Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, über die Revision des M R, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 6/6, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Dezember 2022, W248 2264591 1/3E, betreffend Säumnisbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber stellte am 24. Oktober 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Am 25. Oktober 2021 wurde von einem Organ der Landespolizeidirektion Burgenland die nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 vorgesehene (Erst-)Befragung des Revisionswerbers durchgeführt. Noch am 25. Oktober 2021 traf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Anordnung gemäß § 43 Abs. 1 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG), weshalb mit diesem Tag der vom Revisionswerber gestellte Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 17 Abs. 2 AsylG 2005 auch als eingebracht galt.
2 Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Entscheidung über diesen Antrag nicht innerhalb von sechs Monaten erlassen hatte, brachte der Revisionswerber am 11. Oktober 2022 eine Säumnisbeschwerde ein, die von der Behörde mit Schreiben vom 23. Dezember 2022 unter Anschluss des Behördenaktes dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurde.
3 Der Revisionswerber führte in der Säumnisbeschwerde, in der auch die Nummer der ihm ausgefolgten Aufenthaltsberechtigungskarte angeführt wurde, aus, er habe „einen aktenkundigen Antrag auf Zuerkennung von Asyl bei der hiesigen Behörde gestellt“. Seit der Antragstellung seien bereits mehr als sechs Monate vergangen. Die in § 73 AVG festgelegte Entscheidungsfrist sei verstrichen, die Behörde sei säumig. Dies ergebe sich „unmittelbar aus dem bezeichneten Akt“.
4 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss vom 28. Dezember 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde zurück. Die Erhebung einer Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht für nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig erklärt.
5 In der Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, der Revisionswerber habe nicht im Sinn des § 9 Abs. 5 VwGVG glaubhaft machen können, dass die Entscheidungsfrist der Behörde bereits abgelaufen sei. Aus dem Beschwerdeschriftsatz sei nämlich nicht erkennbar, ob und wann der Antrag überhaupt gestellt worden sei. Der Zweck der Voraussetzung der Glaubhaftmachung des Ablaufes der Entscheidungsfrist bestehe darin, dass sich die Säumigkeit bereits aus dem Vorbringen in der Beschwerde selbst oder aus der Beschwerdeschrift beigefügten Bescheinigungsmitteln ergebe. Dem Zweck des § 9 Abs. 5 VwGVG würde es zuwiderlaufen, wenn weitere Erhebungen „in Form der Einsichtnahme in den (wenn auch vorhandenen) Verfahrensakt“ erforderlich wären. Die mangelnde Glaubhaftmachung des Ablaufes der Entscheidungsfrist sei auch keinem Mängelbehebungsauftrag zugänglich, weil in der gegenständlichen Beschwerdeschrift Darlegungen zur Säumnis nicht gänzlich fehlten, sondern die vom Revisionswerber gemachten Angaben „inhaltlich unzulänglich“ seien.
6 Die dagegen erhobene Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die Revision erwogen:
8 Die Revision erweist sich schon aufgrund des zu ihrer Zulässigkeit erstatteten Vorbringens, der Ablauf der Entscheidungsfrist des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl habe sich bereits ohne Weiteres aus dem Akteninhalt ergeben, als zulässig und begründet.
9 Gemäß § 9 Abs. 5 dritter Satz VwGVG ist bei Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht glaubhaft zu machen, dass die Frist zur Erhebung der Säumnisbeschwerde gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG abgelaufen ist.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung ausgeführt, dass das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung des Ablaufes der Entscheidungsfrist im Fall einer Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht betreffend einen grundsätzlich mündlich und persönlich zu stellenden Antrag auf internationalen Schutz den Inhalt der ihm vorgelegten Akten nicht außer Acht lassen darf. Wenn unter Berücksichtigung des Akteninhaltes Zweifel auftreten, ob sich ein bestimmtes Geschehen tatsächlich ereignet hat, ist das Verwaltungsgericht verpflichtet, geeignete Ermittlungen durchzuführen, um die obwaltenden Zweifel einer Klärung zuzuführen (VwGH 27. Juni 2023, Ra 2023/20/0152, mwN).
11 Solche Zweifel hätten fallgegenständlich beim Bundesverwaltungsgericht nicht hervorkommen können, hätte es den Inhalt des ihm vorgelegten Verwaltungsaktes berücksichtigt. Aus der Säumnisbeschwerde und der dem Verwaltungsgericht zur Verfügung stehenden Unterlagen ergibt sich nämlich zweifelsfrei, dass der Revisionswerber am 24. Oktober 2021 (um 13:20 Uhr) einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, der aufgrund der Anordnung des § 43 Abs. 1 BFA VG als am 25. Oktober 2021 eingebracht galt. Dass sich das Bundesverwaltungsgericht weigerte, in die ihm vorgelegten Akten Einsicht zu nehmen, um dies festzustellen und auf diese Weise die bei ihm bestehenden Zweifel zu beseitigen, entsprach nicht dem Gesetz.
12 Somit, belastete das Bundesverwaltungsgericht den angefochtenen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen eingegangen werden musste.
13 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Dezember 2023