W252 2288842-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.02.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Die Beschwerde wird abgewiesen.
B) Die Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in Folge: „BF“), ein männlicher Staatsangehöriger Syriens, stellte am 18.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am 21.09.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er das Land „wegen dem Krieg“ verlassen habe und weil er zum Militärdienst einberufen werde.
3. Am 30.06.2023 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Wobei er zu seinen Fluchtgründen angab, dass er wegen dem Militärdienst, den er nicht abgeleistet habe das Land verlassen habe. Sie würden junge Leute zum Kämpfen suchen. Es gebe normalerweise keine Kontrolle des syrischen (Assad)-Regimes dort von wo er komme, aber es gebe die FSA, die ihn auch rekrutieren wolle. Er wolle nicht am Krieg teilnehmen.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.02.2024 wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Es erteilte dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt II. und III.).
Begründend zu Spruchpunkt I. führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der BF keine Gründe glaubhaft machen habe können, die auf eine Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention schließen lassen. Es bestünden damit keine konkreten, überzeugenden Hinweise, dass der BF mit hoher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat von Verfolgungshandlungen betroffen sei.
5. Der BF erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass er die Ableistung des Wehrdienstes und die Teilnahme an sonstigen Kampfhandlungen auf allen Seiten des Bürgerkrieges verweigere. Der BF habe an Demonstrationen gegen das syrische (Assad)-Regime und die Al-Nusra-Front teilgenommen. Er wäre Drohungen und Diskriminierungen durch Milizen der HTS ausgesetzt gewesen, welche aufgrund der Weigerung des BF in ihren Reihen zu kämpfen, der Familie untersagt hätten Lebensmittel zu erwerben. Er befürchte eine Verfolgung durch das syrische Regime, ihm würde eine oppositionelle Gesinnung durch Weigerung des Militärdienstes und Teilnahme an Demonstrationen gegen das (Assad)-Regime zumindest unterstellt werden.
6. Mit Schreiben der Rechtsvertretung des BF vom 18.07.2024 wurde die erteilte Vollmacht niedergelegt.
7. Zu der am 19.07.2024 ausgeschriebenen Verhandlung erschien der BF unentschuldigt nicht.
8. Mit Schreiben vom 15.01.2025 wurde der Rechtsvertretung die Vollmacht erneut eingeräumt und zugleich ausgeführt, dass aufgrund der notorischen Entwicklungen in Syrien die zum Sturz des Assad-Regimes geführt hätten, die Situation in Syrien völlig neu zu betrachten sei. Es sei noch nicht abschätzbar, wie sich die Lage in Syrien weiterentwickle, daher fehle es zurzeit an einer wesentlichen Grundlage für die Entscheidung.
9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.01.2025 eine mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der Ladung zur Verhandlung wurde den Parteien das einschlägige Länderberichtsmaterial (Länderinformation des CMS-COI zu Syrien, Version 11, vom 27.03.2024) vorgehalten und die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme abzugeben.
10. Mit Beweismittelvorlage vom 21.01.2025 legte der BF zum Beweis seines Vorbringens in der mündlichen Verhandlung einen USB-Stick vor, der ein Video enthalte, in dem er bei einer Demonstration in seinem Heimatort zu sehen sei. Die Teilnehmer sollen dabei gegen die Führung der HTS demonstriert haben. Damit solle bewiesen werden, dass er sich oppositionell betätigt habe und als politischer Gegner ins Visier der HTS gekommen sei.
8. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte mit Parteiengehör vom 25.04.2025 einen weiteren Länderbericht zur Stellungnahme (ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025). Eine Stellungnahme langte nicht ein.
9. Mit Parteiengehör vom 09.05.2025 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht das neueste einschlägige Länderberichtsmaterial (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation –Syrien, Version 12, 08.05.2025) zur Stellungnahme.
10. Mit Stellungnahme vom 15.05.2025 äußerte sich der BF dahingehend, als er sich wiederholt und öffentlich an Demonstrationen gegen die HTS in seinem Heimatort beteiligt hätte. Personen die an der Seite des BF demonstriert hätten seien inhaftiert worden und wären verschollen. Weiteres fürchte er Repressionen, weil er die HTS als Islamisten ansehe und sich in ihren Augen antiislamisch verhalten und geäußert hätte. Er befürchte bei einer Rückkehr aufgrund seiner (vermeintlichen) oppositionellen Gesinnung inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den Namen XXXX geboren am XXXX . Er ist syrischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem, gehört zur Volksgruppe der Araber und spricht Arabisch als Muttersprache. Er ist ledig, nicht verheiratet, in keiner Lebensgemeinschaft und hat keine Kinder (AS 11ff, 94,95, OZ 14, S 6).
Der BF ist in der Stadt XXXX , Gouvernement Idlib geboren und aufgewachsen. Im Jahr 2020 flüchtete er mit seiner Familie aufgrund eines Bombardements durch das Assad-Regime in XXXX , in die Städte XXXX und XXXX , Gouvernement Aleppo, wo er sich aufhielt bis er im Juni 2022 aus Syrien über die Türkei ausreiste und nach Österreich weiterreiste. Er hat in Syrien keine Schule besucht, ist Analphabet und arbeitete als Installateur auf Baustellen (AS 95, 97, OZ 14, S 7).
Die Eltern des BF sowie drei Brüder und (zumindest) drei Schwestern leben weiterhin in Syrien. Eine Schwester lebt in Malta (AS 15, 96, OZ 14, S 7).
Der BF stellte am 18.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid vom 10.02.2024 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (AS 13, 107).
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der Heimatort des BF wird von den Kräften der neuen syrischen Übergangsregierung kontrolliert.
Das syrische Regime unter Baschar al-Assad wurde am 08.12.2024 gestürzt. Das syrische Regime bzw dessen Sicherheitsbehörden existieren nicht mehr und können weder Verhaftungen, noch Zwangsrekrutierungen durchführen.
Der BF hat in Syrien seinen Wehrdienst im Assad-Regime nicht abgeleistet und sich in Syrien nicht an bewaffneten Kampfhandlungen beteiligt.
Dem BF droht bei einer Rückkehr in seiner Heimatregion keine Rekrutierung zum Militärdienst seitens der neuen syrische Übergangsregierung/der HTS, der SNA (ehemals FSA) oder anderen Gruppierungen.
Der BF hat im Jahr 2019 an einer Demonstration gegen die HTS teilgenommen, wobei er nicht in das Blickfeld der HTS geraten ist. Der BF wurde in diesen Zusammenhang weder verfolgt noch kontaktiert. Der BF hat keine gegnerische Haltung gegenüber der syrischen Übergangsregierung und/oder die HTS verinnerlicht.
Der BF wird in Syrien weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bedroht (AS 97).
Dem BF ist eine Rückkehr in seine Heimatregion möglich.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Aus den ins Verfahren eingeführten Länderinformationen:
Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025
Länderinformation des CMS-COI zu Syrien, Version 11, vom 27.03.2024
ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen
Kurzinformation der Staatendokumentation, Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, 10.12.2024
UNHCR: UNHCR Position On Returns To The Syrian Arab Republic, Dezember 2024
UNHCR: Regional Flash Update #4, 16.12.2024
ACCORD: Syrien-Länderseite auf ecoi.net, Stand 16.01.2025
ergibt sich Folgendes:
Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025
Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). [Details zur Offensive bzw. zur Hay'at Tahrir ash-Sham finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) Anm.] Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
[…]
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
[…]
Am 29.1.2025 versammelten sich die Führer der militärischen Gruppierungen, die an der militärischen Kampagne zum Sturz Assads beteiligt waren, zu einer Zeremonie im Präsidentenpalast, um den Sieg zu erklären. In der Siegeserklärung kündigten sie neun Schritte an, die in drei Hauptthemen unterteilt sind, wie beispielsweise: 1. Füllen des Machtvakuums durch die Annullierung der Verfassung von 2012, die Aussetzung aller Ausnahmegesetze, die Auflösung der während der Zeit des vorherigen Regimes gebildeten Volksversammlung und aller aus ihr hervorgegangenen Komitees und die Ernennung des Befehlshabers des militärischen Operationskommandos, Ahmed ash-Shara', zum Präsidenten des Landes während der Übergangszeit. Bei der Zeremonie wurde die Auflösung von vier Institutionen, welche die Säulen der Herrschaft und Kontrolle des früheren Regimes darstellten und die Schaffung eines neuen Regimes behindern, angekündigt, nämlich: die Armee, die Sicherheitsdienste mit ihren verschiedenen Zweigen und alle damit verbundenen Milizen, die Arabische Sozialistische Ba'ath-Partei, die Parteien der Nationalen Progressiven Front und die ihnen angeschlossenen Organisationen, Institutionen und Komitees und das Verbot ihrer Wiedererrichtung auch unter einem anderen Namen und Rückgabe ihrer Vermögenswerte an den syrischen Staat (AJ 31.1.2025a). Die Ba'ath-Partei des gestürzten syrischen Machthabers Bashar al-Assad stellte nach eigenen Angaben mit 12.12.2024 sämtliche Aktivitäten ein. Dies gelte bis auf Weiteres, hieß es in einer auf der Website der Parteizeitung veröffentlichten Erklärung. Die Vermögenswerte und die Gelder der Partei würden unter die Aufsicht des Finanzministeriums gestellt, Fahrzeuge und Waffen sollen nach Parteiangaben an das Innenministerium übergeben werden. Die Ba'ath-Partei war seit 1963 in Syrien an der Macht (Tagesschau 12.12.2024). Viele Mitglieder der Parteiführung sind untergetaucht und einige aus dem Land geflohen. In einem symbolischen Akt haben die neuen Machthaber Syriens das ehemalige Hauptquartier der Partei in Damaskus in ein Zentrum umgewandelt, in dem ehemalige Mitglieder der Armee und der Sicherheitskräfte Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen und ihre Waffen abzugeben (AP 30.12.2024). Am 11.2.2025 gab das Präsidialamt bekannt, dass die wichtigsten Oppositionsgremien Syriens, die im Exil tätig waren, Damaskus die von ihnen bearbeiteten Akten übergeben haben, als Teil der Bemühungen, die während des Konflikts gebildeten Institutionen „aufzulösen“. Dieser Schritt kommt der Abschaffung der wichtigsten unbewaffneten Oppositionsgruppen Syriens gleich und erinnert an ash-Shara's Versuch, alle bewaffneten Gruppen aufzulösen und in die Armee zu integrieren (FR24 12.2.2025). Für die in den Kriegsjahren im und aus dem Ausland tätige Opposition hat man nur Geringschätzung (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Während ash-Shara' ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara', seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025). [Informationen zu ethnischen und religiösen Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Trotz der Kritik ergab eine im März 2025 im Auftrag von „The Economist“ durchgeführte Umfrage, an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, dass 81 % die Herrschaft von ash-Shara' befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara's ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern. Tartus, wo Anfang März 2025 mehrere Massaker an der alawitschen Minderheit stattgefunden haben, ist die pessimistischste Provinz. Selbst dort gaben 49 % an, optimistisch zu sein, während 23 % sich pessimistisch äußerten. (Economist 2.4.2025). […]
Ahmed ash-Shara' wurde 1982 (Rosa Lux 17.12.2024) als Ahmed Hussein ash-Shara' in Saudi-Arabien als Kind syrischer Expatriates geboren. Ende der 1980er-Jahre zog seine Familie zurück nach Syrien (NYT 12.12.2024). Als junger Mann radikalisierte er sich während der blutigen zweiten Intifada, als die israelische Regierung auf palästinensische Selbstmordattentate mit brutaler Gewalt antwortete. Auch der 11.9.2001 prägte ihn (Rosa Lux 17.12.2024). Er ging 2003 in den Irak, um sich al-Qaida anzuschließen und gegen die US-Besatzung zu kämpfen. Arabischen Medienberichten und US-Beamten zufolge verbrachte er mehrere Jahre in einem amerikanischen Gefängnis im Irak. Zu Beginn des Bürgerkriegs tauchte er in Syrien auf und gründete die Jabhat an-Nusra, aus der sich schließlich Hay'at Tahrir ash-Sham entstand (NYT 12.12.2024). 2003 nahm er den Kriegsnamen Abu Mohammad al-Jolani an (Rosa Lux 17.12.2024). In einem vor einigen Jahren mit dem US-amerikanischen Sender PBS geführten Interview gab ash-Shara' zu, dass er bei seiner Rückkehr nach Syrien finanzielle Unterstützung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) erhielt, der zu diesem Zeitpunkt weite Teile des Iraks und Syriens besetzt hielt (DW 18.12.2024). Im Januar 2017 gründete er mit der HTS ein neues Bündnis verschiedener islamistischer Milizen, das sich dezidiert von der dschihadistischen al-Qaida und ihrem Ziel eines globalen Dschihads gegen den Westen lossagte (Rosa Lux 17.12.2024). Seit dem Bruch mit al-Qaida haben er und seine Gruppierung versucht, internationale Legitimität zu erlangen, indem sie globale dschihadistische Ambitionen ablehnten und sich auf eine organisierte Regierungsführung in Syrien konzentrierten (NYT 12.12.2024). 2013 setzten die USA ihn auf ihre Terrorliste und lobten später sogar ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen für Hinweise zu seiner Ergreifung aus. 2018 wurde dann auch die HTS von den Vereinigten Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft, die Vereinten Nationen folgten (Rosa Lux 17.12.2024)
6 Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
[…]
Ash-Shara' versprach, dass die bewaffneten Gruppierungen und Milizen entwaffnet würden (HB 16.12.2024), und kündigte an, dass die bewaffneten Gruppierungen aufgelöst und die Kämpfer ausgebildet werden, um in die Reihen des Verteidigungsministeriums einzutreten. Sie werden dem Gesetz unterworfen sein (DW 17.12.2024). Seit Jänner 2025 haben die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres zügig daran gearbeitet, alle bewaffneten Gruppen unter einer einzigen, mit dem Staat verbundenen Armee und Polizei zu vereinen. Für diesen Prozess wurde der Oberste Ausschuss für die Regulierung der Streitkräfte eingerichtet, der Waffen, Technologie, Militärstützpunkte und Personal überwachen soll. Ein Ausschuss von Offizieren entwirft derzeit die Struktur der neuen syrischen Armee. Die Regierung hat klargestellt, dass alle militärischen Fraktionen aufgelöst und in staatliche Institutionen integriert werden (TNA 3.2.2025). Der Prozess der Bildung einer neuen Armee für Syrien wird auf der Vereinigung mehrerer bewaffneter Gruppierungen beruhen, die über das ganze Land verteilt sind. Einige dieser Gruppierungen waren in Nord- und Westsyrien aktiv, während andere ihren Einfluss auf Südsyrien konzentriert haben, wie die Achte Brigade unter der Führung des ehemaligen Oppositionskommandeurs Ahmad al-'Awda oder andere Formationen, die in der drusischen Mehrheitsprovinz Suweida eingesetzt werden. Diese Formationen, die sich in der nächsten Phase zu einer einzigen Armee vereinigen sollen, sind jedoch über ihre Visionen und Ziele sowie darüber, woher sie Unterstützung erhalten, zerstritten (AlHurra 12.2.2025). Die HTS verhandelte mit Einheiten der aufgelösten Syrischen Arabischen Armee (SAA) über die Zusammenlegung und Integration in eine neue syrische Armee (ISW 16.12.2024). Der neue syrische Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte für deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln. Die zwei größten drusischen Fraktionen aus der südlichen syrischen Provinz Suweida haben daraufhin ihre Bereitschaft erklärt, sich der neuen syrischen Armee anzuschließen (AlHadath 7.1.2025). Die richtungsweisende Entscheidung, die bewaffneten Gruppierungen unter einer einzigen nationalen Armee zusammenzufassen, wurde während eines hochrangigen Treffens in Damaskus formalisiert. Die neu vereinte Truppe wird dem Verteidigungsministerium unterstellt sein und darauf abzielen, die militärische Führung zu zentralisieren und die Ordnung wiederherzustellen. Das Abkommen umfasst nicht alle Fraktionen. Gruppierungen, die in südlichen Regionen wie Dar'aa, Quneitra und Suweida operieren, sowie in at-Tanf stationierte, von den USA ausgebildete Truppen bleiben außerhalb des Geltungsbereichs. Auch die kurdisch dominierten SDF fallen nicht unter das Abkommen. Pläne für eine umfassendere Integration sollen nach dem Ende der Amtszeit der Übergangsregierung im März umgesetzt werden (TR-Today 8.1.2025). Dem syrischen Verteidigungsminister zufolge waren die bewaffneten Gruppen bereit, sich der neuen Militärstruktur anzuschließen. Das syrische Verteidigungsministerium berichtete, dass die neue syrische Regierung mit Vertretern von mehr als 60 bewaffneten Gruppierungen zusammengetroffen sei, die sich bereit erklärt hätten, sich in das neue Verteidigungsministerium zu integrieren. Es wurde ein Ausschuss eingerichtet, um eine einheitliche Datenbank der Streitkräfte zu erstellen, die Informationen über die Humanressourcen (Offiziere, Unteroffiziere, Soldaten und akademisches Personal) und über militärische Vermögenswerte (Hauptquartiere, Technologie und Waffen) enthalten soll. Die Informationen würden der Führung des Verteidigungsministeriums vorgelegt, gefolgt von Treffen mit den bewaffneten Organisationen, um die Struktur der Sicherheitskräfte festzulegen und Kommandeure zu ernennen (MAITIC 23.1.2025). Die Bewegung der syrischen Oppositionsfraktionen gegen Assad war schon immer zersplittert, und es gibt eine lange Geschichte von gescheiterten Vereinigungsprojekten, sowohl im Norden als auch im Süden des Landes. Nach dem Sturz von al-Assad hat sich die Lage geändert, aber die Probleme sind nicht völlig verschwunden (AlHurra 12.2.2025). Der Übergangsregierung ist es gelungen, von bewaffneten Gruppen im ganzen Land (mit Ausnahme von Suweida) vorsichtige Zugeständnisse zu erwirken. Die Bildung einer Süddivision deutet darauf hin, dass sie an einer vorübergehenden Lösung gegenüber dem geschäftsführenden Verteidigungsministerium interessiert ist: Bisher scheinen nicht zu HTS gehörende bewaffnete Gruppen bereit zu sein, mit dem Ministerium zusammenzuarbeiten, ohne jedoch ihre Organisationsstrukturen und geografischen Einflusszonen aufzugeben oder sich entwaffnen zu lassen. Tatsächlich werden die Brigaden der Süddivision die Spaltungen, die den Süden seit Jahren prägen – zwischen dem östlichen und westlichen Dara'a, zwischen Dara'a und Suweida und zwischen konkurrierenden Gruppierungen untereinander – aufrechterhalten (Etana 22.2.2025). Obwohl ash-Shara' Fortschritte bei der Bildung eines Verteidigungsministeriums nach al-Assad unter der Kontrolle der von HTS geführten Behörden in Damaskus signalisiert hat, gibt es über Erklärungen gegenüber den Medien und Diplomatenbesuchen hinaus kaum Anzeichen für praktische Fortschritte. Da es keinen transparenten Plan für die Bildung eines neuen Verteidigungsministeriums gibt, haben ehemalige Oppositionsfraktionen ihre Waffen nicht abgegeben (Etana 10.1.2025). Übergangspräsident ash-Shara' und Verteidigungsminister Abu Qasra haben sich noch nicht mit den Einzelheiten befasst, wie diese Armee von innen aussehen wird und ob das neue syrische Verteidigungsministerium in der Lage ist, eine vollständige Harmonie zwischen den Fraktionen und Kämpfern zu erreichen (AlHurra 12.2.2025).
[…]
Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA)
Mehr als die Hälfte der über 60 in Syrien bestehenden bewaffneten Gruppierungen gehört zur von der Türkei unterstützten Syrian National Army. Ihre Stärke beträgt mindestens 80.000 Mann und ihre Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) (DNewsEgy 3.2.2025). Die Jabhat ash-Shamiya, die Bewegung Nour ad-Din-Zenki, die islamische Bewegung Ahrar ash-Sham im nördlichen Umland von Aleppo und die Gruppe ash-Shahba beteiligten sich an den Vorbereitungen für die Operation „Abschreckung der Aggression“ im Sommer 2024, während die übrigen Fraktionen auf direkte Anweisungen aus Ankara warteten, wie die Nationale Befreiungsfront in Idlib, die Tausende von Kämpfern aus allen Untergruppierungen der Abteilung für militärische Operationen zur Verfügung stellte (Quds 11.1.2025). Sie könnte ca. 50.000 Kämpfer umfassen. Die SNA steht grundsätzlich in Konkurrenz mit der HTS. Ihre Anführer haben erklärt, dass sie schwere Waffen abgeben würde im Gegenzug für hohe Funktionen in der neuen syrischen Armee. Ihre Kleinfeuerwaffen werden sie behalten. Manche Anführer möchten ihr Einkommen, das sie durch Schmuggel über die türkisch-syrische Grenze erhalten, nicht aufgeben (Economist 14.1.2025).
Im Widerspruch dazu wird die HTS von der von Ankara unterstützten Nationalen Befreiungsfront (National Liberation Front - NLF) unterstützt, die von Oberst Fadlallah al-Hajji angeführt wird, dem militärischen Befehlshaber der Faylaq ash-Sham und gleichzeitig stellvertretenden Verteidigungsminister in der Übergangsregierung (Quds 11.1.2025). Die NLF schloss sich im Oktober 2019 der SNA an (MEE 7.12.2024). Die Suleiman Shah Division (auch: al-Amshat) wird von Mohammad Hussein al-Jassim, bekannt als Abu Amsha, angeführt, einer umstrittenen Figur, die sich schweren Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sieht. Seine Truppen haben ihren Sitz in Sheikh al-Hadid in ’Afrin und erstrecken sich auf Teile des nördlichen Landesteils von Aleppo. Die Hamza-Division (auch: Hamzat) kontrolliert al-Bab, Jarablus und ’Afrin und steht unter dem Kommando von Saif Bolad (Abu Bakr), einem prominenten Führer der von der Türkei unterstützten SNA. Im Jahr 2023 verhängte das US-Finanzministerium direkte Sanktionen gegen die beiden Fraktionen und beschuldigte sie, in den von ihnen kontrollierten Gebieten „Kriegsverbrechen und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen“ zu begehen. Menschenrechtsberichten zufolge waren diese von der Türkei unterstützten Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banias, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025).
Die syrischen Sicherheitskräfte forderten Anfang März 2025 nach Zusammenstößen mit Anhängern des Assad-Regimes eine allgemeine Mobilisierung über die bereits in der Küstenregion stationierten Einheiten hinaus an. Drei von den USA sanktionierte Milizen der von der Türkei unterstützten SNA folgten diesem Aufruf: Jaish ash-Sharqiya, Sultan Suleiman Shah und die Hamza-Division. Sie wurden zuvor wegen Menschenrechtsverletzungen an Kurden im Nordwesten Syriens angeklagt. An den Kämpfen waren auch ausländische Dschihad-Kämpfer der von den USA benannten Gruppe Ansar al-Tawhid und lokale syrische Zivilisten beteiligt, die die Kriegsverbrechen des Regimes rächen wollten. Die meisten lokalen Berichte deuten darauf hin, dass die überwiegende Zahl der von Regierungstruppen verursachten zivilen Todesfälle Anfang März 2025 in der Küstenregion von einer Mischung aus SNA-Fraktionen, ausländischen Kämpfern und zufälligen Zivilisten begangen wurde (TWI 10.3.2025). [Details zu den Vorfällen Anfang März 2025 in der Küstenregion sind dem Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.] Alle Gruppierungen der Syrischen Nationalen Armee sind an der Operation „Morgenröte der Freiheit“ gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) beteiligt (Quds 11.1.2025). Fahim ’Issa, einer der prominentesten Militärkommandeure in Nordsyrien, sagte, dass die Fraktionen der SNA derzeit nicht bereit sind, sich zusammenzuschließen, weil sie sich in den Kämpfen gegen die SDF mit türkischer Unterstützung engagieren, was im Gegensatz zu ash-Shara’s Ansatz steht, die Angelegenheit mit den kurdischen Kämpfern zu regeln (Quds 11.1.2025). Die Motivationen der Kämpfer in der SNA sind alles andere als einheitlich. In Interviews wurden drei Hauptmotive im gesamten Korps der SNA hervorgehoben: Erstens sind die Kämpfer von Loyalität und Stammesverbundenheit angetrieben und verlassen sich auf verwandtschaftliche Bindungen und das Vertrauen in die lokale Führung. Zweitens werden sie eher durch wirtschaftliche Faktoren motiviert, wobei viele von ihnen im Schmuggel und in der Kontrolle des lokalen Marktes tätig sind. Drittens sind einige Kämpfer, insbesondere an der Levante-Front, ideologisch motiviert und vertreten revolutionäre Ideale und umfassendere Visionen des gesellschaftlichen Wandels (NLM 25.2.2025).
Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024)
Human Rights Watch konstatiert, dass nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen in Syrien, darunter Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) und Gruppierungen der Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army - SNA), die am 27.11.2024 die Offensive starteten, die nach zwölf Tagen die syrische Regierung stürzte, im Jahr 2024 für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich waren (HRW 16.1.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) befürchtet eine Rückkehr zu einer „dunklen Ära“, weil die Verhaftungen und Hinrichtungen angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage zunehmen (SOHR 2.2.2025).Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) dokumentierte im Jänner 2025 129 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch die Übergangsregierung (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 21Fälle (SNHR 3.3.2025). Der Übergang von dem Regime unter Bashar al-Assad zur Interimsregierung unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) soll relativ reibungslos verlaufen sein. Berichte über Vergeltungsmaßnahmen, Rachemorde und religiös motivierte Gewalttaten waren minimal. Plünderungen und Zerstörungen konnten schnell unter Kontrolle gebracht werden, die aufständischen Kämpfer wurden diszipliniert (AP 15.12.2024b). Es gab keine größeren Massaker oder Rachekampagnen (DW 12.12.2024). Seit die Rebellengruppierungen am 5.12.2024 die Kontrolle über das Gouvernement Hama übernommen haben, hat das Syrian Network for Human Rights (SNHR) eine Reihe von Verstößen dokumentiert, darunter außergerichtliche Tötungen, Zerstörung von Häusern und Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum (SNHR 19.12.2024). Mitte Jänner 2025 nahm die Welle von Selbstjustiz-Angriffen auf ehemalige Mitarbeiter des Regimes zu. Menschen wurden zu Opfern von Attentaten und Ausschreitungen des Mobs. Während einige der Betroffenen Personen sind, deren Beteiligung an den Misshandlungen der Zivilbevölkerung durch das Regime nach 2011 gut dokumentiert ist, waren an anderen Vorfällen kürzlich versöhnte ehemalige Mitglieder des Regimes, Wehrpflichtige mit niedrigem Rang und scheinbar zufällig ausgewählte junge Männer aus der Gemeinschaft der Alawiten betroffen (Etana 17.1.2025). Es werden Rachemorde durch bewaffnete Gruppierungen durchgeführt, von denen einige behaupten, dass diese mit der Abteilung für militärische Operationen verbunden wären [Informationen zur militärischen Operationsabteilung finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)]. Sie zielen aus politischen bzw. konfessionellen Motiven auf Zivilisten ab (SOHR 26.1.2025). Die Provinzen Hama und Homs waren von diesen Entwicklungen am stärksten betroffen, da sie zum Schauplatz häufiger Konfrontationen wurden. In den Küstengebieten wie Latakia und Tartus kam es zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage und zu einer Zunahme an Morden und Hinrichtungen [Diese Provinzen stellten das Kernland des Assad-Regimes dar und wurden in den Bürgerkriegsjahren weitgehend von Kampfhandlungen verschont. Anm.]. Am 11.1.2025 zählte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seit 8.12.2024 80 Fälle von Tötungen, darunter Hinrichtungen vor Ort, bei denen 157 Menschen getötet wurden, unter den Getöteten waren Frauen und Kinder (SOHR 11.1.2025). Insbesondere in den Regionen Hama und Homs, sowie in den Küstengebieten Latakia und Tartus kam es zu willkürlichen Tötungen und Hinrichtungen vor Ort (SOHR 3.1.2025). Nach Berichten von lokalen Aktivisten und Augenzeugen war die Gruppierung Ansar at-Tawhid [Informationen zu dieser Gruppierung sind dem Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen. Anm.] an einem großen Teil dieser Verstöße beteiligt, zusätzlich zu anderen Gruppierungen, die nicht genau identifiziert werden konnten (SNHR 19.12.2024). Mindestens 124 Menschen wurden bei einer Reihe von gewalttätigen Zwischenfällen zwischen 8.12.2024 und 8.1.2025 getötet, darunter bei Racheakten, Vandalismus, Morden und Hinrichtungen in den Provinzen Homs und Hama sowie in den syrischen Küstenstädten. Berichten zufolge wurde ein erheblicher Teil der Gewalt durch die Verbreitung von Videos mit Falschmeldungen in den sozialen Medien ausgelöst, deren Ziel es war, die sektiererischen Spannungen zu verschärfen (MAITIC 9.1.2025). Wegen eines unbestätigten Angriffs auf einen alawitischen Schrein wurde im Dezember 2024 eine Welle von Protestenunter der alawitischen Gemeinschaft in Homs, Latakia, Tartus und Teilen von Damaskus ausgelöst. Die Proteste führten zu Militäroperationen des neuen syrischen Sicherheitsapparats, um ehemalige Kämpfer des Regimes zu vertreiben (AlMon 11.1.2025). Dem Middle East Institute zufolge ist eines der dringendsten Probleme nicht sektiererisch motivierte Angriffe [Informationen zu Übergriffen auf Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten- Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024).], sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben. Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängigdavon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen irgendwelche Alawiten, denen die Soldaten zufällig begegnen. Die Fälle, die die größte Angst geschürt haben, sind die Entführungen und Hinrichtungen von ehemaligen Mitgliedern des Regimes (MEI 21.1.2025). France 24 zufolge zeigen Berichte und Videos in den sozialen Medien in Syrien, dass Vergeltungsmorde begonnen haben (FR24 13.12.2024). Es kursierten Bilder von Regierungsbeamten des ehemaligen Regimes, die unter Gewaltanwendung durch die Straßen geschleift wurden (PBS 16.12.2024).Seit der Machtübernahme durch die neue Regierung haben die Sicherheitsbehörden eine Reihe von Sicherheitskampagnen durchgeführt, die darauf abzielen, die „Überbleibsel des früheren Regimes“ zu verfolgen. Hunderte von Menschen, die ihren Status bei den neuen Behörden nicht geregelt haben, wurden verhaftet. Anwohner und Organisationen haben von Misshandlungen berichtet, darunter die Beschlagnahmung von Häusern und Hinrichtungen vor Ort (AAA 2.2.2025). Bei einer Sicherheitskampagne in Homs gegen Regimeunterstützer im Jänner 2025 kam es zur Festnahme einer Reihe von Männern, darunter auch Zivilisten, denen Verstöße im Zusammenhang mit der inoffiziellen Beschlagnahme von Fahrzeugen nachgewiesen wurden. Die meisten Elemente der Abteilung für Militärische Operationen waren diszipliniert, mit Ausnahme einiger von offizieller Seite als Einzelfälle bezeichneten Vorfällen, wie das Zerbrechen von Musikinstrumenten und Wasserpfeifen sowie von Flaschen mit alkoholischen Getränken und die Beschädigung des Inhalts einiger Häuser. Einige Häftlinge wurden zu erniedrigenden Handlungen gezwungen, wie dem Imitieren von Tiergeräuschen, und sie wurden beleidigt und mit sektiererischen Phrasen beschimpft (Enab 6.1.2025). Auch in Damaskus kam es am 8.1.2025 zu Razzien durch die neuen Sicherheitsbehörden. Sie folgten auf eine dreiwöchige Kampagne im alawitischen Kernland an der Küste (National 8.1.2025). Die Civil Peace Group, eine zivilgesellschaftliche Gruppe, stellte den Tod von zehn Personen, die bei Sicherheitskampagnen und Razzien festgenommen worden waren, in den Gefängnissen der Abteilung für Militärische Operationen im Zeitraum vom 28.1 bis 1.2.2025 in verschiedenen Teilen von Homs fest (AAA 2.2.2025). Lokale bewaffnete Gruppen, die unter dem Kommando der Abteilung für Militärische Operationen operieren, führten Racheaktionen, schwere Übergriffe und willkürliche Verhaftungen durch, wobei sie Dutzende von Menschen ins Visier nahmen, sie demütigten und erniedrigten sowie religiöse Symbole angriffen (SOHR 28.1.2025). Die neue Regierung reagierte auf die Vorwürfe von Menschenrechtsaktivisten mit Festnahmen von Dutzenden Mitgliedern örtlicher bewaffneter Gruppen, die unter der Kontrolle der neuen Machthaber stünden, wegen ihrer Beteiligung an den „Sicherheitseinsätzen“ in der Region Homs (Spiegel 27.1.2025). Zuvor hatten die neuen Machthaber Mitglieder einer „kriminellen Gruppe“ beschuldigt, sich während eines Sicherheitseinsatzes als „Angehörige der Sicherheitsdienste“ ausgegeben zu haben (Zeit Online 27.1.2025). Ein Überfall auf eine syrische Sicherheitspatrouille durch militante Anhänger des gestürzten Staatschefs Bashar al-Assad eskalierte am 6.3.2025 zu Zusammenstößen, bei denen innerhalb von vier Tagen mehr als 1.000 Menschen getötet wurden (SOHR 10.3.2025a). Bewaffnete Männer, die der syrischen Regierung treu ergeben sind, führten Hinrichtungen vor Ort durch und sprachen von einer Säuberung des Landes, wie Augenzeugen und Videos belegen. Sie lieferten ein grausames Bild eines harten Vorgehens gegen die Überreste des ehemaligen Assad-Regimes, das in gemeinschaftliche Morde ausartete (CNN 9.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren von der Türkei unterstützte Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Baniyas, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die sie unterstützenden Kräfte haben Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Insgesamt wurden 1.093 Todesopfer verzeichnet (SOHR 11.3.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 9.3.2025a). Des Weiteren gibt er an, dass in einigen Gebieten Zivilisten abgeschlachtet wurden, während andere durch Erschießungskommandos hingerichtet wurden (AlHurra 9.3.2025), wie in den Stadtvierteln Baniyas und al-Qusour im Gouvernement Tartus, wo 92 Bürger durch ein Erschießungskommando des Ministeriums für Verteidigung und innere Sicherheit hingerichtet wurden (SOHR 10.3.2025e). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.3.2025). In den Städten im Gebiet zwischen Baniyas und Qadmous kam es zu Massentötungen, darunter auch von Kindern und älteren Menschen (AlHurra 9.3.2025). Zehntausende Häuser wurden laut Aussage des Leiters der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) geplündert und niedergebrannt (Sky News 9.3.2025a). [Derails zu den Vorfällen finden sich im Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Hintergrundinformationen zu den Tätergruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)] Der UN-Sondergesandte Geir Pedersen sprach über Berichte von Menschen, die im Kreuzfeuer getötet wurden, und schwere Misshandlungen in der Haft. Pedersen prangerte Entführungen, Plünderungen, Beschlagnahmungen von Eigentum und Zwangsräumungen von Familien aus staatlichen Wohnungen an. Er forderte alle bewaffneten Akteure dazu auf, diese Art von Aktionen zu stoppen, ihre Zusicherungen mit konkreten Maßnahmen zu untermauern, und an einem umfassenden Rahmen für eine Übergangsjustiz zu arbeiten (AJ 13.2.2025b). Der Exekutivdirektor der Organisation Christians for Democracy, stimmt der Rechtfertigung der neuen syrischen Regierung zu, dass das, was geschieht, nicht die Politik der Übergangsregierung widerspiegelt. Er hat die Verstöße in zwei Kategorien eingeteilt: Verbrechen und Übergriffe, die von Einzelpersonen mit der Absicht begangen werden, sich an bestimmten Personen oder an denen, die mit dem früheren Regime kollaboriert haben, zu rächen, und Übergriffe, die von einigen extremistischen Gruppierungen begangen werden, die mit der von der neuen Regierung in Damaskus beschlossenen Politik nicht einverstanden sind. Die Übergangsregierung zieht diejenigen zur Rechenschaft, die nachweislich an Übergriffen gegen Zivilisten beteiligt waren (SOHR 2.2.2025). Die syrische Übergangsregierung unter ash-Shara’ hat zugesagt, dass die Verantwortlichen für Gewalttaten gegen Syrer durch das gestürzte Assad-Regime zur Rechenschaft gezogen werden. Der Weg dorthin ist jedoch schwierig, da die Zahl der Opfer nicht genau bekannt ist und die Täter noch nicht identifiziert werden konnten (BBC 13.12.2024). Die HTS möchte die an staatlicher Folter beteiligten Ex-Offiziere auflisten und sie als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen. Dafür setzte sie sogar eine Belohnung aus, für Informationen über ranghohe Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren (FAZ 10.12.2024). [Details zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen etc. unter dem Assad-Regime finden sich im Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Die von der Türkei unterstützten Gruppierungen plünderten nach der Eroberung von Manbij das Eigentum von kurdischen Bürgern und führten identitätsbezogene Tötungen durch. Sie führten Racheaktionen durch, brannten Häuser nieder und demütigten Kurden (SOHR 9.12.2024; vgl. ISW 16.12.2024). Eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch erklärte, dass die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) und die türkischen Streitkräfte ein klares und beunruhigendes Muster rechtswidriger Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte gezeigt haben und diese sogar zu feiern scheinen. Die türkischen Streitkräfte und die SNA haben eine schlechte Menschenrechtsbilanz in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens. Human Rights Watch hat festgestellt, dass SNA-Gruppierungen und andere Gruppierungen, darunter Mitglieder der türkischen Streitkräfte und Geheimdienste, Menschen, darunter auch Kinder, entführt, rechtswidrig festgenommen und inhaftiert haben, sexuelle Gewalt und Folter mit geringer Rechenschaftspflicht begangen haben und sich an Plünderungen, Diebstahl von Land und Wohnraum sowie Erpressung beteiligt haben (HRW 30.1.2025). In den letzten Jahren sollen SNA-Kämpfer schwere Menschenrechtsverletzungen gegen kurdische Gemeinden in ’Afrin und im Umland von Aleppo begangen haben. Sie wurden beschuldigt, willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt, Entführungen und Folter begangen zu haben. Während der Offensive „Abschreckung der Aggression“ hat HTS mehrere Kämpfer von SNA-Gruppen nördlich von Aleppo im Stadtviertel Sheikh Maqsoud festgenommen und sie beschuldigt, kurdische Zivilisten ausgeraubt und verletzt zu haben, so ein Experte (MEE 7.12.2024). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic berichtete weiterhin von Verhaftungen, Gewalt und finanzieller Erpressung durch die Militärpolizei der Syrischen Nationalarmee (SNA) und bestimmter Gruppierungen, insbesondere der Sultan-Suleiman-Shah Division und der Sultan-Murad-Division (UNHRC 12.8.2024) [Weitere Informationen zu den Gruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)]. SNHR dokumentierte im Jänner 2025 41 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch Gruppierungen der SNA (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 34 Fälle, darunter eine Frau (SNHR 3.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren es auch zwei von der Türkei unterstütze Gruppierungen, die Anfang März 2025 an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banyas, Tartus und Latakia beteiligt waren, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). [Details zu diesen Vorfällen sind dem Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.] Nach al-Assads Sturz am 8.12.2024 sind einem französisch-syrischen Schriftsteller sowie syrischen Künstlern zufolge neue Formen der Zensur entstanden. Die Äußerung von nicht-islamischen Überzeugungen ist in Syrien zu einer ernsthaften Herausforderung geworden. Die syrischen Behörden haben ein neues Gesetz erlassen, das eine einjährige Gefängnisstrafe für jeden vorsieht, der das „Verbrechen der Gotteslästerung“ begeht. Die Angst vor Meinungsäußerung ist im öffentlichen Raum immer noch spürbar. Wenn Themen wie romantische Beziehungen, Säkularismus, Meinungsfreiheit und vor allem Religion diskutiert werden, vergewissern sich die Sprecher, ob kein HTS-Mitglied in der Nähe ist (MC Dawliya 29.1.2025). Am 26.12.2024 erließ das Informationsministerium ein Verbot der Veröffentlichung oder Verbreitung „jeglicher Inhalte oder Informationen mit sektiererischem Charakter, die darauf abzielen, Spaltung und Diskriminierung zu fördern“ (FR24 26.12.2024b).
Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war (SOHR 8.12.2024). Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen (AlMada 15.12.2024). Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten (ISW 16.12.2024). Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern (TNA 19.12.2024). Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024) (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.3.2025).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Ahmed ash-Shara' hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar (Guardian 13.1.2025). Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte "Versöhnungszentren" eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben (Al Majalla 24.1.2025). Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein "Versöhnungszentrum", wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren (Guardian 13.1.2025). In diesen "Versöhnungszentren" erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk "desertiert". Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (Chatham 10.3.2025). [Weitere Informationen zu "Versöhnungszentren" finden sich auch in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur (DNewsEgy 3.2.2025). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den "Versöhnungszentren" in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024). Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen "Versöhnungsprozessen" entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (MEI 13.3.2025).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (AlHurra 12.2.2025). [Details zur neuen syrischen Armee und der Entwaffnung bewaffneter Gruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) Anm.]
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
Rückkehr - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Mit dem Sturz al-Assads kehrten Tausende Syrer aus dem Libanon und der Türkei nach Syrien zurück. Für viele war das Assad-Regime das Haupthindernis für die Rückkehr in ihre Heimat. Die Aufnahmeländer haben diese Begeisterung genutzt, um weitere Rückkehrer zu ermutigen (CSIS 11.12.2024). Zehn Tage nach dem Sturz des syrischen Regimes am 8.12.2024 erklärte die Europäische Union (EU), sie schätze, dass zwischen Januar und Juni 2025 etwa eine Million syrische Flüchtlinge in ihr Land zurückkehren würden. Das wurde durch die Direktorin des Büros des UNHCR für den Nahen Osten und Nordafrika bestätigt. Ahmad ash-Shara’, der Befehlshaber der Militäroperationen in Syrien, der später zum Übergangspräsidenten des Landes wurde, betonte bei einem Treffen mit dem UN-Sondergesandten Geir Pedersen, dass eine seiner ersten Prioritäten darin bestehe, zerstörte Häuser wieder aufzubauen und die Vertriebenen in das letzte Zelt zurückzubringen, während er gleichzeitig sehr wichtige wirtschaftliche Entscheidungen treffe (Almodon 13.2.2025). Die Mehrheit ist in die Gouvernements Hama und Aleppo zurückgekehrt. Das bedeutet, dass die Zahl der Menschen, die neu vertrieben wurden, von 1,1 Millionen, wie am 12.12.2024 gemeldet, auf 882.000 Menschen am 15.12.2024 gesunken ist. Von dieser Zahl wurden mindestens 150.000 Menschen mehr als einmal vertrieben. Viele Familien sind in frühere Lager in ihren Herkunftsgebieten zurückgekehrt, weil es in ihren Heimatstädten an grundlegenden Versorgungsleistungen mangelt oder die Infrastruktur beschädigt ist. Einige Familien gaben auch an, dass sie auf die Räumung von Kampfmittelrückständen in ihren Herkunftsgebieten warten, bevor sie zurückkehren (UNOCHA 16.12.2024). UNHCR schätzt, dass von 8.12.2024 bis 2.1.2025 über 115.000 Syrer nach Syrien zurückgekehrt sind, basierend auf öffentlichen Erklärungen von Aufnahmeländern, Kontakten mit Einwanderungsbehörden in Syrien und dem UNHCR sowie der Grenzüberwachung durch Partner (UNHCR 2.1.2025). Insgesamt sind nach Angaben des UNHCR 800.000 vertriebene Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt, darunter 600.000 Binnenvertriebene (Internal Displaced Persons - IDPs) (Stand 31.1.2025) (AlHurra 31.1.2025). Die Zahl der Personen, die in das Gouvernement Aleppo zurückkehren, ist am höchsten, wobei die Rückkehrer die verbesserte Sicherheitslage und die Abschaffung des Wehrdienstes als Hauptgründe für ihre Rückkehr nennen (UNHCR 2.1.2025). Grundsätzlich verzeichnen die UN einen Anstieg an rückkehrwilligen Syrern, die im Nahen Osten leben. Fast 30 % geben an, in ihre Heimat zurückzuwollen. Als großes Hindernis für die Rückkehr sieht UNHCR-Chef Grandi die Sanktionen (Zeit Online 26.1.2025). Die syrischen Behörden gaben an, dass innerhalb von zwei Monaten nach der Befreiung Syriens 100.905 Bürger über die Grenzübergänge der Türkei zurückgekehrt sind. Der Grenzübergang Jdaydat Yabous/ Masna’ zum Libanon fertigte in zwei Monaten 627.287 Reisende ab, darunter 339.018 syrische Staatsbürger und arabische und ausländische Gäste, und 288.269 Ausreisende. Im gleichen Zeitraum wurden am Grenzübergang Nassib/ al-Jaber zu Jordanien 174.241 Passagiere syrischer Staatsbürger und arabischer und ausländischer Gäste abgefertigt, davon 109.837 bei der Einreise und 64.404 bei der Ausreise. Am Grenzübergang al-Bu Kamal/ al-Qa’im wurden 5.460 syrische Staatsbürger abgefertigt, die im Irak leben und zurückkehren, um sich dauerhaft in Syrien niederzulassen (Nashra 11.2.2025). Bei den Angaben zu Rückkehrern sind die zuständigen Behörden und Forschungszentren nicht in der Lage festzustellen, ob diese Menschen lediglich zurückgekehrt sind, um ihre Familien zu besuchen und zu treffen, oder ob sie freiwillig und dauerhaft zurückgekehrt sind (Almodon 13.2.2025).
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Bewegungsfreiheit - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Die Interimsregierung installiert Checkpoints, an denen Autos durchsucht werden. Es wird überprüft, wer unterwegs ist, beispielsweise um Menschen zu verhaften, die für Verbrechen gegen das syrische Volk in der Zeit des Regimes verantwortlich sind (PBS 16.12.2024). Die Kontaminierung durch explosive Kampfmittel stellt nach wie vor eine große Bedrohung für Zivilisten, die sich zwischen ehemaligen Kontrollgebieten bewegen, dar (UNOCHA 23.12.2024).
Laut Aussage des syrischen Verkehrsministers bei einem Interview mit der kurdischen Zeitung Rudaw haben die neuen syrischen Machthaber vom ersten Tag der Befreiung an damit begonnen, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, insbesondere durch die Sicherstellung der Grundversorgung, z. B. mit Brot und Treibstoff, zusätzlich zur Sicherung des Transportsektors, damit sich die Menschen zwischen den Provinzen bewegen können. Sie haben damit begonnen, Treibstoff für Fahrzeuge zu sichern, damit sie in Abstimmung mit dem Ölministerium eingesetzt werden können, und Fahrten zwischen Damaskus und den restlichen Provinzen, zwischen Idlib und den restlichen Provinzen und zwischen Aleppo und restlichen Provinzen zu organisieren, zusätzlich zum internen Transport innerhalb jeder Provinz. Sie haben mit der Umsetzung eines Plans zur Festlegung spezifischer Preise, die für Fahrzeugbesitzer und für Menschen mit sehr begrenztem Einkommen angemessen sind, begonnen. Etwa 70 bis 80 % der Preis- bzw. Transporttarifstruktur wurden fertiggestellt und umgesetzt. Was die Versorgung der Öffentlichkeit betrifft, so wurden etwa 50 bis 60 % der Strecken, ob intern oder extern, gesichert (Rudaw 1.2.2025).
Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Die sunnitischen Muslime machen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes aus. Obwohl die offiziellen Bevölkerungsstatistiken keine Angaben zu Religion oder ethnischer Zugehörigkeit enthalten, sind laut dem Bericht des US-Außenministeriums über Religionsfreiheit aus dem Jahr 2022 74 % der Bevölkerung Sunniten, mit einer vielfältigen ethnischen Mischung aus mehrheitlich Arabern, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und einigen Turkmenen. Sunniten sind in den meisten syrischen Städten und Dörfern vertreten, mit bemerkenswerten Konzentrationen in Damaskus, Aleppo und Homs. Neben den Sunniten gibt es weitere islamische Gruppen, darunter Alawiten, Ismailiten und andere schiitische Sekten, die nach Schätzungen des US-Außenministeriums zusammen 13 % der Bevölkerung ausmachen. Die Vielfalt Syriens beschränkt sich nicht auf die konfessionelle Dimension, sondern erstreckt sich auf zahlreiche ethnische Gruppen wie Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen und andere. Araber sind die überwältigende Mehrheit in Syrien, gefolgt von Kurden (BBC 12.12.2024). Die Übergangsregierung in Syrien will sich nach Aussagen ihres Außenministers ash-Shaybani für die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen im Land einsetzen. Niemand sollte aufgrund seiner Herkunft, seines sozialen oder religiösen Hintergrunds oder einer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen bestraft werden, sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Zeit Online 23.1.2025). Demografische Daten für Syrien sind unzuverlässig, und die derzeitigen Standorte von Minderheitengemeinschaften sind aufgrund der erheblichen Umwälzungen, die das Land unter der Herrschaft von Bashar al-Assad erlebte, ähnlich schwer zu ermitteln (MRG 1.2025).
ACCORD: Anfragebeantwortung vom 21.03.2025: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen
Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung; Zwangsrekrutierungen
Mehrere Quellen berichten im Februar 2025, dass der Präsident der syrischen Übergangsregierung, Ahmed Al-Scharaa, erklärt habe, dass er die Wehrdienstpflicht abgeschafft habe und stattdessen auf freiwillige Rekrutierung setze (Enab Baladi, 12. Februar 2025; France 24, 10. Februar2025; siehe auch Markaz Al-Jazeera l-il-Dirasat, 30. Jänner 2025; FDD,28. Jänner 2025). Anfang Februar 2025 wurde berichtet, dass sich Scharaa zufolge tausende Freiwillige der neuen Armee anschließen würden(France 24, 10. Februar 2025; Enab Baladi, 12. Februar 2025). Dem Online-Begleittext eines Videobeitrags des schwedischen Fernsehprogramms Svtnyheter von Jänner 2025 zufolge hätte die Hayat Tahrir Al-Scham (HTS)aktiv mit intensiven Rekrutierungen für die Reihen der Polizei und des Militärs begonnen (Svt nyheter, 18. Jänner 2025). In einem undatierten arabischsprachigen Artikel bezieht sich das Swedish Center for Information (SCI) auf den genannten Videobeitrag. Laut dem SCI-Artikelwürden Berichten zufolge Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere mittels intensiver Programme rekrutiert, die von traditionellen akademischen Standards und Trainingsstandards abweichen würden. Dies habe den Zweck, die Ausbildung der Militär- und Sicherheitskräfte zu beschleunigen, um den Bedarf des neuen Staates zu decken (SCI, ohne Datum).
In einem arabischsprachigen Artikel von Februar 2025 berichtet EnabBaladi, die Rekrutierungsabteilung in Aleppo habe verkündet, dass die Anmeldungen für eine Militärausbildung begonnen hätten. Die Bedingungen für den Eintritt in die Reihen des Verteidigungsministeriums
der Übergangsregierung seien festgelegt worden. Interessierte könnten sich bis 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Aleppo im Viertel Al-Furqan anmelden. Voraussetzung sei, dass Bewerber ledig, zwischen 18 und 22 Jahre alt seien, keine chronischen Erkrankungenhätten und nicht verletzt seien. Für eine Anmeldung seien zwei Fotos, eine Kopie des Personalausweises sowie, sofern vorhanden, eine Kopie des Nachweises über einen akademischen Abschluss vorzulegen (Enab Baladi,12. Februar 2025). Ähnliche Informationen finden sich in den nachfolgendbeschriebenen zwei Facebook-Beiträgen. In einem arabischsprachigen Facebook-Beitrag vom 12. Februar 2025 auf der Facebook-Seite„Al Arabiya Syria“ wird berichtet, dass das Gouvernement Aleppo verkündet habe, dass die Anmeldungen für die Aufnahme in die Reihender Armee eröffnet seien. Die Anmeldungen würden im Offiziersclub im Viertel Al-Furqan entgegengenommen. Bewerber hätten ledig sowie zwischen 18 und 22 Jahre alt und gesund zu sein (Al Arabiya Syria,12. Februar 2025). Auf der Facebook-Seite „Nachrichten des freien Syrien“(„Achbar Suriya al-Hurra“) findet sich ein Beitrag vom 6. Februar 2025, der eine Rekrutierungsanzeige der Rekrutierungsabteilung in Idlib veröffentlicht. Die Anmeldung zur Teilnahme am Militärkurs für jene, die unter dem Verteidigungsministerium dienen möchten, sei eröffnet. Interessierten sei es möglich, sich zwischen dem 9. Februar 2025 und dem15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Idlib anzumelden. Bewerber hätten ledig und zwischen 18 und 22 Jahre alt zu sein. Siedürften nicht chronisch krank oder verletzt sein. Vorzulegen seien ein Foto, eine Kopie des Personalausweises und eine Kopie desakademischen Nachweises, wenn vorhanden (Nachrichten des freien Syrien, 6. Februar 2025).
Syria TV, ein syrischer Fernsehsender mit Sitz in Instanbul, der im Besitzeines katarischen Mediennetzwerks ist und sich in Opposition zur Assad-Regierung positioniert hatte, berichtet in einem arabischsprachigen Artikel vom Februar 2025, dass sich der Rekrutierungsprozess für die neuen syrischen Militär- und Sicherheitsinstitutionen, wie die Polizei sowie Kriminal- und Geheimdienste, von Gouvernement zu Gouvernement unterscheide. Am 10. Jänner 2025 habe das Innenministerium der Übergangsregierung verkündet, dass Anmeldungen zum Eintritt in die Polizeiakademie begonnen hätten. Die Kurse, die einen Eintritt in die Reihen der Polizei und Dienste der öffentlichen Sicherheit ermöglichen sollen, hätten in fast allen Gouvernements, insbesondere in Damaskus, RifDimaschq, Homs, Tartus, Idlib, Sweida und Deir ez-Zor begonnen. Dem Artikel zufolge sei Idlib in dieser Hinsicht am aktivsten, gefolgt von Deir ez-Zor und Teilen von Rif Dimaschq, während der Rekrutierungsprozess in den Küstenregionen sowie in Homs eher verhalten verlaufe. Bewerberhätten zwischen 20 und 30 Jahre alt zu sein, einen Sekundarschulabschluss oder einen entsprechenden Abschlussvorzuweisen, die vorgeschriebenen Kurse absolviert zu haben, unbescholten sowie gesund und von guter Statur zu sein. Sie hätten zudem körperlich fit zu sein und müssten mindestens 168 cm groß sein.
Einem für den Artikel interviewten 27-jährigen Mann zufolge stelle der freiwillige Beitritt zum Polizei- oder Geheimdienstapparat für ihn eine gute Beschäftigungsmöglichkeit dar. Das Gehalt betrage mindestens 200 US-Dollar, während ein Arbeiter in Idlib täglich nicht mehr als umgerechnet drei US-Dollar verdiene. Der Mann aus Süd-Idlib habe auf Facebook eine Rekrutierungsanzeige gesehen und sich daraufhin beeilt, sich zu bewerben. Er habe erklärt, dass für die Bewerbung ein Formular mitpersönlichen Daten auszufüllen sei. Das Formular gebe an, dass Bewerber nicht älter als 30 Jahre sein dürften. Man dürfe im Formular angeben, ob man in die Reihen des Geheimdienstes oder der Polizei, darunter die Kriminalpolizei, die Verkehrspolizei und die Moralpolizei, aufgenommen werden wolle. Die Moralpolizeit sei eine Abteilung, die in Idlib vor dem Sturz der Assad-Regierung hätte gegründet werden sollen, aber trotz der Verbschiedung eines Gesetzes mit dem Titel „Öffentliche Moral“, auf Eisgelegt worden sei (Syria TV, 21. Februar 2025).
In einem Artikel vom 19. Februar 2025 berichtet The National von einem Funktionär der HTS, der im Damaszener Außenbezirk Ost-Ghuta junge Männer rekrutieren solle. Die HTS benötige dem Artikel zufolge so viele Männer wie möglich, insbesondere für entlegenere Gegenden. An einemöffentlichen Platz im Vorort Ain Tarma habe der Funktionär ein kommunales Gebäude betreten und einen Zuständigen dort gefragt, ober Personen kenne, die geeignet seien, der HTS beizutreten. Er habe eine Telefonnummer hinterlegt und sei zu einer ehemaligen Regierungskaserne weitergegangen, die sich auf dem Gebiet befinde, wo neue HTS-Rekruten ein dreiwöchiges Training absolvieren sollen. Dem Funktionär zufolge hätten sich seit dem Fall der Assad-Regierung tausende der HTS angeschlossen. Hunderte weitere würden bald in den Kasernen in Ost-Ghuta erwartet (The National, 19. Februar 2025).
Laut einem Artikel der Foundation for Defense of Democracies (FDD) von Jänner 2025 behaupte die syrische Übergangsregierung zwar, sich für religiöse Toleranz einzusetzen. Gleichzeitig werde die von der Regierung bevorzugte sunnitisch-islamische Glaubensströmung der Rekrutierung und der Ausbildung neuer Sicherheitskräfte zugrunde gelegt. Berichten zufolge würden neue Rekruten eine 21-tägige Scharia[1]-Ausbildung durchlaufen (FDD, 28. Jänner 2025). In einem Artikel von Jänner 2025berichtet Reuters von der Rekrutierung von Polizisten durch die Übergangsregierung. Polizisten, die aus der ehemals HTS-regierten Enklave in Idlib nach Damaskus gebracht worden seien, würden Bewerbernach ihrem Glauben befragen. Die Ausbildung von Polizisten dauere zehn Tage und der Fokus liege Ausbildnern und Absolventen zufolge auf dem Umgang mit Waffen und der Vermittlung von islamischem Recht. Dem Leiter der Polizei in Aleppo zufolge sei geplant, die Ausbildung auf neun Monate auszuweiten, wenn sich die Sicherheitslage gebessert habe. Ihm zufolge würden den Polizeirekruten die Prinzipien der islamischen Rechtsprechung, die Biographie des Propheten Mohammed und Verhaltensregeln gelehrt. Die Bewerbungsformulare würden Reuters zufolge einen Abschnitt „Glaube, Orientierung und Standpunkte „enthalten, in welchem Bewerber nach ihrer „Bezugsautorität“ („referentialauthority“[2]) befragt würden. Drei anonymen HTS-Beamten zufolge diene die Frage dazu, Bewerber zu identifizieren, die einer genaueren Prüfung unterzogen werden müssen, insbesondere Alawiten, die derselben Glaubensströmung wie die Assad-Familie angehören würden und möglicherweise Verbindungen zur Assad-Regierung gehabt hätten(Reuters, 23. Jänner 2025).
Dem von Reuters befragten Wissenschaftler Aron Lund zufolge fänden viele Syrer·innen die religiöse Komponente bei der Rekrutierung von Polizisten bedenklich. Das betreffe nicht nur Minderheiten wie Christ·innen, Alawit·innen und Druz·innen, sondern auch urbane, säkularesunnitische Muslim·innen. Das Innenministerium der Übergangsregierung, welches für Polizeiangelegenheiten zuständig sei, habe Reuters Fragen zum religiösen Fokus bei der Rekrutierung und Ausbildung von Polizisten nicht beantwortet. Mehreren von Reuters interviewten führenden Polizeioffizieren zufolge diene dieser nicht dazu, der Allgemeinbevölkerung religiöse Inhalte aufzuzwingen, sondern dazu, Rekruten ethisches Verhalten zu vermitteln. Sieben Polizeioffiziere, die Polizeistationen verwalten oder im Rekrutierungsprozess involviert seien, hätten ausgesagt, dass die Polizei mehr Mitarbeiter benötige und Bewerbungen von Personen jeder Glaubensrichtung willkommen seien(Reuters, 23. Jänner 2025).
Einem Polizei-Ausbildner an einer Polizeiakademie in Damaskus zufolge hätten sich über 200.000 Personen gemeldet, die Teil des neuen Polizeidienstes werden wollen. Alle fünf von Reuters interviewten hochrangingen Offiziere seien davon ausgegangen, dass sich die Personalausstattung vor dem Hintergrund der Ausweitung von Rekrutierung und Training im Jahr 2025 verbessern werde. Die Anmeldung von Polizisten, die vor dem Sturz der Assad-Regierung zu den Rebellen übergelaufen seien, werde laut von Reuters befragten führenden Polizeioffizieren begrüßt (Reuters, 23. Jänner 2025; siehe auch EnabBaladi, 12. Februar 2025). Diejenigen, die nicht übergelaufen seien, hätten einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. Im Zuge dessen hätten sie ein Dokument zu unterzeichnen, worin sie den Regierungswechselanerkennen würden, und sie hätten ihre Waffe abzugeben. Es sei noch unklar, ob sie dem neuen Polizeidienst beitreten dürften (Reuters,23. Jänner 2025).
In einem Artikel von Ende Februar 2025 berichtet Syria TV von Gerüchten, denen zufolge die Übergangsregierung in den Gouvernements Tartus und Latakia Männer zum Militärdienst rekrutiert und zwangsverpflichtet hätte. Auf Facebook-Seiten, die der Quelle zufolge von Medienfachleutenbetrieben würden, die der Assad-Regierung naheständen, sei berichtet worden, dass Sicherheitskräfte in den Städten Dschableh, Baniyas undQardaha Checkpoints aufgestellt und Personen mit
Statusregelungsausweisen[3] („Bidaqat Taswiya“) festgenommen hätten. Offizielle Quellen des Gouvernements Tartus hätten den Verantwortlichen der Rekrutierungsabteilung der Stadt Baniyas zitiert, der diese Gerüchtevehement abgestritten habe. Er habe darauf hingewiesen, dass der Militärdienst nunmehr auf Freiwilligkeit aufbaue und dazu aufgerufen, offizielle Quellen für Informationen zu konsultieren (Syria TV, 26. Februar2025).
Kurzinformation der Staatendokumentation, Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, 10.12.2024
1. Zusammenfassung der Ereignisse
Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. Die folgende Karte zeigt die Gebietskontrolle der einzelnen Akteure am 26.11.2024 vor Beginn der Großoffensive:
Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).
Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).
Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).
Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).
Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).
In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).
Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).
2. Die Akteure
Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).
Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).
Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).
Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).
• Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).
Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).
• National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).
Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).
• Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).
• Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).
• Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).
• Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).
• Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).
3. Aktuelle Lageentwicklung
Sicherheitslage:
Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).
Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).
Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).
Sozio-Ökonomische Lage:
Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).
Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).
Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).
Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).
EUAA Country Focus Syria, Julie 2025
Gewaltenteilung und Regierungsbildung
Am 13. März unterzeichnete der syrische Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa eine Verfassungsdeklaration, die eine fünfjährige Übergangsphase festlegt. Die Verfassungsdeklaration soll als Übergangsverfassung für fünf Jahre dienen, bis eine permanente Verfassung und Wahlen eingeführt werden. Die Verfassungsdeklaration garantiert zudem die Unabhängigkeit der Justiz, Meinungs- und Medienfreiheit sowie politische, Bildungs- und Arbeitsrechte für Frauen.
Die Verfassungsdeklaration etabliert ein stark präsidentielles Regierungssystem ohne Premierminister und verleiht dem Präsidenten weitreichende Befugnisse bei nur minimaler Kontrolle. Der Präsident ernennt alle Minister, Vizepräsidenten und Richter des Obersten Verfassungsgerichts und bestimmt alle Mitglieder des Parlaments – ein Drittel durch direkte Ernennung und den Rest über ein von ihm eingesetztes „Hohes Komitee“. Der Präsident kann außerdem Exekutiverlasse erlassen, Gesetze vorschlagen, für bis zu drei Monate den Ausnahmezustand ausrufen (mit Zustimmung eines von ihm eingesetzten Nationalen Sicherheitsrats) und fungiert als Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Am 13. März berichteten mehrere Quellen von der Gründung eines Nationalen Sicherheitsrats, der mit der Überwachung der nationalen Sicherheitsangelegenheiten und politischen Strategien Syriens beauftragt ist. Der Rat wird von Präsident Ahmad al-Sharaa geleitet und umfasst die Minister für Außenpolitik, Inneres und Verteidigung sowie den Geheimdienstchef und drei weitere Sitze. Die Aufgaben und Arbeitsweise des Rates werden durch Direktiven geregelt, die direkt vom Präsidenten erlassen werden.
Hervorstehende Persönlichkeiten von Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) wurden in führende Positionen berufen, darunter in das Außenministerium, das Justizministerium, das Verteidigungsministerium, das Innenministerium sowie an die Spitze des Allgemeinen Nachrichtendienstes.
Am 29. März kündigte der Übergangspräsident die Bildung einer Übergangsregierung an, die aus 23 Ministern unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft besteht, darunter Alawiten, Christen, Drusen und Kurden. Eine Frau wurde zur Ministerin für Soziales und Arbeit ernannt. Die Regierung wird von Ministern dominiert, die mit Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) verbunden sind, umfasst aber auch Technokraten, Vertreter der Zivilgesellschaft sowie Minister, die bereits vor 2011 unter der Assad-Regierung tätig waren.
Keiner der Minister aus ethnisch-religiösen Minderheiten ist einer bekannten politischen Fraktion zuzuordnen, was Kritik ausgelöst hat, dass ihre Ernennung lediglich symbolischer Natur sei und keine echte politische Repräsentation darstelle. Die kurdischen und drusischen Mitglieder der Regierung sind weder mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) noch mit der Demokratischen Autonomen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) verbunden, noch vertreten sie die drusische religiöse Führung oder bewaffnete Gruppen in as-Suwaida.
Im Juni wurde per Präsidialdekret die Ernennung des Obersten Wahlausschusses für die Volksversammlung bekannt gegeben. Dieser ist mit der Aufsicht über die indirekte Wahl von 100 der insgesamt 150 Mitglieder der Volksversammlung (Parlament) durch Wahlkollegien beauftragt. Zudem soll er den Wahlzeitplan festlegen und die Zulassungskriterien für Wähler und Kandidaten bestimmen
2.1.1. Ins Visier genommen von der Übergangsregierung
(a) Ehemalige Soldaten und Sicherheitskräfte
Nach der Machtübernahme ordnete die Übergangsregierung an, dass Tausende von Polizisten, Sicherheitsbeamten und Soldaten einen „Versöhnungsprozess“ durchlaufen mussten, in dessen Rahmen sie ihre Ausweise, Waffen und Fahrzeuge abgeben und sich einer Untersuchung unterziehen mussten. (170) Injeder Provinz wurden Zentren eingerichtet, um das sich stellende Personal des Regimes aufzunehmen. Diejenigen, die sich selbst und ihre Waffen abgaben, erhielten eine „Sicherheitsbescheinigung“ und wurden vor Strafverfolgung geschützt. 171Sie durften in das zivile Leben zurückkehren, sofern sie sich während des Bürgerkriegs nicht an Massakern oder Kriegsverbrechen beteiligt hatten. (172) Inden ersten Wochen nach dem Sturz der Assad-Regierung sollen zwischen 50 000 und 70 000 ehemalige Soldaten und Wehrpflichtige de r SAA ihre Waffen abgegeben haben und demobilisiert worden sein, wobei sie von der von der neuen Regierung verkündeten Generalamnestie profitierten.
In den Küstengebieten von Tartus und Latakia sollen sich riesige Waffenvorräte befinden, die den mit der Assad-Regierung verbundenen Kräften gehören. Während viele Personen ihre Waffen abgaben und in dafür vorgesehenen Zentren einen Versöhnungsprozess durchliefen, weigerten sich andere unter Verweis auf die instabile Sicherheitslage und die anhaltende Notwendigkeit der Selbstverteidigung, ihre Waffen abzugeben.174 Anfang Februar 2025 schätzte eine lokale Quelle, die für einen Bericht des Middle East Institute (MEI) befragt wurde, dass zwischen 4 000 und 5 000 Männer in Latakia und Tartus sich dem Vergleichsprozess/der Versöhnung entzogen hatten, wobei einige bei Sicherheitsoperationen gefasst wurden, während andere Berichten zufolge an bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung beteiligt waren.175 Vermutlich in dem Bewusstsein, dass ihre früheren Verbrechen sie von einer Amnestie ausschließen würden, mieden hochrangige Vertreter des ehemaligen Assad-Regimes, darunter führende Militärs und Geheimdienstmitarbeiter, die Siedlungszentren und begannen stattdessen,,176 Aufständischen-Netzwerke zu organisieren insbesondere in den Küstengebieten.
Viele Hochrangige Regierungsbeamte, insbesondere Brigadegeneräle und höherrangige Offiziere, sind Berichten zufolge ins Ausland geflohen oder untergetaucht, um einer möglichen Strafverfolgung zu entgehen. 178Hilfsmilizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (NDF) und die Lokalen Verteidigungskräfte lösten sich ohne koordinierte Kapitulation auf. Viele Kämpfer tauchten unter, ohne ihre Waffen abzugeben. 179 Im Vorfeld der Angriffe von Assad-Loyalisten, die im März die Gewalt in den Küstengebieten auslösten, waren Berichten zufolge mit dem Iran verbundene Überreste des Assad-Regimes seit Mitte Januar für 46 Angriffe auf Sicherheitskräfte in mehreren Provinzen verantwortlich. 180 Laut einem Bericht des Harmoon Center for Contemporary Studies führte die Auflösung ehemaliger Militär- und Sicherheitsinstitutionen zu Hunderttausenden von Arbeitslosen. Dies führte in Verbindung mit den Zwangsumsiedlungsmaßnahmen für Angehörige der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste zu Ressentiments und Unruhen. (181) Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung starteten Operationen, um die „Überreste” des Assad-Regimes zu verfolgen. Einem Bericht des Harmoon Center for Contemporary Studies zufolge wurde jedoch keine Liste mit Verdächtigen veröffentlicht, keine Übergangsbehörde beaufsichtigte diese Bemühungen, es wurden keine offiziellen Verfahren für Anklagen oder Verhaftungen festgelegt und es wurden keine Gerichte für die Bearbeitung von Rechtsfällen benannt. Infolgedessen agierten bewaffnete Gruppen ungehindert und begingen häufig Verstöße, darunter auch außergerichtliche Tötungen. Der Quelle zufolge schuf das Klima der Gesetzlosigkeit und Angst einen fruchtbaren Boden für Offiziere aus der Assad-Ära, um Rekruten zu sammeln und destabilisierende Operationen im ganzen Land zu initiieren. (182) Laut einem Bericht der International Crisis Group vom März verhinderte oder bestrafte die Übergangsregierung weitgehend Vergeltungsmaßnahmen gegen Personen, die mit der Assad-Regierung in Verbindung standen. (183) Trotz Amnestieversprechen gab es Berichte, dass Tausende Soldaten, darunter hochrangige Offiziere, inhaftiert wurden.184 Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) wurden mehr als 8 000 Personen, darunter ehemalige Soldaten und Offiziere der SAA, die sich ergeben hatten, Soldaten, die nach dem Versuch, aus Syrien zu fliehen, aus dem Irak zurückgekehrt waren, Soldaten, die in der syrischen Wüste und in der Umgebung von Deir Ez-Zor gegen den ISIL gekämpft hatten, sowie Zivilisten, die bei Razzien oder an Kontrollpunkten festgenommen worden waren,185ohne Anklage inhaftiertin Gefängnissen in Hama, Adra und Harem festgehalten. SOHR berichtete auch, dass einige hochrangige Militärangehörige ohne offizielle Bestätigung durch die Behörden stillschweigend in das Gefängnis von Afrin verlegt worden seien. (186) Zwischen März und Mai führten Sicherheitskräfte des Innenministeriums weiterhin Razzien und Verhaftungskampagnen gegen Personen durch, denen Verstöße während der Herrschaft des Assad-Regimes vorgeworfen wurden, darunter Militärangehörige und Personen, die angeblich an den Unruhen im März beteiligt waren.
Angriffe gegen Regierungstruppen. Die Festnahmen wurden insbesondere in den Provinzen Latakia, Homs, Hama und Damaskus verzeichnet. Bei den Operationen wurden erhebliche Mengen an Waffen und Munition beschlagnahmt, die Festgenommenen wurden in Zentralgefängnisse in Homs, Hama und Adra (Provinz Damaskus-Land) gebracht. Nach Angaben des SNHR wurden diese Kampagnen zwar als Sicherheitsoperationen dargestellt, es bleibt jedoch unbestätigt, ob sie auf der Grundlage rechtmäßiger richterlicher Haftbefehle durchgeführt wurden.187 Nach Angaben der GPC haben willkürliche Festnahmen durch die Übergangsbehörden, darunter ehemalige Regierungsbeamte Assads, Geheimdienstmitarbeiter und Milizenführer, Besorgnis über Isolationshaft und das Fehlen rechtlicher Garantien ausgelöst. 188 SJAC erklärte, dass die von der Übergangsregierung Festgenommenen ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten werden und keinen Zugang zu Anwälten oder Familienbesuchen haben. Da die Justiz derzeit nicht funktioniert, werden sie weder offiziell angeklagt noch vor Gericht gestellt. Die SJAC hat vereinzelte Berichte über Folter und Misshandlung von Häftlingen aus strafrechtlichen oder sicherheitsbezogenen Gründen erhalten, darunter auch Vorfälle im Gefängnis von Adra. Im Februar wurden Fälle von Personen gemeldet, die in Homs unter Folter starben. Die GSS übernahm die Verantwortung für einige der Todesfälle und versprach, Ermittlungen einzuleiten. (189) Die Behörden ließen außerdem Hunderte von Personen, darunter ehemalige Militärangehörige (190),aus verschiedenen Haftanstalten frei, nachdem festgestellt worden war, dass sie nicht an Straftaten beteiligt waren (191). Laut den Syrien-Experten Gregory Waters und Kayla Koontz zeichnen sich in der Vorgehensweise der Übergangsregierung bei der Verfolgung von Mitgliedern des ehemaligen Regimes, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, zwei unterschiedliche Muster ab: Personen, die hohe Ämter innehatten oder an besonders grausamen Verbrechen beteiligt waren, werden bei ihrer Festnahme oft öffentlich namentlich genannt und bleiben in der Regel in Haft, mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen, wie beispielsweise im Fall von Fadi Saqr (ehemaliger Anführer der Nationalen Verteidigungskräfte). Im Gegensatz dazu bleiben viele niedrigrangige Beamte und ehemalige Informanten auf freiem Fuß. Trotz häufiger Meldungen von Einheimischen an die Sicherheitskräfte werden diese Personen oft nur kurz inhaftiert und dann wieder freigelassen. (192) SJAC beobachtete, dass Personen mit einem höheren Bekanntheitsgrad eher ins Visier genommen werden, während Personen mit einem geringeren Bekanntheitsgrad leichter der Aufmerksamkeit entgehen können. Laut SJAC gibt es keine einheitliche Vorgehensweise bei der Behandlung von Inhaftierten. Es ist jedoch zu erwarten, dass höherrangige Personen eine relativ bessere Behandlung erfahren, entweder um Informationen zu erhalten oder um sie später vor Gericht als angemessen behandelt präsentieren zu können. Im Gegensatz dazu sind rangniedere Personen Berichten zufolge stärker von Misshandlungen bedroht; einige erscheinen in Videos mit sichtbaren Spuren körperlicher Gewalt.
Im Berichtszeitraum dokumentierten Quellen die Festnahme hochrangiger Militär- und Geheimdienstoffiziere des Assad-Regimes, darunter Brigadengeneral Bashar Mahfouz, Kommandeur der 25. Division, wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen; Generalmajor Mohammad Kanjo Al-Hassan, ehemaliger Leiter der Militärjustizverwaltung, wegen seiner Rolle bei Massenmorden im Gefängnis von Sednaya (195); sowie Brigadengeneral Salem Dagestani, früherer Leiter der Ermittlungsabteilung der Luftwaffengeheimdienstdirektion (196). (b) Weitere Berufsgruppen
Quellen berichteten von vereinzelten Festnahmen anderer Berufsgruppen durch Kräfte der Übergangsregierung. Das SNHR dokumentierte beispielsweise Festnahmen von verdächtigten Regierungsangestellten (197), Ärzten in Militärkrankenhäusern der Sicherheitsdienste (198) und Medienmitarbeitenden, die zuvor für staatliche Sender des Assad-Regimes gearbeitet hatten (199).
Gelegentlich wurden auch ehemalige Baʿath-Parteimitglieder festgenommen, darunter ein früherer Provinzsekretär (200). Weitere bekannte Fälle betrafen ein ehemaliges Parlamentsmitglied mit pro-Assad-Position (201) sowie den früheren Großmufti Ahmad Hassoun, der die Kriegstaktiken des Regimes unterstützt haben soll und verdächtigt wird, Hinrichtungsbefehle für Tausende Regimegegner unterzeichnet zu haben (202).
Laut Enab Baladi geben die Behörden nahezu täglich Festnahmen von Personen mit Verbindungen zum Assad-Regime bekannt – vor allem Militärangehörige und Ärzte, denen Verbrechen gegen Syrer vorgeworfen werden. Abgesehen von der Festnahme des Muftis Hassoun seien jedoch keine Schritte gegen Personen erfolgt, die das Assad-Narrativ öffentlich gestützt haben (203).
Nach Angaben des SJAC führt die bloße Baʿath-Mitgliedschaft nicht automatisch zu Verfolgung, da die Parteimitgliedschaft für die Mehrheit obligatorisch war. Prominente ehemalige Zivilfunktionäre können gezielt festgenommen werden, um den Willen zur Gerechtigkeit zu demonstrieren, während weniger bekannte Personen meist nur bei konkretem Tatverdacht oder Geheimdienstverbindungen inhaftiert werden (204).
Ebenfalls laut SJAC wurde – abgesehen vom früheren Innenminister – kein weiteres Mitglied der Assad-Regierung festgenommen. Einige Ex-Funktionäre bleiben in Syrien medial präsent, andere sind geflohen oder untergetaucht, etwa der frühere Verteidigungsminister (205).
Personen, die sich gegen die Übergangsregierung stellen oder als deren Gegner wahrgenommen werden
Es gibt nur sehr begrenzte Informationen über die Behandlung von Personen, die sich gegen die neue Regierung stellen oder als deren Gegner wahrgenommen werden. Das SJAC (Syrian Justice and Accountability Centre) gab an, keine gezielte Verfolgung durch die Übergangsregierung aufgrund journalistischer Tätigkeit, Aktivismus oder Mitgliedschaft in politischen Parteien beobachtet zu haben.
Im Berichtszeitraum gab es einige Meldungen über Verhaftungen durch Kräfte der Übergangsregierung von Personen, die mit strafrechtlichen Fällen in Verbindung standen, Personen, die verdächtigt wurden, an Angriffen beteiligt gewesen zu sein, die von bewaffneten nichtstaatlichen Gruppen mit Verbindungen zum ehemaligen Assad-Regime gegen Sicherheitskräfte durchgeführt wurden, Personen, die die Regierung in sozialen Medien kritisiert hatten, Angehörige von flüchtigen Personen, die festgenommen wurden, um Druck auf diese zur Aufgabe auszuüben, sowie Personen, die beschuldigt wurden, mit den SDF (Syrian Democratic Forces) zusammenzuarbeiten. Die Berichterstattung enthält jedoch keine weiteren Details über die erhobenen Anklagen oder die Behandlung der Festgenommenen durch die Behörden.
Nach dem Sturz der Assad-Regierung wurde laut Freedom House mindestens ein inhaftierter Journalist freigelassen. Zuvor ins Exil gegangene syrische Journalisten sowie ausländische Reporter haben seit Dezember 2024 vermehrt ihre Berichterstattung innerhalb Syriens wieder aufgenommen, auch in ehemals vom Assad-Regime kontrollierten Gebieten. Dabei konzentrieren sie sich auf die Aufdeckung von in jener Zeit begangenen Verbrechen, etwa denen im Sednaya-Gefängnis.
Quellen berichteten, dass mehrere Journalisten während der Berichterstattung über die Gewalt in den Küstenregionen zwischen den Kräften der Übergangsregierung und pro-Assad-Überbleibseln im März von unbekannten bewaffneten Gruppen und Einzelpersonen angegriffen und verletzt wurden. Andere Journalisten wurden im Mai von lokalen bewaffneten Fraktionen in Sweida angegriffen und bedroht, während sie über die Unterzeichnung eines Abkommens mit der Regierung berichteten. Den Berichten zufolge griffen die Behörden ein, um ihre Sicherheit zu gewährleisten, und verurteilten die Angriffe.
Umsetzung islamischer Vorschriften
Die Verfassungserklärung legt fest, dass der Islam die Religion des Präsidenten und die islamische Rechtswissenschaft die wichtigste Quelle der Gesetzgebung ist. Dies ist eine deutliche Abkehr von der vorherigen Verfassung, in der das islamische Recht als „eine der wichtigsten Quellen” der Gesetzgebung angesehen wurde.
Der Präsident hat einen neuen Fatwa-Rat eingerichtet, der die Übereinstimmung der Gesetzgebung mit dem islamischen Recht überprüfen soll. Der 14-köpfige Rat setzt sich ausschließlich aus sunnitischen Mitgliedern zusammen, von denen nur wenige direkt mit HTS verbunden sind, während andere loseere Verbindungen und vielfältigere religiöse Ausrichtungen haben. Er wird vom Großmufti Osama Rifai geleitet, der in der Vergangenheit ein lautstarker Kritiker von HTS war. Beobachter vermuten, dass HTS sich eher darauf konzentriert, radikale Dissidenten in Schach zu halten und den religiösen Diskurs zu kontrollieren, als eine strenge salafistische Doktrin durchzusetzen.
Im Januar 2025 tauchten Berichte auf, wonach die neuen Behörden islamische Lehren zur Ausbildung einer noch jungen Polizei nutzten. Dieser Schritt zielte laut hochrangigen Polizeibeamten darauf ab, den Rekruten ein Gefühl für Moral zu vermitteln, und sollte nicht der gesamten Bevölkerung aufgezwungen werden.
Im Monat Ramadan hat das syrische Übergangsministerium für religiöse Stiftungen Berichten zufolge die Schließung von Restaurants, Cafés und Straßenimbissen während der Tagesstunden angeordnet. Obwohl diesbezüglich kein offizieller Erlass der Regierung vorliegt, soll öffentliches Essen oder Trinken mit bis zu drei Monaten Gefängnis bestraft werden. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SNHR) nahmen die Behörden Personen fest, die beschuldigt wurden, während des Ramadans in der Öffentlichkeit das Fasten gebrochen zu haben, insbesondere in der Stadt Hama. Weitere Informationen lagen nicht vor, und die Angaben konnten nicht durch andere Quellen bestätigt werden.
Zwar wurden keine neuen Gesetze zur formellen Einschränkung des sozialen Lebens eingeführt, doch gab es Berichte über Versuche einzelner Personen, islamische Normen in der Praxis durchzusetzen, beispielsweise durch die Verteilung von Flugblättern in Bussen und in der Umayyaden-Moschee in Damaskus, in denen Frauen zum Tragen von Vollverschleierungen aufgefordert wurden, sowie durch Prediger, die in christlichen Vierteln der Hauptstadt für den Islam eintraten. Im Juni erließ die Übergangsregierung eine Verordnung, wonach Frauen an öffentlichen Stränden und in Schwimmbädern Ganzkörper-Badebekleidung tragen müssen. Männer müssen außerhalb des Schwimmbereichs ein Hemd tragen und dürfen sich nicht mit nacktem Oberkörper aufhalten. Private Strände und touristische Einrichtungen sind von der Verordnung ausgenommen. Die Regierung stellte klar, dass die Anweisung nur als Leitlinie gedacht sei und dass bei Nichteinhaltung keine rechtlichen Sanktionen verhängt würden.
Zwei gewalttätige Angriffe auf Nachtclubs in und um Damaskus Anfang Mai lösten weit verbreitete Angst aus, als bewaffnete Angreifer mehrere Lokale stürmten, Gäste attackierten und die Einrichtungen gewaltsam schlossen. Bei den Übergriffen wurde eine Frau getötet, und die zunehmenden Vorfälle gegen gemischtgeschlechtliche Unterhaltungslokale, in denen Alkohol ausgeschenkt wird, haben die Sorge vor einem wachsenden Einfluss islamistischer bewaffneter Gruppen geschürt. Obwohl die Behörden nach dem Vorfall Festnahmen bekannt gaben, blieb die Skepsis in der Bevölkerung Berichten zufolge aufgrund des Schweigens der Regierung und der konservativen Haltung mehrerer wichtiger Regierungsvertreter groß.
Provinz Idlib
Verwaltungsgliederung und Bevölkerungsschätzungen
Das Gouvernement Idlib ist in fünf Verwaltungsbezirke unterteilt (Al Ma’ra, Ariha, Harim, Idlib und Jisr-Ash-Shugur), die wiederum in insgesamt 26 Unterbezirke gegliedert sind. Die Hauptstadt des Gouvernements ist die Stadt Idlib.
Laut Schätzungen der IOM betrug die Bevölkerung des Gouvernements Idlib im März 2025 insgesamt 2.848.168 Personen, darunter ansässige Bewohner, Binnenvertriebene (IDPs) und Rückkehrer aus dem Ausland. Im Vergleich dazu schätzte die WHO die Bevölkerung Idlibs im März 2025 auf 3.179.920 Personen.
Territoriale Kontrolle und wichtigste bewaffnete Akteure
Am 30. Mai 2025 zeigte eine Karte des ISW und des CTP, dass die Provinz Idlib unter der Kontrolle der von HTS geführten Übergangsregierung stand. Einige wenige Gebiete in den südlichen und westlichen Grenzregionen wurden als „von regimetreuen Aufständischen kontrolliert“ ausgewiesen.
Der GPC stellte im März 2025 fest, dass zwar eine Übergangsregierung gebildet worden war, das Land jedoch weiterhin „unter verschiedenen bewaffneten Akteuren zersplittert“ war, wobei die Provinz Idlib von der HTS und anderen innerhalb der SNA gebildeten bewaffneten Gruppen dominiert wurde. Asharq Al-Awsat erwähnte ein Bataillon aus hauptsächlich uigurischen Kämpfern unter der Führung eines ehemaligen Anführers der Turkistan Islamic Party (TIP), das nun in die Streitkräfte des Verteidigungsministeriums integriert und zwischen Idlib und dem ländlichen Latakia stationiert sei. Das New Lines Magazine erwähnte ebenfalls „ausländische Dschihadisten“, die sich in der Stadt Idlib niedergelassen hätten. Die Division Al-Ghuraba („Die Fremden”) unter der Führung eines französischen Dschihadisten soll ihren Stützpunkt in der Stadt Harem im Norden der Provinz haben.
Sicherheitstendenzen
Anfang März 2025 starteten die Streitkräfte der Übergangsregierung gezielte Sicherheitsoperationen und richteten Kontrollpunkte in der gesamten Provinz ein, um die Sicherheit in der Region zu erhöhen. Das Harmoon Center stellte fest, dass Idlib im Vergleich zu anderen Provinzen „relativ stabil“ erschien und die neuen Sicherheitskräfte trotz gelegentlicher Bedrohungen von außen „feste Kontrolle“ ausübten. Pro-Assad-Rebellen töteten vermutlich einen HTS-Kommandeur und zwei Kämpfer, die der Übergangsregierung loyal waren, in zwei separaten Vorfällen am 22. und 24. März 2025.948 Gleichzeitig startete der GSS Sicherheitsoperationen gegen „Regimeüberreste”, unter anderem in der Stadt Khan Sheikhoun, wo mehrere Personen festgenommen wurden, die der ehemaligen Regierung loyal gegenüberstanden und sich geweigert hatten, ihre Waffen abzugeben, sowie in Jisr Al-Shughur, wo etwa 15 Personen festgenommen wurden, denen vorgeworfen wurde, unter der ehemaligen Regierung kollaboriert zu haben. In Jisr Al-Shughur hatten pro-Assad-Kräfte Anfang März 2025 bei einem „koordinierten Angriff“ etwa 25 Menschen getötet, darunter überwiegend Angehörige der Übergangsregierung.
Auch aus dem Gebiet Jabal al-Zawiya im Süden des Gouvernements Idlib wurden Sicherheitsoperationen gemeldet. Dort nahmen die Einsätze Anfang April 2025 an Intensität zu und führten schließlich zur Festnahme mehrerer pro-Assad-Kämpfer.
Zudem erhöhten die Sicherheitskräfte auf Grundlage von Informationen aus nachrichtendienstlichen Quellen die Anzahl der Kontrollpunkte rund um die Stadt Idlib, um das Eindringen „gefährlicher Elemente“ zu verhindern. Bis Mitte April gelang es den Sicherheitskräften Berichten zufolge jedoch, die Beziehungen zur lokalen Bevölkerung zu verbessern, und es wurde mit der Rekrutierung von Einheimischen begonnen.
Im Mai 2025 wies die MAG (Mines Advisory Group) auf die hohe Zahl an Opfern durch Landminen und Blindgänger hin (siehe unten, Abschnitt 5.8.2(f)); eine Klinik in Idlib soll seit Dezember 2024 rund 500 Betroffene behandelt haben.
Ein ehemaliger Anführer von Hurras Al-Din, einer mit Al-Qaida verbundenen bewaffneten Gruppe, wurde Berichten zufolge Anfang März 2025 bei einem Drohnenangriff der von den USA geführten Internationalen Koalition getötet. Im Mai 2025 berichtete der Direktor der Sicherheitsdirektion Idlib zudem über eine Sicherheitsoperation gegen eine IS-Zelle im Gouvernement, bei der ein Mitglied getötet und ein weiteres verletzt wurde.
Sicherheitsvorfälle
Zwischen dem 9. Dezember 2024 und dem 31. Mai 2025 verzeichnete ACLED 136 Sicherheitsvorfälle in derProvinz Idlib . Im Zeitraum zwischen dem 1. März und dem 31. Mai 2025 verzeichnete ACLED 62 Sicherheitsvorfälle (definiert als Kämpfe, Explosionen/Ferngewalt, Gewalt gegen Zivilisten) in der Provinz Idlib. Von diesen Vorfällen wurden 4 als Kämpfe, 47 als Explosionen/Ferngewalt und 11 als Gewalt gegen Zivilisten kodiert.
Während des Berichtszeitraums wurden in allen fünf Bezirken der Provinz Sicherheitsvorfälle registriert. Die meisten Vorfälle wurden in Al Ma’ra (33 Sicherheitsvorfälle) verzeichnet, gefolgt vom Bezirk Idlib (16 Sicherheitsvorfälle), während die wenigsten Sicherheitsvorfälle in den Bezirken Ariha und Harim (3 bzw. 4 Sicherheitsvorfälle) registriert wurden. Laut ACLED-Daten w a r e n unbekannte bewaffnete Gruppen als Hauptakteure ( codiert als „Akteur 1“ oder „Akteur 2“) an etwas mehr als 95 % aller im Berichtszeitraum registrierten Sicherheitsvorfälle beteiligt, insbesondere an Vorfällen, die als Explosionen/Ferngewalt kodiert wurden und in den meisten Fällen die Detonation von Landminen oder anderen Sprengkörpern aus früheren Kämpfen betrafen, von denen Zivilisten betroffen waren, sowie an Vorfällen, die als Gewalt gegen Zivilisten kodiert wurden. Militär und Polizei waren an etwas mehr als 11 % der Sicherheitsvorfälle beteiligt. In den meisten Fällen handelte es sich um Vorfälle, die als Kämpfe oder Explosionen/Ferngewalt kodiert wurden und an denen auch nicht identifizierte bewaffnete Gruppen beteiligt waren und bei denen Polizei oder Militär von unbekannten Bewaffneten angegriffen oder von der Detonation von Sprengsätzen getroffen wurden, die zuvor von unbekannten bewaffneten Gruppen gelegt worden waren.
Zivile Opfer
Im März 2025 verzeichnete die SNHR 17 zivile Todesopfer in der Provinz Idlib. 960 Im April 2025 verzeichnete die SNHR 21 zivile Todesopfer in der Provinz.961 Im Mai 2025 sank die Zahl der von der SNHR registrierten zivilen Todesopfer auf 6. 962 Die SNHR macht keine näheren Angaben zu diesen Todesfällen. Für den Zeitraum zwischen März und Mai 2025 verzeichnete UCDP 22 zivile Todesopfer in der Provinz Idlib.
Konfliktbedingte Schäden an der Infrastruktur und explosive Kampfmittelrückstände
Teile des ländlichen Idlib waren Berichten zufolge besonders besorgniserregend hinsichtlich der Präsenz von Kriegsresten wie Landminen 965 und Munition 966. In einem von TNH gemeldeten Vorfall wurde in einem Dorf eine nicht explodierte Rakete gefunden. Zwischen dem 1. März 2025 und dem 31. Mai 2025 berichteten verschiedene Quellen über Zivilisten, die durch die Explosion einer Landmine oder eines Kriegsrückstands getötet oder verletzt wurden. Unter den Opfern waren Kinder beispielsweise Zivilisten, die Schafe hüteten, 970 Brennholz
sammelten 971 oder einen Brunnen reinigten.972 Die syrische Zivilschutzorganisation erklärte gegenüber Enab Baladi, dass die ländlichen Gebiete von Idlib zwischen dem 27. November 2024 und dem 14. März 2025 zu den Gebieten mit den meisten Vorfällen im Zusammenhang mit Kriegsaltlasten gehörten.973 Nach Angaben der GPC war der Agrarsektor besonders betroffen, vor allem in ländlichen Gebieten wie Idlib und anderen ehemaligen Frontgebieten, wo Minenräumer Schwierigkeiten hatten, Zugang zu den Gebieten zu erhalten.
Refugees International stellte in einem Bericht vom Mai 2025 fest, dass seit Dezember 2024 nur 500 Familien in die Stadt Mar’at Numman zurückgekehrt waren, da die Stadt über keine grundlegende Infrastruktur wie ein Wasserversorgungssystem, eine Bäckerei oder ein Krankenhaus verfügte, die bei Luftangriffen zerstört worden waren. Wasser und Lebensmittel mussten aus der mehr als 15 Kilometer entfernten Idlib geliefert werden. 975Eine Umfrage vom März 2025 ergab, dass 95 % der Binnenvertriebenen, die planten, in die Frontgebiete in den Provinzen Idlib und Hama (Al Ma’ra bzw. Suqaylabiyah) zurückzukehren, angaben, dass ihre Häuser „schwer beschädigt oder zerstört” seien.
Konfliktbedingte Vertreibung und Rückkehr
Laut Schätzungen des UNHCR lebten am 12. Juni 2025 insgesamt 1.208.927 Binnenvertriebene (IDPs) in IDP-Lagern im Gouvernement Idlib, während sich weitere 753.696 Binnenvertriebene außerhalb solcher Lager aufhielten. Zudem waren seit dem 27. November 2024 insgesamt 175.161 Personen aus der Binnenvertreibung in Gebiete des Gouvernements zurückgekehrt.
Der UNHCR schätzte außerdem, dass bis zum 15. Mai 2025 insgesamt 87.646 Rückkehrer aus dem Ausland, die seit Beginn des Jahres 2024 zurückgekehrt waren, im Gouvernement lebten. Die überwiegende Mehrheit von ihnen kehrte in den Bezirk Idlib zurück (60.817 Personen), gefolgt vom Bezirk Harim (11.748 Personen). Seit dem 8. Dezember 2024 waren 66.447 Personen aus dem Ausland ins Gouvernement Idlib zurückgekehrt, wobei die Mehrheit von ihnen in die Stadt Idlib zurückkehrte.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:
Die Feststellungen Staatsangehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Muttersprache, Volksgruppenzugehörigkeit und Familienstand des BF ergeben sich aus den stringenten Angaben des BF in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF (Namen und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich zur Identifizierung des BF im Asylverfahren. Mangels Vorlage eines Identitätsdokuments konnte die Identität (Name und Geburtsdatum) nicht eindeutig festgestellt werden. Der BF wurde auch unter den Alias XXXX und Geburtsdatum XXXX geführt (AS 11ff, 94,95, OZ 14, S 6).
Die Angaben des BF zu Geburtsort, Schulausbildung, Berufserfahrung und Ausreise aus seinem Heimatort und Ausreise aus Syrien resultieren aus seinen diesbezüglich glaubhaften Aussagen in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung (AS 11ff, 95-97, OZ 14, S 7). Hinsichtlich seiner Aufenthalte in den Städten A‘zaz und Dschindires konnte der BF zwar keine nachvollziehbaren Zeitangaben machen, es kann aber aufgrund seiner diesbezüglichen glaubhaften Aussagen davon ausgegangen werden, dass er sich im Zeitraum zwischen 2020 und Juni 2022, in nicht näher bekannter zeitlicher Aufteilung, in beiden Orten aufgehalten hat. Nachvollziehbar war nicht, weshalb der BF in der mündlichen Verhandlung erstmals auch den Ort XXXX anführte, obwohl er diesen Ort zuvor weder im behördlichen Verfahren noch in seiner Beschwerde erwähnt hatte; diese plötzlich neu eingeführte Angabe erweist sich daher als unglaubhaft und konnte nicht festgestellt werden (siehe dazu auch zum Aufenthalt seiner Familie).
Die Feststellungen betreffend die Familie des BF ergeben sich soweit sich die Angaben auf den generellen Aufenthalt der Familie in Syrien beziehen aus den glaubhaften und gleichbleibenden Aussagen des BF in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich des genauen Aufenthaltsortes seiner Familie machte der BF widersprüchliche Angaben: Während er in der Einvernahme vor dem Bundesamt noch angab, dass sich die Eltern und Geschwister in XXXX in einer Wohnung eines Vereins aufhielten, es ihnen gut gehe, der Vater als Autohändler arbeite, sie keine Probleme hätten und das Verhältnis zu seiner Familie „super“ wäre (AS 96), gab er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmalig an, dass seine Familie in Flüchtlingslagern in XXXX lebe und er „keine gute Beziehung zu ihnen habe“ (OZ 14, S 7). Insbesondere gab der BF in der mündlichen Verhandlung an, die Familie lebe dort schon seit dem Jahr 2020, was im Widerspruch zu seiner Aussage vor dem Bundesamt steht, wonach alle noch dort lebenden Familienmitglieder in XXXX leben und auch zu der Tatsache, dass er, befragt zu sich selbst, angab, nach Verlassen seines Geburtsortes im Jahr 2020 mit der Familie kurz vor seiner Ausreise ua in XXXX gelebt zu haben, jedoch niemals das Flüchtlingslager XXXX erwähnte (AS 15, 94, 96, OZ 14, S 7). Wegen des widersprüchlichen Aussageverhaltens des BF und der erstmaligen Nennung dieses Umstands in der mündlichen Verhandlung konnte nicht glaubhaft festgestellt werden, dass seine Familie in einem Flüchtlingslager in XXXX lebt.
Das Datum der Antragstellung sowie die Gewährung von subsidiärem Schutz ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt (AS 13, 107).
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:
Heimatort des BF ist die Stadt XXXX , im Gouvernement Idlib, wo er den überwiegenden Teil seines Lebens verbrachte, als er dort geboren wurde und bis weniger als zwei Jahre vor Ausreise aus Syrien auch dort lebte. Der BF verließ mit seiner Familie seinen Heimatort nach eigenen Angaben aufgrund eines Bombardements durch das Assad-Regime (AS 210) und lebte daher die letzten ca zwei Jahre vor seiner Ausreise in den Städten XXXX , wobei er wie oben ausgeführt, keine genaueren zeitlichen Angaben zur Dauer machen konnte, wie langer er jeweils in welcher Stadt konkret war. Darüber hinaus gibt der BF in seiner Beschwerde selbst an, dass er XXXX als seinen Herkunftsort sieht und er und seine Familie weder in XXXX Fuß fassen konnten (AS 210). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde in Fällen in denen Asylwerber nicht aufgrund eines eigenen Entschlusses, sondern unter Zwang aufgrund einer Vertreibung ihren dauernden Aufenthaltsort innerhalb des Herkunftsstaates gewechselt hatten und an dem neuen Aufenthaltsort nicht Fuß fassen konnten, der ursprüngliche Aufenthaltsort als Heimatregion angesehen (vgl Ra 2021/19/0442, RS 1).
Die Feststellung dahingehend, dass der Heimatort des BF unter Herrschaft der nunmehrigen Übergangsregierung steht, ergibt sich aus einer Nachschau in der Syria-Livemap (https://syria.liveuamap.com/) in Zusammenschau mit den Länderberichten, wonach die territoriale Kontrolle in XXXX unter der von der HTS geführten Übergangsregierung steht. Nicht verkannt wird, dass die Provinz XXXX (zumindest noch im März 2025) auch von anderen innerhalb der SNA (ehemals FSA) gebildeten bewaffneten Gruppen dominiert wurde (EUAA Juli 2025, Kapitel 5.8.2.).
Dass das syrische Regime gestürzt wurde und insofern nicht mehr existiert bzw handlungsfähig ist, ergibt sich aus den eingebrachten Länderinformationen, wonach die Oppositionskräfte am 8.12.2024 die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet erklärten und Al-Assad aus Damaskus floh. Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 08.12.2024 per Befehl aufgelöst. (Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025). Die Möglichkeit von einer Zwangsrekrutierung und/oder Bestrafung durch das Assad-Regime betroffen zu sein, besteht daher für den BF nicht mehr.
Die Feststellung, dass der BF den Militärdienst im Assad-Regime nicht abgeleistet hat und an keinen Kampfhandlungen beteiligt war ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubwürdigen eigenen Angaben im gesamten Verfahren (AS 21, 98-99) sowie der Tatsache, dass die Sorge vor einem Einzug zum Militärdienst im Assad-Regime sein (ursprünglicher) Fluchtgrund war.
Zur Zwangsrekrutierung durch die Übergangsregierung/HTS/SNA:
Eine dem BF im Falle seiner Rückkehr in seine Heimatregion drohende Gefahr einer Rekrutierung durch die aktuelle syrische Übergangsregierung/ die HTS, der SNA oder sonstigen Gruppierungen ergibt sich nicht: So ist den aktuellen Länderberichten zu entnehmen, dass die HTS ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo gefestigt hatte, wobei sie von der SNA (ehemals FSA) unterstützt wurde. Während der Herrschaft der aktuellen Übergangsregierung, in welcher die HTS eine zentrale Rolle spielt, sind keine Fälle von Zwangsrekrutierungen bekannt und die Rekrutierung basiert bisher weiterhin auf Freiwilligkeit. Von der Rebellenallianz wurde nach dem Umsturz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Der Übergangspräsident will eine neue „Nationalen Armee“, die die ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Dies beinhalte auch einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei der die HTS die Führung übernehmen soll. (Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025, S 141). Im Mai gab das Verteidigungsministerium bekannt, dass alle bewaffneten Gruppen in seine Struktur integriert worden seien. Das Verteidigungsministerium vereint verschiedene militärische Fraktionen, darunter zentrale HTS-Einheiten, mit HTS verbündete Gruppen, von der Türkei unterstützte Einheiten der Syrischen Nationalarmee (SNA) sowie neu gegründete Divisionen des Verteidigungsministeriums. Die neue Armee besteht Berichten zufolge vor allem aus Mitgliedern von HTS und anderen verbündeten bewaffneten Gruppen, nicht aus Wehrpflichtigen ohne militärische Erfahrung (EUAA Juli 2025, Kapitel 1.3 und 1.3.2.). Für den BF ohne jegliche militärische Erfahrung und der Tatsache, dass keine Zwangsrekrutierungen weder von der neuen Übergangsregierung noch von den ihr (zumindest formell) unterstellten Gruppierungen durchgeführt werden, ergibt sich keine diesbezügliche Gefährdung.
Das Vorbringen des BF, Mitglieder der FSA hätten Anfang 2021 seinen Vater nach ihm gefragt und verlangt, er solle für sie kämpfen, erweist sich darüber hinaus als unglaubwürdig. Er konnte dazu keine konkreten, stichhaltigen Einzelheiten nennen; seine Aussagen waren lediglich vage und detaillos und verblieben auf Behauptungsebene. Erst nach wiederholtem Nachfragen erwähnte er den Vorfall überhaupt erst als Beispiel für Rekrutierungsdruck seitens der FSA und gab dann schlussendlich selbst an, dass das alles wäre, was passiert sei. Er selbst ist nie persönlich bedroht worden und während der folgenden eineinhalb Jahre die er noch in Syrien lebte hatte er keinerlei weitere Probleme mit der FSA (nunmehr SNA) (AS 98).
Zur Oppositionelle Gesinnung / Demonstration:
Dass der BF an einer Demonstration gegen die HTS teilgenommen hat ergibt sich aus dem mittels Beweisvorlage vom 21.01.2025 vorgelegten Video, in welchem der BF als einfacher Teilnehmer einige Sekunden im Hintergrund einer Interviewscene im Zuge einer Demonstration gegen (unter anderem) die Handlungen der (ehemalige) HTS zu sehen ist.
Vorbringen über darüberhinausgehende Teilnahmen an Demonstrationen gegen die HTS und die Verteilung von Flugblättern, sowie eine Verurteilung und Verfolgung durch die HTS und angebliche Social-Media Posts des Vaters, wie vom BF alles erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde, sind als unglaubwürdig anzusehen.
Nach ständiger VwGH-Judikatur werden Fluchtgründe als unglaubwürdig gewertet, wenn sie im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder widersprüchlich, lebensfremd oder erst sehr spät im Verfahren vorgebracht werden; glaubwürdig ist ein Sachverhalt, wenn im Verfahren vor den verschiedenen Instanzen im Wesentlichen gleichbleibende Angaben gemacht werden, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängen, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten (vgl. VwGH 06.03.1996, 95/20/0650). Generell ist auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der BF sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen.
Bis zur Beschwerde blieben die vom BF genannten Fluchtgründe stets, dass er der allgemeinen Kriegslage und der drohenden Einziehung zum Militär (sei es durch das Assad-Regime oder die FSA) entgehen wollte. Erst im Beschwerdeverfahren änderte er seine Darstellung grundlegend, indem er erstmals Demonstrationen gegen die HTS bzw. das Assad-Regime, drohende Sanktionen durch islamistische Milizen und am Ende eine drohende Verfolgung ausschließlich durch die HTS geltend machte. Damit verlagerte sich das Vorbringen schlagartig vom bislang rein militär- bzw. kriegsbedingten Motiv auf ein politisch motiviertes Verfolgungsszenario seitens der HTS, was ein inkonsistentes und im wesentlichen Kern abweichendes Aussageverhalten aufzeigt. In seiner ursprünglichen Aussage vor dem Bundesamt, gab der BF noch an, nie politisch aktiv oder Mitglied einer Partei gewesen zu sein, nie inhaftiert gewesen zu sein, nicht verurteilt worden zu sein und, bis auf die Angst vor der Teilnahme am Krieg und etwaigen Zwangsrekrutierung, keinerlei Probleme zu haben (AS 97-99), in seiner Beschwerde gab er erstmals an, dass er an mehreren Demonstrationen gegen das Assad-Regime und die Als-Nusra-Front teilgenommen habe (AS 210) und letztlich in der mündlichen Verhandlung, dass er an mehr als 15 Demonstrationen gegen die HTS beteiligt gewesen wäre und auch Flugblätter verteilt hätte, von der HTS deswegen verurteilt worden sei und von dieser verfolgt werden würde, darüber hinaus hätte sein Vater auf Social-Media über die HTS gepostet. Diese erstmals in der Beschwerde aufgekommenen und in der mündlichen Verhandlung nochmals gesteigerten Ausführungen stellten erstens eine komplette Kehrtwende zu seinen bisherigen Fluchtgründen dar und zweitens innerhalb des Beschwerdeverfahrens eine enorme nachträgliche Steigerung seines politischen Engagements und des Versuches dar, eine asylrelevante Verfolgung vorzubringen.
Ferner konnte der BF betreffend die gänzlich neuen Angaben in der mündlichen Verhandlung zu einer (angeblichen) Verurteilung/Verfolgung durch die HTS seinerseits bzw. seines Vaters keine schlüssigen, substantiierten, konkreten und detaillierten Angaben machen. Auf Nachfragen durch die Richterin wurde mittels allgemeinen, konfusen Aussagen ausgewichen (OZ 14, S 13). Das ursprüngliche Vorbringen, der Vater sei von der FSA nach ihm gefragt worden wurde offenbar dahingehend geändert, dass sein Vater nunmehr damals von der HTS Besuch bekommen habe und geflohen sei, doch lebte und lebt gerade sein Vater und der Rest der Familie vorher im HTS/SNA Gebiet und nunmehr seit Monaten im Gebiet der Übergangsregierung unbehelligt weiterhin in Syrien.
Der BF vermittelte während des gesamten Verfahrens den Eindruck, sein Vorbringen jeweils situationsbezogen abzuändern, um seine Erfolgsaussichten im Asylverfahren zu erhöhen. Er war nicht in der Lage, ein konkretes und stichhaltiges bzw. widerspruchsfreies Vorbringen zu erstatten, seine Vorbringen waren durchgehend vage, widersprüchlich, unschlüssig und inkonsistent. In gesamthafter Würdigung und im Lichte der ständigen Rechtsprechung des VwGH erweisen sich seine Behauptungen einer gegen ihn (bzw. soweit vom BF intendiert auch gegen seinen Vater) gerichteten Verurteilung/Verfolgung durch die HTS als unglaubwürdig.
Festgestellt werden konnte, dass der BF an einer Demonstration als einfacher Teilnehmer teilgenommen hat. Aber auch aus diesen Umstand ergibt sich nicht, dass der BF nunmehr seitens der nunmehrigen Übergangsregierung gefährdet wäre: Er konnte nach dieser, nach eigenen Angaben 2019 stattgefunden, Kundgebung weiterhin unbehelligt im von der HTS kontrollierten Gebiet leben und verließ seinen Heimatort eigenen Angaben nach (AS 210 und OZ 14, S 7) erst aufgrund der Bombardierungen/Vertreibung durch das Assad-Regime, nicht wegen einer etwaigen Verfolgung durch die HTS. Sein eigenes Beschwerdevorbringen (AS 210), wonach er in XXXX und XXXX nicht Fuß fassen konnte und HTS-Milizionäre seiner Familie wegen seiner Rekrutierungsverweigerung (angeblich) den Lebensmittelkauf untersagten, macht vielmehr deutlich, dass er nicht wegen der einmaligen Demonstration ins Visier der HTS geriet; immerhin konnte er auch noch in diesen Gebieten rund zwei Jahre leben, ohne irgendeine Konsequenz aus dieser Teilnahme zu erfahren. Auch die eigene Geschichte des BF in der mündlichen Verhandlung, wonach er (angeblich) nach der Demonstration von der HTS gesucht worden wäre und diese an ihn und seine Freunde herangetreten wären, ihnen Handy und Geldbörden weggenommen hätten und ihnen angeraten haben sollen einen Scharia-Kurs zu besuchen, lassen auch nicht darauf schließen, dass er aufgrund seiner Teilnahme an einer Demonstration ins Visier der HTS geraten ist. Auch ergibt sich aus den eigenen Angaben des BF, dass er, bis auf den (angeblichen) Scharia-Kurs Vorfall, welchen er ebenfalls erstmals in der mündlichen Verhandlung vorbrachte, weder individuell bedroht wurde noch es zu Übergriffen auf ihn kam (AS 97ff). Durch die offenkundigen Versuche des BF eine asylrelevante Vorverfolgung durch die (ehemalige) HTS geltend zu machen, widersprach er seinem eigentlichen Vorbringen (Verfolgung durch Demonstrationsteilnahme) selbst.
Den Vorbringen und Aussagen des BF war auch nicht zu entnehmen, dass er eine gefestigte, nach außen erkennbare oppositionelle Haltung gegen die (ehemalige) HTS und neue syrische Übergangsregierung verinnerlicht hätte. Die im Beweisvideo dokumentierte Teilnahme an der Demonstration erschöpft sich in einem kurzen, passiven Mitlaufen innerhalb einer breiten Protestmenge, die zugleich allgemeine Unzufriedenheit mit konkreten Übergriffen der HTS (Solidarisierung mit Menschen aus XXXX ). Eine exponierte Stellung, etwa durch Redebeiträge, Transparentführung oder organisatorische Tätigkeit, ist nicht ersichtlich. Dass der BF in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt jegliche politische Aktivität verneinte und seine Angaben erst im Laufe des Verfahrens und offensichtlich widersprüchlich steigerte, lässt, darauf schließen, dass er situativ-opportunistisch vorgetragen hat, ohne ein eigenständiges politisches Bewusstsein zu besitzen. Gegen die mittlerweile deutlich moderater auftretende Übergangsregierung erhebt der BF keinerlei substantiierte Kritik. Kennzeichnend für das Fehlen einer verinnerlichten politischen Überzeugung ist ferner, dass der BF weder bei der polizeilichen Erstbefragung noch in der späteren schriftlichen Einvernahme regime- oder HTS-kritische Motive vorbrachte, sondern seine Ausreise ausschließlich mit der allgemeinen Kriegslage und dem Wunsch begründete, jeglicher Einziehung zu Kampfhandlungen zu entgehen.
Überdies ergeben sich aus den aktuellen Länderberichten keine Anhaltspunkte, dass der BF aufgrund seiner Teilnahme an einer Demonstration gegen die (damalige) HTS in der Provinz XXXX gegenwärtig gefährdet wäre durch die derzeitige Übergangsregierung verfolgt zu werden. So konnten nach den Erkenntnissen des Syrian Justice and Accountability Centre (SJAC) gerade keine systematischen oder gezielten Repressionsmaßnahmen der Übergangsregierung gegenüber Personen festgestellt werden die aufgrund journalistischer Tätigkeit, politischen Aktivismus oder Parteizugehörigkeit in den Fokus geraten sind (EUAA, Syria Country Focus, Juli 2025, S 36). Die verfügbaren Informationen zeigen, dass sich die Übergangsregierung nicht auf die gezielte Verfolgung politischer Gegner aus früheren Jahren konzentriert hat, zumal es in der Region XXXX auch noch Anfang 2024 zu mehreren Tagen andauernden Demonstrationen mit hunderten Demonstranten kam (LIB 2025, S 134), der BF daher einer von vielen wäre und seine Demonstration nach eigenen Angaben bereits im Jahr 2019 stattfand. Vielmehr liegt oder lag der Fokus der neuen Übergangsregierung auf ehemalige (hochkarätige) Assad-Regime-Anhänger. So wurden in den vergangenen Monaten verstärkte Kontrollmaßnahmen sowie gezielte Festnahmen insbesondere gegen Personen durchgeführt, die als loyale Unterstützer des früheren Regimes gelten, sich dessen Strukturen angeschlossen hatten oder sich weigerten, ihre Waffen abzugeben. Der BF, der wie festgestellt keinen Wehrdienst im Assad-Regime ableistetet hat, sich nicht an Kampfhandlungen beteiligt hat und nicht für das Assad-Regime tätig war und nur unscheinbarer Teilnehmer einer Demonstration war, fällt daher nicht in das Blickfeld der neuen Übergangsregierung.
Generell ergibt sich zur Region XXXX , dass der Fokus von Sicherheitsoperationen auf der Bekämpfung verbliebener Strukturen des früheren Assad-Regimes sowie auf sicherheitsrelevanten Bedrohungen durch nichtstaatliche bewaffnete Akteure und terroristische Zellen liegt (vgl EUAA Juli 2025, Kapitel 5.8.2.). Die Sicherheitslage in der Provinz XXXX wird dabei insgesamt als relativ stabil beschrieben, wobei die neue Verwaltung bemüht ist, das Verhältnis zur lokalen Bevölkerung zu normalisieren, etwa durch den Aufbau lokaler Sicherheitsstrukturen und die Einbindung der Bevölkerung.
Aus einer Gesamtschau der Umstände sind keine in der Person des BF gelegen Anhaltpunkte vorgekommen die auf eine erhöhte Gefährdung hindeuten würden bzw dass dem BF aufgrund seiner Teilnahme als einfacher Demonstrant gegen die (damalige) HTS in Zukunft Gewalt seitens der neuen Übergangsregierung droht.
Zur Religionsausübung:
Die Feststellung, dass der BF in Syrien weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe von staatlicher Seite oder Gruppierungen bedroht wurde ergibt sich aus seinen eigenen glaubhaften Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt (AS 97). Als sunnitisch-muslimischer Araber gerät der BF auch sonst in keiner Weise ins Blickfeld der neuen Übergangsregierung/HTS und/oder der SNA, als diese selbst überwiegend aus sunnitisch-arabischen Angehörigen bestehen.
Soweit der BF in der mündlichen Verhandlung (erstmals) angibt, dass die HTS radikale Islamisten seien, die keine persönliche Freiheit gewähren würden, wie zB den Bart nicht zu rasieren oder Frisuren vorschreiben und dass sie ihn als Ungläubigen bezeichnen und töten würden, wenn sie erfahren würden, dass er nicht weiß wie man richtig betet ist festzuhalten, dass er damit kein ihn individuell betreffendes asylrelevantes Vorbringen erstattet. Selbst bei Wahrheitsunterstellung des Vorbringens des BF, dass er seitens der HTS aufgefordert worden wäre, einen Shariaa-Kurs zu besuchen, da er mit seinen Freunden Wasserpfeife geraucht habe ist festzuhalten, dass sich der BF diesbezüglich ausschließlich auf die Zeit vor dem Umbruch im Dezember 2024 in Syrien bezieht bzw auch teilweise noch auf die Al-Nusra-Front (siehe Beschwerde, AS 210). Die Al-Nusra-Front existiert nicht mehr als diese in der HTS aufgegangen ist (Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025, S 22-23). Demnach hat sich die ehemalige Al-Nusra-Front zusammen mit anderen dschihadistischen islamistischen Milizen von der al-Qaida abgewandt und vom Ziel eines globalen Dschihads gegen den Westen losgesagt. Seit dem Bruch mit der al-Quadia hat der nunmehriger Präsident Ahamed ash-Shara und seine Gruppierungen versucht internationale Legitimität zu erlagen, indem sie globale dschihadistische Ambitionen ablehnten und sich auf eine organisierte Regierungsführung in Syrien konzentrierten.
Aus den aktuellsten Länderberichten ergibt sich ferner, dass sich die neue, überwiegend aus der (ehemaligen) HTS bestehenden, Übergangsregierung nunmehr seit Monaten moderat gibt, insbesondere auch in Hinblick auf die Ausübung bzw. Durchsetzung islamischer Vorschriften. Demnach ist die neue Übergangsregierung darauf konzentriert radikale Gruppen unter Kontrolle zu halten und Einfluss auf den religiösen Diskurs zu nehmen, anstatt eine besonders strenge salafistische Auslegung des Islam durchzusetzen (EUAA Syria: Country Focus Juli 2025. Kapitel 1.5., S 28). Es ergeben sich daher aktuell gerade keine konkreten Hinweise darauf, dass der BF aufgrund seiner vielleicht weniger strengen Religionsausübung oder seiner fehlenden Kenntnisse des richtigen Betens persönlich durch die neue Übergangsregierung/HTS/SNA gefährdet wäre.
Die Feststellung, dass dem BF eine hypothetische Rückkehr möglich ist, ergibt sich aus den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten, wonach insgesamt bereits 800.000 vertriebene Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt sind, darunter 600.000 Binnenvertriebene (Internal Displaced Persons - IDPs) (Stand 31.1.2025) (AlHurra 31.1.2025). Innerhalb von zwei Monaten nach der Befreiung Syriens seien über 100.905 Bürger über die Grenzübergänge der Türkei zurückgekehrt. Seit dem Tag der Befreiung wurde damit begonnen, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, insbesondere durch Sicherstellung der Grundversorgung und der Sicherung des Transportsektors, damit sich Menschen zwischen den Provinzen frei bewegen können.
Dafür spricht auch, dass laut Länderberichten die, 81 % der Syrer die Herrschaft von ash-Shara' befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara's ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern (Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025).
Es kamen keine Anhaltspunkte hervor, weshalb dem BF, welcher in Syrien weiterhin Familie hat, eine Rückkehr nicht ebenso möglich sein sollte.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen.
Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
3.1.3. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).
3.1.4. Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).
3.1.5. Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).
Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden Verwaltungsgerichts vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgericht nicht getroffen werden (vgl. VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, mwN).
3.1.6. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).
3.1.7. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. ausführlich VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rn. 27 ff; 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN; siehe auch VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548, wonach es für die Frage eines möglichen Asylanspruchs entscheidend ist, ob einem BF bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat angesichts des in den Länderfeststellungen ausgewiesenen erhöhten Rekrutierungsdrucks der syrischen Armee und der besonderen Gefährdung von einreisenden Männern im wehrfähigen Alter mit maßgebender Wahrscheinlichkeit eine Einziehung zum Wehrdienst droht; vgl. überdies VwGH 03.05.2022, Ra 2021/18/0250, mit Verweis auf VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0203; siehe auch EuGH 19.11.2020, C-238/19, wonach im Kontext des Bürgerkriegs in Syrien eine starke Vermutung dafür spricht, dass die Weigerung, dort Militärdienst zu leisten, mit einem Grund in Zusammenhang steht, der einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen kann; darauf Bezug nehmend auch VfGH 22.09.2022, E 1138/2022, und VwGH 26.01.2023, Ra 2022/20/0358; vgl. auch EUAA, Country Guidance: Syria 2023).
3.1.9. Wie bereits in der Beweiswürdigung dargestellt, ist es dem BF nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Rückkehr nach Syrien Eingriffe in seine körperliche Integrität, eine Verfolgung, Gewalt, oder Lebensgefahr drohen. Er hat keine konkrete und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursachen in einem der in der GFK genannten Gründe hat, glaubhaft machen können.
Zur Verfolgung durch das syrische Asad-Regime:
Wie festgestellt, wurde das syrische Assad-Regime gestürzt. Da die bisherigen Macht-/Behördenstrukturen damit nicht mehr existieren, sind diese auch nicht mehr dazu in der Lage Personen zu verhaften oder zu rekrutieren. Der vom BF vorgebrachte Verfolger existiert nicht mehr, womit es der vom BF diesbezüglich vorgebrachten Verfolgung an Aktualität fehlt. Die vom BF in Bezug auf die syrische Assad-Regierung vorgebrachten Fluchtgründe sind daher unbegründet (siehe dazu auch UNHCR, Position on Returns to the Syrian Arab Republic, Rz 6) und eine Verfolgung damit nicht mehr maßgeblich wahrscheinlich.
Zwangsrekrutierung durch neue Übergangsregierung/HTS/SNA (ehemals FSA):
Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, ist der BF bei einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht von Zwangsrekrutierungen betroffen, als die neue syrische Übergangsregierung und die ihr (zumindest formell) unterstellten Gruppierungen (HTS/SNA und sonstige Gruppierungen) weiterhin auf Freiwilligkeitsmeldungen setzen und keine Zwangsrekrutierungen durchführen. Vormals oppositionelle Gruppierungen, wie ua. die SNA oder HTS (vormals Al-Nusra-Front), haben bereits vor Machtwechsel keine Zwangsrekrutierungen durchgeführt und ergeben sich auch im Entscheidungszeitpunkt keine gegenteiligen Ansätze. Mangels der tatsächlichen Durchführung von Zwangsrekrutierungen durch die Übergangsregierung/HTS, SNA und sonstige Gruppierungen scheidet eine diesbezügliche asylrelevante Verfolgung aus.
Oppositionelle Gesinnung gegen die neue Übergangsregierung/HTS:
Dass dem BF in seiner Heimatregion, bei der Einreise nach Syrien oder auf dem Weg dorthin eine Verfolgung durch Kräfte der syrischen Übergangsregierung aufgrund einer (unterstellten) oppositionellen Gesinnung drohen könnte, ist, ebenfalls nicht maßgeblich wahrscheinlich:
Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt sind die Vorbringen des BF bezüglich einer Verfolgung durch die (ehemalige) HTS als unglaubwürdig anzusehen und daher der Entscheidung nicht zugrunde zu legen. Eine darüber hinaus gehende Gefährdung aufgrund der einmaligen Demonstrationsteilnahme als einfacher Teilnehmer ergibt sich aus den Länderberichten nicht. Es ergeben sich keine Hinweise, dass die syrische Übergangsregierung gezielt gegen in ihren Augen „Andersdenkende“ oder „verwestlichte“ Männer bzw. gegen alle Personen vorgehen würde, die nicht mit der (ehemaligen) HTS sympathisieren und diese Personen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung asylrelevanter Intensität ausgesetzt wären.
Der BF ist als einfacher mitlaufender Demonstrant in einer vor Jahren stattgefunden allgemeinen Demonstration und auch darüber hinaus nicht durch das Halten von Reden oder vergleichbare Handlungen besonders aufgefallen. Es ist somit nicht anzunehmen, dass er durch die nunmehr neue, sich bereits seit Monaten moderat gebende Übergangsregierung repressiven Maßnahmen ausgesetzt sein wird.
Es liegen auch sonst in der Person des BF keine Umstände vor, die eine Verfolgung durch die neue Übergangsregierung/(ehemals)HTS/SNA mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit begründen würden. So war er weder Assad-Anhänger noch an Kriegshandlungen oder Verbrechen beteiligt, als sunnitischer-muslimischer Araber gerät auch sonst nicht ins Blickfeld der Übergangsregierung oder/bzw ihr (zumindest) formell unterstellten Gruppierungen, als die Mehrheit selbst sunnitisch-muslimische Araber sind. Er erfüllt daher kein den aktuellsten EUAA-Bericht (EUAA Juli 2025, Kapitel 2., insbesondere 2.2.) angeführtes Risikoprofil.
Religionsausübung:
Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung des BF durch die neue syrische Übergangsregierung und/oder ihr unterstellter Gruppierungen aufgrund einer weniger strengen Religionsausübung / Religion bzw. aufgrund von Rasse, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe konnte, wie auch in der Beweiswürdigung ausgeführt, ebenfalls nicht festgestellt werden. Die neue syrische Übergangsregierung gibt sich in der Ausübung islamischer Vorschriften bereits über Monate sehr moderat und es ergeben sich aus den aktuellen Länderberichten keine Hinweise auf eine strenge/überschießende Durchsetzung bzw. persönliche Verfolgung mit dem Ziel religiöse Vorschriften durchzusetzen.
Die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Heimatregion des BF erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen. Eine aktuelle und maßgebliche Verfolgungsgefahr aus einem Grund, wie sie in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählt sind, kann daher nicht angenommen werden.
Als Rückkehrer wird der BF, dem diese Rückkehr auch möglich ist, ebenfalls nicht asylrelevant verfolgt. Wie ausgeführt ergibt sich kein Grund, weshalb der BF von der nunmehrigen Übergangsregierung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden sollte. Die Rückkehrwege über die Türkei stehen dem BF offen.
Die von UNHCR thematisierten Fragen der freiwilligen Rückkehr („Voluntary Returns“) sowie des Moratoriums zwangsweiser Rückführungen („Moratorium on Forced Returns“) sind mit Blick auf den Gegenstand dieser Entscheidung nicht relevant. Des Weiteren plädiert UNHCR dafür, dass vorerst keine negativen Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen, erlassen werden. Zutreffend weist UNHCR zunächst darauf hin, dass das Risiko einer Verfolgung durch die einstige Regierung, also das Assad-Regime, geendet habe. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit den – in zahlreichen Medien veröffentlichten – Informationen, auf die sich die gegenständliche Entscheidung stützt. Im Falle des Entstehens neuer Asylgründe infolge der Lageänderung in Syrien ab Ende November/Anfang Dezember 2024 wäre eine entsprechende Glaubhaftmachung am – rechtskundig vertretenen und über seine Mitwirkungspflicht belehrten – BF gelegen. Sollten sich (im Gegensatz zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt) neue Asylgründe infolge des Machtwechsels konkretisieren, steht dem BF auch in Zukunft die Möglichkeit offen, einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Zum hier relevanten Entscheidungszeitpunkt ist jedenfalls von keiner asylrelevanten Verfolgung auszugehen. Im Übrigen ist beachtlich, dass auch UNHCR keine konkreten neuen Verfolgungsrisiken ins Treffen führt, sondern sich bloß allgemein auf die in Syrien vorherrschende Unsicherheit und Instabilität bezieht. Vor diesem Hintergrund sei abschließend noch einmal daran erinnert, dass der BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat.
Die belangte Behörde hat daher den Antrag des BF auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zu Recht abgewiesen, weshalb die dagegen gerichtete Beschwerde gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abzuweisen war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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