JudikaturVwGH

Ra 2023/19/0137 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
08. August 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, über die Revision des B A, vertreten durch die RIHS Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März 2023, W287 2151303 4/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 22. Juli 2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der im Beschwerdeweg vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 16. August 2018 rechtskräftig abgewiesen wurde.

2 Am 10. Juli 2019 stellte der Revisionswerber einen Folgeantrag, den er damit begründete, dass schiitische Milizen und irakische Sicherheitsbehörden nach ihm gesucht hätten. Ein Familienmitglied des Revisionswerbers sei im Oktober 2018 entführt worden, sein mittlerweile verstorbener Vater sei befragt und bedroht worden. Weiters hätten Mitglieder einer schiitischen Miliz auf das Haus der Familie seiner Ehefrau geschossen.

3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Folgeantrag mit Bescheid vom 20. Jänner 2020 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit Erkenntnis vom 11. Februar 2020 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Diese Entscheidung hob der Verwaltungsgerichtshof infolge einer außerordentlichen Revision des Revisionswerbers mit Erkenntnis vom 31. August 2020, Ra 2020/18/0102, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil das BVwG es unterlassen habe, das neue Vorbringen des Revisionswerbers auf einen glaubhaften Kern zu prüfen.

6 Im fortgesetzten Verfahren behob das BVwG mit Erkenntnis vom 13. Jänner 2022 in nunmehriger Stattgabe der Beschwerde den Bescheid des BFA vom 20. Jänner 2020.

7 In der Folge wies das BFA den Antrag vom 10. Juli 2019 mit Bescheid vom 30. September 2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

8 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem nunmehr gegenständlichen Erkenntnis vom 8. März 2023 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

9 Begründend stellte das BVwG soweit hier maßgeblich fest, der Revisionswerber sei seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung vom 16. August 2018 weder von schiitischen Milizen noch von den irakischen Sicherheitskräften oder sonstigen Personen gesucht worden. Ferner drohe dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in den Irak individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch schiitische Milizen, die irakischen Sicherheitskräfte oder durch andere Personen. Daher drohe ihm keine Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Im Rahmen seiner Interessenabwägung gelangte das BVwG zum Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung schwerer als die Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich wiege.

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 Zu ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision zunächst gegen die Interessenabwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA VG und bringt dazu vor, das BVwG habe nicht beachtet, dass die Aufhebung des im Verfahren über den Folgeantrag ergangenen Erkenntnisses des BVwG vom 11. Februar 2020 durch den Verwaltungsgerichtshof und die daran anschließende Behebung des Bescheides vom 20. Jänner 2020 durch das BVwG beim Revisionswerber die berechtigte Erwartung auf eine positive Entscheidung über seinen Folgeantrag geweckt habe. Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts seien Erwartungen auf einen positiven Verfahrensausgang, die aus der mehrfachen Stattgabe von Rechtsmitteln resultieren, bei der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen. Die Verfahrensdauer sei auch nicht in Verzögerungen, die der Revisionswerber verursacht habe, sondern ausschließlich in der Rechtslage bzw. in Verfahrensschritten, die dem BFA und dem BVwG zuzurechnen seien, begründet. Angesichts der dem Erkenntnis VwGH 8.7.2021, Ra 2021/20/0080, zugrundeliegenden Fallkonstellation habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Dauer eines während laufender Verfahren entstandenen Aufenthalts von sechs Jahren ungeachtet des Umstands, dass zwei Folgeanträge gestellt worden seien, im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen sei. Dies müsse auch im vorliegenden Fall gelten, zumal der Revisionswerber lediglich einen Folgeantrag gestellt habe und „während laufender Asyl- und Rechtsmittelverfahren“ sechseinhalb Jahre vergangen seien.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG dar (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2022/19/0238, mwN).

15 Im Zuge seiner Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG die zugunsten eines Verbleibes des Revisionswerbers im Bundesgebiet sprechenden Umstände, wie die Aufenthaltsdauer von siebeneinhalb Jahren und seinen Bekanntenkreis in Österreich, bezog allerdings auch mit ein, dass der Revisionswerber nur über geringfügige Deutschkenntnisse und über keine besonders engen persönlichen Bindungen im Bundesgebiet verfügt, wogegen sich die Ehefrau des Revisionswerbers und die beiden gemeinsamen minderjährigen Kinder im Irak befinden. Ferner durfte das BVwG auch davon ausgehen, dass es worauf der Verwaltungsgerichtshof mehrfach hingewiesen hat im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA VG 2014 maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 27.5.2021, Ra 2021/19/0157, mwN).

16 Was die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Erwartung des Revisionswerbers eines positiven Ausgangs des Verfahrens über seinen Folgeantrag nach Aufhebung des Erkenntnisses vom 11. Februar 2020 und die darauf folgende Behebung des Bescheides vom 20. Jänner 2020 betrifft, so hat der Verwaltungsgerichtshof bereits dargelegt, dass ein gradueller Unterschied darin besteht, ob die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basiert oder während eines einzigen, ohne schuldhafte Verzögerung durch den Fremden lange dauernden Asylverfahrens erfolgt ist (vgl. erneut VwGH Ra 2021/19/0157, mwN).

17 In Anbetracht der dreijährigen Dauer des ersten Verfahrens vor der Stellung eines letztlich ebenfalls unbegründet gebliebenen Folgeantrags wird in der Revision nicht aufgezeigt, dass sich das BVwG im Rahmen der Interessenabwägung bei der Gewichtung der in Rn. 15 erwähnten maßgeblichen Umstände von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese in unvertretbarer Weise angewendet hätte.

18 Im Übrigen ist auch der Hinweis des Revisionswerbers auf das Erkenntnis VwGH 8.7.2021, Ra 2021/20/0080, in Ermangelung eines vergleichbaren Sachverhalts nicht zielführend: Dieser Entscheidung lag ein insgesamt vierzehneinhalbjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet und eine beträchtliche Dauer des Verfahrens über den Erstantrag von sechs Jahren zugrunde, sodass die vom BVwG im dort angefochtenen Erkenntnis hervorgehobene Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls aufgrund der zehn Jahre deutlich übersteigenden Aufenthaltsdauer für sich genommen nicht (mehr) allein ausschlaggebend sein konnte.

19 Des Weiteren bringt der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung vor, das BVwG habe die Frage der Verfolgungsgefahr unrichtig beurteilt, weil es seiner Entscheidung keine aktuellen Länderberichte zugrunde gelegt habe und die Länderfeststellungen keine Informationen zur aktuellen, aufgrund des Ukraine-Krieges und der damit einhergehenden Inflation verschlechterten Wirtschafts und Sicherheitslage enthalten würden.

20 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 6.9.2022, Ra 2022/19/0138, mwN).

Eine solche Darlegung enthält die Revision in der Zulässigkeitsbegründung jedoch nicht.

21 Soweit sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung auch gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hinzuweisen, dass dieser als Rechtsinstanz tätig ist und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 28.3.2023, Ra 2022/19/0002, mwN).

22 Das BVwG setzte sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit den Fluchtgründen des Revisionswerbers auseinander und begründete seine Annahme, dass das Vorbringen nicht glaubwürdig sei, unter anderem damit, dass die Angaben des Revisionswerbers völlig vage und detaillos, allgemein gehalten und in zeitlicher Hinsicht völlig unklar geblieben seien.

23 Mit dem bloßen Revisionsvorbringen, dass „sogar angesichts des zitierten, nicht aktuellen Länderberichts“ sein Fluchtvorbringen glaubwürdig sei, vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen, dass das BVwG hier eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen hätte.

24 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 8. August 2023

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