 27.12.2024 Parteiengehör zur neuen Situation in Syrien gewährt, auf das keine Reaktion erfolgt ist. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2024, als eine mögliche Änderung der Machtverhältnisse bereits absehbar war und er darauf auch vom Gericht hingewiesen wurde (Protokoll S. 3 1. Absatz), erstattete der BF kein ergänzendes Fluchtvorbringen und gab über direkte Frage zu seinem Fluchtgrund ausdrücklich an: „Solange das syrische Regime existiert, bin ich unsicher.“ (S. 6) Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb es nach dem Sturz dieses Regimes einer weiteren mündlichen Erörterung bedürfte.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass im Wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen waren und im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entschieden wurde.

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