W252 2293825-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.04.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Die Beschwerde wird abgewiesen.
B) Die Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in Folge: „BF“), ein männlicher Staatsangehöriger Syriens, stellte am 04.03.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er das Land wegen dem Krieg verlassen habe. Bei einer Rückkehr hätte er Angst zum Militär eingezogen zu werden und kämpfen zu müssen.
3. Am 08.01.2024 fand eine schriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Wobei er zu seinen Fluchtgründen befragt angab, dass er Syrien wegen dem Krieg verlassen habe. Ein Schuss habe ein Gebäude in seinem Wohnviertel komplett zerstört, daher habe sein Vater entschieden auszureisen. Er sei wegen der allgemeinen Lage geflüchtet. Er habe Angst vor dem Krieg und Angst zum Militär eingezogen zu werden, da er dann kämpfen und Menschen töten müsse.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.04.2024 wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Es erteilte dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt II. und III.).
Begründend zu Spruchpunkt I. führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der BF keine Gründe glaubhaft gemacht habe, die auf eine Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention schließen lassen.
5. Der BF erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass er es Ablehne für das syrische Militär zu kämpfen und sich an Kriegshandlungen zu beteiligen, es drohe im Falle einer Rückkehr eine asylrelevante Verfolgung durch das syrische Regime. Er sei im wehrdienstfähigen Alter und habe sich durch seine Flucht dem Militärdienst entzogen, daher drohe ihm nicht nur eine Bestrafung durch die Verweigerung und einer damit zusammenhängenden unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung, sondern auch eine zwangsweise Rekrutierung. Auch werde er aufgrund seiner illegalen Ausreise und seiner Asylantragstellung in Österreich als Gegner gesehen und würde durch das syrische Regime verfolgt werden.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.01.2025 eine mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der Ladung zur Verhandlung wurde den Parteien das einschlägige Länderberichtsmaterial (Länderinformation des CMS-COI zu Syrien, Version 11, vom 27.03.2024) vorgehalten und die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme abzugeben.
7. Mit Beweismittelvorlage und Stellungnahme vom 24.01.2025 gab der BF an, er stamme aus XXXX , aber konkret aus dem Stadtviertel XXXX , welches sich nunmehr unter kurdischer Kontrolle befinde. Im Rahmen eines verpflichteten Wehrdienstes bei den kurdischen Streitkräften befürchte er, sich an Kriegsverbrechen zu beteiligen müssen.
8. Mit Parteiengehör vom 09.05.2025 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht das neueste einschlägige Länderberichtsmaterial (Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025) zur Stellungnahme. Eine Stellungnahme langte nicht ein.
Beweis wurde aufgenommen durch: Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt des BF sowie insbesondere durch die mündliche Einvernahme des BF.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den Namen XXXX geboren am XXXX . Er ist syrischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem, gehört zur Volksgruppe der Araber und spricht Arabisch als Muttersprache. Er ist ledig, in keiner Lebensgemeinschaft und hat keine Kinder (AS 1ff, AS 40, OZ 6, S 7).
Der BF ist in XXXX Gouvernement Aleppo geboren und bis zu seiner Ausreise in die Türkei mit seiner Familie im Jahr 2013 aufgewachsen. Er absolvierte in Syrien sechs Schuljahre. In der Türkei lebte er mit seiner Familie zusammen und war als Frisör tätig. Im Jahr 2023 reiste er illegal aus der Türkei, mit dem Ziel Österreich, aus (AS 1ff, 41-42, OZ 6, S7).
Die Eltern des BF, drei verheiratete Schwestern und der jüngere Bruder des BF leben in der Türkei. Zwei Brüder des BF leben in Österreich. Eine verheiratete Schwester lebt in XXXX , Syrien (AS 3, AS 40, OZ 6, S7).
Der BF stellte am 04.03.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid vom 17.04.2024 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (AS 1, AS 167).
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der Heimatort des BF, insbesondere XXXX stand bis April 2025 unter der Herrschaft der Kurden und ihrer Streitkräfte. Seit Mai 2025 übt die Übergangsregierung auch in diesen Stadteilen faktisch die Kontrolle aus. Die SDF wurde weitgehend abgezogen. Kurdische Sicherheitskräfte treten allenfalls nur mehr vereinzelt in Erscheinung bzw. wurden teilweise in die örtliche Polizei integriert.
Dem BF droht bei einer Rückkehr in seinen Heimatort keine Rekrutierung zum Selbstverteidigungsdienst der kurdischen Kräfte und keine Zwangsrekrutierung durch die neue Übergangsregierung.
Das syrische Regime unter Baschar al-Assad wurde am 08.12.2024 gestürzt. Das syrische Regime bzw dessen Sicherheitsbehörden existieren nicht mehr und können weder Verhaftungen, noch Zwangsrekrutierungen durchführen.
Der BF war politisch nie tätig und hat keine oppositionelle Gesinnung gegenüber der Übergangsregierung oder der Kurden bzw. DAANES und ihm wird eine solche auch nicht unterstellt (AS 42, OZ 6, S 9).
Der BF wurde weder individuell bedroht noch kam es zu Übergriffen auf ihn.
Der BF wird in Syrien weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bedroht (AS 42).
Dem BF ist eine Rückkehr in seine Heimatregion möglich.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Aus den ins Verfahren eingeführten Länderinformationen:
Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025
Kurzinformation der Staatendokumentation, Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, 10.12.2024
UNHCR: UNHCR Position On Returns To The Syrian Arab Republic, Dezember 2024
UNHCR: Regional Flash Update #4, 16.12.2024
ACCORD: Syrien-Länderseite auf ecoi.net, Stand 23.01.2025
ergibt sich Folgendes:
Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025
Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). [Details zur Offensive bzw. zur Hay'at Tahrir ash-Sham finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) Anm.] Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
[…]
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
[…]
Am 29.1.2025 versammelten sich die Führer der militärischen Gruppierungen, die an der militärischen Kampagne zum Sturz Assads beteiligt waren, zu einer Zeremonie im Präsidentenpalast, um den Sieg zu erklären. In der Siegeserklärung kündigten sie neun Schritte an, die in drei Hauptthemen unterteilt sind, wie beispielsweise: 1. Füllen des Machtvakuums durch die Annullierung der Verfassung von 2012, die Aussetzung aller Ausnahmegesetze, die Auflösung der während der Zeit des vorherigen Regimes gebildeten Volksversammlung und aller aus ihr hervorgegangenen Komitees und die Ernennung des Befehlshabers des militärischen Operationskommandos, Ahmed ash-Shara', zum Präsidenten des Landes während der Übergangszeit. Bei der Zeremonie wurde die Auflösung von vier Institutionen, welche die Säulen der Herrschaft und Kontrolle des früheren Regimes darstellten und die Schaffung eines neuen Regimes behindern, angekündigt, nämlich: die Armee, die Sicherheitsdienste mit ihren verschiedenen Zweigen und alle damit verbundenen Milizen, die Arabische Sozialistische Ba'ath-Partei, die Parteien der Nationalen Progressiven Front und die ihnen angeschlossenen Organisationen, Institutionen und Komitees und das Verbot ihrer Wiedererrichtung auch unter einem anderen Namen und Rückgabe ihrer Vermögenswerte an den syrischen Staat (AJ 31.1.2025a). Die Ba'ath-Partei des gestürzten syrischen Machthabers Bashar al-Assad stellte nach eigenen Angaben mit 12.12.2024 sämtliche Aktivitäten ein. Dies gelte bis auf Weiteres, hieß es in einer auf der Website der Parteizeitung veröffentlichten Erklärung. Die Vermögenswerte und die Gelder der Partei würden unter die Aufsicht des Finanzministeriums gestellt, Fahrzeuge und Waffen sollen nach Parteiangaben an das Innenministerium übergeben werden. Die Ba'ath-Partei war seit 1963 in Syrien an der Macht (Tagesschau 12.12.2024). Viele Mitglieder der Parteiführung sind untergetaucht und einige aus dem Land geflohen. In einem symbolischen Akt haben die neuen Machthaber Syriens das ehemalige Hauptquartier der Partei in Damaskus in ein Zentrum umgewandelt, in dem ehemalige Mitglieder der Armee und der Sicherheitskräfte Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen und ihre Waffen abzugeben (AP 30.12.2024). Am 11.2.2025 gab das Präsidialamt bekannt, dass die wichtigsten Oppositionsgremien Syriens, die im Exil tätig waren, Damaskus die von ihnen bearbeiteten Akten übergeben haben, als Teil der Bemühungen, die während des Konflikts gebildeten Institutionen „aufzulösen“. Dieser Schritt kommt der Abschaffung der wichtigsten unbewaffneten Oppositionsgruppen Syriens gleich und erinnert an ash-Shara's Versuch, alle bewaffneten Gruppen aufzulösen und in die Armee zu integrieren (FR24 12.2.2025). Für die in den Kriegsjahren im und aus dem Ausland tätige Opposition hat man nur Geringschätzung (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Während ash-Shara' ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara', seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025). [Informationen zu ethnischen und religiösen Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Trotz der Kritik ergab eine im März 2025 im Auftrag von „The Economist“ durchgeführte Umfrage, an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, dass 81 % die Herrschaft von ash-Shara' befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara's ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern. Tartus, wo Anfang März 2025 mehrere Massaker an der alawitschen Minderheit stattgefunden haben, ist die pessimistischste Provinz. Selbst dort gaben 49 % an, optimistisch zu sein, während 23 % sich pessimistisch äußerten. (Economist 2.4.2025).
[…]
Ahmed ash-Shara' wurde 1982 (Rosa Lux 17.12.2024) als Ahmed Hussein ash-Shara' in Saudi-Arabien als Kind syrischer Expatriates geboren. Ende der 1980er-Jahre zog seine Familie zurück nach Syrien (NYT 12.12.2024). Als junger Mann radikalisierte er sich während der blutigen zweiten Intifada, als die israelische Regierung auf palästinensische Selbstmordattentate mit brutaler Gewalt antwortete. Auch der 11.9.2001 prägte ihn (Rosa Lux 17.12.2024). Er ging 2003 in den Irak, um sich al-Qaida anzuschließen und gegen die US-Besatzung zu kämpfen. Arabischen Medienberichten und US-Beamten zufolge verbrachte er mehrere Jahre in einem amerikanischen Gefängnis im Irak. Zu Beginn des Bürgerkriegs tauchte er in Syrien auf und gründete die Jabhat an-Nusra, aus der sich schließlich Hay'at Tahrir ash-Sham entstand (NYT 12.12.2024). 2003 nahm er den Kriegsnamen Abu Mohammad al-Jolani an (Rosa Lux 17.12.2024). In einem vor einigen Jahren mit dem US-amerikanischen Sender PBS geführten Interview gab ash-Shara' zu, dass er bei seiner Rückkehr nach Syrien finanzielle Unterstützung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) erhielt, der zu diesem Zeitpunkt weite Teile des Iraks und Syriens besetzt hielt (DW 18.12.2024). Im Januar 2017 gründete er mit der HTS ein neues Bündnis verschiedener islamistischer Milizen, das sich dezidiert von der dschihadistischen al-Qaida und ihrem Ziel eines globalen Dschihads gegen den Westen lossagte (Rosa Lux 17.12.2024). Seit dem Bruch mit al-Qaida haben er und seine Gruppierung versucht, internationale Legitimität zu erlangen, indem sie globale dschihadistische Ambitionen ablehnten und sich auf eine organisierte Regierungsführung in Syrien konzentrierten (NYT 12.12.2024). 2013 setzten die USA ihn auf ihre Terrorliste und lobten später sogar ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen für Hinweise zu seiner Ergreifung aus. 2018 wurde dann auch die HTS von den Vereinigten Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft, die Vereinten Nationen folgten (Rosa Lux 17.12.2024)
Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
[…]
Der politische Flügel der SDF, der Syrische Demokratische Rat (Syrian Democratic Council -SDC), beglückwünschte das syrische Volk am 8.12.2024 zum Ende des Assad-Regimes und versprach, mit verschiedenen Gruppen im Land zusammenzuarbeiten. In einer Erklärung heißt es: Wir werden mit allen nationalen, kulturellen und gesellschaftlichen Kräften Syriens zusammenarbeiten, indem wir uns am nationalen Dialog beteiligen und unsere Verantwortung wahrnehmen, um ein neues Syrien zu schaffen, das alle seine Bürger einschließt (Al-Monitor 8.12.2024). Nach dem Sturz al-Assads hissten die SDF als Geste gegenüber der neuen Regierung in Damaskus die Revolutions- und Unabhängigkeitsflagge der Rebellengruppen auf ihren Einrichtungen, was von Washington begrüßt wurde (AJ 9.1.2025a). Am 29.12.2024 erklärte ash-Shara’ gegenüber dem Fernsehsender Al Arabiya, dass die SDF in die neue nationale Armee integriert werden sollten. Waffen dürfen nur in den Händen des Staates sein. Wer bewaffnet und qualifiziert ist, um dem Verteidigungsministerium beizutreten, ist bei uns willkommen, sagte er (AJ 31.12.2024a).
[…]
Am 10.3.2025 unterzeichneten der Anführer der kurdisch dominierten SDF Mazloum ’Abdi und Übergangspräsident Ahmad ash-Shara’ ein Abkommen über die Integration der SDF in die staatlichen Institutionen Syriens. Das Abkommen sieht die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Vertretung und Beteiligung, einen Waffenstillstand in allen syrischen Gebieten und die Integration aller zivilen und militärischen Institutionen im Nordosten Syriens vor. Das Abkommen sieht auch vor, dass die SDF den syrischen Staat bei der Bekämpfung von Assads Überbleibseln und Drohungen unterstützen und Aufrufe zur Teilung, Hassreden und Versuche, Zwietracht zu säen, zurückweisen werden (Arabiya 11.3.2025). Das Abkommen besteht aus acht Klauseln. Gemeinsame Ausschüsse sollen daran arbeiten, die Umsetzung des Abkommens bis Ende des Jahres abzuschließen (AJ 11.3.2025). Das Abkommen sieht vor, das DAANES-Gebiet unter die volle Kontrolle der syrischen Zentralregierung bringen (AJ 10.3.2025b). Es beinhaltet die Integration der zivilen und militärischen Einrichtungen im Nordosten Syriens in die syrische Staatsverwaltung, einschließlich der Grenzposten, des Flughafens [in Qamishli, Anm.] und der Öl- und Gasfelder, die von den SDF im Nordosten Syriens kontrolliert werden (FR24 10.3.2025). Kurz nach Bekanntgabe der Vereinbarung sagten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass sich ein Konvoi des syrischen Verteidigungsministeriums in Abstimmung mit den SDF nach al-Hasaka begeben wird und dass die Kräfte des Verteidigungsministeriums die Gefängnisse von den SDF übernehmen werden (AJ 11.3.2025).
[…]
Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war (SOHR 8.12.2024). Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen (AlMada 15.12.2024). Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten (ISW 16.12.2024). Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern (TNA 19.12.2024). Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024) (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.3.2025).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Ahmed ash-Shara' hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar (Guardian 13.1.2025). Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte "Versöhnungszentren" eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben (Al Majalla 24.1.2025). Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein "Versöhnungszentrum", wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren (Guardian 13.1.2025). In diesen "Versöhnungszentren" erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk "desertiert". Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (Chatham 10.3.2025). [Weitere Informationen zu "Versöhnungszentren" finden sich auch in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur (DNewsEgy 3.2.2025). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den "Versöhnungszentren" in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024). Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen "Versöhnungsprozessen" entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (MEI 13.3.2025).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (AlHurra 12.2.2025). [Details zur neuen syrischen Armee und der Entwaffnung bewaffneter Gruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) Anm.]
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
Wehr- und Reservedienst in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Wehrdienst
Der Gesellschaftsvertrag von 2023 regelt in der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) in Abschnitt 5 die Selbstverteidigungspflicht. Artikel 111 besagt, dass Selbstverteidigung eine Garantie und Fortsetzung des Lebens, und basierend auf dem Recht und der Pflicht ist, die Existenz zu verteidigen. Sie erfordert die Einrichtung eines Selbstschutzsystems, das auf dem Bewusstsein der legitimen Selbstverteidigung und der organisierten demokratischen Gesellschaft in Nord- und Ostsyrien beruht. Einerseits gibt es die Community Protection Forces, die für den Schutz Nord- und Ostsyriens und die Gewährleistung des Schutzes von Leben und Eigentum der Bürger vor allen Angriffen und Besatzungen verantwortlich sind. Die Community Protection Forces werden unter Beteiligung aller Bürger organisiert. Selbstverteidigung ist ein Recht und eine Pflicht für jeden Bürger. Es ist die Pflicht organisierter ethnischer und religiöser Gruppen, sich wirksam am Selbstverteidigungssystem zu beteiligen, angefangen bei Stadtvierteln, Dörfern, Städten und allen Wohneinheiten. Anderseits erwähnt Artikel 111 auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF). Sie sind die legitimen Verteidigungskräfte in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens. Sie nehmen den freiwilligen Beitritt der Söhne und Töchter des Volkes und die Pflicht zur Selbstverteidigung an. Ihre Aktivitäten werden vom Demokratischen Volksrat und der Verteidigungskommission überwacht. Sie organisieren sich autonom innerhalb des Demokratischen Konföderalen Systems Nord- und Ostsyrien und haben die Aufgabe, die DAANES und alle syrischen Gebiete zu verteidigen und sie vor jeglichen potenziellen Angriffen oder Gefahren von außen zu schützen (RIC 14.12.2023). Laut Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigung gelten Männer mit Vollendung des 18. Lebensjahres als wehrpflichtig und müssen den Selbstverteidigungsdienst bis zum vierzigsten Lebensjahr vollendet haben (Artikel 13). Wehrpflichtig ist jeder männliche Bewohner der Region Nord- und Ostsyrien, der das gesetzliche Alter für die Ausübung des Selbstverteidigungsdienstes erreicht hat, bzw. jeder, der seit mehr als drei Jahren dauerhaft in Nord- und Ostsyrien ansässig ist und die syrische Staatsangehörigkeit besitzt (Artikel 1) (AANES-GC 22.2.2024). Zwei Quellen, die vom Danish Immigration Service (DIS) befragt wurden, äußerten jedoch Zweifel an der konsequenten Einberufung von Personen von außerhalb der DAANES in allen Regionen (DIS 6.2024). Frauen in den von der Autonomen Verwaltung kontrollierten Gebieten können freiwillig Wehrdienst leisten (Enab 22.2.2024). Wladimir van Wilgenburg, Journalist und Autor, und ein Experte für syrische Kurden haben noch von keinem Fall gehört, in dem Frauen zwangsweise zur Selbstverteidigung eingezogen wurden (DIS 6.2024).
Das sogenannte Verteidigungsbüro des Exekutivrats der „Demokratischen Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien“ hat die für die Wehrpflicht erforderlichen Geburtsjahrgänge festgelegt, während die Verhaftungskampagnen gegen junge Menschen für die Einberufung in die Reihen der SDF weitergehen. Die Erklärung wurde vom Verteidigungsbüro der Autonomen Verwaltung an alle Verteidigungsbüros in der Region verteilt. Darin steht, dass wer zwischen dem 1.1.1998 und dem 31.12.2005 für den Dienst der Selbstverteidigung wehrpflichtig ist (Shaam 10.1.2024). Bereits vier Tage nach dem Erlass der Richtlinien, in der die Geburtsjahrgänge für die Selbstverteidigungspflicht bekannt gemacht wurden, nahmen die SDF eine Rekrutierungskampagne in al-Hasaka im Juni 2024 wieder auf, nachdem sie im Monat zuvor, am 8.5.2024 die Rekrutierungsprozesse eingestellt hatten (Enab 27.6.2024a). Anfang Juli 2024 wurden beispielsweise 240 Personen in den Provinzen Deir ez-Zour, al-Hasaka und ar-Raqqa gefangen genommen, um sie für den Militärdienst zu rekrutieren (SO 2.7.2024). Die Dienstzeit im Selbstverteidigungsdienst beträgt laut Artikel 2 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht zwölf volle Monate beginnend mit dem Datum der Einschreibung des Wehrpflichtigen (AANES-GC 22.2.2024).
2014 wurde die Zwangsrekrutierung von den Volksschutzeinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), einer militärischen Säule der SDF, im Anschluss an das Dohuk-Abkommen, bei dem sich die kurdischen Parteien in der irakischen Stadt Dohuk getroffen hatten, um eine Einigung über die Verwaltung der Region zu erzielen, eingeführt (Enab 22.2.2024).
Araber und Kurden werden laut von ACCORD befragten Experten vor dem Gesetz gleichbehandelt. Fabrice Balanche erklärt jedoch, dass mehr Flexibilität gegenüber Arabern gezeigt werden würde, um einen Aufstand zu vermeiden. Arabische Stammesführer hätten lokal die Macht und würden für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken. Einem Syrienexperten zufolge seien die speziellen Konsequenzen für Araber von Region zu Region unterschiedlich. Nicht alle von den SDF kontrollierten Gebiete stünden unter derselben Art von Kontrolle. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir ez-Zour hätten die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz al-Hasaka durchzusetzen. Anders als Balanche meint Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, dass arabische Wehrdienstverweigerer bei der Festnahme anders behandelt werden und Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt sein könnten (ACCORD 6.9.2023). Quellen des Danish Immigration Service (DIS) zufolge ist DAANES bei der Umsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung in Gebieten mit überwiegend arabischer Bevölkerung vorsichtig. Ebenso werden Christen in der Praxis nicht der gleichen Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung unterworfen wie Kurden, so eine weitere Quelle. Daher nehmen christliche Jugendliche in der Regel nicht an der Selbstverteidigungspflicht teil, sondern treten stattdessen für drei Jahre der christlichen Polizeitruppe Sutoro bei. Dieser Dienst befreit sie von der Selbstverteidigungspflicht (DIS 6.2024).
Mehrere Quellen des DIS, darunter ein ehemaliger Rekrut, der seine Wehrpflicht vor zwei Jahren erfüllt hat, berichteten, dass der Selbstverteidigungsdienst mit einem grundlegenden theoretischen und praktischen militärischen Ausbildungsprogramm beginnt. Während des theoretischen Teils erhalten die Wehrpflichtigen Unterricht in allgemeiner Geschichte der Nationalen Streitkräfte sowie in Kultur und Ethik. Sie erhalten auch eine theoretische Einführung in militärische Themen, einschließlich militärischer Begriffe und Waffen. Im praktischen Teil des Ausbildungsprogramms absolvieren die Wehrpflichtigen ein körperliches Training und eine Waffenausbildung. Während der ersten Phase der Grundausbildung haben die Wehrpflichtigen keinen einzigen Tag frei. Nach Abschluss ihrer Ausbildung haben sie acht bis zehn Tage frei, bevor sie in ihren jeweiligen Einheiten und Aufgabenbereichen eingesetzt werden. Anschließend haben die Wehrpflichtigen für den Rest ihres Dienstes alle zehn Tage einen Tag frei. Nach der Ausbildungszeit, die bis zu zwei Monate dauert, werden die Wehrpflichtigen verschiedenen Aufgaben in unterschiedlichen Zentren oder Einheiten zugewiesen, wo sie für den Rest ihres Dienstes tätig sind. Die Ausbildung oder Qualifikationen der Wehrpflichtigen werden bei der Zuweisung ihrer Aufgaben oft berücksichtigt. So werden beispielsweise diejenigen mit einem besseren Bildungshintergrund und besseren Fähigkeiten Aufgaben in Büros oder Einrichtungen zugewiesen, die von ihren Fähigkeiten profitieren könnten. Wehrpflichtige mit niedrigem oder ohne Bildungshintergrund werden oft für Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewachung oder dem Schutz öffentlicher Gebäude eingesetzt. Im Allgemeinen werden die Wehrpflichtigen nicht in Kampfsituationen eingesetzt. Es gab jedoch Fälle, in denen die Wehrpflichtigen in Kampfsituationen verwickelt waren, z. B. während der Schlacht um Afrin im Jahr 2018, bei schweren Kämpfen in Deir ez-Zour im Sommer 2023, bei den Kämpfen in Tell Abyad und bei Angriffen des Islamischen Staats (IS) auf das Gefängnis von al-Hasaka (2022), das hauptsächlich von Wehrpflichtigen bewacht wurde (DIS 6.2024).
Aufschub und Befreiung
Die Gesetzgebung erlaubt es Personen, die zur Selbstverteidigung verpflichtet sind, ihren Dienst aufzuschieben oder sich davon befreien zu lassen, je nach ihren individuellen Umständen. Diese Regeln, die unter anderem Ausnahmen aus medizinischen Gründen und Aufschübe für Studierende oder im Ausland lebende Personen vorsehen, werden von der DAANES aufrechterhalten und durchgesetzt. Einer Person, der eine Befreiung oder Entlassung von der Selbstverteidigungspflicht gewährt wurde, wird dies in ihrem Selbstverteidigungsheft vermerkt (DIS 6.2024). Das Gesetz Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht erlaubt es durch Artikel 16 Studierenden, wenn diese die erforderlichen Unterlagen vorlegen, ihre Einberufung jeweils für ein akademisches Jahr, beginnend mit 15. März jeden Jahres, aufzuschieben (AANES-GC 22.2.2024). Im September 2023 nahm die Selbstverwaltung im Nordosten Syriens Änderungen im Gesetz zur Selbstverteidigung vor. Die Änderungen legen eine bestimmte Altersgrenze für den Aufschub des Studiums fest, und zwar für jede einzelne Ausbildungsstufe. So kann ein Masterstudent den Dienst bis zum Alter von 32 Jahren aufschieben und hat kein Recht auf Aufschub nach diesem Alter, auch wenn er seine Studien oder einen weiteren Studienzweig noch nicht abgeschlossen hat. Ein neuer Artikel Nr. 30 wurde dem Gesetz hinzugefügt, der vorsieht, dass Ärzte und Apotheker, die ihr Studium abgeschlossen haben und sich zum Dienst auf dem Land verpflichten, ihren Wehrdienst um ein volles Jahr aufschieben können, sofern der Antragsteller das 30. Lebensjahr nicht überschritten hat. Bereits im Jahr 2018 wurde das Gesetz geändert, beispielsweise wurde ein Aufschub von Universitätsstudenten, des einzigen Kindes in der Familie, wie von Familien der Gefallenen und derjenigen, die Brüder in den Inneren Sicherheitskräften (Assayish) und der YPG haben (Enab 22.2.2024). Laut Artikel 17 wird Studenten, die einen Studienaufschub erhalten haben und das Alter für die Aufnahme des Studiums noch nicht erreicht haben, wie z. B. Studenten, die einen Studienaufschub erhalten haben, während sie noch 17 Jahre alt waren, dieses Jahr nicht als eines der Aufschubjahre gezählt. (AANES-GC 22.2.2024). Darüber hinaus stellte eine Quelle des Verteidigungsministeriums der DAANES klar, dass Studierende nicht an Bildungseinrichtungen innerhalb der DAANES eingeschrieben sein müssen, um für eine Aussetzung ihrer Selbstverteidigungspflicht infrage zu kommen. Sie können auch an Einrichtungen in von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten oder in den Nachbarländern Syriens, einschließlich der Türkei, des Irak, des Libanon und Jordaniens, eingeschrieben sein (DIS 6.2024).
Gemäß Artikel 25 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht wird Brüdern von Wehrpflichtigen derselben Mutter innerhalb der Selbstverteidigungspflicht, die den Ausbildungskurs abgeschlossen haben, ein Aufschub gewährt. Dieser Aufschub wird zweimal für jeweils sechs Monate gewährt. Artikel 26 regelt administrative Aufschübe. So kann, wer frisch von außerhalb Syriens zurückgekehrt ist, eine Aufschiebung für maximal sechs Monate bekommen. Der einzige Bruder eines Vermissten kann einen Aufschub für zwei Jahre bekommen. Geschwister, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und deren Eltern verstorben oder behindert sind, können ein Jahr aufschieben. Die genannten Aufschübe werden nach einer Überprüfung durch das Zentrum für Selbstverteidigungsaufgaben und der Genehmigung durch die Abteilung für Selbstverteidigungsaufgaben gewährt (AANES-GC 22.2.2024). Personen, die mindestens drei Jahre lang in einer Einrichtung oder Truppe unter dem DAANES gedient haben, können von der Selbstverteidigungspflicht befreit werden. Dies gilt für bezahlte, auf einem Vertrag basierende Dienste in jeder vom DAANES anerkannten Einrichtung, wie z. B. der Verkehrspolizei. Ehemalige Mitglieder der Internen Sicherheitskräfte (Assayish) oder der SDF sind vom Selbstverteidigungsdienst befreit, wenn sie bereits zwischen 2012 und 2015 mindestens zwei Jahre lang bei der Assayish oder der SDF gedient haben. Auch Personen, die derzeit drei bis fünf Jahre lang bei der Assayish oder der SDF dienen, können eine Befreiung beantragen. Junge Männer, die nicht dienen wollen, können alternative Wege in Betracht ziehen, um die Vorschriften des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht zu erfüllen. Eine Möglichkeit besteht darin, drei Jahre lang bei der Verkehrspolizei zu dienen, wodurch sie sich für eine Befreiung von ihrer Selbstverteidigungspflicht qualifizieren würden (DIS 6.2024).
Von der Pflicht zur Selbstverteidigung befreit sind laut Artikel 29 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht: Kinder und Geschwister von Märtyrern, die offiziell in den Registern der Märtyrer-Familien-Kommission eingetragen sind und eine Bescheinigung über das Märtyrertum besitzen, Personen mit besonderen Bedürfnissen und Patienten mit Krankheiten, die sie an der Ausübung ihrer Pflicht hindern, gemäß den medizinischen Berichten des militärmedizinischen Zentrums und der Genehmigung der Verteidigung in den autonomen und zivilen Verwaltungen, der einzige Sohn von Eltern oder eines Elternteils, unabhängig davon, ob beide leben oder tot sind, ein Findelkind, dessen Abstammung nicht bekannt ist. Alle männlichen Geschwister mit besonderen Bedürfnissen werden gemäß den Berichten des militärmedizinischen Zentrums als das einzige Geschwisterkind behandelt (AANES-GC 22.2.2024). Je nach Art der Erkrankung kann eine Person entweder von der Dienstpflicht befreit oder von ihr zurückgestellt werden. Medizinische Befreiungen werden bei körperlichen und psychischen Erkrankungen gewährt, die die betreffende Person daran hindern, der Selbstverteidigungspflicht nachzukommen. In solchen Fällen wird eine medizinische Untersuchung durchgeführt, um die Dienstfähigkeit der Person festzustellen. Gemäß Artikel 29 des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht können Personen mit besonderen Bedürfnissen und Patienten mit Krankheiten, die sie an der Erfüllung der Selbstverteidigungspflicht hindern, von der Pflicht befreit werden, wenn sie über einen genehmigten medizinischen Bericht des Militärmedizinischem Zentrums und die Genehmigung der Verteidigungsämter in Verwaltungs- und Zivilabteilungen verfügen. Ein syrischer Universitätsprofessor teilte dem Danish Immigration Service mit, dass die Regeln für medizinische Ausnahmen weiterhin von den DAANES-Behörden umgesetzt und eingehalten werden (DIS 6.2024).
Gemäß Artikel 27 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungsdienstpflicht müssen Einwohner und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis aus allen Ländern mit Ausnahme der Länder, die eine Landgrenze zu Syrien haben, eine jährliche Aufschubgebühr von 400 US-Dollar für jedes Jahr ab Inkrafttreten des Gesetzes zahlen (AANES-GC 22.2.2024). Die Stundung durch Zahlung dieser Gebühr kann insgesamt zweimal in Anspruch genommen werden. Einzelpersonen können sich innerhalb der DAANES frei bewegen, ohne nach Zahlung der Gebühr zur Selbstverteidigung eingezogen zu werden. Einzelpersonen aus den DAANES, die in den Nachbarländern Syriens leben, können eine Stundung aus Bildungsgründen erhalten, z. B. wenn sie an einer Bildungseinrichtung in der Türkei eingeschrieben sind (DIS 6.2024). Gemäß Artikel 36 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungsdienstpflicht sind Personen nicht verpflichtet, den Selbstverteidigungsdienst zu leisten, wenn sie eine nicht-syrische Staatsbürgerschaft erhalten (AANES-GC 22.2.2024). Männer in der entsprechenden Altersgruppe, die Syrien verlassen haben, aber nach Überschreitung des Höchstalters für den Dienst zurückkehren, erhalten in der Regel Amnestie. Es kann jedoch eine Geldstrafe von bis zu 300 US-Dollar verhängt werden (DIS 6.2024).
Wehrpflichtverweigerer und Deserteure
Gemäß Artikel 15 des Gesetzes Nr. 1. über die Selbstverteidigungspflicht wird jeder säumige Soldat, der eingezogen wird, bestraft, indem er einen Monat auf das Ende seiner Dienstzeit angerechnet bekommt (AANES-GC 22.2.2024). Dass die Bestrafung mit einem zusätzlichen Monat auch in der Praxis so gehandhabt wird, bestätigten die von der Danish Immigration Service befragten Quellen. Die Namen der Wehrdienstverweigerer werden veröffentlicht und an Checkpoints weitergegeben. Dort wird nach ihnen gesucht, nicht aber in ihren Wohnhäusern (DIS 6.2024). Diejenigen, die auf frischer Tat beim illegalen Überschreiten der Grenze ertappt werden, werden direkt in das Ausbildungszentrum gebracht, um ihre Pflicht zur Selbstverteidigung zu erfüllen, besagt Artikel 28 im Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigungspflicht (AANES-GC 22.2.2024). Gemäß Quellen des Danish Immigration Service (DIS) werden Wehrdienstverweigerer, wenn sie an Checkpoints aufgegriffen werden, vorübergehend festgenommen und zur Ableistung ihres Dienstes geschickt. Die Familie des Betroffenen wird über seine Festnahme und Einberufung informiert. Den Quellen des DIS waren keine Fälle von Gewalt oder Misshandlung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren bekannt, die an Kontrollpunkten gefasst wurden. Das Leben ist für diejenigen, die sich der Selbstverteidigungspflicht in den Nationalen Sicherheitskräften entziehen, eine Herausforderung, da viele junge Männer Kontrollpunkte meiden und auf Fluchtmöglichkeiten warten. Quellen berichteten von Entflohenen, die sich jahrelang versteckt hielten. In arabisch dominierten Gebieten kann die Flucht länger andauern, da die Behörden vorsichtig vorgehen, um keine Spannungen zu provozieren, indem sie diejenigen suchen und verhaften, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind (DIS 6.2024). Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, schreibt in einer E-Mail an ACCORD vom September 2023, dass alle Wehrdienstverweigerer unter die Bestimmungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht fallen würden und dem Gesetz entsprechend behandelt würden. Die Assayish würden den Wohnort von zum Dienst gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleiben, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft. Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte gibt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2023 an, dass die Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften vom Profil des Wehrpflichtigen und der Region, aus der er stamme, abhingen. Je strenger die kurdische Kontrolle, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Rekruten nicht das Risiko eingehen würden, offen Einwände gegen den Selbstverteidigungsdienst zu zeigen. In al-Hasaka beispielsweise könnten Personen im dienstfähigen Alter verhaftet und zum Dienst gezwungen werden (ACCORD 6.9.2023).
Die SDF definieren einen Deserteur im Selbstverteidigungsgesetz als einen Kämpfer, der nach seinem Eintritt 15 aufeinanderfolgende Tage des Dienstes versäumt hat, während die volle Dienstzeit zwölf Monate beträgt (Enab 22.2.2024). Laut zwei vom DIS befragten Quellen werden Deserteure zwar nicht zusätzlich bestraft, aber es werden Ermittlungen zu ihren Motiven für die Desertion durchgeführt. Deserteure entscheiden sich oft dafür, die Region aus Angst vor möglichen Konsequenzen zu verlassen, obwohl die Einzelheiten dieser Konsequenzen unklar bleiben. Sowohl für Wehrdienstverweigerer als auch für Deserteure werden regelmäßig Amnestien angekündigt, vorausgesetzt, sie melden sich zum Wehrdienst und leisten ihn ab. Die jüngste Amnestie wurde Anfang Mai 2024 erlassen. Junge Menschen kommen ihren Verpflichtungen zur Selbstverteidigung in der Regel umgehend nach, wenn in der DAANES eine stabile Sicherheitslage herrscht, während sie sich bei anhaltenden externen Sicherheitsbedrohungen aktiv um eine Dienstverweigerung bemühen können (DIS 6.2024).
Familienangehörige von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren werden nicht bestraft. Den Quellen des DIS waren keine Fälle bekannt, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren aufgrund der Wehrdienstverweigerung oder Desertion ihrer Verwandten Schikanen oder anderen Verstößen ausgesetzt waren, selbst in Fällen, in denen der Wehrdienstverweigerer an einem Checkpoint festgenommen wurden (DIS 6.2024).
Rückkehr - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Mit dem Sturz al-Assads kehrten Tausende Syrer aus dem Libanon und der Türkei nach Syrien zurück. Für viele war das Assad-Regime das Haupthindernis für die Rückkehr in ihre Heimat. Die Aufnahmeländer haben diese Begeisterung genutzt, um weitere Rückkehrer zu ermutigen (CSIS 11.12.2024). Zehn Tage nach dem Sturz des syrischen Regimes am 8.12.2024 erklärte die Europäische Union (EU), sie schätze, dass zwischen Januar und Juni 2025 etwa eine Million syrische Flüchtlinge in ihr Land zurückkehren würden. Das wurde durch die Direktorin des Büros des UNHCR für den Nahen Osten und Nordafrika bestätigt. Ahmad ash-Shara’, der Befehlshaber der Militäroperationen in Syrien, der später zum Übergangspräsidenten des Landes wurde, betonte bei einem Treffen mit dem UN-Sondergesandten Geir Pedersen, dass eine seiner ersten Prioritäten darin bestehe, zerstörte Häuser wieder aufzubauen und die Vertriebenen in das letzte Zelt zurückzubringen, während er gleichzeitig sehr wichtige wirtschaftliche Entscheidungen treffe (Almodon 13.2.2025). Die Mehrheit ist in die Gouvernements Hama und Aleppo zurückgekehrt. Das bedeutet, dass die Zahl der Menschen, die neu vertrieben wurden, von 1,1 Millionen, wie am 12.12.2024 gemeldet, auf 882.000 Menschen am 15.12.2024 gesunken ist. Von dieser Zahl wurden mindestens 150.000 Menschen mehr als einmal vertrieben. Viele Familien sind in frühere Lager in ihren Herkunftsgebieten zurückgekehrt, weil es in ihren Heimatstädten an grundlegenden Versorgungsleistungen mangelt oder die Infrastruktur beschädigt ist. Einige Familien gaben auch an, dass sie auf die Räumung von Kampfmittelrückständen in ihren Herkunftsgebieten warten, bevor sie zurückkehren (UNOCHA 16.12.2024). UNHCR schätzt, dass von 8.12.2024 bis 2.1.2025 über 115.000 Syrer nach Syrien zurückgekehrt sind, basierend auf öffentlichen Erklärungen von Aufnahmeländern, Kontakten mit Einwanderungsbehörden in Syrien und dem UNHCR sowie der Grenzüberwachung durch Partner (UNHCR 2.1.2025). Insgesamt sind nach Angaben des UNHCR 800.000 vertriebene Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt, darunter 600.000 Binnenvertriebene (Internal Displaced Persons - IDPs) (Stand 31.1.2025) (AlHurra 31.1.2025). Die Zahl der Personen, die in das Gouvernement Aleppo zurückkehren, ist am höchsten, wobei die Rückkehrer die verbesserte Sicherheitslage und die Abschaffung des Wehrdienstes als Hauptgründe für ihre Rückkehr nennen (UNHCR 2.1.2025). Grundsätzlich verzeichnen die UN einen Anstieg an rückkehrwilligen Syrern, die im Nahen Osten leben. Fast 30 % geben an, in ihre Heimat zurückzuwollen. Als großes Hindernis für die Rückkehr sieht UNHCR-Chef Grandi die Sanktionen (Zeit Online 26.1.2025). Die syrischen Behörden gaben an, dass innerhalb von zwei Monaten nach der Befreiung Syriens 100.905 Bürger über die Grenzübergänge der Türkei zurückgekehrt sind. Der Grenzübergang Jdaydat Yabous/ Masna’ zum Libanon fertigte in zwei Monaten 627.287 Reisende ab, darunter 339.018 syrische Staatsbürger und arabische und ausländische Gäste, und 288.269 Ausreisende. Im gleichen Zeitraum wurden am Grenzübergang Nassib/ al-Jaber zu Jordanien 174.241 Passagiere syrischer Staatsbürger und arabischer und ausländischer Gäste abgefertigt, davon 109.837 bei der Einreise und 64.404 bei der Ausreise. Am Grenzübergang al-Bu Kamal/ al-Qa’im wurden 5.460 syrische Staatsbürger abgefertigt, die im Irak leben und zurückkehren, um sich dauerhaft in Syrien niederzulassen (Nashra 11.2.2025). Bei den Angaben zu Rückkehrern sind die zuständigen Behörden und Forschungszentren nicht in der Lage festzustellen, ob diese Menschen lediglich zurückgekehrt sind, um ihre Familien zu besuchen und zu treffen, oder ob sie freiwillig und dauerhaft zurückgekehrt sind (Almodon 13.2.2025).
[…]
Bewegungsfreiheit - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Die Interimsregierung installiert Checkpoints, an denen Autos durchsucht werden. Es wird überprüft, wer unterwegs ist, beispielsweise um Menschen zu verhaften, die für Verbrechen gegen das syrische Volk in der Zeit des Regimes verantwortlich sind (PBS 16.12.2024). Die Kontaminierung durch explosive Kampfmittel stellt nach wie vor eine große Bedrohung für Zivilisten, die sich zwischen ehemaligen Kontrollgebieten bewegen, dar (UNOCHA 23.12.2024).
Laut Aussage des syrischen Verkehrsministers bei einem Interview mit der kurdischen Zeitung Rudaw haben die neuen syrischen Machthaber vom ersten Tag der Befreiung an damit begonnen, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, insbesondere durch die Sicherstellung der Grundversorgung, z. B. mit Brot und Treibstoff, zusätzlich zur Sicherung des Transportsektors, damit sich die Menschen zwischen den Provinzen bewegen können. Sie haben damit begonnen, Treibstoff für Fahrzeuge zu sichern, damit sie in Abstimmung mit dem Ölministerium eingesetzt werden können, und Fahrten zwischen Damaskus und den restlichen Provinzen, zwischen Idlib und den restlichen Provinzen und zwischen Aleppo und restlichen Provinzen zu organisieren, zusätzlich zum internen Transport innerhalb jeder Provinz. Sie haben mit der Umsetzung eines Plans zur Festlegung spezifischer Preise, die für Fahrzeugbesitzer und für Menschen mit sehr begrenztem Einkommen angemessen sind, begonnen. Etwa 70 bis 80 % der Preis- bzw. Transporttarifstruktur wurden fertiggestellt und umgesetzt. Was die Versorgung der Öffentlichkeit betrifft, so wurden etwa 50 bis 60 % der Strecken, ob intern oder extern, gesichert (Rudaw 1.2.2025).
EUAA Juli 2025
1.3. Sicherheitsbehörden
Sicherheitsoperationen werden sowohl vom Innenministerium (MoI) als auch vom Verteidigungsministerium (MoD) geleitet; ersteres arbeitet unter einem stärker zentralisierten und strukturierten Kommando, während letzteres weiterhin versucht, die verschiedenen bewaffneten Fraktionen unter seiner Kontrolle zu vereinheitlichen. Die MoI-Einheiten – einschließlich Polizei und Allgemeiner Sicherheitsdienst (GSS) – bestehen auf Führungsebene überwiegend aus ehemaligen HTS-Mitgliedern sowie Personal der in Idlib ansässigen Syrian Salvation Government (SSG). Lokale Einheiten unterstehen Regionaldirektoren (mudir mantiqa) und anderen Sicherheitsverantwortlichen auf Regional- und Gouvernementsebene. Nach der Machtübernahme reorganisierte die Übergangsregierung ihre angeschlossenen bewaffneten Gruppen um einen Kern ehemaliger HTS-Kräfte und schuf einen neuen Sicherheitsapparat namens GSS.⁶⁵ Der GSS war zuvor die Hauptpolizeitruppe von HTS in Nordwest-Syrien und wurde nach dem Sturz Assads zur Gendarmerie der Übergangsregierung. Diese Truppe erhielt den Auftrag zum landesweiten Einsatz in von der Regierung kontrollierten Gebieten, wobei bestehende Kämpfer mit neu rekrutiertem Personal zusammengeführt wurden.
Das Innenministerium (MoI) hat seinen Verwaltungsapparat in erster Linie nach geografischen Gesichtspunkten gegliedert. Regionaldirektoren koordinieren sich direkt mit den örtlichen Polizeistationen und fungieren als Mittler zwischen Zivilbevölkerung, zivilen Verwaltungsstrukturen und lokalen Sicherheitskräften. Trotz begrenzter Ressourcen und Personalengpässen ist das MoI laut dem Syrien-Analysten Gregory Waters vergleichsweise schlagkräftig und verfügt über eine weiterentwickelte Bürokratie als das Verteidigungsministerium (MoD). Die frühere Erfahrung der meisten Regionaldirektoren in der Idlib-Verwaltung hat dazu geführt, dass die MoI-Kräfte eine stärkere Befehlsstruktur besitzen und insgesamt ein höheres Maß an Professionalität zeigen als die Militärkräfte des Landes.
Das Verteidigungsministerium (MoD) ist damit betraut, sowohl konventionelle Militäroperationen zu überwachen als auch das zunehmend komplexe Netz von Kontrollpunkten im ganzen Land zu managen. Diese Kontrollpunkte gelten Berichten zufolge als zentrale Reibungsquelle zwischen MoD- und MoI-Kräften, da sie als halbautonome Sicherheitsposten in Gebieten agieren, die offiziell der Zuständigkeit der Regionaldirektoren des MoI unterstehen. Dadurch wird deren Autorität untergraben und die Koordinierung vor Ort erschwert. Die dem MoD angehörenden Militäreinheiten besitzen zudem eine kompliziertere Befehlskette und differierende Grade der Anbindung an das Ministerium.
Anfang Juni erklärten syrische Militärvertreter, das Verteidigungsministerium habe 100 000 der geplanten 200 000 Freiwilligen für die neue Syrische Armee rekrutiert. Diese neue Armee besteht Berichten zufolge vor allem aus Mitgliedern von HTS und anderen verbündeten bewaffneten Gruppen, nicht aus Wehrpflichtigen ohne militärische Erfahrung. Vorgesehen sind 20 Divisionen zu je 10 000 Soldaten, die wiederum in Brigaden gegliedert werden. Ein Vertreter des syrischen Verteidigungsministeriums sagte, die meisten Brigaden befänden sich derzeit noch im „Skelettstadium“. Die Soldgehälter sollen zwischen 150 und 500 US-Dollar liegen und teilweise aus Vermögenswerten bezahlt werden, die der Assad-Regierung entzogen wurden.
2.1. Personen, die als Unterstützer der früheren Regierung gelten
2.1.1. Ins Visier genommen von der Übergangsregierung
(a) Ehemalige Soldaten und Sicherheitskräfte
Nach der Machtübernahme ordnete die Übergangsregierung an, dass Tausende von Polizisten, Sicherheitsbeamten und Soldaten einen „Versöhnungsprozess“ durchlaufen mussten, in dessen Rahmen sie ihre Ausweise, Waffen und Fahrzeuge abgeben und sich einer Untersuchung unterziehen mussten. (170) Injeder Provinz wurden Zentren eingerichtet, um das sich stellende Personal des Regimes aufzunehmen. Diejenigen, die sich selbst und ihre Waffen abgaben, erhielten eine „Sicherheitsbescheinigung“ und wurden vor Strafverfolgung geschützt. 171Sie durften in das zivile Leben zurückkehren, sofern sie sich während des Bürgerkriegs nicht an Massakern oder Kriegsverbrechen beteiligt hatten. (172) Inden ersten Wochen nach dem Sturz der Assad-Regierung sollen zwischen 50 000 und 70 000 ehemalige Soldaten und Wehrpflichtige de r SAA ihre Waffen abgegeben haben und demobilisiert worden sein, wobei sie von der von der neuen Regierung verkündeten Generalamnestie profitierten.
In den Küstengebieten von Tartus und Latakia sollen sich riesige Waffenvorräte befinden, die den mit der Assad-Regierung verbundenen Kräften gehören. Während viele Personen ihre Waffen abgaben und in dafür vorgesehenen Zentren einen Versöhnungsprozess durchliefen, weigerten sich andere unter Verweis auf die instabile Sicherheitslage und die anhaltende Notwendigkeit der Selbstverteidigung, ihre Waffen abzugeben.174 Anfang Februar 2025 schätzte eine lokale Quelle, die für einen Bericht des Middle East Institute (MEI) befragt wurde, dass zwischen 4 000 und 5 000 Männer in Latakia und Tartus sich dem Vergleichsprozess/der Versöhnung entzogen hatten, wobei einige bei Sicherheitsoperationen gefasst wurden, während andere Berichten zufolge an bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung beteiligt waren.175 Vermutlich in dem Bewusstsein, dass ihre früheren Verbrechen sie von einer Amnestie ausschließen würden, mieden hochrangige Vertreter des ehemaligen Assad-Regimes, darunter führende Militärs und Geheimdienstmitarbeiter, die Siedlungszentren und begannen stattdessen,,176 Aufständischen-Netzwerke zu organisieren insbesondere in den Küstengebieten.
Viele Hochrangige Regierungsbeamte, insbesondere Brigadegeneräle und höherrangige Offiziere, sind Berichten zufolge ins Ausland geflohen oder untergetaucht, um einer möglichen Strafverfolgung zu entgehen. 178Hilfsmilizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (NDF) und die Lokalen Verteidigungskräfte lösten sich ohne koordinierte Kapitulation auf. Viele Kämpfer tauchten unter, ohne ihre Waffen abzugeben. 179 Im Vorfeld der Angriffe von Assad-Loyalisten, die im März die Gewalt in den Küstengebieten auslösten, waren Berichten zufolge mit dem Iran verbundene Überreste des Assad-Regimes seit Mitte Januar für 46 Angriffe auf Sicherheitskräfte in mehreren Provinzen verantwortlich. 180 Laut einem Bericht des Harmoon Center for Contemporary Studies führte die Auflösung ehemaliger Militär- und Sicherheitsinstitutionen zu Hunderttausenden von Arbeitslosen. Dies führte in Verbindung mit den Zwangsumsiedlungsmaßnahmen für Angehörige der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste zu Ressentiments und Unruhen. (181) Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung starteten Operationen, um die „Überreste” des Assad-Regimes zu verfolgen. Einem Bericht des Harmoon Center for Contemporary Studies zufolge wurde jedoch keine Liste mit Verdächtigen veröffentlicht, keine Übergangsbehörde beaufsichtigte diese Bemühungen, es wurden keine offiziellen Verfahren für Anklagen oder Verhaftungen festgelegt und es wurden keine Gerichte für die Bearbeitung von Rechtsfällen benannt. Infolgedessen agierten bewaffnete Gruppen ungehindert und begingen häufig Verstöße, darunter auch außergerichtliche Tötungen. Der Quelle zufolge schuf das Klima der Gesetzlosigkeit und Angst einen fruchtbaren Boden für Offiziere aus der Assad-Ära, um Rekruten zu sammeln und destabilisierende Operationen im ganzen Land zu initiieren. (182) Laut einem Bericht der International Crisis Group vom März verhinderte oder bestrafte die Übergangsregierung weitgehend Vergeltungsmaßnahmen gegen Personen, die mit der Assad-Regierung in Verbindung standen. (183) Trotz Amnestieversprechen gab es Berichte, dass Tausende Soldaten, darunter hochrangige Offiziere, inhaftiert wurden.184 Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) wurden mehr als 8 000 Personen, darunter ehemalige Soldaten und Offiziere der SAA, die sich ergeben hatten, Soldaten, die nach dem Versuch, aus Syrien zu fliehen, aus dem Irak zurückgekehrt waren, Soldaten, die in der syrischen Wüste und in der Umgebung von Deir Ez-Zor gegen den ISIL gekämpft hatten, sowie Zivilisten, die bei Razzien oder an Kontrollpunkten festgenommen worden waren,185ohne Anklage inhaftiertin Gefängnissen in Hama, Adra und Harem festgehalten. SOHR berichtete auch, dass einige hochrangige Militärangehörige ohne offizielle Bestätigung durch die Behörden stillschweigend in das Gefängnis von Afrin verlegt worden seien. (186) Zwischen März und Mai führten Sicherheitskräfte des Innenministeriums weiterhin Razzien und Verhaftungskampagnen gegen Personen durch, denen Verstöße während der Herrschaft des Assad-Regimes vorgeworfen wurden, darunter Militärangehörige und Personen, die angeblich an den Unruhen im März beteiligt waren.
Angriffe gegen Regierungstruppen. Die Festnahmen wurden insbesondere in den Provinzen Latakia, Homs, Hama und Damaskus verzeichnet. Bei den Operationen wurden erhebliche Mengen an Waffen und Munition beschlagnahmt, die Festgenommenen wurden in Zentralgefängnisse in Homs, Hama und Adra (Provinz Damaskus-Land) gebracht. Nach Angaben des SNHR wurden diese Kampagnen zwar als Sicherheitsoperationen dargestellt, es bleibt jedoch unbestätigt, ob sie auf der Grundlage rechtmäßiger richterlicher Haftbefehle durchgeführt wurden.187 Nach Angaben der GPC haben willkürliche Festnahmen durch die Übergangsbehörden, darunter ehemalige Regierungsbeamte Assads, Geheimdienstmitarbeiter und Milizenführer, Besorgnis über Isolationshaft und das Fehlen rechtlicher Garantien ausgelöst. 188 SJAC erklärte, dass die von der Übergangsregierung Festgenommenen ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten werden und keinen Zugang zu Anwälten oder Familienbesuchen haben. Da die Justiz derzeit nicht funktioniert, werden sie weder offiziell angeklagt noch vor Gericht gestellt. Die SJAC hat vereinzelte Berichte über Folter und Misshandlung von Häftlingen aus strafrechtlichen oder sicherheitsbezogenen Gründen erhalten, darunter auch Vorfälle im Gefängnis von Adra. Im Februar wurden Fälle von Personen gemeldet, die in Homs unter Folter starben. Die GSS übernahm die Verantwortung für einige der Todesfälle und versprach, Ermittlungen einzuleiten. (189) Die Behörden ließen außerdem Hunderte von Personen, darunter ehemalige Militärangehörige (190),aus verschiedenen Haftanstalten frei, nachdem festgestellt worden war, dass sie nicht an Straftaten beteiligt waren (191). Laut den Syrien-Experten Gregory Waters und Kayla Koontz zeichnen sich in der Vorgehensweise der Übergangsregierung bei der Verfolgung von Mitgliedern des ehemaligen Regimes, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, zwei unterschiedliche Muster ab: Personen, die hohe Ämter innehatten oder an besonders grausamen Verbrechen beteiligt waren, werden bei ihrer Festnahme oft öffentlich namentlich genannt und bleiben in der Regel in Haft, mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen, wie beispielsweise im Fall von Fadi Saqr (ehemaliger Anführer der Nationalen Verteidigungskräfte). Im Gegensatz dazu bleiben viele niedrigrangige Beamte und ehemalige Informanten auf freiem Fuß. Trotz häufiger Meldungen von Einheimischen an die Sicherheitskräfte werden diese Personen oft nur kurz inhaftiert und dann wieder freigelassen. (192) SJAC beobachtete, dass Personen mit einem höheren Bekanntheitsgrad eher ins Visier genommen werden, während Personen mit einem geringeren Bekanntheitsgrad leichter der Aufmerksamkeit entgehen können. Laut SJAC gibt es keine einheitliche Vorgehensweise bei der Behandlung von Inhaftierten. Es ist jedoch zu erwarten, dass höherrangige Personen eine relativ bessere Behandlung erfahren, entweder um Informationen zu erhalten oder um sie später vor Gericht als angemessen behandelt präsentieren zu können. Im Gegensatz dazu sind rangniedere Personen Berichten zufolge stärker von Misshandlungen bedroht; einige erscheinen in Videos mit sichtbaren Spuren körperlicher Gewalt.
Im Berichtszeitraum dokumentierten Quellen die Festnahme hochrangiger Militär- und Geheimdienstoffiziere des Assad-Regimes, darunter Brigadengeneral Bashar Mahfouz, Kommandeur der 25. Division, wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen; Generalmajor Mohammad Kanjo Al-Hassan, ehemaliger Leiter der Militärjustizverwaltung, wegen seiner Rolle bei Massenmorden im Gefängnis von Sednaya (195); sowie Brigadengeneral Salem Dagestani, früherer Leiter der Ermittlungsabteilung der Luftwaffengeheimdienstdirektion (196).
(b) Weitere Berufsgruppen
Quellen berichteten von vereinzelten Festnahmen anderer Berufsgruppen durch Kräfte der Übergangsregierung. Das SNHR dokumentierte beispielsweise Festnahmen von verdächtigten Regierungsangestellten (197), Ärzten in Militärkrankenhäusern der Sicherheitsdienste (198) und Medienmitarbeitenden, die zuvor für staatliche Sender des Assad-Regimes gearbeitet hatten (199).
Gelegentlich wurden auch ehemalige Baʿath-Parteimitglieder festgenommen, darunter ein früherer Provinzsekretär (200). Weitere bekannte Fälle betrafen ein ehemaliges Parlamentsmitglied mit pro-Assad-Position (201) sowie den früheren Großmufti Ahmad Hassoun, der die Kriegstaktiken des Regimes unterstützt haben soll und verdächtigt wird, Hinrichtungsbefehle für Tausende Regimegegner unterzeichnet zu haben (202).
Laut Enab Baladi geben die Behörden nahezu täglich Festnahmen von Personen mit Verbindungen zum Assad-Regime bekannt – vor allem Militärangehörige und Ärzte, denen Verbrechen gegen Syrer vorgeworfen werden. Abgesehen von der Festnahme des Muftis Hassoun seien jedoch keine Schritte gegen Personen erfolgt, die das Assad-Narrativ öffentlich gestützt haben (203).
Nach Angaben des SJAC führt die bloße Baʿath-Mitgliedschaft nicht automatisch zu Verfolgung, da die Parteimitgliedschaft für die Mehrheit obligatorisch war. Prominente ehemalige Zivilfunktionäre können gezielt festgenommen werden, um den Willen zur Gerechtigkeit zu demonstrieren, während weniger bekannte Personen meist nur bei konkretem Tatverdacht oder Geheimdienstverbindungen inhaftiert werden (204).
Ebenfalls laut SJAC wurde – abgesehen vom früheren Innenminister – kein weiteres Mitglied der Assad-Regierung festgenommen. Einige Ex-Funktionäre bleiben in Syrien medial präsent, andere sind geflohen oder untergetaucht, etwa der frühere Verteidigungsminister (205).
2.3. Personen, die nichtstaatlichen bewaffneten Akteuren ablehnend gegenüberstehen oder als solche wahrgenommen werden
(a) Personen, die sich der SDF widersetzen oder als Gegner der SDF wahrgenommen werden
Zwischen März 2025 und Mai 2025 berichtete das SNHR, dass die SDF unter dem Vorwand der Bekämpfung von ISIL-Zellen massenhafte Razzien und Festnahmen gegen Zivilpersonen durchführte. Wie vom SNHR vermerkt, wurden Zivilpersonen wegen Kritik an „SDF-Praktiken“ in den von ihr kontrollierten Gebieten festgenommen234, und im März und April 2025 auch, weil sie Unterstützung für die neue Regierung bekundeten.235 Im März 2025, insbesondere in den Gouvernements Hasaka und Raqqa, wurden Zivilpersonen Berichten zufolge festgenommen und/oder inhaftiert, weil sie bei öffentlichen Feiern nach dem Abkommen vom 10. März über die Eingliederung der SDF in syrische Staatsinstitutionen SDF-Banner und -Flaggen durch die Flagge des syrischen Aufstands ersetzten.236 In ähnlicher Weise berichtete Syria Direct unter Berufung auf eine gemeinsame Erklärung von Aktivisten in Nordostsyrien, dass die SDF im März 2025 Unterstützer der Übergangsregierung und Teilnehmer an Gedenkveranstaltungen zur Revolution von 2011 festnahm.237 Wie vom SNHR festgehalten, nahm die SDF im selben Monat Zivilpersonen sowie Angehörige der SNA fest und/oder hielt sie fest, die nach vorangegangener Vertreibung in ihre Häuser in SDF-kontrollierten Gebieten zurückgekehrt waren.238 Zudem verwüsteten SDF-Kräfte am 16. März 2025 Berichten zufolge bei einer Sicherheitsoperation im Dorf Sayid Hammoud im Umland von Hasaka ein Haus, das angeblich einem ehemaligen Oppositionskämpfer gehörte.239
Im Mai 2025 nahm die SDF Zivilpersonen willkürlich „in Dutzenden von Dörfern“ in den Gouvernements Deir ez-Zor und Raqqa sowie in mehreren Stadtvierteln der Stadt Raqqa fest.240 Während das SNHR anmerkte, dass diese Festnahmen mit Äußerungen von Kritik an der SDF in Verbindung stünden, berichtete das Medienportal New Arab, dass sich SDF-Festnahmen im Gouvernement Raqqa, bei denen mindestens 20 Personen aus den Vierteln Al-Mashlab, Al-Sabahia, Al-Khatuniya, Ya’rub und Al-Mansoura festgesetzt wurden, gegen „mutmaßliche Unterstützer des Assad-Regimes, gegen der SDF gegenüber ablehnend eingestellte Personen und gegen Überläufer“ richteten.241 Ebenfalls im Mai 2025 soll die SDF Angehörige von Überläufern aus ihren Reihen festgenommen haben, um diese zur Aufgabe zu bewegen. Bei einigen von der SDF durchgeführten Razzien sollen ihre Mitglieder Frauen körperlich angegriffen und persönliche Gegenstände von den Familien der Festgenommenen beschlagnahmt haben, darunter Geld, Goldschmuck und Mobiltelefone.242
Zu den Statistiken über willkürliche Festnahmen und/oder Inhaftierungen von Zivilpersonen durch die SDF dokumentierte das SNHR 93 Fälle willkürlicher Festnahmen und/oder Inhaftierungen, darunter sieben Kinder, im März 2025,243 sowie 53 Festnahmen und/oder Inhaftierungen, darunter neun Kinder und eine Frau, im April 2025.244 Im Mai 2025 erfasste das SNHR 64 Festnahmen durch die SDF, darunter vier Kinder und zwei Frauen.245 Insgesamt wurden in diesen drei Monaten 29 Personen freigelassen, nachdem sie zwischen einigen Tagen und einem Monat inhaftiert waren.246 Die meisten der Freigelassenen stammten ursprünglich aus den Gouvernements Deir ez-Zor, Raqqa247 und Aleppo.248
Quellen berichteten von Fällen von Gewalt gegen Medienvertreter durch die SDF, einschließlich, aber nicht notwendigerweise beschränkt auf die folgenden Fälle: Am 5. Januar 2025 zielte den Berichten lokaler Medien zufolge eine SDF-Drohne auf einen Reporter, der die Kämpfe zwischen der SDF und der von der Türkei unterstützten SNA bei Manbidsch im ländlichen Umland von Aleppo begleitete; der Journalist wurde verletzt. Ende desselben Monats nahm die SDF nach einer Razzia in seinem Haus in Schafa im ländlichen Deir ez-Zor einen Medienaktivisten aus nicht näher genannten Gründen fest. Am 22. April 2025 wurde ein Reporter des Nachrichtensenders Al-Arabiya in Qamischli im ländlichen Hasaka wegen eines Facebook-Beitrags über Korruptionsfälle und die Festnahme von SDF-Sicherheitsbeamten wegen des Verdachts des Drogenhandels in Raqqa festgenommen.
5.1.1. Syrische Demokratische Kräfte
Nach der Vereinbarung zwischen der Regierung und den SDF vom 10. März wurden mehrere Deeskalations- und Reintegrationsmaßnahmen ergriffen, darunter der Rückzug der SDF aus den kurdischen Stadtvierteln Sheikh Maksoud und Ashrafieh in Aleppo Anfang April und die teilweise Übergabe des Tishreen-Staudamms an die Regierungstruppen.739 Ende April berichtete Etana Syria, dass die erste Umsetzung der Vereinbarung zwischen den SDF und der Regierung über den Tishreen-Damm erste Fortschritte gebracht habe, darunter gemeinsame Patrouillen und die erklärte Verpflichtung der SDF, sich aus den Frontgebieten zurückzuziehen.
[…]
5.8. Sicherheitslage und Auswirkungen des Konflikts auf die Zivilbevölkerung nach Provinzen
5.8.1. Provinz Aleppo
(a) Verwaltungsgliederung und Bevölkerungsschätzungen
Die Provinz Aleppo ist in acht Verwaltungsbezirke unterteilt, nämlich Afrin (oder Efrin), Ain Al-Arab (oder Kobane), Al-Bab, As-Safira, A’zaz (oder Azaz), Jarabulus, Jebel Saman (Bezirk Mount Simeon) und Menbij (oder Manbij), die wiederum in insgesamt 40 Unterbezirke unterteilt sind. Die Hauptstadt ist die Stadt Aleppo. Im März 2025 schätzte die IOM die Bevölkerung der Provinz bei 5 184 674, einschließlich Einwohner, Binnenvertriebene und Rückkehrer aus dem Ausland und die WHO schätzte sie auf 4 754 560.
(b) Territoriale Kontrolle und wichtigste bewaffnete Akteure
Ende Mai 2025 wurde der südwestliche Teil der Provinz Aleppo, der an die Provinz Idlib grenzt, vom ISW und CTP als unter der Kontrolle der Übergangsverwaltung stehend kartiert. Allerdings gab es westlich der Stadt Aleppo einen kleinen Bereich, in dem pro-Assad-Kräfte weiterhin präsent waren. In den Städten Afrin, A’zaz, Al-Bab und Menbij sowie um den Tishreen-Damm herum war die Übergangsverwaltung Berichten zufolge präsent. Der nordwestliche und nördliche Teil der Provinz an der Grenze zur Türkei wurde als unter der Kontrolle der von der Türkei unterstützten SNA, kartiert die zusammen mit anderen bewaffneten Gruppierungen formell unter die Kontrolle des Verteidigungsministeriums gestellt wurde. Im März 2025 erklärte die Übergangsregierung, dass die bewaffneten Gruppen des Landes, einschließlich der SNA, in die syrische Armee integriert worden seien. In der Praxis schien die SNA jedoch nicht vollständig unter dem Kommando und der Kontrolle des neuen syrischen Verteidigungsministeriums zu stehen und auch nicht aufgelöst worden zu sein.
Der nordöstliche und östliche Teil der Provinz Aleppo wurden als weitgehend unter der Kontrolle der SDF kartiert, obwohl einige östliche Gebiete um die Wasseraufbereitungsanlage Khafsah und westlich des Luftwaffenstützpunkts Jirah als umkämpft zwischen der SNA und der SDF markiert wurden. Nach Angaben des ISW und des CTP handelte es sich dabei um Gebiete, in denen sowohl die SDF als auch die SNA offensive und defensive Manöver durchführten, ohne dass eine der beiden Gruppen die vollständige Kontrolle über die Gebiete erlangte. 870 Ein Gebiet im südöstlichen Teil der Provinz wurde als „verlorenes Gebiet des Regimes“ kartiert. Im März 2025 berichtete die GPC, dass die Übergangsregierung und SNA-Gruppen den größten Teil Nordsyriens, einschließlich der Provinz Aleppo, kontrollierten, während die SDF Teile des Nordostens des Landes behielten.
Nach der Unterzeichnung des Abkommens zwischen der SDF und der Übergangsregierung am 10. März 2025 berichteten ISW und CTP, dass kurdische Kräfte ihre militärische Präsenz in Aleppo-Stadt verringerten. Anfang April 2025 wurde eine vorläufige Vereinbarung zwischen der Übergangsregierung und den SDF getroffen, die es den Streitkräften der Übergangsregierung ermöglichte, in die SDF-Gebiete der Stadt Aleppo vorzurücken und gemeinsam mit den kurdischen Streitkräften zu operieren. In einem Artikel von Rudaw von Anfang April 2025 wurde berichtet, dass beide Seiten vereinbart hatten, dass die Asayish, die mit der SDF verbundenen inneren Sicherheitskräfte, in den überwiegend kurdischen Stadtvierteln Ashrafiyeh und Sheikh Maqsood876 in Aleppo präsent bleiben sollten. The New Arab berichtete Mitte April, dass die SDF-Kräfte sich aus den beiden Stadtvierteln zurückziehen und in den Nordosten Syriens vorrücken sollten und einzelnen Berichten zufolge wurden ehemalige Asayish-Mitglieder in der lokalen Polizeikräfte integriert.
Anfang April 2025 berichtete die Agence France-Presse (AFP), dass laut einem Vertreter des syrischen Verteidigungsministeriums pro-türkische syrische Gruppen nach dem Abkommen vom März 2025 ihre Präsenz im Bezirk Afrin reduziert hätten. Es wurde auch berichtet, dass bis Anfang April 2025 allgemeine Sicherheitskräfte in der Stadt Afrin stationiert worden seien.
Darüber hinaus wurde im Berichtszeitraum über Luftaktivitäten türkischer Streitkräfte berichtet, unter anderem im Gebiet des Tishreen-Staudamms im Bezirk Menbij883 und in der Nähe der Qara-Qozak-Brücke in der Nähe der Stadt Ain Al-Arab.
Zu den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen in der Provinz, deren Aktivitäten oder Präsenz im Berichtszeitraum gemeldet wurden, gehören der ISIL 885 und Saraya Ansar Al-Sunnah,eine sunnitische Sekte, die Anschläge auf Alawiten verübt hat und sich ideologisch dem ISIL verbunden gezeigt hat. Darüber hinaus wurde im Berichtszeitraum die Bildung einer neuen „Sonderkommission zur Rechenschaftspflicht“ in der Provinz Aleppo gemeldet, die sich aus bewaffneten Männern ehemaliger Oppositionsgruppen zusammensetzt, die die Überreste der Assad-Regierung verfolgen wollen.
(c) Sicherheitstrends
Die International Crisis Group berichtete im März 2025, dass die Kräfte der Übergangsregierung ihre Präsenz in mehreren Teilen Syriens rasch ausbauen konnten, insbesondere in zentralen Städten wie Aleppo, wo es ihnen gelang, das Vertrauen wiederherzustellen und die Ruhe zu wahren.
Unbekannte bewaffnete Männer erschossen im Berichtszeitraum Zivilisten in der Provinz. Im März und April 2025 berichtete das Harmoon Center for Contemporary Studies von einer Zunahme gezielter Morde mit einem starken Anstieg Mitte April.894 Es wurde auch über Entführungen, Razzien, Verhaftungen und Sicherheitsoperationen gegen illegale Drogenhändler in Azaz und Bab berichtet, ebenso wie über bewaffnete Zusammenstöße. Das Harmoon Center berichtete außerdem über eine Zunahme der Kriminalität und die Verfolgung von Resten der Assad-Regierung in der Provinz im April.
Anfang März gingen die Zahl der türkischen Luftangriffe rund um den Tishreen-Damm und die Qara-Qozak- Brücke sowie die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den SDF und den von der Türkei unterstützten Kräften nach der Ankündigung der Waffenruhe durch die PKK am 1. März zurück. In der zweiten Märzwoche wurde jedoch eine Eskalation der türkischen Luftangriffe auf SDF-Stellungen im Osten Aleppos gemeldet, die zu „einigen der höchsten täglichen Todesopferzahlen seit Wochen“ führten. Bis Mitte März 2025 hatte die Türkei seit Dezember 2024 fast täglich Luftangriffe auf SDF-Stellungen in mehreren syrischen Provinzen, darunter Aleppo, durchgeführt.900 Darüber hinaus wurde über Zusammenstöße zwischen den SDF und den von der Türkei unterstützten SNA-Kräften in der Nähe des Tishreen-Staudamms im Bezirk Menbij und in der Nähe der Qara Qozaq-Brücke südlich der Stadt Ain Al-Arab berichtet,901 zwei Orte, über die die SNA die Kontrolle erlangen wollte. Die Zusammenstöße zwischen der SDF und der SNA um den Tishreen-Damm dauerten Anfang April 2025 bereits seit Monaten an. Nach Angaben von ACLED gingen die Zusammenstöße zwischen der SNA und den SDF deutlich zurück, nachdem das Abkommen vom 10. März von der Übergangsregierung und den SDF unterzeichnet worden war (siehe Abschnitt 5.1.1); zugleich kam es zu weniger türkischen Luftangriffen auf SDF-Gebiete.
Nach dem oben genannten Abkommen im März 2025 setzten die türkischen Luftangriffe sich fort, darunter ein Angriff auf Ain al-Arab im März, bei dem eine Familie von elf Personen getötet wurde. Kurz darauf stellten die Türkei und die ihr angeschlossenen Kräfte jedoch die Angriffe auf Stellungen der SDF weitgehend ein. Ende März berichtete Etana Syria, dass es zwar „Anzeichen vorsichtiger Unterstützung“ der Türkei für das Abkommen gebe, die Beschießung von SDF-Positionen im Osten Aleppos durch türkeigestützte Kräfte jedoch weiterging, auch im Bereich des Tishreen-Staudamms. Türkische Luftangriffe auf SDF-Ziele⁹⁰⁶ und Vergeltungsangriffe der SDF auf Stellungen der SNA nahe dem Damm und der Qara-Qozaq-Brücke dauerten ebenfalls an. Vereinbarungen zwischen der SDF und der Übergangsregierung, darunter ein am 12. April unterzeichneter Waffenstillstand, zielen darauf ab, im Gebiet des Tishreen-Staudamms eine entmilitarisierte bzw. Pufferzone zu schaffen. Laut UNOCHA führten die Abkommen in Teilen des Gouvernements zu einer verbesserten Sicherheitslage, mit weniger Angriffen auf Zivilpersonen und zivile Infrastruktur. Bis Ende April hatten sich die Beziehungen zwischen den Parteien jedoch „rasch verschlechtert“, da die SDF ihre Zusagen zum Truppenabzug zurückgenommen und neue Bedingungen gestellt hatte. Unter Berufung auf Social-Media-Quellen erklärten ISW und CTP, dass weder die Türkei, noch die SNA noch die Übergangsregierung seit Anfang April die SDF in der Nähe des Tishreen-Staudamms angegriffen hätten.
SNHR berichtete über Fälle von Entführungen Minderjähriger durch die SDF-nahe Revolutionäre Jugend (Al-Shabiba Al-Thawriya) in der Provinz Aleppo im Berichtszeitraum.
Quellen berichteten von sporadischen Angriffen der Gruppe Saraya Ansar al-Sunnah zwischen März und April
2025 in der Provinz Aleppo.
(d) Sicherheitsvorfälle
Zwischen dem 9. Dezember 2024 und dem 31. Mai 2025 verzeichnete ACLED 1 048 Sicherheitsvorfälle in der Provinz Aleppo, die höchste Zahl aller Provinzen (siehe Abbildung 9). Für den Zeitraum zwischen dem 1. März 2025 und dem 31. Mai 2025 verzeichnete ACLED 261 Sicherheitsvorfälle (definiert als Kämpfe, Explosionen/Fernwaffenangriffe und Gewalt gegen Zivilisten) in der Provinz Aleppo. Davon wurden 129 als Explosionen/Fernangriffe, 80 als Gewalttaten gegen Zivilisten und 52 als Kämpfe kodiert. Die meisten Vorfälle ereigneten sich im März (145 Vorfälle).

Abbildung 9: Entwicklung der als „Kämpfe“, „Explosionen/Ferngewalt“ und „Gewalt gegen Zivilisten“ kodierten Sicherheitsvorfälle in der Provinz Aleppo zwischen dem 9. Dezember 2024 und dem 31. Mai 2025, basierend auf ACLED-Daten.
Während des Berichtszeitraums wurden von ACLED in allen acht Bezirken der Provinz Sicherheitsvorfälle registriert, wobei die höchste Zahl im Bezirk Ain Al-Arab (101 Vorfälle) verzeichnet wurde, gefolgt von Jebel Saman (54 Vorfälle) und Menbij (35 Vorfälle). Im Vergleich dazu wurden die wenigsten Vorfälle im Bezirk As- Safira (7 Vorfälle) registriert. Nach ACLED-Daten waren unbekannte bewaffnete Gruppen an rund 40 % aller registrierten Sicherheitsvorfälle (codiert als „Akteur 1“ oder „Akteur 2“) im Berichtszeitraum beteiligt, insbesondere an Vorfällen, die als Gewalt gegen Zivilisten, bei denen Zivilisten erschossen wurden, und als Explosionen/Ferngewalt durch Landminen und IEDs codiert wurden. Die türkischen Streitkräfte waren an rund 28 % aller Sicherheitsvorfälle beteiligt, insbesondere an Vorfällen, die als Explosionen/Ferngewalt kodiert wurden. Die SDF waren an rund 24 % aller Sicherheitsvorfälle beteiligt, hauptsächlich an Vorfällen, die als Kämpfe (an denen häufig auch syrische Streitkräfte beteiligt waren) und als Explosionen/Ferngewalt kodiert wurden, während syrische Streitkräfte an 20 % aller Sicherheitsvorfälle beteiligt waren, hauptsächlich an Vorfällen, die als Kämpfe kodiert wurden, und syrische Polizeikräfte an 5 % aller Sicherheitsvorfälle. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) war für 3 % aller Sicherheitsvorfälle verantwortlich (8 Vorfälle), die sämtlich als Gewalt gegen Zivilpersonen eingestuft wurden und Fälle von Entführungen Minderjähriger darstellten.
(e) Zivile Opfer
Im März 2025 verzeichnete die SNHR 29 zivile Todesopfer in der Provinz Aleppo, was etwa 2 % der Gesamtzahl (1 562) in allen Provinzen entspricht. Im April 2025 verzeichnete die SNHR 21 zivile Todesfälle, und im Mai 2025 wurden in der Provinz 25 zivile Todesfälle registriert. Für den Zeitraum zwischen März und Mai 2025 verzeichnete UCDP 94 zivile Todesfälle in der Provinz Aleppo.

Abbildung 10: Zivile Todesopfer in der Provinz Aleppo zwischen März und Mai 2025. Monatliche Aufschlüsselung basierend auf Daten des SNHR.
(f) Konfliktbedingte Schäden an der Infrastruktur und explosive Kampfmittelrückstände
Laut GPC und UNICEF war der Tishreen-Damm aufgrund der Kämpfe um ihn herum seit Dezember 2024 nicht mehr funktionsfähig. Dies beeinträchtigte die Versorgung von über 400 000 Menschen in den Bezirken Menbij und Ain Al-Arab mit gepumptem Wasser und Strom.
Mitte März 2025 berichtete UNOCHA, dass die meisten Zivil- und Katasterämter im Gouvernement weiterhin nicht funktionsfähig seien, da die Lage in Aleppo volatil bleibe – unter anderem wegen der Gefahr durch Kampfmittelrückstände (ERW).⁹²³ Ende März 2025 wurde Berichten zufolge eine Tankstelle in der Stadt Sarrin von Granaten türkeigstützter Kräfte getroffen.⁹²⁴
Die Syrische Zivilschutzorganisation (Weißhelme) erklärte gegenüber Enab Baladi, dass Aleppo – nach Idlib – zu den Gouvernements gehöre, in denen zwischen dem 27. November 2024 und dem 14. März 2025 die meisten Vorfälle im Zusammenhang mit Kriegsüberresten verzeichnet wurden.⁹²⁵ Detonationen von Blindgängern verursachten zivile Todesopfer und Verletzte in ländlichen Gebieten Nord-Aleppos,⁹²⁶ darunter im Distrikt Menbij,⁹²⁷ sowie im ländlichen Ost-Aleppo.⁹²⁸
Im März 2025 berichtete GPC, dass die Mehrzahl der Unfälle mit Blindgängern seit Dezember 2024 in mehreren Gouvernements – darunter Aleppo – in landwirtschaftlichen Umgebungen geschah, wenn Menschen Felder bestellten oder Tiere weideten.⁹²⁹
UNOCHA meldete im Mai 2025, dass UXO, ERW, Minen und IEDs „weit verbreitet sind und Wohngebiete, Ackerland, Infrastruktur und wichtige Verkehrswege beeinträchtigen“, insbesondere in mehreren syrischen Gouvernements, darunter Aleppo.⁹³⁰ Ebenfalls im Mai berichtete MAG, dass der umfangreiche Einsatz von Streumunition und der Abwurf von Fliegerbomben im Gouvernement Aleppo während des Syrienkriegs häufig zu einer „massiven UXO-Belastung“ geführt habe.⁹³¹ In einem Artikel vom April 2025 teilte NPA unter Berufung auf das Verteidigungsministerium mit, dass der westliche ländliche Teil Aleppos – einschließlich Andan, Hreitan und Kafr Hamra – stark mit Landminen und UXO kontaminiert sei und dass „nordwestliche Stadtviertel Aleppos sowie ehemalige Frontlinien in landwirtschaftlichen Zonen und Straßen“ ebenfalls betroffen seien.
(g) Konfliktbedingte Vertreibung und Rückkehr
Nach Schätzungen des UNHCR lebten am 12. Juni 2025 1 545 049 Binnenvertriebene in der Provinz und 467.198 Personen waren seit dem 27. November 2024 aus der Provinz in ihre Herkunftsgebiete zurückgekehrt. Bis März 2025 hatten verstärkte Feindseligkeiten in der Umgebung des Tishreen-Staudamms zur Vertreibung von 20 000 Menschen geführt. Nach Angaben der GPC waren die wichtigsten Rückkehrgebiete in der Provinz Aleppo durch häufige Sicherheitsvorfälle, Schäden an der Infrastruktur und Kontamination durch Sprengkörper gekennzeichnet.
Das UNHCR schätzte weiter, dass bis zum 15. Mai 2025 insgesamt 197 265 Rückkehrer, die seit Anfang 2024 aus dem Ausland zurückgekehrt waren, in der Provinz lebten, wobei die überwiegende Mehrheit (25 137) in den Bezirk Jebel Saman zurückkehrte, gefolgt von Al-Bab (5 683) und Menbij (5 121). Seit dem 8. Dezember 2024 waren 103 629 Personen aus dem Ausland in die Provinz Aleppo zurückgekehrt.
5.1. Bewaffnete Akteure
Dieser Abschnitt befasst sich mit den wichtigsten nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen, die nominell außerhalb der Kontrolle der Übergangsregierung operieren. Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung und die ihr nominell angegliederten bewaffneten Gruppen werden in Abschnitt 1.3 .behandelt.
5.1.1. Syrische Demokratische Kräfte
Nach der Vereinbarung zwischen der Regierung und den SDF vom 10. März wurden mehrere Deeskalations und Reintegrationsmaßnahmen ergriffen, darunter der Rückzug der SDF aus den kurdischen Stadtvierteln Sheikh Maksoud und Ashrafieh in Aleppo Anfang April und die teilweise Übergabe des Tishreen-Staudamms an die Regierungstruppen. Ende April berichtete Etana Syria, dass die erste Umsetzung der Vereinbarung zwischen den SDF und der Regierung über den Tishreen-Damm erste Fortschritte gebracht habe, darunter gemeinsame Patrouillen und die erklärte Verpflichtung der SDF, sich aus den Frontgebieten zurückzuziehen.
Unterdessen forderten kurdische Gruppen öffentlich eine Dezentralisierung und beriefen eine nationale Konferenz in Qamischli ein, an der rund 400 Vertreter wichtiger kurdischer politischer und bewaffneter Gruppen teilnahmen, darunter die SDF, ihr politischer Arm, die Demokratische Einheitspartei (PYD), und der rivalisierende Kurdische Nationalrat (KNC). Die Teilnehmer lehnten die Verfassungserklärung der Übergangsregierung einstimmig ab, die sie als Versuch kritisierten, die Macht in Damaskus zu zentralisieren. Sie bekräftigten zwar ihr Bekenntnis zu einem vereinten Syrien, gaben jedoch eine gemeinsame politische Erklärung ab, in der sie ein föderales System für Syrien forderten, das die Verwaltung aller kurdisch geprägten Gebiete im Nordosten vereinen würde. Die Ergebnisse der Konferenz lösten eine scharfe Reaktion des Interimspräsidenten al-Sharaa aus, der die Beschlüsse verurteilte und kurdischen Gruppen vorwarf, die syrische Souveränität zu spalten. Al-Sharaa bekräftigte, dass die Dezentralisierung für die Übergangsregierung weiterhin eine „rote Linie” darstelle. Ende April eskalierten die Spannungen zwischen der Regierung und den SDF, was beide Seiten dazu veranlasste, ihre militärischen Stellungen rund um den Tishreen-Damm zu verstärken. Im Mai undAnfang Juni kam es zu vereinzelten Zusammenstößen zwischen den beiden Seiten. Die Verhandlungen über den umstrittenen Tishreen-Damm am Euphrat blieben Ende Mai ungelöst, ohne dass eine klare Einigung erzielt wurde.
Ende April eskalierten die Spannungen zwischen der Regierung und den SDF, was beide Seiten dazu veranlasste, ihre militärischen Stellungen rund um den Tishreen-Damm zu verstärken. Im Mai und Anfang Juni kam es zu vereinzelten Zusammenstößen zwischen den beiden Seiten. Die Verhandlungen über den umstrittenen Tishreen-Damm am Euphrat blieben Ende Mai ungelöst, ohne dass eine klare Einigung erzielt wurde.
Im Mai berichtete ISW, dass die SDF nicht entwaffnet worden seien, da befürchtet werde, dass Elemente der von der Türkei unterstützten SNA kurdische Gemeinden angreifen könnten. 749Ende Mai kündigten Vertreter der PYD an, dass eine DAANES-Delegation mit der Regierung über wichtige nationale Fragen verhandeln wolle, darunter die Struktur der syrischen Regierung und Armee sowie mögliche Änderungen der Verfassungserklärung. Anfang Juni waren die Verhandlungen zwischen den beiden Parteien noch im Gange, und es wurden Vereinbarungen über den Gefangenenaustausch und die Einrichtung von Sonderausschüssen zur Umsetzung des Abkommens vom 10. März getroffen.
5.1.2. Assad-nahe Milizen
Ehemalige hochrangige Militärs und Geheimdienstmitarbeiter der Assad-Regierung bildeten neue Gruppen und Netzwerke, um gegen die neuen Machthaber zu kämpfen. Seit dem Sturz des Assad-Regimes sind mehrere neue bewaffnete Gruppierungen entstanden:
• Die Syrische Volkswiderstandsbewegung mit ihrer Küstenschutz-Einheit, die in Latakia, Tartus, Homs und Hama aktiv ist. Sie wird vom ehemaligen Kommandeur der Republikanischen Garde, Miqdad Fatiha, angeführt, der nach dem Hinterhalt vom 6. März mit weiteren Angriffen auf die neue Regierung gedroht hat. Sie soll sich aus ehemaligen Mitgliedern der SAA und des Assad-Regimes zusammensetzen.
• Die Syrische Islamische Widerstandsfront (Uli al-Baas), die vermutlich als Stellvertreter der Iran/Hisbollah fungiert, war in Dar’a und Quneitra aktiv. Sie wird in den iranischen Staatsmedien als „Widerstandsgruppe“ propagiert, verwendet typische Symbolik der Stellvertreter und wurde zwei Monate zuvor offiziell gegründet.
• Überreste der Nationalen Verteidigungskräfte, der irregulären Einheiten des ehemaligen Regimes, versuchten sich in Deir Ez Zor neu zu organisieren, obwohl viele Mitglieder von den Übergangsbehörden festgenommen wurden.
• Der Militärrat zur Befreiung Syriens unter der Führung von Brigadegeneral Ghaith Dala wurde am Morgen des Hinterhalts auf Regierungssicherheitskräfte am 6. März bekannt gegeben. Im Gegensatz zu Fatiha hat Dala zu Verhandlungen aufgerufen.
Berichten zufolge versuchen diese Gruppen, religiöse Spannungen zu schüren, während sie sich als Beschützer der alawitischen Gemeinschaft darstellen. Die in den Küstengebieten Syriens operierenden Fraktionen galten als die am besten organisierten Rebellengruppen. Ihre Aktivitäten werden laut ISW wahrscheinlich von mit der Hisbollah verbundenen Schmugglernetzwerken unterstützt, die entlang der libanesisch-syrischen Grenze aktiv sind. Im Mai verhafteten GSS-Kräfte ein Mitglied der Küstenschutzkräfte in der Stadt Latakia.
Im Mai nahmen GSS-Kräfte in der Stadt Latakia ein Mitglied der Coastal Shield Forces fest. Nachdem im März ein Höchststand verzeichnet worden war, sind Aufstandsangriffe Assad-treuer alawitischer Milizen auf die Übergangsregierung und sunnitische Gemeinden seither „immer seltener geworden“. Laut ISW ist dieser Rückgang vermutlich auf die geringe Unterstützung aus der alawitischen Bevölkerung, den zunehmenden Druck durch Regierungstruppen – der zu Festnahmen von Aufständischen und zur Beschlagnahme von Waffenlagern führte – sowie auf schlecht ausgeführte Operationen der Aufständischen zurückzuführen.
UNHCR: UNHCR Position On Returns To The Syrian Arab Republic, Dezember 2024
1. Diese Position ersetzt die UNHCR-Leitlinien vom März 2021 International Protection Considerations with Regard to people fleeing the Syrian Arab Republic, Update VI.1
Angesichts der unbeständigen Situation wird dieser Leitfaden frühzeitig und bei Bedarf auf der Grundlage der sich schnell entwickelnden Umstände aktualisiert.
Freiwillige Rückkehr
2. Syrien befindet sich an einem Scheideweg - zwischen Frieden und Krieg, Stabilität und Gesetzlosigkeit, Wiederaufbau oder weiterem Ruin. Für Syrien bietet sich jetzt eine bemerkenswerte Gelegenheit, sich auf den Frieden zuzubewegen und mit der Rückkehr seiner Bevölkerung zu beginnen. Das UNHCR betont seit vielen Jahren die Notwendigkeit, die Anstrengungen zu verdoppeln, um günstige Bedingungen für die Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen zu schaffen, und die aktuelle Situation eröffnet in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten, die von allen genutzt werden müssen. Dazu gehören die Beseitigung bzw. Beseitigung neuer sicherheitspolitischer, rechtlicher und verwaltungstechnischer Hindernisse seitens der syrischen De-facto-Behörden, die Bereitstellung umfangreicher humanitärer Hilfe und frühzeitiger Wiederaufbauhilfe durch die Geberstaaten für die Rückkehrer, die sie aufnehmenden Gemeinden und die Gebiete, in die sie tatsächlich oder potenziell zurückkehren wollen, sowie die Ermächtigung des UNHCR und seiner Partner, die Rückkehr an den Grenzübergängen und an den Orten, an die die Menschen zurückkehren wollen, zu überwachen.
3. Jeder hat das Recht, in sein Herkunftsland zurückzukehren. UNHCR ist bereit, syrische Flüchtlinge zu unterstützen, die sich freiwillig für eine Rückkehr entscheiden, nachdem sie über die Lage an ihrem Herkunftsort oder in einem alternativen Gebiet ihrer Wahl umfassend informiert wurden. In Anbetracht der zahlreichen Herausforderungen, denen sich die syrische Bevölkerung gegenübersieht, darunter eine humanitäre Krise großen Ausmaßes, ein anhaltend hohes Maß an Binnenvertreibung und weit verbreitete Zerstörung und Beschädigung von Häusern und wichtiger Infrastruktur, fördert UNHCR jedoch vorerst keine freiwillige Rückkehr nach Syrien in großem Maßstab.
Moratorium zwangsweiser Rückführungen
4. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist Syrien nach wie vor von Angriffen und Gewalt in Teilen des Landes, groß angelegten Binnenvertreibungen, der Verseuchung vieler Teile des Landes mit explosiven Überresten des Krieges, einer zerstörten Wirtschaft und einer humanitären Krise großen Ausmaßes betroffen, wobei über 16 Millionen Menschen bereits vor den jüngsten Entwicklungen humanitäre Hilfe benötigten. Darüber hinaus hat Syrien, wie bereits erwähnt, massive Zerstörungen und Schäden an Häusern, wichtiger Infrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen erlitten. Die Eigentumsrechte wurden stark beeinträchtigt, und in den letzten zehn Jahren wurden weit verbreitete Verstöße gegen Wohnungs-, Land- und Eigentumsrechte verzeichnet, was zu komplexen Eigentumsstreitigkeiten führte, deren Beilegung einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Vor diesem Hintergrund appelliert der UNHCR weiterhin an die Staaten, syrische Staatsangehörige und Personen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, einschließlich Palästinenser, die sich früher in Syrien aufhielten, nicht gewaltsam in irgendeinen Teil Syriens zurückzuführen.
Aussetzung der Erteilung negativer Bescheide an syrische Antragsteller auf internationalen Schutz
5. UNHCR fordert weiterhin alle Staaten auf, Zivilpersonen, die aus Syrien fliehen, Zugang zu ihrem Hoheitsgebiet zu gewähren, das Recht auf Asyl zu garantieren und die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung zu jeder Zeit sicherzustellen.
6. Auch wenn die Gefahr der Verfolgung durch die frühere Regierung nicht mehr besteht, können andere Gefahren fortbestehen oder sich verschärfen. In Anbetracht der sich rasch verändernden Dynamik und Lage in Syrien ist UNHCR derzeit nicht in der Lage, Asylentscheidern detaillierte Hinweise zum internationalen Schutzbedarf von Syrern zu geben. UNHCR wird die Situation weiterhin genau beobachten, um detailliertere Hinweise zu geben, sobald es die Umstände erlauben. Angesichts der derzeit unsicheren Lage in Syrien fordert UNHCR die Asylstaaten auf, die Ausstellung negativer Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz von syrischen Staatsangehörigen oder Staatenlosen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, auszusetzen. Die Aussetzung der Ausstellung negativer Bescheide sollte so lange aufrechterhalten werden, bis sich die Lage in Syrien stabilisiert hat und verlässliche Informationen über die Sicherheits- und Menschenrechtssituation zur Verfügung stehen, um die Notwendigkeit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an einzelne Antragsteller umfassend beurteilen zu können.
7. UNHCR ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Beendigung des Flüchtlingsstatus für Personen mit internationalem Schutzstatus, die aus Syrien stammen, derzeit nicht erfüllt sind.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:
Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Muttersprache, Volksgruppenzugehörigkeit und Familienstand des BF ergeben sich aus den glaubwürdigen und stringenten Angaben des BF in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (AS 1ff, AS 40, OZ 6, S 7). Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF (Namen und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich zur Identifizierung des BF im Asylverfahren. Mangels Vorlage eines Identitätsdokuments konnte die Identität (Name und Geburtsdatum) nicht eindeutig nachgewiesen werden.
Die Feststellungen zu Geburtsort und Heimatort, Datum seiner Ausreise aus Syrien und Datum der Ausreise aus der Türkei, Schulausbildung und Berufserfahrung resultieren auch aus seinen diesbezüglich glaubhaften Aussagen in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung (AS 1ff, 41-42, OZ 6, S7-8).
Die Feststellungen betreffend den Aufenthalt der Kernfamilienmitglieder des BF ergeben sich ebenfalls aus seinen diesbezüglichen glaubhaften und stringenten Angaben in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung (AS 3, AS 40, OZ 6, S7).
Die Feststellungen zu Datum der Antragstellung sowie die Gewährung von subsidiärem Schutz ergeben sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt (AS 1, AS 167).
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:
Die Feststellungen zu früheren und aktuellen Macht- und Herrschaftsverhältnissen im Heimatort des BF ergeben sich aus einer Abfrage von cartercenter.org sowie den einschlägigen, aktuellen Länderberichten. Aus der interaktiven Karte von cartercenter.org ergibt sich, dass das Heimatstadtviertel des BF noch im April 2025 als unter der Kontrolle der kurdischen Kräfte/SDF kartiert wurde. Seit Mai 2025 wird es als unter Kontrolle der Übergangsregierung und SDF kartiert (Abb. 1), wobei sich aus den Karte auch ergibt, dass das Gebiet mit Stand August 2025 faktisch (anteilsmäßig) von der Übergangsregierung beherrscht wird (Abb. 2).
Abb 1. Carter Center (o.D.): Syria Map / Exploring Historical Control,https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html

Abb 2. Carter Center (o.D.): Syria Map / Exploring Historical Control,https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html
Das Ergebnis der Kartenabfrage deckt sich auch mit den aktuellsten Länderberichten (wie insbesondere auch dem EUAA Bericht aus Juli 2025), wonach nach dem Abkommen vom 10.03.2025 zwischen der Übergangsregierung und der SDF, die SDF-Kräfte aus kurdischen Stadtteilen XXXX seit Anfang April 2025 stetig abgezogen wurden, während die Übergangskräfte in die zuvor von der SDF kontrollieren Bereichen einrückten. Vereinbart wurde demnach auch, dass lediglich die Asayish (inneren Sicherheitskräfte der kurdischen Verwaltung DAANES/AANES) in den überwiegend kurdisch besiedelten Stadtvierteln XXXX in Aleppo präsent bleiben sollten. Später wurde weitergehend berichtet, dass sich sogar in diesen beiden überwiegend kurdischen Stadtvierteln die SDF Kräfte zurückziehen und in den Nordosten Syriens rücken. Ehemalige Asayish-Mitglieder wurden in die lokalen Polizeikräfte integriert (EUAA Juli 2025, Kapitel 5.8.1.). Das Stadtviertel des BF ist ein benachbartes XXXX , wird in den Länderberichten nicht als eines der überwiegend kurdisch besiedelten Vierteln beschreiben. Da selbst in den überwiegend kurdischen Vierteln nur noch eine untergeordnete Präsenz kurdischer Sicherheitskräfte/Streitkräfte besteht, ist im Heimatviertel des BF, das nicht überwiegend kurdisch ist, erst recht nicht mit einer nennenswerten Präsenz zu rechnen.
Aus den Ausführungen zur Gebietskontrolle ergibt sich daher, dass in der (ehemals rein) kurdischen Enklave im Norden XXXX keine durch die DAANES organisierte Einziehung in den kurdischen Selbstverteidigungsdienst ersichtlich und wahrscheinlich ist, als die SDF-Präsenz bereits reduziert wurde und Sicherheitsaufgaben zunehmend von Kräften der Übergangsregierung bzw. der lokalen Polizei wahrgenommen werden. Anhaltspunkte auf eine Rekrutierungsinfrastruktur oder Rekrutierungsmaßnahmen in den nördlichen Vierteln XXXX , ergeben sich auch sonst aus den Länderberichten nicht und sind angesichts der nunmehr faktisch höheren Präsenz an Kräften der Übergangsregierung und der darüber hinaus gehenden Vereinbarung einer gemeinsamen Kontrolle auch fernliegend. Aus den Länderberichten (vgl LIB, Wehr- und Reservedienst seit dem Sturz des Assad-Regimes) sind im Einflussbereich der neuen Übergangsregierung weiterhin keine Zwangsrekrutierungen bekannt und setzt diese weiterhin auf Freiwilligkeit. Zudem ergibt sich aus den Länderbericht (LIB, Kapitel Wehr- und Reservedienst in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)), dass „Wehrpflichtig jeder männliche Bewohner der Region Nord-und Ostsyrien“ ist, womit vornehmlich die von der DAANES verwaltete Nordost-Raum gemeint ist, die (ehemals) kurdische Enklave in XXXX , welche nunmehr auch nicht mal mehr in (faktischer) kurdischer Herrschaft steht, galt demnach auch vorher nicht als „Kernregion“ für Rekrutierungen zum Selbstverteidigungsdienst der Kurden. Auch ergibt sich aus dem Bericht, dass die DAANES „bei der Umsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung in Gebieten mit überwiegend arabischer Bevölkerung vorsichtig“ ist. All dies, insbesondere die fehlende organisatorische Präsenz der Kurden im XXXX des BF lässt, eine Rekrutierung durch kurdische Kräfte als sehr unwahrscheinlich erscheinen.
Aber selbst unter der unwahrscheinlichen Annahme der Möglichkeit einer Einziehung des BF zum Selbstverteidigungsdienst der kurdischen Kräfte, ergibt sich aus den Länderberichten ebenso, dass mit dem Leisten der „Selbstverteidigungspflicht“ im Rahmen der kurdischen Selbstverwaltung keine unverhältnismäßige Belastung oder unverhältnismäßige Bestrafung der betroffenen Personen im Falle der Entziehung einhergeht. So besteht eine Bestrafung der Verweigerung lediglich darin, einen zusätzlichen Monat auf die Dienstzeit angerechnet zu bekommen. Ferner werden Rekruten im Allgemeinen nicht in Kampfsituationen eingesetzt, sondern lediglich im Zusammenhang mit der Bewachung oder dem Schutz öffentlicher Gebäude oder bei besseren Bildungshintergrund Aufgaben in Büros oder Einrichtungen zugewiesen. Darüber hinaus sind aufgrund der getroffenen Vereinbarung vom 10.03.2025 zwischen der Übergangsregierung und den kurdischen Kräften mittlerweile die bestehenden Konfliktsituationen im ganzen Land allgemein zurückgegangen. Daraus folgt, dass eine allfällige Einziehung des BF zum Selbstverteidigungsdienst auch nicht mit maßgeblich wahrscheinlich einer Beteiligung an (völkerrechtswidrigen) Militär- bzw. Kriegsaktionen verbunden ist.
Dass das syrische Regime gestürzt wurde und insofern nicht mehr existiert bzw handlungsfähig ist, ergibt sich aus den eingebrachten Länderinformationen, wonach die Oppositionskräfte am 8.12.2024 die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet erklärten und Al-Assad aus Damaskus floh. Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 08.12.2024 per Befehl aufgelöst. (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation –Syrien, Version 12, 08.05.2025). Die Möglichkeit von einer Zwangsrekrutierung und/oder Bestrafung durch das Assad-Regime betroffen zu sein, besteht daher für den BF nicht mehr. Der BF gibt in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht darüber selbst an, dass die geltend gemachten Asylgründe hinsichtlich des Assad-Regims nicht mehr aufrecht hält (OZ 6, S 9).
Die in der mündlichen Verhandlung erstmals geschilderten (und daher selbst bei Wahrheitsunterstellung) vom BF angesprochenen Drohungen des (damaligen) Ortsvorstehers und einzelner Clanmitglieder (OZ 6, S 8) beruhen auf deren Einbindung in das syrische Assad-Regime und sind daher ebenfalls dem ehemaligen syrischen Staatsapparat zuzurechnen: Nach Darstellung des BF wurde sein Vater, im Jahr 2013, vom damaligen Ortsvorsteher und von Clanangehörigen, die sich dem syrischen Assad-Militär angeschlossen hatten, nach dessen Weigerung, sich ebenfalls anzuschließen, damit bedroht, ihn und seine Söhne bei einer Rückkehr nach Syrien zu verhaften. Doch verfügen auch gerade diese, angesichts der aktuellen Herrschaftsverhältnisse am Heimatort des BF, über keine faktische Durchsetzungsmacht/Befugnisse mehr und können keine Verhaftungen mehr durchführen. So sind es nach Änderung der Verhältnisse gerade vielmehr diese Personen (als ausgewiesenen Assad-Anhänger), die nunmehr mit etwaigen Maßnahmen der Sicherheitsorgane der Übergangsregierung zu rechnen haben. Es ergeben sich keine weitergehenden Anhaltspunkte dafür, dass vom (ehemaligen) Ortsvorsteher und/oder genannten Clanmitgliedern – die dem Assad-Lager zuzurechnen und Angehörige der syrischen Armee waren – aktuell eine eigenständige Gefahr für den BF ausgeht. Die von ihnen wiedergegebene Drohung beschränkt sich auf eine im Namen des Assad-Regimes angekündigte Verhaftung des BF und seiner Söhne im Falle einer Rückkehr wegen verweigerten Militärdienstes. Über diese regimebezogene Drohung hinausgehende Gefährdungen, aus der Person oder Stellung dieser (sofern überhaupt noch im Heimatort des BF anwesenden) Akteure sind nicht ersichtlich.
Die Feststellung, dass der BF nie politisch tätig war ergibt sich auch seinen diesbezüglichen eigenen Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (AS 42, OZ 6, S 9). Dass er BF keine oppositionelle Gesinnung gegenüber der Übergangsregierung oder den Kurden bzw. DAANES hat und ihm eine solche auch nicht unterstellt wird ergibt sich einerseits aus seiner frühen Ausreise aus Syrien, im Alter von neun Jahren, und dem Fakt, dass er (nach eigenen Angaben) weder mit kurdischen Kräften noch der (ehemaligen) HTS Kontakt hatte/ zu tun hatte (OZ 6, S 9-10) und andererseits draus, dass seine Familie gerade aufgrund der Herrschaft des Assad-Regimes aus Syrien flüchtete. Weder gibt es Anhaltspunkte weshalb ihm die neue Übergangsregierung als oppositionell ansehen sollte, so ist er sunnitischer Araber und gab in der mündlichen Verhandlung selbst an, es gut zu finden, dass das Assad-Regime gestürzt wurde (OZ 6, S 9), noch hat er ein Verhalten gesetzt oder Gründe dargetan, aufgrund dessen ihm seitens der kurdischen Autonomiebehörden eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde.
Aus den Aussagen des BF ergibt sich weder eine politische Betätigung noch eine gefestigte oppositionelle Haltung gegenüber der Übergangsregierung oder den Kurden bzw DAANES. Soweit der BF in der mündlichen Verhandlung pauschal und vage angibt (OZ 6, S10-11) gegen die Kurden und ihre Ideologen und auch gegen die (ehemalige) HTS und ihre Ideologie zu sein ohne konkrete Handlungen oder exponierte Meinungsäußerungen zu benennen, lässt sich daraus gerade keine verinnerlichte oppositionelle Gesinnung schließen. Darüber hinaus äußerte sich der BF betreffend die neue Übergangsregierung und zu ihrem derzeitigen Auftreten nicht. Er bezieht sich in seinen Erläuterungen lediglich auf die Vergangenheit des nunmehrigen Übergangspräsidenten (OZ 6, S 9). Indizien oder Nachweise für politisches Engagement bzw. darauf bezogene Repressionen wurden vom BF nicht aufgezeigt. Der erstmals in der Verhandlung erhobene, allgemein gehaltene Vortrag wirkt darüber hinaus anlassbezogen und auf die Erfüllung eines asylrelevanten Tatbestandes ausgerichtet („gesteigerter Vortrag“), ohne dass sich eine verinnerlichte oppositionelle Überzeugung oder eine zugeschriebene Gegnerstellung feststellen ließe. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten: Der BF war politisch nicht aktiv; eine oppositionelle Gesinnung gegenüber der Übergangsregierung oder den Kurden ist weder ersichtlich noch wird sie ihm zugeschrieben.
Die Feststellung, dass der BF in Syrien grundsätzlich individuell weder bedroht gewesen noch es zu Übergriffen auf ihn gekommen ist, gründet darin, dass der BF weder im behördlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren sonstige ihn persönlich betreffenden Probleme schilderte. Die pauschalen und allgemeinen Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung betreffend die Angst vor Kurden und/oder der HTS bzw. die Ausführungen zur Vergangenheit des derzeitigen Übergangspräsidenten, lassen jedenfalls nicht auf eine individuell gegen ihn gerichtete Bedrohung schließen.
Dass der BF weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bedroht wurde ergibt sich aus seinen eigenen Angaben (AS 42) und ergaben sich darüber hinaus auch keine weitergehenden Anhaltspunkte im Verfahren. Der BF ist arabischer Sunnit und entspricht damit der Bevölkerungsmehrheit Syriens; sein Heimatort steht, wie ausgeführt, überwiegend unter Kontrolle der Übergangsregierung, deren maßgebliche Akteure demselben ethnisch-konfessionellen Profil zuzurechnen sind. Aus den Länderberichten, ergibt sich auch, dass auch seitens der Kurden, Araber und Kurden vor dem Gesetz gleichbehandelt werden.
Die Feststellung, dass dem BF eine hypothetische Rückkehr möglich ist, ergibt sich aus den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten, wonach seit dem Umsturz bereits tausende Personen nach Syrien bzw IDPs in ihre Heimatregionen zurückgekehrt sind (vgl LIB, Kapitel Rückkehr, wonach nach Angaben der UNHCR bereits im Jänner über 600.000 Binnenvertriebene zurückkehrten, Schätzungen bis zur Jahreshälfte 2025 von einer Million Rückkehrer ausgehen). Die Zahl der Personen die in das Gouvernement Aleppo zurückkehren, ist dabei am höchsten, wobei die Rückkehrer die verbesserte Sicherheitslage und die Abschaffung des Wehrdienstes als Hauptgründe für ihre Rückkehr nennen. Es kamen keine Anhaltspunkte hervor, weshalb dem BF, dessen Schwester samt Ehemann nach wie vor in Syrien lebt, eine Rückkehr nicht ebenso möglich sein sollte.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen.
Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
3.1.3. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).
3.1.4. Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).
3.1.5. Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).
Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden Verwaltungsgerichts vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgericht nicht getroffen werden (vgl. VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, mwN).
3.1.6. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).
3.1.7. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. ausführlich VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rn. 27 ff; 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN; siehe auch VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548, wonach es für die Frage eines möglichen Asylanspruchs entscheidend ist, ob einem Beschwerdeführer bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat angesichts des in den Länderfeststellungen ausgewiesenen erhöhten Rekrutierungsdrucks der syrischen Armee und der besonderen Gefährdung von einreisenden Männern im wehrfähigen Alter mit maßgebender Wahrscheinlichkeit eine Einziehung zum Wehrdienst droht; vgl. überdies VwGH 03.05.2022, Ra 2021/18/0250, mit Verweis auf VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0203; siehe auch EuGH 19.11.2020, C-238/19, wonach im Kontext des Bürgerkriegs in Syrien eine starke Vermutung dafür spricht, dass die Weigerung, dort Militärdienst zu leisten, mit einem Grund in Zusammenhang steht, der einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen kann; darauf Bezug nehmend auch VfGH 22.09.2022, E 1138/2022, und VwGH 26.01.2023, Ra 2022/20/0358; vgl. auch EUAA, Country Guidance: Syria 2023).
3.1.8. Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt II.2.2 (unter Heranziehung der entsprechenden Länderberichte) dargestellt, ist es dem BF nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Rückkehr in seinen Heimatstaat Eingriffe in seine körperliche Integrität, eine Verfolgung, Gewalt, oder Lebensgefahr drohen. Er hat keine konkrete und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursachen in einem der in der GFK genannten Gründe hat, glaubhaft machen können. Aus den Feststellungen kann daher keine aufgrund der Konventionsgründe erfolgte individuelle Verfolgung des BF abgeleitet werden:
3.1.8.1. Der BF brachte vor, er sei durch das syrische Assad-Regime aufgrund seiner Verweigerung des Wehrdienstes bzw. seine Flucht und die Asylantragstellung im Ausland und einer damit einhergehenden ihm unterstellten oppositionellen Gesinnung, asylrelevant verfolgt. Dem kann nicht gefolgt werden. Wie festgestellt, wurde das syrische Assad-Regime gestürzt. Da die bisherigen Macht-/Behördenstrukturen damit nicht mehr existieren, sind diese auch nicht mehr dazu in der Lage Personen zu verhaften oder zu rekrutieren. Der vom BF vorgebrachte Verfolger existiert nicht mehr, womit auch der vom BF diesbezüglich vorgebrachten Verfolgung die Aktualität fehlt. Die vom BF in Bezug auf die syrische Assad-Regierung vorgebrachten Fluchtgründe sind daher unbegründet (siehe dazu auch UNHCR, Position on Returns to the Syrian Arab Republic, Rz 6).
3.1.8.2. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie in seiner Stellungnahme vom 24.01.2025 gab der BF an, Sorge vor einer Einziehung zum Selbstverteidigungsdienst der kurdischen Streitkräfte zu haben und sich dadurch an Kriegsverbrechen beteiligen zu müssen. Wie in der Beweiswürdigung dazu und zur Gebietskontrolle ausgeführt, ergibt sich aus den aktuellen Machtverhältnissen im Heimatort/ XXXX des BF und aus den aktuellsten Länderberichten, dass eine Rekrutierungspraxis von kurdischer Seite nicht als maßgeblich wahrscheinlich erscheint. Die kurdische Präsenz vor Ort ist, auf eine untergeordnete Reststruktur reduziert; zugleich setzt sich der Abzug der SDF Richtung Nord- und Ostsyrien fort, während zumindest einige verbliebene Asayish in die örtliche Polizei integriert wurden/werden. Zu einer laufenden Rekrutierungspraxis der verbleibenden kurdischen Akteure in den XXXX liefern auch die Länderberichte keinen Nachweis eines systematischen Einziehungsregimes.
Zudem ist den Länderberichten zu entnehmen, dass eine Verweigerung des kurdischen Wehrdienstes grundsätzlich nicht als politisch oppositionelle Gesinnung gesehen wird, erst recht nicht bei Personen, wie dem BF, die bisher nie oppositionell in Erscheinung getreten sind und nicht politisch tätig sind (siehe dazu die Feststellungen zu Punkt II.1.2., wonach der BF keine oppositionelle Gesinnung gegenüber den Kurden hat, politisch nicht aktiv ist und ihm auch keine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird). Selbst im Fall einer Verweigerung kamen, wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, im Verfahren keine Hinweise auf eine, auf Konventionsgründen beruhende und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende, unverhältnismäßige, Bestrafung oder verpflichtende Beteiligung des BF an völkerrechtswidrigen Kriegsverbrechen hervor.
Auch gibt es nach Änderung der Herrschaftsverhältnisse und dem Vorrücken der Übergangsregierung in das Heimatgebiet des BF, keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Zwangsrekrutierung durch die Übergangsregierung, als diese laut Länderberichten weiterhin landesweit keine Zwangsrekrutierungen durchführt. Dies spricht zugleich dagegen und verringert die Wahrscheinlichkeit, dass im Rahmen der gemeinsamen Kontrolle mit verbliebenen kurdischen Sicherheitsstrukturen im Heimatviertel des BF Rekrutierungen seitens der Kurden vorgenommen werden.
Wie sich auch aus der Beweiswürdigung ergibt, gibt es auch sonst keinerlei Hinweise in der Person oder dem Verhalten des BF, die eine verinnerlichte oppositionelle Gesinnung des BF gegen die neue Übergangsregierung und/oder den Kurden bzw. DANEES annehmen lassen bzw. ihm eine solche unterstellt werden sollte. So erfüllt er gerade kein Risikoprofil nach UNHCR (Aktivist, Journalist, Protestierender, tatsächlicher/vermeintlicher Gegner der HTS; vgl UNHCR 2021, S 148 ff), oder der EUAA (vgl EUAA Funktionäre der ehemaligen syrischen Regierung, ehemalige Soldaten und Sicherheitskräfte, Zivilisten, die als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden und/oder an Kriegsverbrechen beteiligt waren, Alawiten), die eine Verfolgung durch die faktisch herrschaftsausübende Übergangsregierung nahelegen würden.
Soweit der BF in der mündlichen Verhandlung vorbringt, dass er nicht nach Syrien zurück könne, da die Wohnung der Familie zerstört wurde und die allgemeine Lage dort nicht sicher sei, ist darauf zu verweisen, dass einerseits ein im Heimatland des BF vielleicht teils noch herrschender Bürgerkrieg und die nach dem Machtwechsel noch instabile Lage, eine etwaige prekäre Versorgungslage, oder sonstige Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl zuletzt VwGH 17.11.2017, Ra 2017/20/0404) begründen und andererseits diesen Umständen bereits durch die Gewährung des subsidiären Schutzes Rechnung getragen wurde.
Als Rückkehrer wird der BF, dem diese Rückkehr auch möglich ist, ebenfalls nicht asylrelevant verfolgt. Wie ausgeführt, bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die nunmehrige Übergangsregierung, die auch entlang der Rückkehrroute die maßgebliche Gebietsherrschaft ausübt, ihn auf dem Weg in seinen Heimatort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgen würde.
Darüber hinaus ergeben sich weder aus den Angaben des BF und aus den aktuellen Länderberichten, noch sonst Anhaltpunkte die mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu einer Bedrohung des Beschwerdeführers, die im Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht, geeignet ist. Es bestehen, wie festgestellt und in der Beweiswürdigung ausgeführt, keine konkreten Hinweise, dass der Beschwerdeführer mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit von sonstigen Verfolgungshandlungen, die eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK darstellen, im Herkunftsstaat betroffen ist.
Die von UNHCR thematisierten Fragen der freiwilligen Rückkehr („Voluntary Returns“) sowie des Moratoriums zwangsweiser Rückführungen („Moratorium on Forced Returns“) sind mit Blick auf den Gegenstand dieser Entscheidung nicht relevant. Des Weiteren plädiert UNHCR dafür, dass vorerst keine negativen Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen, erlassen werden. Zutreffend weist UNHCR zunächst darauf hin, dass das Risiko einer Verfolgung durch die einstige Regierung, also das Assad-Regime, geendet habe. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit den – in zahlreichen Medien veröffentlichten – Informationen, auf die sich die gegenständliche Entscheidung stützt. Im Falle des Entstehens neuer Asylgründe infolge der Lageänderung in Syrien ab Ende November/Anfang Dezember 2024 wäre eine entsprechende Glaubhaftmachung am – rechtskundig vertretenen und über seine Mitwirkungspflicht belehrten – BF gelegen. Sollten sich (im Gegensatz zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt) neue Asylgründe infolge des Machtwechsels konkretisieren, steht dem BF auch in Zukunft die Möglichkeit offen, einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Zum hier relevanten Entscheidungszeitpunkt ist jedenfalls von keiner asylrelevanten Verfolgung auszugehen. Im Übrigen ist beachtlich, dass auch UNHCR keine konkreten neuen Verfolgungsrisiken ins Treffen führt, sondern sich bloß allgemein auf die in Syrien vorherrschende Unsicherheit und Instabilität bezieht. Vor diesem Hintergrund sei abschließend noch einmal daran erinnert, dass der BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat.
Die belangte Behörde hat daher den Antrag des BF auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zu Recht abgewiesen, weshalb die dagegen gerichtete Beschwerde gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abzuweisen war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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