Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des S G, vertreten durch Mag. Martin Zikeli, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Karlsplatz 3/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. April 2023, W104 2264246 1/10E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 1. Juli 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit dem Krieg und der prekären Versorgungs und Sicherheitslage in seinem Herkunftsstaat begründete. Zudem hätten ihn das syrische Regime und die kurdischen Truppen zwangsrekrutieren wollen und ihn wegen seines christlichen Glaubens verfolgt. Ausgereist sei er, nachdem sein Vater unter Drohungen angehalten worden sei, seine Kinder (den Revisionswerber und seine Schwester) der Rekrutierung durch die syrische Armee zuzuführen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 10. November 2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
3 Die gegen Spruchpunkt I. gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Das BVwG hielt soweit für das Revisionsverfahren von Belang fest, der Revisionswerber stamme aus Al Malikiya in der Provinz Al Hasaka, die unter Kontrolle der kurdischen Truppen stehe. In Syrien bestehe ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren. Der im Jahr 1999 geborene Revisionswerber habe den Wehrdienst noch nicht abgeleistet. Sein Herkunftsort sei dem Kontroll- und Einflussgebiet des syrischen Regimes entzogen, weshalb dieses dort weder auf den Revisionswerber greifen noch ihn verfolgen könne. Ihm drohe auch durch die kurdischen Machthaber keine asylrelevante Verfolgung wegen seiner Weigerung, den verpflichtenden Wehrdienst („Self-Defence-Duty“) für die kurdischen Kräfte abzuleisten. Schließlich würden weder sein christlicher Glaube noch seine Ausreise oder die Asylantragstellung im Ausland eine asylrelevante Verfolgung begründen.
5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit zunächst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Mai 2021, Ro 2020/19/0001, angesprochen und geltend gemacht wird, das BVwG habe dem Revisionswerber entgegen dieser Rechtsprechung den Status des Asylberechtigten als Wehrdienstverweigerer verwehrt. Außerdem sei das angefochtene Erkenntnis mit Verfahrensmängeln belastet: Weder habe das BVwG ausreichende Feststellungen zu den „religiösen Überzeugungen“ des Revisionswerbers und zur „Christenverfolgung in Syrien“ getroffen, noch habe es das beantragte „Sachverständigengutachten zur Verfolgung von Christen in Syrien“ eingeholt oder den vorgelegten Einberufungsbefehl berücksichtigt, woraus sich eine antizipierende Beweiswürdigung ableiten lasse. Ferner habe das BVwG die Manuduktionspflicht verletzt, weil es den Revisionswerber nicht zu einem „konkreteren Vorbringen und einer konkreten Aussage“ angeleitet habe.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Soweit die Revision geltend macht, das BVwG sei vom Erkenntnis VwGH 21.5.2021, Ro 2020/19/0001, abgewichen, weil dem Revisionswerber nach diesem Erkenntnis „als Wehrdienstverweigerer aus religiösen Überzeugungen sowie [wegen] Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung und Unverhältnismäßigkeit der Sanktionen“ in Syrien der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen wäre, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt.
11 Das BVwG setzte sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung eingehend mit den aktuellen Länderberichten zur Lage in Syrien, insbesondere jener in den Gebieten unter kurdischer Kontrolle, auseinander, wobei das BVwG das im Entscheidungszeitpunkt aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 29. Dezember 2022 zu Grunde legte. Es stellte fest, dass dem Revisionswerber aufgrund der stark eingeschränkten Rekrutierungsmöglichkeiten der syrischen Armee konkret in seiner Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Rekrutierung durch das syrische Regime drohe. Auch eine asylrelevante Verfolgung von kurdischer Seite sei nicht maßgeblich wahrscheinlich. Gestützt etwa auf Widersprüche seiner Angaben zu jenen seiner Schwester im Verfahren über deren Antrag auf internationalen Schutz und zur maßgeblichen Berichtslage legte das BVwG eingehend dar, warum es annahm, dass der Revisionswerber weder den behauptetermaßen ausreisekausalen Vorfall, „kurdisch klingende“ Männer seien an seinen Vater herangetreten und hätten versucht, den Revisionswerber zwangsweise zu rekrutieren, noch religiöse Vorbehalte gegen die Ableistung der in den kurdisch kontrollierten Gebieten in Nord- und Ostsyrien geltenden „Selbstverteidigungspflicht“ glaubhaft habe machen können.
12 Die Zulässigkeitsbegründung der Revision wendet sich nicht gegen die vom BVwG in diesem Zusammenhang angestellte Beweiswürdigung. Auf weiteres Vorbringen, das sich allein in den Revisionsgründen findet, ist schon zufolge § 34 Abs. 1a und § 28 Abs. 3 VwGG bei der Beurteilung, ob sich eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig darstellt, nicht weiter einzugehen (vgl. VwGH 21.1.2021, Ra 2021/18/0018, mwN).
13 Dem Vorwurf, das BVwG hätte unzureichende Feststellungen zu den „religiösen Überzeugungen des Revisionswerbers“ und zur „Christenverfolgung in Syrien“ getroffen, ist entgegenzuhalten, dass das BVwG zum Glaubensbekenntnis des Revisionswerbers und zur Lage religiöser Minderheiten in Syrien Feststellungen traf (S. 6 und 37 f des angefochtenen Erkenntnisses) und zum Schluss kam, dass der Revisionswerber als Christ in Syrien nicht verfolgt würde. Die Revision legt nicht dar, aufgrund welcher Berichte das BVwG zum Ergebnis hätte kommen müssen, dass dem Revisionswerber allein wegen seines christlichen Glaubens in seinem Herkunftsland eine asylrelevante (Gruppen-)Verfolgung drohen würde. Somit fehlt es an der zur Geltendmachung einer Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung geforderten Darlegung der Relevanz eines allfälligen Verfahrensmangels (vgl. VwGH 14.9.2020, Ra 2020/18/0337, mwN).
14 Die Revision verweist weiters darauf, dass der Revisionswerber im Verfahren vor dem BVwG ein „Sachverständigengutachten zur Verfolgung von Christen in Syrien“ beantragt sowie einen von der syrischen Armee ausgestellten Einberufungsbefehl vorgelegt habe, und sieht in der Nichteinholung des Sachverständigengutachtens sowie darin, dass der Einberufungsbefehl „nicht in das Verfahren einbezogen“ worden sei, vorgreifende Beweiswürdigungen.
15 Dem ist einerseits zu erwidern, dass das BVwG in seiner Beweiswürdigung den vom Revisionswerber vorgelegten, mit 6. März 2018 datierten Einberufungsbefehl durchaus berücksichtigt hat, indem es festhielt, dass dieser „mit Blick auf die politische Situation in der Herkunftsregion [...] (kein Einflussgebiet des syrischen Regimes) nicht geeignet [sei], eine asylrelevante Gefahr glaubhaft zu belegen“. Was andererseits die Nichteinholung des „Sachverständigengutachtens“ (der Revisionswerber hatte vor dem BVwG die Bestellung einer namentlich genannten Person, des „Gründers der ersten syrisch orthodoxen Gemeinde in Österreich“, als Sachverständigen zum Beweisthema der Verfolgung von Christen in Syrien beantragt) betrifft, legt die Revision nicht einmal ansatzweise dar, welches für den Verfahrensausgang relevantes Ergebnis diese Beweisaufnahme hätte haben können.
16 Der Behauptung der Verletzung der Anleitungspflicht ist schließlich entgegenzuhalten, dass die Manuduktionspflicht nach § 13a AVG keine Beratung der Verfahrensparteien in materiell-rechtlicher Hinsicht durch das Verwaltungsgericht verlangt (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0096; vgl. auch VwGH 19.9.1996, 95/19/0071, demzufolge die Anleitungspflicht der Behörde nicht so weit geht, einen Asylwerber dahin zu unterweisen, wie er sein Vorbringen auszuführen habe, damit es von Erfolg gekrönt werde). Vor diesem Hintergrund war das BVwG nicht zur Beratung des im Beschwerdeverfahren durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH vertretenen Revisionswerbers in materiell rechtlicher Hinsicht verhalten. Entgegen den Revisionsausführungen hatte es den Revisionswerber insbesondere nicht darüber zu belehren, dass „das vage und unsubstantiierte Vorbringen gegen ihn gewertet“ werden könne, und auf ein anderes erfolgversprechendes Vorbringen hinzuwirken.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 6. Oktober 2023